Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Kollegin von Halem, danke für den Antrag, danke auch für das Engagement vonseiten der Grünen für dieses Projekt der Inklusion, für all die Veranstaltungen, für die Gutachten, für die Begleitung dieses Prozesses. Aber ein bisschen ist es schon verkehrte Welt. Die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist ja eigentlich die partizipatorische Partei, die bewegungsorientierte, die beteiligungsorientierte Partei, und die will jetzt ein Gesetz, in dem wir das alles ganz schnell festschreiben. Den Linken wiederum wird ja eigentlich immer zugeschrieben, dass sie so eine Staatsgläubigkeit haben, und eigentlich wären wir ja diejenigen, die hier zuerst und ganz schnell ein Gesetz haben wollten. Das wollen wir aber nicht.
Ja, wir wollen die Inklusion! - Drei Ausrufezeichen hinter diesen Satz! Es gibt keine Rolle rückwärts,
es gibt kein Aufheben dieses Projektes. Das sage ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit. Inklusion ist ein Gebot des Menschenrechts, Inklusion ist ein pädagogisches Gebot, Inklusion ist ein Gebot der Gerechtigkeit,
ist ein demografisches Gebot, dem wir hier zu entsprechen haben, und natürlich werden wir das auch anfassen.
Dass wir in dieser Legislatur das Gesetz noch nicht verabschieden, es aber vorbereiten, ist letztlich dem geschuldet, dass das ganze Projekt Inklusion natürlich einen riesigen Paradigmenwechsel braucht, eine ganz andere Schulkultur, eine Willkommenskultur an Schule, eine, die Bildung nicht über Defizite und Unterrichtsstunden und Klassenstärken definiert, sondern eine, die wirklich den Schüler als Individuum sieht und ihn so in einer Schule willkommen heißt.
Wir sind hier nicht hasenfüßig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Grünen-Partei. Wir wollen Gelingensbedingungen gestalten. Und denken Sie bitte daran: Wir haben es hier mit 18 000 Lehrerinnen und Lehrern zu tun, mit 260 000 Schülerinnen und Schülern,
mit 1 500 Kitas, mit 30 000 Erzieherinnen und Erziehern. Die alle müssen wir ja bei diesem Projekt der Inklusion auch dabei haben.
Wie es aussieht, wenn unter rot-grüner Regierung Inklusion schnell und hastig gemacht wird, das können wir in NordrheinWestfalen sehen, wo das Projekt ein ganzes Stück wieder zurückgenommen wurde und wo man noch längst nicht so weit ist, wie wir es hier sind, wo man noch längst nicht bei einer Quote von 40 % Kindern ist, die ohnehin schon im gemeinsamen Unterricht sind. Und in Baden-Württemberg, wo GrünRot regiert, ist man noch lange, lange nicht so weit.
Wir dürfen das System nicht überfordern. Wir stimmen im Übrigen allen - allen - Ihren Eckpunkten, Frau von Halem, zu. Es gibt da ja auch noch ein paar andere. Wir müssen uns über die Problematik der Leistungsbewertung unterhalten, über die Kopfnoten, über die Leistungs- und Begabungsklassen, darüber: Wie geht es in Jahrgangsstufe 7 weiter? All dies können wir nicht einfach mit einem Gesetz beschließen, all dies müssen wir miteinander, mit dem Städte- und Gemeindebund und natürlich mit den Lehrerinnen und Lehrern, die das dann umsetzen müssen, verabreden. In diesem Falle ist ein Gesetz nicht die beste Maßnahme, um das auch auf gesunde Füße zu stellen. Sie sind alle dazu eingeladen.
Ich wiederhole hier das, was mehrfach gesagt wurde: Inklusion ist kein Wahlkampfthema - weder von denen, die sie wollen, noch von denen, die sie bekämpfen, oder von denen, die sie nicht so wollen bzw. gar nicht wollen. Wir sollten versuchen, hier gemeinsam und miteinander ein vernünftiges Zeitmaß zu verabreden, uns auch intensiv an den Runden Tischen, die es ja gibt, zu beteiligen und auch den Rat des wissenschaftlichen Beirates ernst zu nehmen, der ja auch gesagt hat: Liebe Leute, es ist schön, was ihr hier macht, aber nehmt euch ein bisschen mehr Zeit. Insofern brauchen wir jetzt keine Gesetzesinitiative. Wir brauchen das, was Sie, Frau von Halem, richtigerweise die ganze Zeit machen: Wir brauchen die Motivierung der Menschen, die das mit uns machen sollen, wir brauchen breite gesellschaftliche Debatten, und wir haben noch lange nicht alle für dieses richtige pädagogische Konzept gewonnen.
Dazu sind Sie alle herzlich eingeladen. Lassen Sie uns das Gesetz gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode - egal, wer regiert - beschließen. Es ist kein Projekt, mit dem man Wählerstimmen generieren kann, es ist kein Projekt, das man machtpolitisch denken kann. Es ist ein menschenrechtliches Projekt. Da sind Sie alle herzlich eingeladen, es umzusetzen. Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Große, es ist nicht egal, wer in diesem Land regiert.
