Die Europäische Union ist mittlerweile mehr als nur ein Frie densprojekt. Es ist ein Jahrhundertprojekt, das für alle Mit gliedsstaaten Sicherheit, politisches Gewicht in der Welt und wirtschaftliche Vorteile bringt, und dies ist gerade in Zeiten der Unsicherheit, der grenzüberschreitenden Herausforderungen wie der Globalisierung, des Terrorismus und der Flüchtlingsbe wegung wichtiger als je zuvor.
Brandenburg profitiert von der Europäischen Union. Wir be kommen allein in der jetzigen Förderperiode 2,2 Milliarden Euro an Strukturmitteln. Unsere Unternehmen - Herr Christof fers führte es bereits aus - profitieren vom europäischen Bin nenmarkt, vom zollfreien Im- und Export von Waren und von einer problemlosen wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Aber wie geht es nun nach der Entscheidung der Briten weiter? Im Moment müsste man wirklich Hellseher sein, um auf diese Frage eine qualifizierte Antwort zu geben. Es ist unklar, wann die Briten überhaupt einen Antrag stellen. Es ist absolut unklar, wie sich eventuelle Austrittsverhandlungen gestalten würden, und es ist auch unklar, wie der Austritt auf die Europäische Union wirken wird. Diese Frage lässt sich nicht beantworten - es sei denn, man hat eine Glaskugel -, wie im Jahr 2020 die Förderstruktur aussieht. Deshalb konnte ich auch nicht nach
vollziehen, warum der Finanzminister schon die Zahl von 450 Millionen Euro Verlust in den Raum stellen konnte. Glei chermaßen konnte ich auch die Worte des Ministerpräsidenten nicht verstehen, der sagte, es werde keine gravierenden Aus wirkungen auf Brandenburg haben.
Wir haben keine solche Glaskugel, deshalb müssen wir abwar ten. Das heißt aber nicht, dass wir tatenlos warten müssen. Die Frage ist: Was tut die Landesregierung in diesem Punkt? Schauen wir nach Hessen, sehen wir, dass sich die dortige Lan desregierung sehr schnell nach dem Referendum auf den Weg gemacht und gesagt hat: Wir in Frankfurt als zentraler Finanz markt nehmen auf, was jetzt in London nicht mehr gewollt ist. In Frankfurt sind die Immobilienpreise mittlerweile schon um ein Drittel gestiegen, weil sich natürlich alle darauf einstellen, dass sich der britische Finanzmarkt teilweise auch nach Frank furt verlagern wird.
Wir haben keine Kollegen von der FDP hier, aber die Berliner Liberalen machen Werbung in London, dass die Startups nicht länger dort bleiben, sondern nach Berlin kommen sollen - also aktive Wirtschaftsförderung. Da frage ich mich: Was hat die Landesregierung in Brandenburg bislang getan?
Wichtig ist aber auch, dass wir das Votum der Briten ernst neh men, es kritisch hinterfragen und unsere Schlussfolgerungen daraus ziehen, denn ein blindes „Weiter so!“ in der Europäi schen Union kann und darf es nicht geben - nicht, wenn wir ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union vermeiden wol len. Das Ergebnis des Referendums muss daher ein Weckruf für die Europäische Union sein. Wir müssen uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wo wir die Zukunft Europas se hen.
Ja, es gibt berechtigte Kritik an der Europäischen Union. Das müssen wir ernst nehmen, das müssen wir ausräumen. Deswe gen muss sich die Europäische Union wieder auf das Wesentli che konzentrieren und darf sich nicht im Klein-Klein verlieren. Es ist wichtig, dass wir auf die Einhaltung des Subsidiaritäts prinzips pochen, dass wir es noch stärker leben. Zwingend not wendig ist auch, dass sich die Mitgliedsstaaten gemeinsam zu Europa bekennen, vor allem solidarischer handeln.
Es geht jetzt nicht darum zu streiten, ob wir mehr oder weniger Europa brauchen. Wir brauchen definitiv ein besseres Europa. Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten. - Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie be Gäste! Wer hätte das gedacht: Plötzlich kam der Brexit in unser Leben. Das Ergebnis der Volksabstimmung in Großbri tannien vor drei Wochen hat doch viele überrascht. Jetzt muss
die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt einen neuen Kurs be stimmen und viele Dinge neu ordnen und regeln. Und plötzlich wird deutlich: Handelsbeziehungen zwischen Staaten, Zollfrei heit, Visafreiheit sind keine Selbstverständlichkeiten, sondern hart erarbeitet.
