Mit Artikel 3 Abs. 3 des EU-Vertrages und der Grundrechtecharta Artikel 23 wird die Geschlechtergleichstellung als eines der grundlegenden Ziele festgeschrieben. Wenn heute 86,3 % der Führungspositionen noch mit Männern besetzt sind, spricht das dafür, wie weit Anspruch und Wirklichkeit hier noch auseinanderliegen. Dabei gibt es zwischen den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten große Unterschiede. Dass wirksame freiwillige Ansätze nur langsam greifen, zeigt die Tatsache, dass sich im letzten Jahr die Zahl der Frauen in Führungspositionen nur um 0,6 % erhöht hat und nur 24 Unternehmen die Verpflichtungserklärung 2011 unterzeichnet haben.
Die Maßnahmen der Mitgliedsstaaten reichen von verpflichtenden Quotenregelungen einschließlich Sanktionen bis zur Selbstregulierung in bestimmten Bereichen. In Ländern mit verpflichtenden Quoten stieg die Zahl der Frauen in Leitungspositionen um 20 %. In sechs Ländern ohne Maßnahmen ist die Zahl der Frauen in Führungspositionen sogar zurückgegangen. Auch wenn heute kein Zweifel mehr daran besteht, dass Frauen und Männer nicht mehr aufgrund des Geschlechts diskriminiert werden dürfen, spricht die Tatsache, dass 96,8 % der Vorsitzenden von Unternehmensleitungen Männer sind, für sich.
Wie wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, stellen weder der Ausbildungsstand noch die Erwerbslosenquote einen Grund für die deutliche Unterrepräsentanz von Frauen in Führungsgremien auch in Deutschland dar. Im Gegenteil, es ergibt sich ein Widerspruch zwischen dem Ausbildungsstand von Frauen und ihrem Anteil an Führungspositionen. 2008 waren 67 % der Hochschulabsolventen Frauen. Das spiegelt sich in den Führungsetagen noch lange nicht wider.
Nun allerdings scheint es so, als habe sich die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht an Staaten wie Norwegen, Schweden oder Frankreich orientiert, sondern an den Vorgaben des Arbeitgeberverbands, des Bundesverbands der Deutschen Industrie und des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Liest man ihre Stellungnahme vom 18. Februar 2013, liegt diese Vermutung zumindest nahe. Gleich im ersten Punkt der Kurzfassung ihrer Stellungnahme heißt es:
„Der deutschen Wirtschaft ist die substanzielle Steigerung des Frauenanteils in Führungsgremien der Unternehmen ein wichtiges Anliegen. Sie spricht sich allerdings entschieden gegen die verbindliche Vorgabe einer einheitlichen Quote für Aufsichts- bzw. Verwaltungsräte aus. Eine Geschlechterquote für die Privatwirtschaft stellt eine unternehmensfremde Zielsetzung dar, die darüber hinaus erheblich in die Grundrechte der Anteilseigner eingreift.“
In weiteren elf Punkten wird dann erläutert, warum die EURichtlinie unzulässig und entbehrlich ist. