Protocol of the Session on June 8, 2000

sich mit der Deutschen Bahn AG zusammengefunden haben und in einer gemeinsamen Erklärung deutlich sagen:

In der Koalitionsvereinbarung haben sich SPD und Grüne darauf verständigt, die Investitionsmittel für Schiene und Straße im Bundeshaushalt aneinander anzugleichen und die Modernisierung des Schienennetzes voranzutreiben. Aus dem jüngst vorgestellten Anti-Stau-Programm soll die Bahn aber nur 38 % der Mittel erhalten. Eine Angleichung der Investitionsmittel des Bundes für Schiene und Straße ist derzeit nicht erkennbar, aber dringend geboten.

Genau das kann man so unterschreiben.

Sie werfen uns Auto-Fixierung vor.

[Wieland (Grüne): Allerdings! – Cramer (Grüne): Zu Recht!]

Sie kennen Ihren Kollegen Fraktionsvorsitzenden aus dem Bundestag offensichtlich nicht, Herr Wieland. Der ist etwas weiter, indem er sagt, das dieser Anti-Auto-Reflex der Grünen endlich aufgegeben werden muss.

[Wieland (Grüne): Die Ökosteuer ist so hoch, dass Sie nicht einmal bis zum Bahnhof fahren können!]

Das Auto ist Ausweis persönlicher Freiheit. Das können wir allerdings auch unterschreiben!

[Beifall bei der CDU]

An der Stelle kommen wir schwarz-grün schon sehr nahe. Die Konsequenzen hier aber so zu reden und ökologische Verkehrspolitik zu predigen, den Vorrang der Bahn im Mund zu führen und dann bei den realen Entscheidungen, insbesondere hier in Berlin, nur Abbau, Rückbau und Einschränkungen zu betreiben, ist aus unserer Sicht eine zwiespältige Haltung, die wir nicht akzeptieren können.

[Zuruf der Frau Abg. Matuschek (PDS)]

Frau Matuschek, Sie sind noch nicht an der Bundesregierung beteiligt, obwohl Sie von der Linie gut dazu passen würden. Sie brauchen, müssen dafür noch keine Verantwortung übernehmen.

Die Lösung kann nicht allein zwischen Bahn und Berlin gefunden werden. Der Bund kann seinen Beitrag dazu leisten. Er hat eine moralische Verpflichtung, einen Beitrag zu leisten. Der Bund hat 6 Milliarden DM durch den Wegfall des Transrapids eingespart. Er hat an Berlin ebenfalls rund 7 Milliarden DM durch den Verzicht auf den Ausbau der Bahnstrecke zwischen Berlin und München eingespart. Da muss es doch wohl möglich sein, die Mehrkosten von rund 2 Milliarden DM in dem Knoten Berlin so zu finanzieren,

[Cramer (Grüne): Haben wir doch!]

dass das Bahnnetz in Berlin nicht ein Torso bleibt und die Bahn zur Schrumpfbahn wird, sondern dass wir eine zukunftsgerechte Lösung bekommen, in der wir die vorhandenen Optionen und die Zukunftschancen dieser Stadt wahren. Vielleicht gelingt es auch dieser Bundesregierung, über die Legislaturperiode hinaus zu denken und wenigstens in dieser Frage Verantwortung auch für die Hauptstadt Deutschlands zu übernehmen. Das erwarten wir! – Danke schön!

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege! Das Wort hat nunmehr für die Fraktion der Grünen der Kollege Cramer! Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das gigantische Eisenbahnkonzept ist sowohl zeitlich als auch finanziell außerordentlich in der Bredouille. In diesem Jahr sollten die ersten Züge durch den Nord-Süd-Eisenbahntunnel fahren. Der Kollege Gaebler hat dies bereits ausgeführt. Davon ist keine Rede mehr. Die Mehrkosten belaufen sich inzwischen auf 2 Milliarden DM. Deshalb will die Deutsche Bahn AG alle nicht begonnenen Projekte auf den Prüfstand stellen: den Bahnhof Pape