Allerdings: Die Europäische Union und Großbritannien - das war immer eine besondere Beziehung. Und ich bin mir sicher: Es wird eine besondere Beziehung bleiben. In seiner Züricher Rede beschwor Winston Churchill 1946 die Neugründung der europäischen Völkerfamilie. Auch die Vereinigten Staaten von Europa werden in diesem Zusammenhang gern genannt. Dies geschah vor dem Hintergrund der Schrecken zweier Weltkriege mitten in Europa. Aber schon Churchill sah damals nicht Groß britannien als Hauptakteur in der Pflicht, sondern vor allem Frankreich. Der Schwerpunkt Großbritanniens blieb das Com monwealth.
Wie kam man eigentlich zur heutigen Europäischen Union? Es ist schon angerissen worden: Im Grunde lag den Vorläufern der heutigen Europäischen Union ein sehr einfacher Plan zugrun de: Die Schlüsselindustrien des Zweiten Weltkriegs der Länder Frankreich, Deutschland, Italien und der Benelux-Staaten soll ten miteinander verwoben werden. Um die Schrecken der Ver gangenheit für die Zukunft zu verhindern, sollte über diese wirtschaftliche Verbindung ein Weg geschaffen werden, um Frieden und Wohlstand zu sichern. Ein Ziel, an dem die Politik in Europa zweimal schrecklich gescheitert war.
Die positiven wirtschaftlichen Erfahrungen der 1952 in Kraft getretenen Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl führten schließlich zu einer Weiterentwicklung - dem gemein samen Binnenmarkt. Dazu mussten die nationalen Märkte zu sammengeschlossen und eine umfassende Zollunion geschaf fen werden. So schufen die Römischen Verträge schließlich zum 1. Januar 1958 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft.
Wenn man die Geschichte betrachtet, sieht man: Der Schwer punkt liegt sehr deutlich im Bereich der Wirtschaftspolitik und das aus gutem Grund. Alle Beteiligten profitieren wirtschaft lich enorm vom einheitlichen Binnenmarkt, und von wirt schaftlichen Vorteilen ist der Mensch naturgemäß schneller zu überzeugen als vom politischen Nutzen der europäischen Inte gration und irgendwelchen Behörden in Brüssel. Der Wegfall von Handelshindernissen hingegen ist - zumindest wirtschaft lich - greifbar.
Großbritannien trat 1973 schließlich doch der Europäischen Gemeinschaft bei, anschließend viele weitere europäische Staaten, zuletzt Kroatien 2013. Heute hat die EU 28 Mitglie der, leider wird es bald eins weniger sein.
Die besondere Beziehung Großbritanniens und der EG, später der EU, setzte sich auch nach dem Beitritt fort. Es beteiligte sich nicht am Europäischen Währungssystem und dem Euro und auch nicht am Schengener Abkommen, obwohl dies die Eckpfeiler Europas sind und für die Menschen in Europa per sönlich erlebbar.
Gestern trat der britische Prime Minister Cameron ab, da er keinen Plan B hatte, keinen Plan für den Brexit. Es liegt nun an
der neuen Prime Ministerin May, zunächst nach Artikel 50 des EU-Vertrags den Austrittswunsch anzuzeigen. Zumindest der schnelle Wechsel an der Spitze in diesen Tagen war wichtig, eine länger dauernde Ungewissheit wurde dadurch verhindert. Der neuen Prime Ministerin können wir für die anstehende Herkulesaufgabe nur alles Gute wünschen. Ob Boris Johnson die richtige Wahl für den Posten des Außenministers ist, muss die Zeit zeigen.
Brexit bedeutet Brexit - das hat die Prime Ministerin klarge stellt, und das ist konsequent. Das Votum der Wähler muss uns nicht gefallen, aber es muss respektiert werden. Wie aber soll der Austritt jetzt gestaltet werden?
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Gäste, ist auch für Brandenburg eine der ganz entscheidenden Fragen. Eine Antwort können wir heute noch nicht geben, aber viel leicht erste Umrisse aufzeigen: Großbritannien wird nicht aus Europa verschwinden, schreiben die Kollegen von den Linken in ihrem Antrag. Das ist richtig, und das ist gut so. Das Verei nigte Königreich soll und muss auch weiterhin ein enger Part ner bleiben. Tatsächlich war gestern zu lesen, Prime Minister Cameron habe seiner Nachfolgerin empfohlen, so nahe wie möglich an der EU zu bleiben; das sei auch gut für Schottland, dessen Bevölkerung mehrheitlich gegen einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hat.
