Protocol of the Session on June 5, 2013

Zukunft der Hebammen im Land Brandenburg

Große Anfrage 24 der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/6769

Antwort der Landesregierung

Drucksache 5/7254

Des Weiteren liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Christoph Schulze, Drucksache 5/7407, vor.

Die Abgeordnete Nonnemacher eröffnet die Debatte. Sie spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Von den Derivaten zu den Hebammen!

(Vereinzelt Heiterkeit bei der SPD)

In der Beantwortung der Großen Anfrage stellt die Landesregierung fest: Das Land Brandenburg hat kein Problem bei der Versorgung mit freiberuflichen Hebammen. - Ihre Begründung ist einfach und tautologisch:

Erstens: „Der Landesregierung liegen keine Daten vor, die die behauptete aktuelle Unterversorgungssituation der Bevölkerung im Bereich der Hebammenhilfe konkret und detailliert belegen.“

Zweitens: Die Landesregierung kann nicht einmal exakt klären, wie viele Hebammen in Brandenburg arbeiten.

Drittens: Es gibt Daten - fraglich ist nur, ob diese eineindeutig sind, denn nach den Daten der Gesundheitsämter sind 385 Hebammen als freiberuflich tätig gemeldet. Die Angaben der Gesetzlichen Krankenversicherung weisen jedoch 448 freiberufliche Hebammen für Brandenburg aus - immerhin 63 mehr.

Gäbe es 63 Hebammen zusätzlich, könnten vermutlich einige schwangere Frauen in Brandenburg aufatmen, fänden sie doch leichter in der Zeit ihrer Schwangerschaft Schwangerschaftskurse, Geburtshilfe und Nachsorge. Vielleicht hätten sie sogar die Möglichkeit, eine Alternative zu der in Deutschland zur Regel gewordenen Klinikgeburt in Betracht zu ziehen.

Aber leider wissen wir - wie die Landesregierung - nicht genau, ob diese Hebammen existieren oder lediglich eine Zählfiktion sind, denn vielleicht haben wir ja weniger Hebammen, als die Gesundheitsämter zählen. Die Hebammen arbeiten nämlich manchmal angestellt, in Teilzeit oder freiberuflich oder auch beides. Häufig sind sie auch in zwei oder drei Landkreisen tätig, und die Gesundheitsämter zählen die Hebammen doppelt.

Unklar ist, wie eine solide Datenerhebung erfolgen sollte. Valide Zahlen zur Hebammenversorgung von Müttern und Neugeborenen fehlen nicht nur in Brandenburg, sondern bundesweit. Das belegt auch die Studie des IGES-Instituts im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums zur „Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Hebammenhilfe“, die pünktlich zum Tag der Hebamme am 5. Mai vergangenen Jahres vom Ministerium veröffentlicht wurde.

Valide Daten und landeseinheitliche Zählweisen müssen in Brandenburg endlich auf den Tisch bzw. die personellen Ressourcen in den Gesundheitsämtern müssen insoweit gestärkt werden, dass vorhandenes Datenmaterial auch aufbereitet werden kann. Bereits im Juli 2010 fragte Kollegin Schulz-Höpfner nach Zahlen zur Hebammenversorgung. Auch 2010 antwortete die Landesregierung, hierzu gebe es keine Daten. In der Zwischenzeit sind drei Jahre vergangen. Es ist nichts geschehen, um die Datenlage zu klären. Der Landesregierung liegt die ambulante Versorgung der Jüngsten und ihrer Mütter und Väter durch Hebammen wahrscheinlich nicht sonderlich am Herzen.

Der Trend, dass Geburten fast ausschließlich Domäne einer klinischen Geburtsmedizin geworden sind, ist selbstverständlich auch in Brandenburg ablesbar.

„Mehr als 98 % der Geburten erfolgen stationär im Krankenhaus.“

Im Jahr 2011 wurden 14 262 Geburten von 190 Hebammen klinisch-stationär in 26 Brandenburger Krankenhausstandorten mit Geburtsstationen betreut. 223 Geburten fanden 2011 außerklinisch statt, 58 Hausgeburten und 195 Geburtshausgeburten wurden in fünf Geburtshäusern in Brandenburg von Hebammen begleitet.

