Protocol of the Session on July 15, 2016

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Die Unterstützung von Paaren mit uner fülltem Kinderwunsch ist, wie man auch in dieser Debatte sieht, ein oftmals sehr emotional diskutiertes Thema. Verständlicher weise, denn die Zahlen zeigen, dass jedes sechste bis siebente Paar Schwierigkeiten hat, auf natürlichem Weg ein Kind zu zeu gen. Über 2,5 % aller lebend geborenen Kinder im Jahr 2013 waren das Resultat einer Befruchtung außerhalb des Körpers. Das heißt also: Statistisch gesehen sitzt in jeder zweiten Schul klasse ein Kind, das durch künstliche Befruchtung gezeugt wur de. Im Jahr 2014 wurden bundesweit 52 988 Frauen behandelt, im Durchschnitt wurden pro Frau 1,66 Zyklen durchgeführt.

Hinter diesen Zahlen steckt aber auch eine weitere bittere Tat sache: Künstliche Befruchtung ist selbst bei vielen Behand lungszyklen kein Garant dafür, dass der Kinderwunsch erfüllt wird. Die Zahl steht damit also auch für die körperliche und gesundheitliche Belastung der Frauen sowie für die psychische Belastung der Paare vor, während und vor allem beim Schei tern der Behandlung. All das sind Dinge, die in politische Ent scheidungen einfließen müssen.

Seit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes im Jahr 2004 - das wurde schon ausgeführt - übernehmen die Kranken

kassen für verheiratete Paare bei Vorlage der entsprechenden Voraussetzungen nur noch 50 % der Kosten für die künstliche Befruchtung.

Einige Krankenkassen bieten im Rahmen ihrer Satzungser mächtigungen freiwillig ergänzende Finanzierungen für ihre Versicherten an. Das ist für diese Versicherten gut, aber es hilft eben nicht allen, und schon gar nicht unverheirateten Paaren. Die gehen nämlich bei den Kassen komplett leer aus.

Wir wollen jedoch eine Finanzierungsregelung, die allen, bei denen die medizinische Notwendigkeit anerkannt ist, hilft. Aus diesem Grund hat auch Brandenburg nicht geschlafen, sondern gemeinsam mit anderen Ländern schon Anfang 2012 einen Ge setzentwurf zur Kinderwunschförderung in den Bundesrat ein gebracht, der vorsah, dass der gesetzliche Zuschuss der Kassen wenigstens wieder auf 75 % angehoben wird und die verblei benden Kosten von 25 % durch den Bund zu finanzieren sind. Leider fand dieser Gesetzentwurf keine Mehrheit. Statt einer Lösung für alle und einer Finanzierung überwiegend durch die Solidargemeinschaft über die gesetzliche Krankenversicherung lässt der Bund also auch weiterhin einen Flickenteppich an Finanzierungsmöglichkeiten zu. Daran ändert auch das zum 1. April 2012 vom Bundesfamilienministerium ohne Abstim mung mit den Ländern geschaffene Förderprogramm für Maß nahmen der assistierten Reproduktion nichts.

Auch wenn das Ansinnen im Grundsatz begrüßt werden kann, versucht der Bund damit, die Finanzierungsverantwortung auf die Länder abzuwälzen, denn die vollständige Übernahme der Kosten war, wie bereits ausgeführt, vor 2004 geregelt und wur de seitens des Bundes auf eine Zuschusszahlung reduziert.

Dies sollte mit der nun gefundenen Regelung wenn schon nicht zurückgenommen, so doch wenigstens abgemildert werden. Dass das keine adäquate Lösung ist, zeigt, dass bisher nur sechs Bundesländer eine Kofinanzierung anbieten. Da möchte ich nicht nur auf den Osten schauen. Wir haben 16 Bundeslän der, und nur sechs haben ein solches Landeskofinanzierungs programm.

Die vom Bundesfamilienministerium nun verkündete Öffnung des Programms für unverheiratete Paare ist ebenfalls gut ge meint, und doch offenbart es das grundsätzliche Problem. Denn die gesetzlichen Förderbestimmungen in § 27a SGB V bleiben unverändert. Die Krankenkasse leistet für sie keine Zuschüsse.

Des Weiteren bleibt es auch bei der neuen Regelung dabei, dass gleichgeschlechtliche Paare vollkommen leer ausgehen. Sie erhalten weder von den Kassen noch vom Bund eine Unter stützung. Hier will niemand die Biologie infrage stellen, son dern die gesetzlichen Regelungen, die das so vorsehen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, das Anliegen, kinderlose Paa re bei Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zu unterstüt zen, teile ich vollkommen. Eine solche Unterstützung muss aber alle Paare gleichermaßen bei der Erfüllung des Kinder wunsches unterstützen. Es darf - getreu dem Gleichheitsgebot - nicht von der gewählten Krankenkasse oder davon, in welchem Bundesland man lebt, abhängen, ob Hilfe möglich ist oder nicht.

