Seit es die Berichte des Verfassungsschutzes gibt, ist in ihnen immer wieder auf den Rechtsextremismus hingewiesen worden. Aber wann auch immer von einer rechten Gefahr gesprochen wurde, erhob sich sofort aus Ihren Reihen – der CDU – immer wieder die lautstarke Forderung, eine zumindest gleich starke linksterroristische Gefahr zu beschwören.
Aber mit dem Linksterrorismus ist unsere Demokratie fertig geworden, zum einen, weil die Terroristen unnachsichtig verfolgt und bestraft wurden, vor allem aber, weil der Linksterrorismus keinen wirklichen Rückhalt im deutschen Volk hatte. Das ist, wie wir erkennen müssen, in Bezug auf den Rechtsextremismus anders. In einer Studie der Freien Universität ist herausgefunden worden, dass jeder fünfte Brandenburger und jeder achte Berliner ein rechtsextremes Weltbild hat.
Die Zahl der Personen mit rechter Gesinnung ist damit in den letzten beiden Jahren um 10 Prozent angestiegen. Woher kommt das? – Reale Ursachen gibt es nicht. Weder „ist das Boot voll“, noch nehmen die Ausländer die Arbeitsplätze weg. Asylbewerber dürfen gar nicht arbeiten, und die Ausländer mit gesichertem Status, die arbeiten dürfen, die übernehmen in der Regel die Tätigkeiten, für die sich deutsche Arbeitnehmer gar nicht finden lassen. Ausländer sind auch nicht, wenn man sie mit den jeweils entsprechenden Bevölkerungsgruppen in Deutschland vergleicht, überproportional kriminell. Und wie gesagt: In den Ländern mit dem geringsten Ausländeranteil gibt es die meisten fremdenfeindlichen Gewalttaten. Brandenburg hat einen Ausländeranteil von 2,1 Prozent. Die fremdenfeindliche Gewalt ist hier aber knapp doppelt so hoch wie in Hamburg mit seinen 14,1 Prozent Ausländern.
Wir dürfen es nicht länger vor uns selbst verheimlichen: In Deutschland hat sich ein brauner Bodensatz gehalten, auf dem nicht erst jetzt, aber jetzt verstärkt, üble Gewächse gedeihen. Dieser braune Bodensatz war, wie sich jetzt zeigt, auch in der DDR vorhanden, ist dort aber totgeschwiegen worden. In der DDR war per Obrigkeitsbeschluss der neue Mensch erschaffen worden, der mit dem Faschismus nichts zu tun hatte und deshalb auch keine Nazivergangenheit aufarbeiten musste. In der alten Bundesrepublik haben wir die Rechtsradikalen sehr wohl zur Kenntnis genommen. Und wir haben uns immer sehr befriedigt geäußert, wenn die Rechtsradikalen in Parlamentswahlen scheiterten. Aber wir haben es hingenommen, dass sie sich frech mit Büchern, Zeitschriften und Zeitungen, mit Hetz-CDs und anderen üblen Machwerken eine Öffentlichkeit schufen.
Mehr noch: Rechtsradikalismus, hier durchaus bewusst zu unterscheiden vom Extremismus, ist vor allem von der CSU nicht nur geduldet, sondern geradezu hofiert worden. Ich sage nur: Gauweiler. Und in der Zeitung „Welt“ hat sich neulich der Rechtsextremismusforscher Prof. Hajo Funke auf die Frage, was muss geschehen, so geäußert:
Es darf nicht nur ein symbolisches, ideelles Bündnis für Toleranz gegenüber Ausländern geben. Die Politik, insbesondere CDU und CSU in ihren nationalkonservativen Flügeln, muss endlich aufhören, den rechten Rand bedienen zu wollen.
Und zum Bedienen dieses rechten Randes gehört auch das unwürdige Gezerre um das Holocaust-Mahnmal. Dazu gehört auch die jahrelange erbärmliche Diskussion über die Spiegelwand in Steglitz zur Erinnerung an die ermordeten Juden. Dazu gehört auch, wenn wir es uns über Jahre nicht leisten, den durchfahrenden Sinti und Roma einen menschenwürdigen Aufenthaltsplatz in unserer Stadt zu gewährleisten.
Was war es anderes als ein billiges Zugeständnis an diesen rechten Rand, als die hessische CDU die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft startete? – Billig und perfide zugleich, eine fremdenfeindliche Aktion im Mantel einer Quasi-Bürgerbefragung.
[Starker Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Kaczmarek (CDU): Was erzählen Sie eigentlich? – Zuruf der Abgn. Gewalt (CDU) und Dr. Steffel (CDU)]
Wer anders als der rechte Rand sollte mit dem Slogan „Kinder statt Inder“ gewonnen werden? Und wen anders als diesen rechten Rand hat Herr Merz im Auge, wenn er mit Ausländerund Asylthemen den nächsten Wahlkampf emotionalisieren will? Will er Stichwortgeber für das sein, was die Dessauer Richter „rassistisches Klima“ genannt haben?