Die Differenz zu den 18 537 Lebendgeborenen, die das Amt für Statistik 2011 aufweist, dürfte in Berliner Kliniken und zu einem geringen Prozentsatz in Berliner ambulanten Geburtseinrichtungen zur Welt gekommen sein. Aber auch das können wir nicht so genau wissen - mangels Daten.

Wahlfreiheit für Schwangere bezüglich des Geburtsortes ist damit im Flächenland Brandenburg mangels Angebot quasi nicht gegeben. Um das zu gewährleisten, müsste auch die Einkommenssituation der Hebammen generell verbessert werden. 2012 musste eine Hebamme, die freiberuflich Geburten durchführt, eine Jahreshaftpflichtsumme von ca. 4 250 Euro aufbringen. Bei einem durchschnittlichen Bruttoverdienst von 24 000 Euro im Jahr ist das so viel wie zwei Monatsgehälter. Eine freiberuflich arbeitende Hebamme mit Geburtshilfe muss also mindestens zwölf Geburten im Jahr betreuen, um nur die Kosten der Berufshaftpflicht einzunehmen. Bei den freiberuflichen Hebammen ohne Geburtshilfe erhöhten sich die Haftpflichtsummen weniger dramatisch, nämlich auf etwa 377 Euro im Jahr.

Nach Vertragsverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband konnten die Hebammenverbände 2012 zwar einen partiellen Ausgleich der gestiegenen Kosten für die Berufshaftpflicht und zum 01.01.2013 Vergütungsanpassungen zwischen 12 und 15 % vereinbaren, jedoch droht die Situation einen gesamten Berufsstand zum Verschwinden zu bringen. Immer höhere Haftungsrisiken, extrem geringe Einkünfte bei hoher Verantwortung, steigende Wegekosten gerade im ländlichen Raum führen dazu, dass Hebammen immer häufiger zur Existenzaufgabe gezwungen werden oder sich auf die reine Vor- und Nachsorge beschränken müssen.

Nach dem IGES-Gutachten haben sich zwischen 2009 und 2012 Hebammen bundesweit in großer Zahl aus der Geburtshilfe zurückgezogen. Dies hat erhebliche Versorgungsrelevanz. Kritisiert wird auch, dass selbst Kliniken, die Hebammen in einem Vollzeit- oder Teilzeitarbeitsverhältnis angestellt beschäftigen, keine Angaben machen, wer in welcher Höhe für die immensen Beiträge zu den Haftpflichtversicherungen aufkommt. Auch bei den Beleghebammen ist die Beteiligung der Klinikträger an den Kosten der Haftpflicht ein wohlgehütetes Geheimnis.

In Brandenburg fehlen aber vermutlich - siehe Datenlage - nicht nur freiberuflich tätige Hebammen, die Geburtshilfe anbieten, sondern auch Familienhebammen. Wurden bisher in Kreisen und kreisfreien Städten lediglich zehn Hebammen eingesetzt und für ihre Arbeit bezahlt, so wird der Bedarf für 18 Kreise und kreisfreie Städte auf weitere 40 bis 50 geschätzt. Diese könnten für ihre Tätigkeit - meist wohl koordiniert durch die Jugendämter - zumindest partiell aus den Mitteln des Bundeskinderschutzgesetzes bezahlt werden.

Aus der Großen Anfrage geht hervor, dass in Brandenburg mittlerweile 29 % der Geburten Kaiserschnittentbindungen sind; im Jahr 2002 waren es noch 19 %. Damit liegt Brandenburg noch unter dem bundesweiten Durchschnitt von 32, 1 % im Jahr 2011. Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes ist innerhalb der vergangenen 20 Jahre eine Verdoppelung der bundesweiten Sectio-Raten zu verzeichnen. Auffällig sind die sehr weiten Spannen zwischen Sachsen mit 23,2 % und dem Saarland mit 38,2 %, die medizinisch kaum erklärbar sind.

Dass in Deutschland mittlerweile ein Drittel der Geburten Kaiserschnittgeburten sind, ist ein sehr kritischer Trend. Aufseiten der schwangeren Frauen ist Angst eines der Hauptmotive Angst vor Schmerzen, Inkontinenz oder körperlichen Veränderungen. Oft sind es auch Ängste vor dem Geburtsvorgang allgemein, der ja aus unserem täglichen Leben immer mehr verschwindet. Die Geburtshelferinnen dagegen wollen auf Nummer sicher gehen und haben - durchaus verständlich - Ängste vor dem Haftungsrisiko. Daneben spielen für Kaiserschnitte auch Terminwünsche, die Rücksichtnahme auf Dienstpläne und natürlich wirtschaftliche Erwägungen - die Krankenkassen vergüten eine Sectio doppelt so hoch wie eine natürliche Spontangeburt - eine Rolle.