Ich begrüße den Auftrag an die Landesregierung, zu prüfen, ob mit einem eigenen Landesförderprogramm die Kinderwunsch behandlung in Brandenburg unterstützt werden kann. Dabei müssen alle maßgeblichen Aspekte untersucht werden: sowohl die gesundheitlichen Gesichtspunkte als auch die Fragen, die durch die Einbeziehung gleichgeschlechtlicher Paare in die Förderung aufgeworfen werden.

Ich werde mich darüber hinaus auch weiterhin für eine umfas sende Änderung der bundesgesetzlichen Finanzierungsrege lung einsetzen. Ich appelliere an dieser Stelle auch an die Krankenkassen, ihren Spielraum zu nutzen, über Satzungser mächtigungen freiwillige zusätzliche Leistungen zur künstlichen Befruchtung zu gewähren. - Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank. - Wir sind damit am Ende der Debatte und kom men zur Abstimmung.

Ich rufe zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie auf Drucksache 6/4525 - Paare mit uner fülltem Kinderwunsch auch in Brandenburg unterstützen - auf. Wer möchte der Beschlussempfehlung des Ausschusses zu stimmen? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mehrheitlich angenom men.

Ich rufe den Entschließungsantrag der CDU-Fraktion auf Drucksache 6/4626 zur Abstimmung auf. Wer möchte dem An trag zustimmen? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist der Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 8 und rufe Tagesordnungs punkt 9 auf:

Den Öffentlichen Gesundheitsdienst in Brandenburg stärken

Antrag

der Fraktion der CDU

der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 6/3305

Beschlussempfehlung und Bericht

des Ausschusses für Arbeit, Soziales,

Gesundheit, Frauen und Familie

Drucksache 6/4526

Die Aussprache wird von der SPD-Fraktion eröffnet. Bitte, Frau Abgeordnete Müller.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Öffentliche Gesundheitsdienst hat vielfältige, klar geregelte gesetzliche Aufgaben im Gesundheitswesen.

Der Infektionsschutz oder die Überprüfung der Krankenhaus hygiene sind nur ausgewählte Beispiele, die gelegentlich auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Im Zusammen hang mit der medizinischen Untersuchung der Geflüchteten wurde vielen die wichtige Rolle der Mitarbeiterinnen und Mit arbeiter in den Gesundheitsämtern wieder bewusst.

Für die Amtsärzte sind neue Herausforderungen und gesetzli che Vorgaben entstanden. Das erhöht die Anforderungen an diejenigen, die die Aufgaben bewältigen müssen. Der Öffentli che Gesundheitsdienst ist - und hier sind wir uns alle einig - ei ne wichtige Säule der gesundheitlichen Versorgung in den Kommunen. Er bietet Beratung und Hilfsangebote für alle Menschen in der Stadt oder des Landes.

(Beifall SPD und des Abgeordneten Büchel [DIE LIN KE])

Die Situation ist schwierig, weil die Personaldecke dünn ist und dünner wird. Bereits jetzt sind für die ausgeschriebenen Arztstellen kaum noch Nachfolger zu finden. Einer der Haupt gründe ist die unattraktive Bezahlung im Öffentlichen Gesund heitsdienst. Ärztinnen und Ärzte in den Klinken verdienen viel besser.

Eine Änderung der Situation kann jedoch nicht von der Lan desebene allein bewerkstelligt werden, da die Landesregierung den Öffentlichen Gesundheitsdienst nicht mit Personal ausstat tet und bezahlt.

Wir können uns als Landesparlament jedoch nicht aus der Ver antwortung stehlen, wenn die Erfüllung der gesetzlichen Auf gaben in Gefahr ist; da müssen wir handeln. Als erste Maßnah me wollen wir daher die Landesregierung auffordern, Vor schläge für eine Verbesserung der Personalsituation der Ge sundheitsämter in den Landkreisen und kreisfreien Städten zu entwerfen. Thüringens Gesundheitsämter stehen vor einer ähn lichen Situation. Das Thüringer Land entwickelt gerade eine Gesetzesvorlage, nach der das Land die Kosten für Gehaltszu schüsse übernimmt. Wir sollten uns die Entwicklung dort ge nau ansehen. Deshalb wird sich der Fachausschuss nun regel mäßig berichten lassen.

Die Beratung im Ausschuss hat auch ergeben, dass es sinnvoll wäre, das Aus- und Weiterbildungsprogramm für Personal im Öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken. Deshalb regen wir an, den Beitritt in die Akademie für öffentliches Gesundheits wesen Düsseldorf zu prüfen. Sie könnte ein ortsnahes Angebot zur Aus- und Weiterbildung des medizinischen Personals auf bauen, das von den Gesundheitsämtern genutzt wird. Wir regen an zu prüfen, welche Angebote im Land bereits bestehen - weil das aus der Anhörung nicht sofort ersichtlich war -, und zur Entscheidungsfindung durch einen Kosten- und Qualitätsver gleich beide Varianten auf den Prüfstand zu stellen.