Ich will hier nicht unterstellen, dass sich irgendjemand durch die Unterschriftenaktion in Hessen oder durch die Mahnmaldebatte in Berlin direkt veranlasst gesehen hat, einen Baseballschläger zu ergreifen und auf einen Asylbewerber einzuschlagen.
Aber die Herren an den Stammtischen – die mit den Judenwitzen und den fremdenfeindlichen Sprüchen –, die konnten sich durchaus ermutigt sehen, lauter und unverschämter zu werden.
Ein Teil der Politik übt sich in Toleranz gegenüber dem rechten Rand, ein Teil der Bevölkerung, jener unbelehrbare, verbohrte, ignorante und überhebliche Teil, fühlt sich dadurch in seinen dumpfen Vorurteilen bestätigt. Dieser Teil bietet dann Basis und Rückhalt für haltlose junge Männer, die sich nur dann stark fühlen, wenn sie Schwächere schlagen, treten oder gar erschlagen können.
Zu den schlimmsten Ereignissen im Nachkriegsdeutschland gehört für mich die Szene, als im Sommer 1992 in Rostock-Lichtenhagen die Wohnungen von Vietnamesen in Brand gesetzt wurden, und draußen eine Menschenmenge Beifall johlte. Und vielleicht wäre die Öffentlichkeit damals auch bald wieder zur Tagesordnung übergegangen, wenn nicht zufällig auch ein Fernsehteam in der Flammenhölle eingeschlossen gewesen wäre und authentisch berichten konnte, wie es ist, zusammen mit Frauen und kleinen Kindern den sicheren Feuertod vor Augen zu haben.
Eine Gesellschaft, in der ein Teil der Menschen in ständiger Angst lebt, in der Mitbürger um ihre Gesundheit und ihr Leben fürchten müssen, eine Gesellschaft, in der die Würde von Menschen verletzt wird, in dem sie bedroht und gequält und gejagt werden, das wäre, das i s t keine demokratische Gesellschaft mehr. Unsere Demokratie bedeutet nicht nur das Gewähren von Freiheit, sondern auch Schutz der Freiheit und des Lebens jedes einzelnen, egal wie er aussieht und woher er kommt, Schutz der Freiheit bedeutet Schutz von Minderheiten, bedeutet Mitmenschlichkeit und Wahrung der Menschenwürde.
Unser Bundespräsident Johannes Rau hat nach seiner Wahl auf den entscheidenden Artikel unseres Grundgesetzes – unserer gemeinsamen Wertordnung – hingewiesen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ In diesem Satz kristallisiert sich der antitotalitäre Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Satz heißt: Wer Gewalt, auch verbale Gewalt, gegen Juden oder Ausländer zulässt, verletzt nicht nur die Würde der jüdischen und ausländischen Mitbürger, sondern ver
stößt auch gegen seine eigene Würde. Dieser unserer eigenen Menschenwürde wieder Achtung zu verschaffen, ist jetzt unsere Aufgabe und muss zur Aufgabe jedes Bürgers und jeder Bürgerin in unserem Land werden.
Wir können die Aufgabe, Anstand und Würde zu sichern und zu schützen, nicht nur Polizei und Justiz zuschieben, die übrigens – auch das sei hier gesagt – alle rechtlichen Instrumente zu Verfügung haben, um wirksam gegen Gewalttäter aller Couleur vorzugehen.
Wer jetzt meint, unsere gemeinsame Abscheu und Empörung über die Angriffe auf unsere jüdischen und ausländischen Mitbürger für seine alten freiheitseinschränkenden Vorhaben nutzen zu können, wird auf unseren Widerstand treffen.
Mit flächendeckenden Videoüberwachungen und ausgedehnten Versammlungsverboten wird die freiheitliche Demokratie, die es jetzt zu schützen gilt, Stück für Stück zurückgedrängt. Das werden wir nicht zulassen.
Ich bin weiter fest davon überzeugt, dass wir in einer stabilen Demokratie leben und dass diese Demokratie auch den Rechtsextremismus in die Schranken verweisen kann. Das verlangt aber, dass wir uns alle – alle in diesem Hause und alle Menschen draußen – beteiligen. Es muss jetzt heißen: aufstehen, einmischen, Zeichen setzen. Die immer wieder beschworene Solidarität der Demokraten heißt heute: gemeinsames Aufstehen für ein tolerantes Berlin.
