„Inklusion ist ein komplexer Prozess, der gut vorbereitet werden muss. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir das Projekt auf Kosten der Kinder und Lehrer umsetzen.“
Das stammt von Wilfried Steinert, ehemaliger Leiter der Waldhofschule in Templin, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats „Inklusion“ und ein bundesweit anerkannter Experte zu diesem Thema.
Genau darum geht es; es geht nicht darum, das Ganze auf Eis zu legen oder sogar zu stoppen. Wir sind auf dem Weg zur inklusiven Schule und da gibt es kein Zurück.
Das übrigens nicht nur, weil es die UNO beschlossen hat, sondern weil es unserem Selbstverständnis vom gemeinsamen Leben und Lernen entspricht. Brandenburg ist da schon weiter als manch anderes Land. Trotzdem stellen wir doch alle bei unseren täglichen Gesprächen fest: Es bleibt immer noch ein kompletter Richtungswechsel für unser Land.
Ich weiß nicht, Frau von Halem - die Sie den Antrag hier geschrieben haben -, was Sie auf Ihren Veranstaltungen, mit denen Sie - wirklich dankenswerterweise - durchs Land getourt sind und viel geworben haben, erlebt haben. Dort, wo ich über dieses Thema gesprochen habe, hatte ich den Eindruck, dass es noch viel Veränderungsbedarf im Denken und im täglichen Handeln gibt und vor allen Dingen die Anforderungen an diesen Prozess riesig sind.
Eines aber zog sich durch all diese Meinungsäußerungen mit einer durchaus positiven Tendenz, und zwar: Wenn ihr das macht, dann aber bitte gut vorbereitet, sorgfältig und: Nehmt bitte alle mit!
Ich sage ganz klar: Ich hätte mir auch ein schnelleres, beherzteres Herangehen gewünscht. Bildungspolitiker sind auch immer unruhige und ungeduldige Leute. Aber wenn wir alle zusammen wollen - und ich sehe, dass es in diesem Haus große Gemeinsamkeit beim Thema Inklusion gibt -, dass Inklusion ein Erfolgsmodell wird, dass es einen guten Ruf im Land hat, dann darf man auch diese mahnenden Worte nicht überhören.
Zu dem von Ihnen vorgelegten Antrag: Wenn wir so einen Antrag vorgelegt hätten, hätte man uns vorgehalten, dass alles, was dort geschrieben steht, Wunschdenken sei, nach dem Motto: Wir beschließen mal eben, dass Inklusion stattfindet. Uns hätte man unterstellt: Okay, ihr habt jetzt die Pilotschulen
auf den Weg gebracht, habt ihnen gesagt, sie sollen für uns Erfahrungen sammeln, und wir werden diese Erfahrungen ernst nehmen. Dann hätte man uns gesagt: Aber ihr schafft schon vorher Tatsachen.
All diese Punkte, Frau von Halem, die Sie aufgeschrieben haben, müssen Stück für Stück abgearbeitet werden. Die Lehrpläne und die Leistungsbewertungen müssen inklusiv umgestaltet werden. Die Lehrerfortbildung muss weiter vorankommen - nicht nur an der Uni, sondern auch die der Lehrerinnen und Lehrer, die schon in der Schule sind.
Bei dem, was Sie aufzählen, kommen dann auch noch richtig dicke Bretter: Alle Kinder, auch die schwerbehinderten - so steht es in Ihrem Antrag -, sollen an allgemeinbildenden Schulen, und zwar durchgängig, unterrichtet werden. Die Schnittstelle zum Hort und der Übergang zum Beruf sollen geklärt werden. Das wünsche ich mir auch alles. Die Landesregierung arbeitet auch an solch schweren Themen, und sie merkt auch da, wie schwer es ist, die Kommunen mitzunehmen, den Bund mit an Bord zu bekommen, sich gegen Zuständigkeitszersplitterung zu wehren und zu bündeln, Jugendhilfe und Gesundheitssystem mitzunehmen. Da ist es eben leider nicht mit der Änderung der Schulbau-Richtlinie getan.
Es wird vermutlich noch viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern, das alles umzusetzen. Man muss daran halt weiterhin kontinuierlich arbeiten. Aber bei allen konkreten Umsetzungsschritten müssen aus meiner Sicht an erster Stelle die Sorgfalt und eine gute inhaltliche, materielle und personelle Untersetzung stehen. Dazu abschließend noch ein Zitat von Wilfried Steinert:
Denn eines ist klar: Der Prozess ist unumkehrbar, gemeinsames Lernen muss laut UN-Menschenrechtskonvention Standard werden. Jetzt geht es darum, die Bedingungen gut zu gestalten, und dafür brauchen wir noch mehr Zeit. - Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema diskutieren wir hier ja alle naselang, und es ist gut so, dass wir das machen. Aber nicht nur wir diskutieren das, sondern auch überall im Land die Lehrer, die Eltern, die Schüler, die Betroffenen. Wir alle haben es ja erlebt - das haben Sie ja richtig gesagt, Kollege Günther -, dass es da eine Menge Fragen gibt, dass es da eine Menge Ängste und Sorgen gibt. Ich glaube auch, das muss man ernst nehmen, und das kann man nicht einfach ruckzuck durchziehen, ohne Rücksicht zu nehmen. Deshalb ging ja auch ein Aufatmen durch die Bildungslandschaft in Brandenburg, als bekannt wurde, dass diese Koalition das schwierige Thema erst einmal in die nächste Legislatur vertagt hat und dass wir jetzt nicht holterdiepolter ins Gesetz schreiben, das flächendeckend umzusetzen.
