Dieser erfreuliche Ansatz und dieser Perspektivwechsel kollidieren nun mit den deutlich anziehenden Flüchtlingszahlen, der Überbelegung der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt mit bis zu 750 Flüchtlingen, dem großen Druck auf die Kreise, ihre Kapazitäten auszuweiten und noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen, als zu Jahresbeginn gedacht. Plötzlich stand Quantität im Vordergrund, während der Landtagsbeschluss eine verbesserte Qualität bei der Unterbringung und Betreuung im Auge hatte.
Die Probleme der Kommunen bei der raschen Schaffung neuer Unterkünfte sind selbstverständlich nicht zu übersehen. Trotzdem sollten wir immer im Auge haben, dass wir uns von alten, unwürdigen und integrationsfeindlichen Konzepten verabschieden wollten. Die große Sammelunterkunft am Waldesrand, abseits jeglicher Anbindung an öffentlichen Nahverkehr und soziale Infrastruktur, darf auch unter erschwerten Bedingungen keine Renaissance erfahren, meine Damen und Herren.
Meine Fraktion begrüßt es sehr, dass mit den jetzt zusätzlichen 5 Millionen Euro für die Kommunen, die im Nachtragshaushalt beschlossen werden sollen, auch konnexitätsrelevante Qualitätsaspekte wieder betrachtet werden können und die Diskussion zum Unterbringungskonzept neue Fahrt aufnehmen könnte. Sicher ist momentan ein gewisser Pragmatismus gefragt, die Ausrichtung an den Empfehlungen des Landtagsbeschlusses sollte aber nicht aus den Augen geraten.
Wichtig bei der Unterbringung von Flüchtlingen ist, dass die Anwohnerinnen und Anwohner möglichst frühzeitig eingebunden werden und Bedenken und Sorgen äußern können. Die Asylbewerberinnen und -bewerber brauchen eine nicht nur kurzfristige Betreuung und Anwohnerinnen und Anwohner benötigen verlässliche Ansprechpartnerinnen und -partner, an die sie sich bei Problemen wenden können. Dann können sich durchaus erfreuliche Partnerschaften entwickeln, bei denen die Flüchtlinge nicht als Bedrohung, sondern als Menschen mit einem oft tragischen Einzelschicksal und als kulturelle Bereicherung erlebt werden.
Leider erleben wir zurzeit aber auch viel Unerfreuliches. Im Sommer gingen die Bilder der Proteste gegen das Flüchtlings
heim in Berlin-Hellersdorf durch die Presse, die zum Teil beklemmend an Szenen aus den frühen 90er-Jahren erinnerten, von denen wir glaubten, sie würden endgültig der Vergangenheit angehören. Mit dumpfen Sprüchen wie „Heute tolerant, morgen fremd im eigenen Land“, „Gegen Sozialbetrug und ungehemmte Zuwanderung!“ „Nein zum Heim“ wird Hetze gegen Flüchtlinge und Asylsuchende betrieben. Dabei werden gezielt die sozialen Netzwerke eingesetzt und zur Mobilisierung benutzt. Facebook-Seiten mit „Nein zum Heim“ sind bei den Protesten in Berlin-Hellersdorf entstanden und werden jetzt an allen möglichen anderen Standorten kopiert.
Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sind an der Erstellung und Verbreitung der Seiten Rechtsextremisten und NPD-Gliederungen beteiligt. In der Anonymität des Netzes wird die Urheberschaft aber gern vermeintlich unabhängigen Bürgerinitiativen und Interessengemeinschaften zugeschrieben. Von Brandanschlägen gegen geplante Heime wie in Beelitz-Heilstätten und Premnitz, der Organisation von Mahnwachen bis zu Stimmungsmache und Protesten reicht das Spektrum der Aktivitäten. Die am Boden liegende NPD und andere rechtsextreme Gruppierungen versuchen gezielt, mit der Unterbringung von Flüchtlingen ein zentrales Mobilisierungsthema zu spielen. Ob in Pätz oder Niemegk, Gransee oder Bad Belzig, Friesack oder Zepernick - jeder Standort für Flüchtlingsunterkünfte wird von der Rechten nach immer gleichem Strickmuster zur Stimmungsmache genutzt.
Wir haben 2014 drei Wahlen vor uns, und das Format ist beliebig kopierbar. Bisher halten sich die Erfolge dieser Strategie glücklicherweise in engen Grenzen. Brandenburg hat mit seinem Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ mit vielen Kooperationspartnern in den Netzwerken gegenüber den frühen 90er-Jahren große Fortschritte gemacht. Breite ausländerfeindliche Stimmungen sind nicht zu verzeichnen, und in den meisten Kommunen existieren belastbare zivilgesellschaftliche Strukturen.
