Protocol of the Session on August 28, 2013

Anders als beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt haben wir hierzu eine Debatte; sie beginnt mit dem Beitrag der Landesregierung. Minister Holzschuher wird sprechen.

(Bischoff [SPD]: Aha!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Gestatten Sie mir zunächst, außerhalb der Tagesordnung danke zu sagen für die vielen Glückwünsche, Gratulationen, die mich heute erreicht haben. Ich kann Ihnen allen - „Ihnen allen“ heißt allen Abgeordneten aus allen Fraktionen - zusagen, dass ich immer ein offenes Ohr für Sie haben werde, mit Ihnen bei den vielen Themen dieses zugegebenermaßen schwierigen, großen Hauses immer konstruktiv zusammenarbeiten will. Ich denke, ich kann mich aber darauf verlassen, dass wir weiterhin, so wie wir auch in der alten Funktion fair miteinander umgegangen sind, fair miteinander umgehen werden. Die Thematiken sind komplex genug - so auch die Altanschließer-Problematik; damit komme ich zum Tagesordnungspunkt 6.

Im März dieses Jahres hat das Bundesverfassungsgericht eine Vorschrift des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes für ver

fassungswidrig erklärt. Dabei ging es um den Beginn der Verjährungsfrist von Kommunalabgaben. Die bayerische Regelung sah vor, dass bei unwirksamen Abgabensatzungen die Verjährungsfrist erst mit der Bekanntgabe einer wirksamen Satzung beginnt - egal, wie viel Zeit ins Land gegangen sein mag.

Diese Regelung war nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass Verjährungsvorschriften sicherstellen müssen, dass Abgaben nicht zeitlich unbegrenzt festgesetzt werden können.

Aber auch im Land Brandenburg gibt es eine solche Verjährungsregel nicht für alle Fälle. Für Gebühren und Straßenbaubeiträge ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzung nicht möglich. Anders ist die Rechtslage aber für Beiträge für die Wasser- und Abwasseranlagen. Hier haben die Verwaltungsgerichte entschieden, dass unwirksame Satzungen ohne zeitliche Begrenzungen durch eine wirksame Satzung ersetzt werden können. Deshalb besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Es muss eine zeitliche Obergrenze für die Abgabenerhebung geregelt werden. Ich habe das Gefühl, das ist auch Konsens hier im Landtag.

Mittlerweile haben sich auch verschiedene Verwaltungsgerichte im Land Brandenburg mit der Thematik auseinandergesetzt, und ebenso wie die Landesregierung sieht man auch in der Gerichtsbarkeit angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Handlungsbedarf.

Das Innenministerium hat deshalb nach zügiger Auswertung des Urteils zum Bayerischen Kommunalabgabengesetz dem Innenausschuss Handlungsempfehlungen unterbreitet, und der Innenausschuss hat sich bereits im Vorfeld - lange bevor der Gesetzentwurf heute eingebracht wird - intensiv mit der Thematik auseinandersetzen können. Auf dieser Grundlage ist der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf entstanden. Soweit ich das sehe, hat übrigens neben Brandenburg bisher erst Thüringen den Weg beschritten, durch eine gesetzliche Regelung der Verjährung Klarheit zu schaffen.

Wie nun soll die vom Bundesverfassungsgericht geforderte zeitliche Obergrenze ausgestaltet werden? - Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat sich, wenn es formell auch nicht zuständig ist, uns Vorgaben zu machen - aber beraten lassen kann man sich sehr wohl von diesem Gericht -, bereits mit der Thematik auseinandergesetzt und dem Gesetzgeber sehr breiten Spielraum eingeräumt.

Berücksichtigt werden können insbesondere die Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung, bei der Gründung der Zweckverbände, bei der Lösung des Altanschließer-Problems sowie die sonstigen Schwierigkeiten, in einem neuen Land wie Brandenburg überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen. Diese Besonderheiten beim Aufbau unseres neuen Landes in den 90er-Jahren berücksichtigt der Gesetzentwurf.

Der Ablauf der Verjährungshöchstfrist soll bis zum Jahr 2000, also für zehn Jahre, gehemmt sein. Ich denke, das ist angesichts der geschilderten, Ihnen, glaube ich, allen noch aus eigener Erfahrung bekannten Probleme beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Verwaltung im Land und in seinen Kommunen allemal sachgerecht.