Jetzt stellen wir plötzlich fest - das war ja eine Sternstunde des Parlamentarismus, Herr Günther -, dass Sie nach zwei Jahren das einsehen, was wir Ihnen hier die ganze Zeit gebetsmühlenartig erzählt haben,
nämlich, dass Sie kein Konzept haben, dass Sie nicht die Ressourcen haben und dass das alles mehr Zeit braucht.
Vor diesem Hintergrund verwundert mich jetzt der Antrag der Grünen ganz besonders. Wir wissen ja alle, wie beschwerlich der Prozess bis jetzt gelaufen ist. Wir wissen auch, dass es da an vielen Stellen noch große Probleme gibt. Wir haben heute im Rahmen der Fragestunde nur über zwei extreme Beispiele geredet; davon gibt es ja noch viel mehr. Jetzt kommen die Grünen und wollen, dass dieser Murks weitergeht. Das können die Betroffenen nicht verstehen, das können die Schüler nicht verstehen, das können die Lehrer nicht verstehen, das können die Eltern nicht verstehen. Wir können das auch nicht verstehen, und deshalb werden wir dem auch nicht zustimmen.
Meine Damen und Herren, ich will an der Stelle auch noch einmal klarstellen - das kommt ja auch immer wieder -: Wir erkennen die UN-Behindertenrechtskonvention an, wir sind für Inklusion. Wir bekennen uns dazu, nur eben nicht bedingungslos. Wir wollen das an Bedingungen knüpfen, die es nämlich möglich machen, dass es auch funktioniert. Das fehlte uns bei der bisherigen Herangehensweise, und das fehlt uns auch beim Antrag der Grünen.
Im Antrag der Grünen kann man sich das ja ganz konkret angucken. In Punkt 2 fordern Sie, dass die Landesregierung im Schulgesetz
„den individuellen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht verankert, die Vorbehalte aus § 29 Absatz 2 streicht und allen Schülerinnen und Schülern das Recht zusichert, auf der allgemeinen Schule bis zum Ende der Schulpflichtzeit zu verbleiben“.
Jetzt gucken wir einmal in den § 29 Abs. 2 des Schulgesetzes hinein. Da geht es um den gemeinsamen Unterricht, und darin steht:
„Sonderpädagogische Förderungen sollen Grundschulen, weiterführende allgemein bildende Schulen und Oberstufenzentren durch gemeinsamen Unterricht mit Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf erfüllen, wenn eine angemessene personelle, räumliche und sächliche Ausstattung vorhanden ist oder nach Maßgabe gegebener Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden kann.“
Das ist also der Vorbehalt, dass die Bedingungen dafür da sein müssen, dass man die Räume haben muss und dass man die Ressourcen haben muss. Jetzt sagen Sie ernsthaft, dass Sie das streichen wollen, was die Schulen brauchen, damit es funktionieren kann. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!
Das können Sie doch nicht ernst meinen. Da werden sich die Lehrer, die Schüler und die Eltern bei Ihnen aber herzlich bedanken. Und das machen wir nicht mit. Ganz einfach.
Dann fordern Sie, festzuschreiben, dass für alle Schüler ein anerkannter Abschluss vorgesehen werden soll.
Zunächst einmal: Auch an Förderschulen können die Schüler einen anerkannten Abschluss kriegen, nämlich den Förderschulabschluss. Der ist in Brandenburg anerkannt.
Den bundesweit anerkannten Hauptschulabschluss nach KMKKriterien könnte man da allerdings auch erreichen. Oder meinen Sie etwa, dass man einen Hauptschulabschluss kriegt, ohne die Kriterien zu erfüllen? Da frage ich mich: Warum bleiben wir da beim Hauptschulabschluss? Dann können wir doch auch gleich das Abitur für alle festschreiben, dann können wir auch den Doktor für alle hineinschreiben;
dann haben wir auch das Problem mit den Plagiaten geklärt. Das ist ganz einfach. Wir machen uns die Welt einfach so, wie sie uns gefällt, und schreiben das ins Gesetz.
Wenn ich dann in der Begründung lese, dass wir 84 Pilotschulen mit Inklusion haben, und dass nur alle anderen auch noch welche werden müssten, und wenn ich an das denke, was wir vorhin in der Fragestunde diskutiert haben, und daran, was ich in der Praxis immer höre, wenn ich an das denke, was wir alle per E-Mail und per Post geschickt kriegen, dann sage ich: Gott bewahre! Diesen Mangel, den wir dort jetzt schon haben, diese Bedingungen, die können wir doch nicht flächendeckend in das Gesetz hineinschreiben. Das ist doch nicht das, was die Leute von uns erwarten. Die Leute sind froh, dass es jetzt Gelegenheit gibt, aufzuatmen und diesen Prozess vernünftig anzugehen,
nämlich mit der nötigen Zeit die Bedingungen festzusetzen, die es möglich machen, dass Inklusion zum Erfolg wird und nicht scheitert. So würde es jedoch laufen, wenn wir genauso weitermachen würden. Deshalb werden wir diesem Antrag im Sinne der Betroffenen auch nicht zustimmen. - Danke schön.