Vielen Dank, Frau Abgeordnete von Halem. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Frau Lieske hat das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau von Halem, vielen Dank dafür, dass wir heute Gelegenheit haben, uns neben der inneren Sicherheit, der Hochschulpolitik und anderen wichtigen Themen noch einmal mit dem äußerst wichtigen und von Ihnen sehr gut dargelegten Thema der frühkindlichen Bildung und damit der Chancengerechtigkeit von Anfang an auseinanderzusetzen.
Mit den letzten Worten ihres Redebeitrags, Frau von Halem, waren Sie, glaube ich, nicht mehr ganz zeitgemäß. Bei allen anderen Dingen möchte ich Ihnen nicht widersprechen: was die Bedarfe an frühkindlicher Bildung und die Qualitätsanforderungen an unsere Einrichtungen der frühkindlichen Bildung betrifft. Aber ich möchte auch nicht die Entwicklung, die stattgefunden hat, verkennen.
Ich kann mich noch gut an den Redebeitrag von Sylvia Lehmann erinnern, als wir hier das erste Mal über Qualitätsentwicklung in Brandenburger Kindertagesstätten gesprochen haben. Danach wurden die Meilensteine der Entwicklung gesetzt: Wir haben verbindliche Bildungsprogramme in den Kindertagesstätten eingeführt, den Rechtsanspruch wieder dahin gerückt, wo er hingehört, und auch vieles andere getan, worauf ich mich jetzt gern noch einmal beziehen möchte.
Ich gebe Ihnen natürlich Recht, Marie Luise von Halem, wenn es um das Thema „Sysiphos-Arbeit“, um die Anstrengungen, die wir zu leisten haben, geht. Denn wir haben hier wirklich eine Herkulesaufgabe zu erfüllen, wenn es darum geht, bundesrepublikanischen Standard bei der Betreuungsrelation, dem Zahlenverhältnis von Kindern zu Erziehern hinzubekommen; das ist eine Riesenherausforderung. Aber an anderer Stelle, bei der Relation des Prozentsatzes, stehen wir an der Spitze der Bundesländer. Das macht etwas die Dimension deutlich,
welche Anstrengung wir als Land Brandenburg leisten müssen, um in Bezug auf den Betreuungsschlüssel vorwärtszukommen.
Ich möchte hier noch einmal in den Fokus stellen, dass seit dem 01.10.2010 die Verbesserung des Personalschlüssels in Brandenburg wirkt: im Alter von 0 bis 3 Jahren eine Verbesserung um 18 %, im Alter von 3 bis 6 Jahren eine Verbesserung von 8 %. Ich gebe gern zu: In dem Jahr, in dem es wirksam wird, spürt man es noch, aber in den Folgejahren nicht mehr. Das ist logisch, da treten wieder die Bedarfe, die wir noch aufzuholen haben, in den Vordergrund. Trotzdem gehört es für Brandenburg zur anstrengenden Wahrheit, dass wir zum Ende der Legislaturperiode 160 Millionen Euro in die Verbesserung des Personalschlüssels investiert haben werden.
Ich möchte auf die Qualitätsansprüche an die Leitung zurückkommen, weil das das Herzstück Ihres Antrags ist. Er resultiert ja ein Stück weit auch aus der Forderung der Liga der Wohlfahrtsverbände, wo dieser Verbesserungsanspruch ganz oben rangiert. Sie haben dazu eine wunderbare mündliche Anfrage gestellt, zu der die Antwort der Landesregierung sehr umfänglich war. Diese basiert auf einer Statistik - ich will nicht sagen, dass Statistiken hinken, aber es ist eine sehr junge Statistik, und das Ergebnis hat mich etwas ernüchtert. Aber mit meinen Erfahrungen aus der Praxis in Übereinstimmung gebracht: Es ist so, dass Träger von Einrichtungen nicht immer ihren organisatorischen Anteil zur Verfügung stellen, wenn es um die Leitungsfreistellung geht. Oft wird nur auf die pädagogische Freistellung projiziert, die wir in der Kitapersonalverordnung festgelegt haben - auch hier ist es richtig -, 1993 erstmalig und letztmalig, und wir haben hier entsprechenden Bedarf.
Wir haben heute von der inneren Sicherheit und der Hochschulpolitik gehört, überall werden neue Bedarfe ausgemacht allein für den Bereich, den ich von Herzen vertrete, 8,8 Millionen Euro, aber auch die müssen wir haben. Es sind immer wieder Eingriffe im Sinne struktureller Veränderungen. Die muss der Landeshaushalt tatsächlich leisten können. Ich werbe dafür, dass wir uns diesem Thema weiterhin sehr engagiert stellen.