Danke schön, Herr Kollege! – Das Wort hat nunmehr der fraktionslose Abgeordnete Herr Dr. Wruck. – Bitte schön, Herr Dr. Wruck!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Friedenthal hat in seiner Biographie über Karl Marx ein Kapitel über Antisemitismus, ein sehr eindrucksvolles Kapitel. Herr Benneter hat eben versucht, in Teilbereichen eine Analyse des Antisemitismus darzustellen. Dazu gehört aber auch das, was Friedenthal über den sogenannten linken Antisemitismus gesagt hat, den wir nicht verschweigen sollten. Wir sollten nicht immer nur auf die eine Seite sehen und auf dem anderen Auge blind sein. Antisemitismus hat zunächst nichts mit links oder rechts zu tun. Er ist letztlich geprägt durch Vorurteile gegenüber einer bestimmten Minderheit. Wenn man dieses Kapitel von Friedenthal liest, weiß man, wie auch Sozialisten gegen bestimmte jüdische Denker argumentiert haben und mit welchen Vorurteilen sie diskutiert haben, wenn nach Friedenthal zum Beispiel von Ferdinand Lasalle als „Baron Itzig“ gesprochen wurde. Es ist also nicht nur eine Sache von rechts oder Rechtsradikalen, sondern es ist auch eine Sache, die selbst in linken, sozialistischen Kreisen, wie Friedenthal sie beschrieben hat, durchaus eine Rolle gespielt hat. Es bringt nichts, in diesem Zusammenhang zu sagen, meistens sind es ja Rechtsextremisten. Nein, es ist ein Vorurteil, das in vielen Teilen der Weltgeschichte festzustellen ist. Es ist nötig, dagegen inhaltliche Argumente zu setzen, aber auch Argumente, die etwas mit dem Herzen und der Seele zu tun haben. Denn Vorurteile kann man nicht allein durch rationale Argumente bekämpfen, sondern man muss auch dem Redner abnehmen können, dass er dahintersteht und mehr als ein kaltes Ritual vorträgt.
Ich meine zum Beispiel, dass es gut wäre, wenn man jenen, die sich von Antisemitismus leiten lassen und zu Straftaten bewegt fühlen und dann noch sagen, sie seien Patrioten, und von national befreiten Zonen sprechen, sagen würde, was die Deutschen für große jüdische Patrioten hervorgebracht haben.
Dazu gehört zum Beispiel Walter Rathenau, einer der glühendsten Verehrer des Preußentums. – Da werden Sie wieder lachen, aber es war so. – Diejenigen, die aus dem rechtsextremistischen Lager mit nationalen Tönen kommen, sollten sich einmal ansehen, was zum Beispiel in der Satzung des Bundes jüdischer Frontsoldaten steht. Da werden sie still und leise sein. – Das wird Ihnen auf der linken Seite des Hauses sicherlich nicht gefallen, aber das ist auch unsere Geschichte. – Es gehört auch dazu der dienstälteste Justizminister in Deutschland unter Bismarck, nämlich Friedberg, jüdischer Herkunft, dem wir das Bürgerliche Gesetzbuch und Strafgesetzbuch in Deutschland zu verdanken haben, ein großer Patriot. So gibt es viele Patrioten, auf die wir stolz sein können. Das müssen wir auch jenen verblendeten jungen Leuten sagen, die meinen, dass sie den Patriotismus gepachtet hätten und deswegen antisemitisch sein müssten. Nein, das Gegenteil ist richtig. Deswegen sind Schuldzuweisungen links und rechts falsch; nein, es ist ein generelles Problem, wie man mit Minderheiten umgeht. Und bitte nicht diese alten Vorurteile: das eine ist rechts, das andere ist links; die einen sind die Bösewichte, und die anderen sind die guten Menschen.
Gleichgültigkeit – ich sage das ganz bewusst – ist in unserer Gesellschaft eine besondere, moderne Form von Brutalität: wenn man wegschaut und sich nicht die Mühe macht, nachzudenken. Die Überzeugungskraft, die wir in dem Zusammenhang haben, müssen wir auch in unsere Bevölkerung hineinbringen und sagen: Wir brauchen jüdische Deutsche in unserem Land, weil es eine große Tradition von Männern und Frauen gibt, die für unser Volk vieles getan haben. Das zu sagen, gehört auch zur Abwehr dessen, was sich eine kleine Minderheit in Deutschland herausnimmt.
Diese Gleichgültigkeit haben wir auch in unserer Gesellschaft in anderen Bereichen. Es ist zu Recht gesagt worden: Warum hat man den jüdischen Gottesdienst in der Synagoge am Neujahrstag in dieser Weise geschändet? Wie begreift die Mehrheit in unserer Gesellschaft heute Gottesdienst? Hat sie noch Achtung davor oder nicht?
Ja! – Unterlassen wir doch parteipolitische Schuldzuweisungen. Auch was Sie, Herr Benneter, über die CSU gesagt haben, ist nicht zutreffend. Versuchen wir, dieses Problem des Antisemitismus gemeinsam und nicht durch Schuldzuweisungen an eine demokratische Partei anzugehen.
Danke schön, Herr Kollege! – Das Wort hat nunmehr für den Senat Herr Senator Dr. Werthebach. – Bitte schön, Herr Senator!