Die WHO hält eine Kaiserschnittrate von rund 15 % aus medizinischer Indikation für gerechtfertigt. Wenn Brandenburg fast 15 % darüber liegt, sollten auch im Ministerium die Alarmglocken klingen. Die Aussage, die Landesregierung enthalte sich jeder Äußerung, kann da nicht befriedigen.

Ich komme zum Schluss. Ich möchte Sie auffordern, unserem Entschließungsantrag, der auch auf die Entwicklung der Kaiserschnitte und auf die Datenlage eingeht, zuzustimmen, und würde mich freuen, wenn wir das Thema weiter umfassend in den Ausschüssen diskutieren könnten. - Danke.

(Beifall B90/GRÜNE)

Die Abgeordnete Lehmann setzt für die SPD-Fraktion fort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Hebammen und Entbindungspflegern - wir wollen auch sie einmal nennen - kommt eine zentrale Rolle in der Betreuung von Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen zu. Es ist eine verantwortungsvolle Tätigkeit, die selbstverständlich entsprechend honoriert werden muss.

Jährlich höhere Haftpflichtprämien bei stagnierenden Einkommen haben das Leben der freiberuflichen Hebammen in den letzten Jahren sehr erschwert. Zu Recht hat der Deutsche HebammenVerband mit den Landesverbänden die ökonomische Situation von Hebammen in das Bewusstsein von Politik und Gesellschaft gerückt. Mittlerweile sind alle Akteure entsprechend sensibilisiert. So hat der Bund ein Gutachten zur Versorgungs- und Vergütungssituation in der außerklinischen Geburtshilfe in Auftrag gegeben. Die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft sind - endlich! - aus der Reichsversicherungsverordnung - diese wurde 1911 verabschiedet; man glaubt es kaum - in das Sozialgesetzbuch V überführt worden. Ein interministerieller Arbeitskreis aus Vertretern von Bundes

gesundheitsministerium und Bundesfamilienministerium wird dafür sorgen, dass das Thema auf der Agenda bleibt.

Der jüngste Vertragsabschluss zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung und dem Deutschen HebammenVerband sowie den Landesverbänden vom Januar 2013 sieht für den Zeitraum bis 2015 eine Vergütungsanpassung zwischen 12 und 15 % für jede Leistungsposition vor. Bereits Mitte 2012 erfolgte ein Ausgleich für die gestiegenen Kosten der Berufshaftpflichtversicherung. Damit soll nicht gesagt werden, die Welt sei bereits in Ordnung, aber es ist Bewegung im System, und das erscheint uns wichtig.

An dieser Stelle sei noch angemerkt: Die Vergütung freiberuflich erbrachter Hebammenhilfe wird auf Bundesebene zwischen den Hebammen- und den Krankenkassenverbänden selbst ausgehandelt. Die Einflussmöglichkeiten der Politik sind insoweit sehr begrenzt und tendieren - leider! - gegen null. Mehr als 98 % der Geburten erfolgen stationär, im Krankenhaus. Die Planung für ausreichende und bedarfsgerechte Geburtshilfekapazitäten in den Krankenhäusern liegt in der Verantwortung der Länder. Mit der Fortschreibung des Dritten Krankenhausplanes haben wir dem entsprochen.

Auch wenn wir im Rahmen der Fortschreibung des Krankenhausplanes im Bereich Frauenheilkunde und Geburtshilfe die Bettenzahl um 223 auf 666 reduzieren, kann damit weiß Gott keine Unterversorgung suggeriert werden. Wir passen unsere Kapazitäten lediglich dem tatsächlichen Bedarf unter Berücksichtigung der Entwicklung der Fallzahlen, der durchschnittlichen Verweildauer und der Auslastung der Fachabteilung an.