Unser aktueller Landeshaushalt gilt bis zum Jahr 2014. Wir haben Veränderungen vorgenommen, uns dem Bedarf an der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern gestellt, Quereinsteiger qualifiziert und auch Geld zur Verfügung gestellt, um die Betreuung sicherzustellen. Ich möchte daran erinnern, dass ein entsprechender Studiengang an der Fachhochschule Potsdam eingerichtet worden ist. Derzeit sind 155 Absolventinnen und Absolventen dabei, die dreijährige Ausbildung zu absolvieren. Sie sind damit wesentlich besser auf Qualitätsanforderungen in der Kita vorbereitet.
Wir haben noch viel zu tun, Frau von Halem, und ich wünsche mir, dass wir weiterhin gemeinsam dieses Ziel verfolgen und in der Haushaltssystematik wieder einzelne Schritte abfangen und Verbesserungen für unsere Kitas in Brandenburg erreichen können. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Lieske. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort, den Frau Abgeordnete Blechinger übernehmen wird, weil Herr Abgeordneter Hoffmann mit dem Hochwasser kämpft.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer die Erkenntnisse der neurologischen Forschung ernst nimmt - Frau von Halem ist schon auf Studien dazu eingegangen -, weiß, dass Investitionen in frühkindliche Bildung gut angelegtes Geld sind, denn die Basis für ein gelingendes Leben wird in den ersten sechs Jahren gelegt.
So richtig und wichtig es war, den Kitapersonalschlüssel zu verbessern, so sehr darf man nicht darüber hinwegsehen, dass die Anzahl der Kinder pro Erzieher noch weit über dem liegt, was Kinderpsychologen empfehlen, und dass wir damit nach wie vor den 16. Platz in Deutschland einnehmen; sonst sind wir immer darauf bedacht, Vorreiterrollen zu spielen.
Darauf, dass sich die Ansprüche an die frühkindliche Bildung enorm gewandelt haben, sind sowohl Frau von Halem als auch Frau Lieske eingegangen; es wurde dafür aber nicht entsprechend mehr Personal zur Verfügung gestellt. Heute müssen mehr Aufgaben von der Leitung einer Kindertagesstätte wahrgenommen werden, aber eine Anpassung an diese komplexen Anforderungen hat nie stattgefunden. Das wäre aber Voraussetzung allein für die Wahrnehmung des Bildungsauftrags, den die Brandenburger Kitas zu erfüllen haben, um nur eine der Anforderungen zu nennen.
Wir wissen, welche Bedeutung beispielsweise die kompetente Leitung einer Schule für das Schulklima hat. Das gilt für die Kitas ganz genauso. Wenn man aber Kinder einer Tagesgruppe betreuen muss, hat man für Koordinierungs- und Motivierungsaufgaben keine Zeit, ganz abgesehen von Gesprächen mit den Eltern, dem fachlichen Austausch oder der Schaffung von Freiraum für die so wichtigen Eingewöhnungsphasen, die zwar bei uns auch in den Regeln stehen, aber teilweise nicht eingehalten werden können, weil das Personal dafür nicht da ist.
Oft - Frau von Halem hat es gesagt - müssen organisatorische Aufgaben sogar in der Freizeit wahrgenommen werden, weil ansonsten kein Platz dafür ist. Insofern wäre es überfällig, bei der anstehenden Kita-Novelle die Anpassung der Leitungsfreistellung vorzunehmen.
Obwohl bei der Anhörung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Kita-Personalschlüssels schon deutlich wurde, dass dem Landtag ein verfassungswidriges Gesetz zur Abstimmung vorgelegt wurde, haben es die Regierungsfraktionen versäumt, vor der Abstimmung die notwendigen Korrekturen vorzunehmen. Die Quittung haben Sie nun vom Landesverfassungsgericht erhalten, und ich bin schon gespannt, wie viele Lehrstunden das Landesverfassungsgericht dem MBJS noch verpassen muss, bevor es lernt, verfassungskonforme Gesetze vorzulegen.
Die jetzt notwendig gewordene Kita-Novellierung sollte die Landesregierung dafür nutzen, auch die anderen Baustellen in der frühkindlichen Bildung anzugehen. Sie täte gut daran, eine große Novelle zur Stärkung der frühkindlichen Bildung einzuleiten, um ihrem eigenen Wahlkampfslogan „Gute Bildung von Anfang an“ nun noch ein bisschen gerecht zu werden.