Auch wenn offen rechtsextreme Parteien und Gruppierungen momentan keine Erfolge verbuchen können, besteht kein Grund zur Bagatellisierung. Ausländerfeindliche und latent rassistische Einstellungen sind bis in die Mitte unserer Gesellschaft verbreitet. Es wäre auch eine unzulässige Vereinfachung, hinter jedem Bürgerprotest nur den Lautsprecherwagen der NPD zu vermuten. Dem berühmten Satz „Ich habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber …“ ist am besten mit Aufklärung, Wiederlegung von Falschmeldungen und kontinuierlicher Beratung zu begegnen. Am allerbesten ist es aber, direkte Kontakte zu fördern, damit Menschen andere Menschen als Individuen kennenlernen und begreifen können.
Zu den Herausforderungen, vor denen Land und Kommunen stehen, zählt auch, dass unter den Asylsuchenden mittlerweile sehr viele Familien mit Kindern sind. Gerade der Spracherwerb bei Kindern und ihre Integration in Kitas und Schulen ist von enormer Wichtigkeit. Und wie für jedes andere Kind muss auch für das Flüchtlingskind gelten: Wir wollen kein Kind zurücklassen.
Im November 1685 wurde das sogenannte Toleranzedikt von Potsdam erlassen. Friedrich Wilhelm von Brandenburg hat da
mals 20 000 Religionsflüchtlingen, den französischen Hugenotten, Aufnahme gewährt. Bezogen auf die damaligen Bevölkerungszahlen war das eine sehr große Menge.
Die Ansiedlung von Flüchtlingen wurde gefördert, und sie haben zum wirtschaftlichen und geistigen Aufschwung nicht unerheblich beigetragen. Vielleicht sollten wir solch positive Aspekte unserer Geschichte mehr in den Vordergrund stellen.
Im Übrigen appelliere ich an alle, unseren gemeinsamen Entschließungsantrag anzunehmen. - Vielen Dank.
Vielen Dank. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Die Abgeordnete Lehmann spricht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Ein schönes Thema für unsere heutige Aktuelle Stunde. In diesem Jahr haben bislang mehr als 87 000 Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es etwa 50 000 Asylanträge. Das entspricht einem Zuwachs von 74 %.
Damit beginnt auch das alte Geschäft mit der Angst. Innenminister Friedrich ist alarmiert, beschwört den Ernst der Lage und sagt für Deutschland voraus, dass wir noch in diesem Jahr die Marke von 100 000 Asylanträgen erreichen werden. Diese Situation - so der Innenminister weiter - erfordert, alle Kräfte darauf zu konzentrieren, die Asylverfahren zu beschleunigen. So weit, so gut.
So, wie er das sagt, klingt es nach Notfall und suggeriert Angst. Vielleicht ist es auch gar nicht so gemeint, jedoch bedient es Klischees, die unserem Land nicht guttun. Wir sind ein weltoffenes und ausländerfreundliches Land. Mit dem Entschließungsantrag zur heutigen Aktuellen Stunde - getragen von allen Fraktionen - wollen wir Brandenburgerinnen und Brandenburger das in besonderer Weise verdeutlichen.
Apropos „so viele Asylbewerber“: Im Jahr 2001 haben etwa genauso viele Menschen in Deutschland Asyl beantragt wie in diesem Jahr. Mit mehr als 400 000 Asylanträgen war das Jahr 1993 - wenn man das so sagen darf - das Rekordjahr. Sagen möchte ich damit: Wir hatten schon ganz andere Flüchtlingszahlen, und Deutschland war nie in Gefahr. Unser Land ist daran nicht kaputtgegangen.
Es ist eine Mär, zu behaupten, Flüchtlinge nähmen uns etwas weg und machten uns arm. Es heißt auch immer: Kein EULand müsse in Sachen Asyl mehr Lasten tragen als Deutschland. In absoluten Zahlen stimmt das, wir sind aber auch mit Abstand der größte EU-Staat.
Bezogen auf die Anwohnerzahl sieht das allerdings ganz anders aus: Im Jahr 2012 kam auf 1 062 Deutsche ein Asylantrag, in Belgien kam dagegen ein Asylantrag auf nur 382 Belgier und in Schweden sogar auf nur 211 Schweden. Das ist fünfmal
so viel wie bei uns. Insofern ist auch das wieder eine Mär, die von den Ewiggestrigen ins Land getragen wird, um mit fremdenfeindlichen Tönen Ängste zu schüren.
Asylsuchende kommen verstärkt aus der Russischen Föderation, aus Syrien und aus Serbien. Bei genauer Betrachtung der Weltnachrichtenlage war doch jedem von uns längst klar, dass sich Flüchtlingsströme aktivieren werden. Der Arabische Frühling, die Konflikte auf dem Balkan, die Zerrissenheit der russischen Kaukasusrepubliken und nicht zuletzt der Bürgerkrieg in Syrien haben Menschenmassen in Bewegung gesetzt, die in ihrer größten Not Schutz suchen und Asyl beantragen. Sie hoffen damit auf eine bessere Zukunft.