Für den Bereich der freiberuflichen Hebammen und der erbrachten Hebammenhilfe haben die Krankenkassen eine entsprechende Versorgung zu gewährleisten. Gemäß § 70 Abs. 1 SGB V muss die Versorgung ausreichend und zweckmäßig sein. Eine Bedarfsplanung findet hier leider nicht statt.

Die Zahl der berufstätigen Hebammen hat sich in den vergangenen Jahren rückläufig entwickelt - wie die Zahl der Geburten auch. Aktuell sind 385 Hebammen freiberuflich tätig, 177 Hebammen sind in Krankenhäusern angestellt. Von den Krankenkassen werden 15 Ausbildungsplätze als bedarfsnotwendig anerkannt und auch finanziert; die Ausbildung übernimmt das Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus.

Zentrale Aufgabe bleibt die weitere Verbesserung der ökonomischen Situation der freiberuflichen Hebammen, um so das Berufsbild attraktiver zu gestalten und die Versorgung mit Hebammenhilfe in Brandenburg auch künftig zu sichern. Für eine aktuelle Unterversorgung, wie in Frage 28 behauptet wird, liegen in der Tat - ich behaupte also etwas anderes als Sie, Frau Nonnemacher - keine Informationen vor.

Einen Entschließungsantrag kann man leider nicht in den Fachausschuss überweisen. Aber wir werden dort über die gestellten Fragen noch einmal diskutieren. Sie haben schon die Datenlage angesprochen - in der Tat, darüber muss man reden. Über die Bedarfsdeckung müssen wir aber noch intensiver sprechen, weil es keine Standards gibt. Es fehlen auch Vorgaben, wie die Bedarfsdeckung zu messen ist. Zudem ist der Begriff „ausreichende Angebote“ sehr allgemein gehalten; wir müssen definieren, wann das Angebot ausreichend ist und

wann nicht. - In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, DIE LINKE und der Abgeordneten von Ha- lem [B90/GRÜNE])

Die Abgeordnete Schier setzt für die CDU-Fraktion fort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich unterstelle einfach, dass die meisten von uns Frauen - aber sicherlich auch Männer - die Hebamme bei der Ausübung ihres Berufes schon erlebt haben. Ich bin mir ganz sicher, dass alle, Frauen wie Männer, froh darüber waren, dass sie eine kompetente Hebamme an ihrer Seite hatten - ob es die Frauen sind, die mit Herzklopfen in den Kreißsaal gehen, oder ob es die Männer sind, die noch viel mehr Herzklopfen haben.

(Frau Lehmann [SPD]: Stimmt!)

Umso wichtiger ist es, dem Berufsstand der Hebammen gute Rahmenbedingungen zu bieten. Der Bund ist insoweit bereits tätig geworden. Es ist schon angeklungen: Die Regelungen zu Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft sind in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch aufgenommen worden. Die Vergütungsanpassungen werden seit 2007 durch die Hebammenverbände selbst mit dem GKV-Spitzenverband ausgehandelt. Die Hebammen haben also jetzt die Möglichkeit, ihre Interessen selbst zu vertreten.

Auch das ist schon gesagt worden: Die Regelung, dass die Berufshaftpflichtversicherung - bei diesem Thema wurde Alarm geschlagen - von 2010 bis 2012 von den Krankenkassen übernommen wurde - es ging immerhin um etwa 550 Euro -, ist zu begrüßen. Das entlastet die Hebammen doch erheblich.

Lassen Sie uns einen Blick in das Land werfen: Das SGB V regelt die Leistungen der Geburtshilfe. Demnach sind die Krankenkassen für die Sicherstellung der Versorgung mit freiberuflicher Hebammenhilfe verantwortlich. Die Sicherstellung der klinischen Geburtshilfekapazitäten erfolgt im Rahmen des Krankenhausplanes. Also liegen beide Bereiche in der Verantwortung der Landesregierung.

(Frau Lehmann [SPD]: Guck an! Die der Kassen auch?)

Betrachtet man die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage, entsteht eher der Eindruck, das wäre nicht der Fall. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Eine zentrale Statistik über die Zahl der Hebammen und Entbindungspfleger im Land existiert eben nicht. Die Kollegin Nonnemacher ist darauf eingegangen. Die Differenz zwischen beiden Angaben beträgt 63 Hebammen. Das ist schon eine enorme Zahl. Die entscheidet über Quantität und Qualität im Land.