Hier zeigt sich, was ich vorhin erläutert habe: Das Votum für den Brexit war gegen die vermeintliche Fremdbestimmung aus Brüssel gerichtet. Die wirtschaftlichen Vorteile möchten aber auch die Briten nicht aufgeben, denn sie sind - wenigstens halbwegs - greifbar. Ich halte es für recht wahrscheinlich, dass die EU mit Großbritannien zu einer sinnvollen Einigung kom men wird, weil beide Seiten wirtschaftlich davon profitieren.
Im Brexit-Wahlkampf wurde vielfach die norwegische Lösung vorgeschlagen: Man könne Teil des Binnenmarktes bleiben, aber müsse nicht Teil der EU sein. - Das geht, ist aber eine et was verkürzte Darstellung und unterschlägt entscheidende Zu sammenhänge. Norwegen ist Teil des Binnenmarkts, ja. Aber dafür übernimmt Norwegen in diesem Bereich die Gesamtheit des gültigen EU-Rechts. Bei der Rechtssetzung hat Norwegen - anders als Großbritannien - bisher kein Mitspracherecht. Auch zahlt Norwegen, unter anderem über den Finanzmechanismus des Europäischen Wirtschaftsraums, als Nettozahler einen mil liardenschweren Kohäsionsbeitrag.
Mitglied des Binnenmarktes zu bleiben, ohne seine Regeln ein zuhalten - das wird nicht gehen; auch nicht für das Vereinigte Königreich.
In diesem Zusammenhang müssen daher auch die Äußerungen gesehen werden, der Austritt Großbritanniens aus der EU kön ne Brandenburg ab dem Jahr 2020 jährlich rund 450 Millionen Euro Fördermittel kosten. Dies entspräche 4,6 % des Landes haushalts. Es steht völlig außer Frage, dass Brandenburg unge mein von der Förderung aus EU-Fonds profitiert hat. Diese Entwicklung gilt es fortzuführen.
Ich möchte dennoch unserem Wirtschaftsminister beipflichten: Wenn man den schlimmstmöglichen Fall annimmt, mag diese Rechnung stimmen, und natürlich werden sich die Beziehun
gen Großbritanniens zur EU ändern. Das wird auch Auswir kungen auf die brandenburgische Wirtschaft haben, womöglich auch auf die Höhe der EU-Förderung ab 2020. Dennoch: Wie diese Auswirkungen genau aussehen werden, kann heute noch nicht abgeschätzt werden. Hier müssen die beteiligten Akteure mit Augenmaß das Austrittsabkommen verhandeln und im ge gebenen Rahmen zur bestmöglichen Lösung kommen. Erst das Ergebnis dieser Verhandlungen wird dann auch für Branden burg eine Lagebeurteilung ermöglichen. Alles andere sind Mutmaßungen, und davon möchte ich abraten.
Klar dürfte sein, dass Landtag und Regierung alles tun werden, damit Brandenburg weiterhin als Förderregion von Europa profitiert. Der Brexit wird aber - neben der EU-Förderung - di rekte Auswirkungen auf Unternehmen in Brandenburg haben. Ich habe es eben kurz angerissen: Die IHK Potsdam schätzt, dass heute etwa 300 brandenburgische Unternehmen Ge schäftsbeziehungen mit Großbritannien unterhalten, mit einem Exportvolumen von immerhin 470 Millionen Euro. Natürlich werden besonders diese Unternehmen die Brexit-Folgen zu spüren bekommen.