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straße, den Lehrter Bahnhof, die Dresdner Bahn, das Ostkreuz und die Stammbahn. Für uns, Bündnis 90/Die Grünen, kommt all das nicht überraschend. Sie haben uns damals und heute zu Unrecht als Geizhälse beschimpft, aber Sie sollten wissen, dass Geizhälse zwar unangenehme Zeitgenossen, aber angenehme Vorfahren sind. [Beifall bei den Grünen]

Heute müssen auch Sie den Finanzkollaps eingestehen. Ihre Planung aus den frühen 90er Jahren war geprägt von einer Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn und blieb ohne jeden Bezug zu den finanziellen Möglichkeiten der Stadt und des Landes. Außerdem wurde ignoriert, dass Berlin nicht nur geologisch, sondern auch politisch ein Sumpfgebiet ist, in dem Überraschungen in finanzieller und technischer Hinsicht nie ausgeschlossen sind. Die politischen Sumpfblüten aus der Antes-Zeit hätten dafür sensibilisieren müssen, nicht wahr, Herr Diepgen? [Zuruf des Abg. Kaczmarek (CDU)]

Die Vertreter der großen Koalition haben heute einmal mehr demonstriert, dass sie von der Westberliner Krankheit nicht genesen sind, immer nur das Beste für sich zu fordern, was andere gefälligst zu bezahlen haben. Eine solche Handlung ist verantwortungslos und von gestern.

[Beifall bei den Grünen – Rabbach (CDU): Wir sind von heute!]

Nun trägt sicherlich auch die Bahn mit ihrem Missmanagement einen Teil der Verantwortung. Das ist zutreffend beschrieben worden. Aber auch der Senat von Berlin, auch CDU und SPD können sich nicht aus der Verantwortung stehlen, weil sie diese Gigantomanie maßgeblich befördert haben.

[Niedergesäß (CDU): So ein Unfug!]

Ich erinnere daran, dass nach der Wende in Berlin intensiv über die unterschiedlichen Bahnkonzepte gestritten worden ist. Der Senat hatte sich mit der kosten- und zeitintensivsten Variante durchgesetzt – übrigens gegen die damalige Bundesbauministerin und den Bundesverkehrsminister!

[Kaczmarek (CDU): Aber mit der zukunftsträchtigsten Variante!]

Sie entschieden sich für Zentralität und Neubau. Wir wollten Dezentralität und schnelle Sanierung. Heute haben wir beides nicht. Das ist verkehrs- und stadtpolitisch ein Skandal!

[Beifall bei den Grünen]

Viele Milliarden DM wurden schon vergraben, ohne dass eine Nutzung erfolgt wäre. Wie es anders hätte sein können, beweist die Stadtbahn. Die schnelle Sanierung hatte Priorität. Der Ausbauzustand ist dort schon heute hervorragend und wird genutzt. Es gibt nur einen Nachteil: Weil die Bahnsteige am Bahnhof Friedrichstraße nicht verlängert worden sind – das wäre übrigens für schlappe 10 Millionen DM möglich gewesen –, bleibt die Mitte der Stadt für 10 Jahre vom Fernverkehr abgekoppelt. Das, Herr Diepgen, war Sparen an falscher Stelle!

[Beifall bei den Grünen]

Seit Jahren blockiert der Senat den Aufbau der Eisenbahninfrastruktur in Berlin, weil die Straße Priorität genießt. Die Sanierung von Ostkreuz wurde verzögert, weil der Senat dort unbedingt einen doppelstöckigen Tunnel für die Stadtautobahn realisiert haben will. Da dafür die Planung fehlte, musste der Umbau von Ostkreuz warten – bis heute! Heute fehlt aber das Geld, dass früher schon zur Verfügung stand. Dumm gelaufen, Herr Kaczmarek!

Weil dem Senat die Pläne für den Wiederaufbau der Dresdner Bahn nicht passten, weigert er sich seit 2 Jahren, diese auszulegen. Das ist ein Unikum in der bundesdeutschen Planungsgeschichte. Die Mehrkosten in Höhe von 164 Millionen DM für den vom Senat geforderten unterirdischen Tunnel in Lichtenrade soll die Bundesregierung bezahlen, als hätte sie einen Dukatenesel. Nach zweijähriger Verzögerung werden die Ursprungspläne endlich ausgelegt. Jetzt aber hat die Bahn kein Geld mehr. Abermals dumm gelaufen!