Neben der Anpassung der Leitungsfreistellung müsste die alltagsintegrierte Sprachförderung gestärkt werden.
Die Mitglieder des Bildungsausschusses wissen, wovon ich rede: dass die anderen Formen der Sprachförderung nicht so erfolgreich waren, wie man sich erhofft hatte.
Was von außerordentlicher Bedeutung ist: Wir brauchen eine Reform der Erzieherausbildung. Dabei geht es um eine stärkere Spezialisierung auf unterschiedliche Arbeitsfelder und eine Professionalisierung im Bereich frühkindlicher Pädagogik. Erkenntnisse der Neurobiologie, der Kinderpsychologie und der Pädagogik des Vorschulalters müssen in der Ausbildung stärkere Berücksichtigung finden.
Sie sehen, es gibt neben der Frage der Leitungsfreistellung viele weitere Punkte, die angegangen werden müssten, um die Qualität der frühkindlichen Förderung zu verbessern.
Ein erster Schritt im Interesse unserer Kinder wäre, werte Kollegen von der Regierungskoalition, heute diesem Antrag zuzustimmen. Wir werden es jedenfalls tun.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Kollegin Frau von Halem! Herr Büttner, vielen Dank für den Antrag, der in sehr qualifizierter Form vorgelegt wurde - dem im Jahr 2013 schon ein ähnlicher Antrag vorausging, im November 2012 ein Haushaltsantrag vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch eine kompetent beantwortete Kleine Anfrage zu dieser Problematik, gestellt von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Insofern meine ich schon, dass die Grünen dieses Thema sehr konsequent bearbeiten, und das ist auch richtig so.
Der Antrag hat einen politischen Wert; das ist ganz klar. Sie bleiben konsequent am Thema. Ich weiß, die nächsten grünen Hefte werden schon gedruckt, in denen wieder steht: Das alles haben wir beantragt - und die böse Regierung hat es nicht gemacht.
Die Forderungen haben auch deshalb einen politischen Wert, weil sie eine Kernforderung der Kita-Initiative und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Liga, aufnehmen. Sie haben auch deshalb einen politischen Wert, weil sie vor allem die Linke unter Druck setzen - das haben Sie heute noch einmal deutlich gemacht -, die im Wahlprogramm genau diese Forderungen gestellt hat und sich im Regierungshandeln zumindest dahingehend treu geblieben ist, dass wir 45 Millionen Euro jährlich für die Verbesserung des Schlüssels, für die Anleitung der Praktikanten, für die bessere Sprachförderung, für die bessere Kooperation mit Schule einsetzen. Ein paar Sachen sind also angepackt. Ich weiß auch, dass es nicht ausreicht.
Einen politischen Wert hat Ihr Antrag natürlich auch, weil wir genauso wie Sie immer vor die Frage gestellt werden: Für diesen Flughafen habt ihr so viel Geld, und für die Kinder habt ihr nur so wenig?! - So billig haben Sie es heute nicht gemacht, Frau von Halem, dafür bin ich auch sehr dankbar.
Natürlich hat der Antrag auch einen Wert in der Sache, weil klar ist, welche Verantwortung Leiterinnen und Leiter von Kindertagesstätten bezogen auf die Qualität haben. Klar ist auch, dass sich genau die damit zusammenhängen Anforderungen erhöht haben.
Ich will hier gar nicht das berühmte Haar in der Suppe finden, um den Antrag ablehnen zu können; die Mühe mache ich mir nicht. Ich mache es mir auch nicht so leicht zu sagen: Ja, aber die 8,8 Millionen Euro, die Ihrem Antrag zugrunde liegen, haben wir noch nicht gefunden.
Frau Blechinger - deren Fraktion wie die anderen Oppositionsfraktionen immer darauf hinweist, dass wir nicht nur die Nettoneuverschuldung auf null, sondern auch noch die Zinsen herunterfahren müssen - muss dann auch irgendwann sagen, wo wir es herholen sollen.
Aber ich komme jetzt zu Ihrem Antrag zur Leitungsfreistellung. Erste Forderung: Im Kitagesetz verankern! - Ja, das können wir machen. Wir können sie verankern. Wir müssen es anfassen; das ist richtig, wegen der Verfassungsklage - wo uns der Fluch der guten Tat einholt, wo wir gesagt haben, wir verbessern den Schlüssel und wir bezahlen es auch noch voll, und wo trotz alledem die Konnexität zuschlägt und gesagt wird: Es hat nicht ganz gereicht, was ihr uns gegeben habt. - Wir müssen hier etwas tun, wie auch immer. Wir müssen es anfassen.