Die rechtlichen Probleme bei der Errichtung der kommunalen Zweckverbände konnten im Übrigen erst im Jahr 2000 endgültig gelöst werden, weil erst da ein Urteil des Landesverfassungsgerichts zum Zweckverbandsstabilisierungsgesetz Klarheit geschaffen hat.

Neben diesem für die neuen Länder besonderen Gesichtspunkt, der die Hemmung für zehn Jahre rechtfertigt, gelten die allgemeinen Regeln im deutschen Recht über Verjährungsvorschriften und müssen beachtet werden. Da gibt es zunächst die anerkannte und gesetzlich geregelte Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren. Nach mehr als 30 Jahren seit Erlangung eines Vorteils ist nach den Grundlagen im deutschen Recht eine Abgabe auf keinen Fall mehr zu erheben. Das, glaube ich, ist die absolute Obergrenze, die wir vorliegend zu beachten hätten.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Abgabenhoheit ein Kernbestandteil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie ist. Jede Verjährungsregelung schränkt diese Möglichkeiten der Abgabenerhebung ein und muss daher verhältnismäßig sein. Die teilweise geforderte Regelung einer rückwirkenden Verjährung von Beitragsforderungen wäre in keiner Weise sachgerecht.

Auch im Interesse der Gleichbehandlung aller Beitragspflichtigen - das ist schließlich ein Ausfluss des Gerechtigkeitsprinzips, das genauso Verfassungsrang hat - sollte den Aufgabenträgern hinreichend Zeit für die Beendigung der Beitragserhebung gelassen werden.

Auf der anderen Seite steht natürlich das berechtigte und vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Recht des einzelnen Bürgers, der einzelnen Bürgerin auf Klarheit, dass Forderungen nach einer bestimmten Zeit nicht mehr erhoben werden können. Diese beiden verfassungsrechtlich geschützten Grundsätze müssen wir gegeneinander abwägen, und wir haben - so denke ich - einen überzeugenden Kompromissvorschlag unterbreitet, indem der Gesetzentwurf der Landesregierung eine generelle zeitliche Obergrenze von 15 Jahren nach Eintritt der Vorteilslage vorsieht. Zusammen mit der zehnjährigen Hemmung führt dies dazu, dass Beitragsforderungen für Grundstücke, die bereits im Jahr 2000 oder früher anschließbar waren, spätestens Ende des Jahres 2015 verjähren.

An dieser Stelle ein kurzer Exkurs: Es geht nicht um Leistungen, die zu DDR-Zeiten erbracht worden sind. Es geht ausschließlich um Investitionen nach der Wende und konkret, wenn wir über die Verjährungsregelung reden, um Investitionen in den 90er-Jahren. Darum geht es, wenn wir über die Hemmung und die Obergrenze von 15 Jahren reden.

Würde dieser Gesetzentwurf Gesetz, blieben den Aufgabenträgern zwei Jahre, bis zum Ende des Jahres 2015, um all das abzurechnen und endgültig festzusetzen, was in den 90er-Jahren bereits investiert worden ist, sofern es nicht ohnehin längst erfolgt ist.

Sollte den Gemeinden durch diese Regelung wider Erwarten unverschuldet ein Nachteil entstehen, sieht der Gesetzentwurf darüber hinaus vor, dass es in diesen begründeten Ausnahmefällen eine Kostenerstattung durch das Land geben kann.

Ich denke, dieser Gesetzentwurf wird den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht gestellt hat, in jeder Hinsicht gerecht. Er ist ein weiterer Schritt, Gerechtigkeit bei der Bei

tragserhebung im Abwasser- und Trinkwasserbereich zu schaffen. Ich freue mich auf die Beratungen in diesem Haus. - Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Holzschuher. - Wir kommen nun zum Beitrag der CDU-Fraktion. Herr Abgeordneter Wichmann, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem heute in 1. Lesung vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung unseres Kommunalabgabengesetzes haben wir ein Thema auf der Tagesordnung, das nicht nur die Altanschließer im Land, sondern, denke ich, alle Bürgerinnen und Bürger bewegt. Das Thema beschäftigt uns in Brandenburg seit Jahrzehnten. Auch dieses Hohe Haus hat sich damit in dieser Wahlperiode schon mehrfach befasst.

Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger sind groß - spätestens seitdem das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr dieses Jahres entschieden hat, dass es auch für die Erhebung von Beiträgen von Altanschließern bei der Abwasserentsorgung, die an die Zweckverbände zu entrichten sind, einen Schlussstrich geben muss. Die Bürger wollen Klarheit. Sie wollen wissen, woran sie sind, und sie wollen Rechtssicherheit.

Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist klargestellt, dass der Ausgleich zwischen den Interessen der Beitragsgerechtigkeit und der Rechtssicherheit nicht ins Unendliche verschoben werden kann, sondern es eine Schlusslinie und eine zeitliche Grenze geben muss.

(Beifall CDU)

Wie genau diese auszusehen hat, hat das Bundesverfassungsgericht nicht genau definiert. Fakt ist aber, dass wir Handlungsbedarf haben. Insofern bin ich froh, dass auch die Landesregierung ihn nach einigem Zögern erkannt und sich entschieden hat, einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Wir wissen alle, dass die Verantwortung für die Lage, die wir bei den Altanschließern haben, ein Stück weit auch die drei Gewalten dieses Landes tragen. In der Vergangenheit haben sich Legislative und Judikative, aber auch die Exekutive an manchen Stellen, das muss ich ehrlich sagen, nicht mit Ruhm bekleckert. Die Lage ist aber so, wie sie ist. Wir müssen heute gucken, dass wir für die Zukunft und für diejenigen, die aus der Vergangenheit heraus betroffen sind, eine vernünftige Lösung finden.

Mit dem Gesetzentwurf - um das als positiv vornan zu stellen wird der Versuch unternommen, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Altanschließer auf der einen und der Beitragsgerechtigkeit auf der anderen Seite vorzunehmen. Es ist festzustellen, dass sich die Landesregierung und die rot-rote Koalition nicht auf eine Seite festgelegt haben.

Die Linken haben, als sie noch in der Opposition waren, immer gefordert, dass die Altanschließer komplett von ihren Beiträgen

befreit werden müssten. Davon ist in diesem Gesetzentwurf keine Spur. Es gibt jetzt eine zeitliche Obergrenze: Sie liegt beim Jahr 2015. Alle, die bis dahin veranlagt worden sind und ihre Bescheide bekommen haben, haben zu zahlen. Insofern muss man feststellen, dass sich in der Regierungskoalition doch die Sorge um die Landesfinanzen und der rechtliche Sachverstand gegen die parteipolitischen Interessen der Linken durchgesetzt haben. Das möchte ich an dieser Stelle als positiv hervorheben.

(Beifall CDU)

Ob der vorliegende Gesetzentwurf dem Gedanken ausreichend Rechnung trägt, dass wir einen vernünftigen Ausgleich zwischen dem Beitragsinteresse und dem Interesse der Rechtssicherheit bekommen müssen, werden wir in den weiteren Ausschussberatungen zu erfragen haben. Die Anhörung der Sachverständigen und Rechtsexperten, die wir vor der Sommerpause im Innenausschuss durchgeführt haben, hat sehr unterschiedliche Bewertungen all dieser Fragestellungen hervorgebracht.

Für die CDU-Fraktion kann ich heute, bei der 1. Lesung, selbstverständlich noch keine abschließende Bewertung dieses Gesetzentwurfes abgeben. Ich erlaube mir aber, einige grundlegende Überlegungen in die Debatte einzubringen.

Wichtig ist uns und mir, dass wir bei der Vereinbarung einer zeitlichen Obergrenze keinen Schnellschuss machen und keine Regelung auf den Weg bringen, die der Prüfung des Bundesverfassungsgerichts wiederum nicht standhalten kann. Nur mit einer tragfähigen und sorgfältig abgewogenen Lösung werden wir den fast schon unendlichen Streit um die Altanschließer befrieden können.

Zu der vorgeschlagenen zehnjährigen einheitsbedingten Hemmung, die unser neuer Innenminister gerade noch einmal verteidigt hat, und zu der Begründung, dass diese Frist einheitsbedingt sei, muss ich kritisch anmerken, dass ich das nicht ganz nachvollziehen kann. Andere neue Bundesländer haben dieses Problem anders gelöst. Insofern muss ich sagen, dass das eigentlich kein Einheitsproblem ist, über das wir heute, im Jahr 2013, diskutieren, sondern es ist ein Brandenburger Problem. Dieses Problem ist hausgemacht in Brandenburg.