Der Wirtschaftsminister und der Ministerpräsident machen es richtig, wenn sie dazu aufrufen, gelassen zu bleiben. Weder Europa noch die Europäische Union werden wegen des Brexits untergehen. Europa ist heute sehr viel mehr als eine Freihan delszone. Durch das Brexit-Votum ist dem recht mürrischen Deutschen die Bedeutung der Europäischen Union bewusster geworden. Der Tagesspiegel titelt am 9. Juli „Deutsche sehen EU so positiv wie noch nie“: 51 % der Befragten sehen eher Vorteile in der EU-Mitgliedschaft, nur noch 10 % eher Nach teile. Dennoch steht die Frage: Wie wird die EU von den Bür gerinnen und Bürgern wahrgenommen? Nach dem Brexit-Vo tum haben die verbliebenen 27 Mitgliedsstaaten deutlich er klärt:
„Die Europäische Union ist eine historische Leistung, die Frieden, Wohlstand und Sicherheit auf den europäischen Kontinent gebracht hat, und wird unser gemeinsamer Rahmen bleiben.“
„Wir müssen hier in einer Weise Erfolge erzielen, die uns vereint, nicht zuletzt im Interesse der jungen Menschen.“
Ich glaube, das Gute an Europa muss weiter in das Bewusst sein gerückt werden - das Demokratische an der Union und auch das Soziale. Es gehört zur Wahrheit zu erzählen, dass Eu ropa viel erreicht hat. Der Parteivorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, hat es auf der Programmkonferenz in Berlin noch ein mal herausgestellt: Nirgendwo auf der Welt lebt es sich siche rer, und dabei ist auch die soziale Sicherheit umfasst.
Zur Wahrheit gehört aber auch zu sagen: Es gibt Probleme. Die Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen EU-Ländern ist eines davon. Auch mit Blick auf das Verhalten der Staaten in der Flüchtlingskrise kann von einer Solidargemeinschaft der euro päischen Staaten kaum die Rede sein. Dass dies die Bürger ent täuscht, kann ich verstehen - mich enttäuscht es auch.
Deswegen ist es richtig, wenn Sigmar Gabriel auch sagt: Der Brexit ist nicht das Ende Europas. Es ist auch nicht das Ende der Zusammenarbeit mit Großbritannien. Aber es ist schon ein
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, und Sigmar Gabriel haben dazu einen Zehn-Punkte-Plan vor gestellt. Ich kann mich nur anschließen, wenn uns der Brexit anregt, die Kernprobleme Europas endlich anzugehen, die den Menschen in Europa auf der Seele liegen.
Mir sind besonders vier Punkte wichtig: Europa muss sich auf das Wesentliche konzentrieren. Europa muss demokratischer und verständlicher werden. Europa braucht die wirtschaftspoli tische Wende und ein Wachstumspaket für die EU. Und Europa muss die Gerechtigkeitsfrage beantworten. Dann, glaube ich, können wir auch wieder Menschen begeistern. Und das ist heu te notwendiger denn je.
Mut macht mir, dass vor allem die junge Generation auch in Großbritannien die Chancen der Europäischen Union sieht. Das ist ein guter Ansporn für den anstehenden Prozess. Wer weiß, Artikel 50 Abs. 5 EU-Vertrag sieht die Möglichkeit des Wiedereintritts durchaus vor. Ich würde mich darüber sehr freuen, Großbritannien irgendwann wieder in unserer Mitte be grüßen zu können. Mit dem ersten EU-Austritt der Geschichte ist eine Voraussetzung für den Wiedereintritt gegeben.
Ich komme nun zu dem Antrag der AfD-Fraktion. Sie lösen diese Themen nicht mit mehr Referenden, mit mehr Befragun gen. Das zeigt der Brexit ganz deutlich. Wenn man so etwas in Angriff nimmt, braucht man einen Plan B: Was passiert, wenn die Mehrheit zustimmt? Was passiert, wenn die Mehrheit ihn ablehnt? Ich kann Ihnen nur empfehlen: Norbert Lammert hat am Wochenende einen wunderbaren Artikel zum Thema Refe renden geschrieben. Ich kann ihm nur beipflichten. Referenden werden von Politikern gern ins Spiel gebracht, wenn sie sich vor der Entscheidung abducken wollen.
Ich empfehle Ihnen diesen Artikel. Komplexe Fragen mit ei nem einfachen Ja oder Nein durch Bevölkerungsbefragung zu entscheiden halte ich für sehr gefährlich. Ich glaube, wir in Brandenburg haben mit unserer Verfassung eine der moderns ten Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung. Wenn Sie als AfD ausschließen, dass Bürger je beteiligt werden: Ich weiß nicht, seien Sie doch froh, dass die Bürger Sie gewählt haben. Aber plebiszitäre Elemente für diese wichtigen Fragen halte ich für falsch. - Danke.
Danke. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht der Abgeordnete Dr. Gauland für die AfD-Fraktion.