- Bleiben Sie mal ruhig. Sie wissen doch, ich kann im Zweifel immer lauter sein als Sie, ich habe nämlich das Mikrofon und einen größeren Resonanzkörper.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, man hat so ein bisschen den Eindruck, gerade, wenn man das jetzt von Ihnen gehört hat, Frau Kollegin Große und Herr Kollege Günther, dass Sie hier ein bisschen die Tatsachen umdrehen. Es war ja nicht die Opposition, die das Thema permanent vorangetrieben hat. Es war die Regierung, es waren die Regierungsfraktionen, die das Thema vorangetrieben haben. Es war auch nicht die Idee der Grünen - es hat ja einen Grund, warum die jetzt den Antrag vorlegen -, das im Bildungsgesetz zu verankern. Es war die Idee von Rot-Rot, von Ihrer Ministerin, das im Bildungsgesetz zu verankern. Und dann plötzlich sind Sie in der Realität angekommen - das begrüße ich ja, herzlich willkommen in der Realität - und haben
Ihre Gesetzesinitiative zurückgezogen. Dieses Zurückziehen der Gesetzesinitiative war auch völlig richtig.
Liebe Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, liebe Marie Luise von Halem, man mag sich jetzt über die einzelnen Punkte streiten, die in Ihrem Antrag stehen. Da steht auch ziemlich viel Unsinn drin, insbesondere das, auf das Herr Hoffmann hingewiesen hat, nämlich die Frage eines für alle anerkannten Schulabschusses, den es gibt. Das ist vom Kollegen Hoffmann ausreichend dargelegt worden. Nur, der Antrag kommt schlichtweg zur völligen Unzeit und ist deswegen auch überhaupt nicht zustimmungsfähig.
Ich weise darauf hin, dass Ihnen unsere Fraktion, die FDPFraktion, bereits im Sommer 2011 einen Antrag vorgelegt hat, Herr Kollege Günther, den Weg in die inklusive Bildungsgesellschaft zu gestalten. Den haben Sie kategorisch abgelehnt.
Ich habe da noch Ihre Worte im Ohr. Die Umsetzung wäre ein qualifizierter Fahrplan für den Weg in die inklusive Bildungsgesellschaft gewesen, in die inklusive Schulbildung. Alles das, was Sie hier gerade aufgezählt haben, stand in diesem Antrag, unter anderem auch als einer der wichtigsten Punkte: Wir brauchen schlichtweg mehr Akzeptanz, wenn wir Inklusion umsetzen wollen, wir können es den Menschen nicht einfach von oben, von der Bildungsbürokratie aus, überstülpen.
Aber die Situation in Brandenburg diskutieren wir doch hier auch oft genug. Wir haben schlichtweg zu wenig Lehrer, wir haben einen hohen Ausfall von Unterricht, insbesondere Ausfall bei Förder- und Teilungsstunden, wir brauchen kleinere Klassen, wir brauchen eine angemessene personelle und sachliche Ausstattung. Kollege Günther, ich glaube, Sie waren das, Sie haben Herrn Steinert von der Waldhofschule in Templin erwähnt. Nur als Information: Die Lehrer-Schüler-Relation der Waldhofschule in Templin ist 4:1.
Weniger Ausfall von Unterricht, kleinere Klassen, eine angemessene personelle und sachliche Ausstattung - was aber ist passiert? Passiert ist nichts.
Aber gerade das sind die wichtigsten Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um das Gelingen und natürlich auch die Akzeptanz bei allen an Schule Beteiligten zu ermöglichen. Inklusion ist auch nicht kostenneutral umzusetzen. Reformen kosten Geld. Ich glaube aber, dass diese Investition in die Zukunft sich lohnen wird,
nur, dann müssen eben auch die entsprechenden Voraussetzungen im Regelschulsystem erfüllt sein. Grundsätzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, stimmen wir ja mit Ihnen überein. Wenn ich die einzelnen Elemente aus diesem Antrag mal weglasse, sage ich auch: Ja, wir brauchen natürlich eine Änderung des Bildungsgesetzes, aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt, nicht ohne, dass die Problemstellen in diesem Bildungssystem erledigt sind. Man muss einen Schritt vor den anderen setzen. Eine schlecht umgesetzte Inklusion schadet den Kindern und Lehrern, eine gut vorbereitete Inklusion ist wichtig.
Deswegen wäre die Öffnung der Inklusion für alle Förderarten, so wie Sie es in Ihrem vierten Anstrich schreiben, auch verfrüht.
An die Landesregierung sei gerichtet, dass sie endlich tätig werden muss und nicht nur Versprechungen machen und größte Ankündigungen verlauten lassen darf, die eh nicht eingehalten werden. Das, meine Damen und Herren, schadet dem Schulsystem in diesem Land am allermeisten. - Vielen Dank.