Diese Entwicklung beeinflusst natürlich auch die Situation in unserem Bundesland. Im Jahr 2013 wird Brandenburg voraussichtlich bis zu 3 600 ausländischen Flüchtlingen und Asylsuchenden Schutz und Unterkunft gewähren. Dies ist gegenüber dem Vorjahr eine Verdoppelung und stellt das Land und die aufnehmenden Landkreise und kreisfreien Städte vor große Herausforderungen. So beschreibt es auch der gemeinsame Entschließungsantrag.
Leider wurde unsere seit 2011 geführte Diskussion zur Verbesserung der Lebenssituation von Flüchtlingen und Asylbewerberinnen und Asylbewerbern durch steigende Flüchtlingszahlen überlagert. In solch angespannten Situationen kommen dann auch noch Kompetenzgerangel und Streitigkeiten zwischen Land und Kommunen zum Tragen. Nicht gerade förderlich besonders für jene Menschen, um die es uns geht.
In der Tat stehen wir vor großen Herausforderungen. Im Oktober dieses Jahres waren es 732 Menschen, die in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt lebten. Damit ist diese Einrichtung überbelegt. Zudem ist ein Teil der Menschen länger als die vorgesehenen drei Monate dort. Der verstärkte Zuzug von Flüchtlingen, aber auch die stockende Verteilung der Asylsuchenden in die Kommunen aufgrund dort fehlender Unterbringungsmöglichkeiten sind die Gründe dafür. Ein inakzeptabler Zustand!
Ich bin sehr froh, dass wir innerhalb der Koalition mit dem Nachtragshaushalt 2014 - deswegen ist es wichtig, dass wir ihn auch beschließen - den finanziellen Rahmen schaffen,
die Situation in Eisenhüttenstadt zu verbessern. So werden wir die Aufnahmekapazität der Erstaufnahmeeinrichtung nahezu verdoppeln. Zur Eingrenzung infektiöser Krankheiten wird in diesem Zusammenhang auch gleichzeitig ein Infektionsschutzbereich für 50 Plätze geschaffen. Das entspricht den gesundheitlichen Anforderungen an solch eine Einrichtung.
Da zunehmend kinderreiche Familien zu uns kommen, liegt ein weiterer Schwerpunkt für uns in der Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Durch die dauerhafte Einstellung eines Psychologen wird künftig auch eine Psychiatriesprechstunde möglich sein.
Erfreulich ist auch, dass es gemeinsam mit der zuständigen Schulbehörde gelungen ist, insgesamt mehr als 40 Kinder
durch sieben Lehrkräfte zu unterrichten; denn gute Bildung und der Erwerb der deutschen Sprache sind die halbe Miete auf dem Weg zur Integration.
Mit dem Nachtragshaushalt werden wir zusätzlich über 7 Millionen Euro für Eisenhüttenstadt zur Verfügung stellen und so den Flüchtlingen das Ankommen in Brandenburg erleichtern.
Natürlich haben wir auch Verständnis für die schwierige Lage der Kommunen vor Ort. Insofern werden wir zur Förderung zusätzlicher Unterbringungsmöglichkeiten über den Nachtragshaushalt zusätzlich 5 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Den Schwerpunkt legen wir auf die Unterbringung in Wohnungen. Bei der Schaffung von Gemeinschaftsunterkünften gehen wir nun von einer Wohnfläche von mindestens 8 m2
Ich hoffe, diese finanziellen Vorkehrungen werden die weiteren Gespräche mit den Landkreisen und kreisfreien Städten erleichtern. Zugleich appelliere ich an die kommunale Ebene, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Lassen Sie uns gemeinsam alles dafür tun, den Flüchtlingen und Asylbewerbern Brandenburger Willkommenskultur entgegenzubringen. - Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 45 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, davon allein 1 Million syrische Kinder. Das ist einer der Gründe, warum sich die Zahl der Flüchtlinge bundesweit verdreifacht und in Brandenburg verdoppelt hat.
Es wurde bereits angesprochen: Das Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt hat seine Aufnahmekapazitäten längst erreicht. Die Landkreise vor Ort sind sehr bemüht, Unterbringungsmöglichkeiten und die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge sicherzustellen sowie Fragen der Finanzierung und des Überwindens von Sprachbarrieren zu klären. Dies sind nur einige Herausforderungen, die zu nennen sind.
Dazu kommt - das klang heute auch schon an - eine Verunsicherung vieler Brandenburger, die jetzt damit konfrontiert sind und werden, dass Asylsuchende in ihrer Kommune untergebracht werden.
Daraus ergeben sich für diese Menschen ganz nachvollziehbare Fragen und zum Teil eben auch Befürchtungen. Damit müssen wir richtig und angemessen umgehen. Diese Befürchtungen müssen wir natürlich auch ernst nehmen.