(Beifall CDU)

Zu dieser zehnjährigen Hemmung kommt die fünfzehnjährige zeitliche Obergrenze. Wir sind also bei einer Gesamtdauer von 25 Jahren. Dazu muss ich sagen, das kann für die Fälle aus der Vergangenheit sicherlich ein Weg sein. Ich kann Ihnen für unsere Fraktion aber sagen, dass wir große rechtliche und verfassungsrechtliche Bedenken haben, wenn diese Regelung auch für die Zukunft für alle Fälle gelten soll, in denen wir im Kommunalabgabenrecht Beiträge zu erheben haben. Die Sorge, dass wir eine neue Lawine, nicht von Altanschließern, aber von neuen Fällen haben werden, die uns in Landtag und Justiz womöglich wieder über Jahrzehnte beschäftigen wird, ist riesengroß. Diese Sorge möchte ich an dieser Stelle zum Ausdruck bringen.

Die rote Lampe leuchtet. Ich will nicht länger überziehen. Ich will nur noch eines sagen: In der Gesetzesbegründung ist mir aufgefallen, dass für die fünfzehnjährige Frist Dinge berücksichtigt werden, die eigentlich vor der Erlangung des Anschlusses liegen, nämlich hinsichtlich der Planung und der Kalkulation der Anlagen.

Herr Abgeordneter Wichmann, Sie tun gerade das, was sie nicht tun wollten. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Ja. - Ich bin dann auch am Ende. Ich darf Ihnen sagen, dass wir uns in den Gesetzgebungsprozess konstruktiv einbringen werden. Wir werden ihn vernünftig begleiten. Wir werden an unserem Musterverfahrensgesetzentwurf festhalten, der für die Bürgerinnen und Bürger mehr Klarheit bringen wird. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU)

Für die SPD-Fraktion wird Herr Abgeordneter Richter die Debatte fortsetzen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass eine Regelung im Bayerischen Kommunalabgabengesetz nicht mehr angewendet werden soll. Obwohl keine Brandenburger Regelung dieser bayerischen direkt entspricht, hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Überlegungen bei uns in Brandenburg geführt. Die Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind natürlich auch in Brandenburg anzuwenden; das ist gar keine Frage.

Es geht im Kern darum, dass die Bürger Klarheit haben müssen, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen ist, also endlich Schluss mit dieser langen Belastungszeit ist, damit sie beruhigt sein können und keine Belege und Rechnungen mehr aufheben müssen, sondern wissen: Die Zeit ist abgelaufen, das ist für sie geklärt.

Durch die Unsicherheiten und Wirren in den Jahren nach der Wende war nicht klar, wie lange die Aufgabenträger noch Zeit haben, ihre Satzungen in einen rechtmäßigen Zustand zu versetzen. Sie konnten immer wieder nacharbeiten, dann fing die Zeit immer wieder neu an zu laufen. Für die Abgabenschuldner war es schwer, das Ende abzusehen.

Für die Bürger und die kommunalen Aufgabenträger muss Rechtssicherheit geschaffen werden. Darin sind wir uns einig: alle, die wir hier im Hause sind, viele auch von denen, die zur Anhörung gekommen waren. Über den Weg dahin unterscheiden sich wie immer die Meinungen. Der Regierungsentwurf sieht für eine Verjährungsfrist eine zeitliche Obergrenze von 15 Jahren vor; außerdem soll die Frist bis zum 03.10.2000 gehemmt sein, also erst danach zu laufen beginnen. Das heißt, dass bis zum 03.10.2015 - wie der Minister sagte: in zwei Jahren - rechtssichere Satzungen erlassen und die Bescheide verschickt sein müssen. Mehr Zeit bleibt nicht - für keinen Verband und keinen kommunalen Aufgabenträger.

Hier wurde eben bezweifelt, dass die Hemmung überhaupt gerechtfertigt sei; es sei ein hausgemachtes, ein Brandenburger Problem. Sie kennen sicher die Presseinformation aus dem Freistaat Thüringen. Thüringen plant eine Übergangsfrist bis 2021 - deutlich länger als die Brandenburger Regelung. Thüringen argumentiert ausdrücklich, dass die Bedingungen kurz

nach der Wende zu dieser Orientierung führen müssten. Wenn ich mich nicht stark irre, wird Thüringen von der CDU regiert. Das Problem gibt es also nicht nur in Brandenburg.