Verantwortlich für das ganze Desaster sind der Bund, die Bahn und der Senat von Berlin. Man kann die Verantwortlichen auch benennen: die damaligen Verkehrsminister Krause und Wissmann, die Bahnchefs Dürr und Ludewig, die Senatoren Haase und Klemann.

[Niedergesäß (CDU): Alle von der CDU!]

Sie haben es gemerkt, sie sind alle von der CDU. Diese Herren brauchen allerdings die Suppe nicht mehr auszulöffeln, die sie Berlin eingebrockt haben. Wir können froh sein, dass sich Kohl und Diepgen beim Transrapid nicht durchgesetzt haben, sonst wäre das Finanzdesaster noch größer!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der PDS]

Der Bahn fehlt das Geld, aber nicht nur wegen falscher Planungen in der Vergangenheit. Auch die gegenwärtigen Rahmenbedingungen mit ihren unfairen Wettbewerbsverzerrungen belasten die Bahn. Die Trassenpreise sind eine Schienenmaut, es gibt aber keine Straßenmaut. Die Bahn muss den vollen Mineralölsteuersatz bezahlen, Flugzeug und Binnenschiff sind davon befreit. Die Bahn muss den vollen Mehrwertsteuersatz bezahlen, das Flugzeug nicht. Die Bahnpreise wurden seit 1950 um 700 % erhöht, die Benzinpreise um 150 %. Der Staat finanziert die Infrastruktur der Bahn nur zur Hälfte, die der Straße zu 100 %. Die Bahn hat auch in Berlin keine Chance, Herr Kaczmarek, wenn diese unfairen Wettbewerbsverzerrungen weiter bestehen bleiben, bleibt alles so, wie es ist, müssen noch weitere Projekte abgespeckt, vertagt oder gänzlich aufgegeben werden.

Den ersten Schritt, Herr Niedergesäß, zur Aufhebung dieses Missverhältnisses hat die rot-grüne Bundesregierung mit der Ökosteuer getan.

[Heiterkeit bei der CDU]

Da können Sie nur lachen! – Weil der öffentliche Verkehr nur den halben Satz bezahlen muss, wird durch die Verstetigung der Ökosteuer die Schere zwischen Straße und Schiene in Zukunft kleiner und nicht größer. Das ist gut so! Das braucht die Bahn, das braucht Berlin!

[Beifall bei den Grünen]

Gleichzeitig soll – so steht es im rot-grünen Koalitionsvertrag und auch im Steuerkonzept der CDU – die Kilometerpauschale für die Autofahrten in eine Entfernungspauschale für alle umgewandelt werden. Beides ist richtig und notwendig! – Herr Kaczmarek, jetzt können Sie klatschen, denn das ist auch Ihre Idee!

Wer angesichts der Preistreiberei der Ölmultis und der Auswirkungen des Dollarkurses die Ökosteuer für die Benzinpreiserhöhungen der letzten Woche verantwortlich macht, der betreibt billigsten Stammtischpopulismus und zeigt, dass ihn der Ausbau der Eisenbahninfrastruktur überhaupt nicht interessiert.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]

Mit der Ökosteuer allein lässt sich die notwendige Infrastruktur aber auch nicht bezahlen.

[Zuruf des Abg. Niedergesäß (CDU)]

Angesichts der Finanzmisere ist es notwendig, die geplanten Schienen-, Straßen- und Wasserstraßenprojekte ebenfalls auf den Prüfstand zu stellen. Wir brauchen eine integrierte Sicht der Dinge und nicht nur eine schmalspurhafte Sicht auf die Schienenprojekte.

Für uns ergibt sich dabei folgende Prioritätenliste:

1. Der Bau des Nordsüdeisenbahntunnels ist soweit fortgeschritten, dass er nun mit 4 Gleisen vollendet werden muss.