Der Antrag der Fraktion der CDU und der Grünenfraktion ent hält die Aufforderung an die Landesregierung, Gespräche mit der Charité und der Medizinischen Hochschule Brandenburg zu führen, um die wissenschaftliche Verankerung des Öffentli chen Gesundheitsdienstes bereits während des Studiums zu er möglichen.

In der Anhörung wurde jedoch deutlich, dass beide Hochschu len bereits sehr weitgehende Lösungen innerhalb der vorgege

benen Prüfungsordnung gefunden haben. Die von der Appro bationsordnung zugelassenen Möglichkeiten, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, sind sehr begrenzt.

Daher wurden nun auf Bundesebene Initiativen gestartet. In der Gesundheitsministerkonferenz Ende Juni wurde klar geäu ßert, dass eine Änderung der Approbationsordnung notwendig ist, damit Medizinstudierende die Möglichkeit erhalten, den Öffentlichen Gesundheitsdienst praktisch kennenzulernen. Auch die Bundesärztekammer ist involviert, um weitere Ausbil dungszeiten im Öffentlichen Gesundheitsdienst zu verankern.

Eine Verbesserung der Situation kann jedoch nur eintreten, wenn es ein breit angelegtes Miteinander aller Beteiligten gibt - auch hier im Parlament.

Ich bitte Sie um Zustimmung zum Antrag in der Fassung des Ausschusses für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Fa milie. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Nowka.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Diskussion, wie die Situation im Öffentlichen Gesund heitsdienst verbessert werden kann, um den unmittelbar bevor stehenden personellen Kollaps zu verhindern, ist im Fachaus schuss mit großer Ernsthaftigkeit geführt worden, und allen Ausschussmitgliedern war klar, dass es hier keine Denkverbote geben sollte. Die heute vorliegende Beschlussempfehlung trägt diesen Grundkonsens in sich, auch wenn wir uns an der einen oder anderen Stelle von der Regierungskoalition verbindliche re Formulierungen gewünscht hätten.

Der Öffentliche Gesundheitsdienst führt in der Wahrnehmung der Menschen oft zu Unrecht ein Schattendasein. Das ändert sich immer schlagartig, wenn die Öffentlichkeit mit Gefahren in Form von Pandemien konfrontiert wird oder Hygienemängel in medizinischen Einrichtungen oder Pflegeheimen auftreten. Dann wird schlagartig deutlich, welche umfangreichen Aufga ben der Öffentliche Gesundheitsdienst zu erfüllen hat; Frau Müller hatte sie ansatzweise aufgezählt.

Beispiele für den verstärkten Ruf nach dem Öffentlichen Ge sundheitsdienst waren die Schweinegrippe im Jahr 2009 und die EHEC-Krise im Jahr 2011. Aber auch, wenn es wie im letz ten Jahr gehäuft zu Masernerkrankungen kommt, ist das Ge sundheitsamt gefragt, wenn es darum geht, Kindertagesstätten, Schulen und andere Gemeinschaftseinrichtungen zum Infekti onsschutz zu beraten und gegenüber der Öffentlichkeit Aufklä rung zu betreiben.

Die umfangreichen und gesellschaftlich relevanten Aufgaben, die der ÖGD bewältigen muss, stehen in einem krassen Gegen satz zu seiner personellen Ausstattung. Die Gesamtzahl der be rufstätigen Ärztinnen und Ärzte in den Gesundheitsämtern ist in den letzten 18 Jahren um mehr als ein Drittel gesunken - das sind die bundesweiten Zahlen -, die Zahl der berufstätigen

Fachärzte für öffentliches Gesundheitswesen ist in den letzten 13 Jahren um rund 22 % gesunken. Im selben Zeitraum ist die Gesamtzahl der Ärzte um 21 % gestiegen. Das zeigt auch ein Blick auf die Altersstruktur der Beschäftigten: Die noch im Dienst stehenden Fachärzte für öffentliches Gesundheitswesen werden immer älter. Seit der Jahrtausendwende hat sich die Al tersstruktur dramatisch verändert. Rund 85 % der Ärzte im Öf fentlichen Gesundheitsdienst sind älter als 50 Jahre. Spätestens in zehn Jahren werden also die meisten der heute noch tätigen Ärzte in den Ruhestand gehen. Wie überall gibt es auch hier keinen ausreichenden Nachwuchs.

Zum einen ist die bislang fehlende wissenschaftliche Veranke rung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes im Studium eine Hürde, die abgebaut werden muss. Zum anderen erhalten Fach ärztinnen und -ärzte, die aus der Klinik in ein Gesundheitsamt wechseln möchten, dort nach dem Tarif des öffentlichen Diens tes das Gehalt eines Berufsanfängers. Schon diese Gehaltsdif ferenz erschwert es, für eine Tätigkeit im Öffentlichen Gesund heitsdienst zu werben. Hier haben sich in vielen Landkreisen aus der Not heraus bereits unterschiedliche Vergütungsmodelle entwickelt, die von der Zahlung individueller Zulagen bis zur Anwendung des Tarifs des Marburger Bundes reichen.