Ich frage mich nur: Kriegen wir eine bessere Leitungsfreistellung hin, wenn wir es ins Gesetz schreiben? Denn Verordnungen sind auch dazu da, umgesetzt zu werden. Die Verordnung, in deren § 5 das steht, wird eben nicht umgesetzt. Es sind insgesamt 557 Kindertagesstätten - überwiegend kleine - von den 1 800, die wir haben, und damit 31 %, die die Leitungsfreistellung eben nicht nach der Verordnung umsetzen. Die machen das einfach nicht, weil der Träger, weil die Kommune oder wer auch immer das knapp bemessene Personal dafür nicht zur Verfügung stellt.
Nun kann man das kontrollieren und sie zur Einhaltung der Verordnung nötigen. Dann frage ich Sie: Mit welchem Personal wollen wir denn kontrollieren und nötigen? Sie wissen alle, dass die Kreise erst bei Kindeswohlgefährdung aktiv werden. Bei nicht eingehaltener Leitungsfreistellung tun sie das noch nicht. Es kontrolliert also außer bei der Errichtung der Einrichtung einer Kita niemand, ob den entsprechenden Verordnungen gefolgt wird. Wir sind als Landesregierung natürlich auch gehalten, genau das zu kontrollieren.
Ihre zweite Forderung ist eine finanzielle - das können wir jetzt benennen, wie wir wollen -: 8,8 Millionen. Wir werden einen Nachtragshaushalt haben oder nicht. Jedenfalls werden wir uns bei der nächsten Haushaltsberatung gemeinsam die Karten legen und gucken müssen, wo wir das herkriegen. Dann bin ich auch wirklich dabei.
Ihre dritte Forderung ist die nach einem Stufenplan, der auch in unserem Wahlprogramm steht, wo Sie uns immer schön den
Spiegel vorhalten können. Das ist auch nur dann zu machen, wenn wir uns darüber klar sind: Was wollen wir mit wie viel Finanzen auf den Weg bringen? Da sind wir alle in der nächsten Legislatur gefordert.
Abgeordnete Große, könnten Sie sich mit dem Gedanken anfreunden, dass das Landesjugendamt, was ja auch für Genehmigungen zuständig ist, diese Genehmigungen an die Umsetzung der vorgegebenen Leitungsfreistellung bindet?
Das machen sie ja - diese acht Menschen im Landesjugendamt. Immer dann, wenn die Betriebserlaubnis erteilt, wenn eine Kindertagesstätte neu eingerichtet wird, wird auch darauf geschaut. Sie machen all das, was Betriebserlaubniserteilung noch beinhaltet, das gesamte Beschwerdemanagement, alles, was auf der Ebene verhandelt wird. Da sage ich ganz ehrlich: Wenn wir wollen, dass die das auch im fortlaufenden Prozess kontrollieren - neben all dem, was in Sachen Qualität auch noch kontrolliert werden müsste -, dann müssen wir uns darüber klar werden, dass wir die Erfüllung dieser Aufgabe nicht mit den acht Menschen, die wir in diesem Landesjugendamt haben, gewährleisten können. Dann müssen wir uns darüber verständigen, dass wir dieses Landesjugendamt, Abteilung Kindertagesstätten, ordentlich - um das Doppelte oder mehr aufstocken. Denn die Frauen, die dieses Problem handeln, sind am Rande dessen, was sie leisten können. Das ist ein strukturelles Problem, da bin ich ganz bei Ihnen.
Die Kreise möchten die Aufgabe gern haben. Wenn wir hier über Kommunalreform und über Kommunalisierung von Kindertagesstätten reden, dann sollten wir uns genau angucken: Können das die Kreise besser? Ich denke: Nein, sie können es nicht besser. Die Kreise meinen, sie könnten es besser. Das haben wir noch nicht zu Ende entschieden. Da sind wir auch auf Ihre Vorschläge gespannt.
Kurz und gut: Moralisch, pädagogisch, politisch kann man diesem Antrag nur zustimmen. In dieser Legislaturperiode sind die Mehrheiten hierfür in den Regierungsfraktionen noch nicht gesichert. Innerhalb der Linken aber gibt es insbesondere von all den Akteuren, von all den Kita-Besuchern und all den Menschen mit Kindern und Enkeln eine große, große Zuneigung gegenüber diesem Anliegen. - Vielen Dank.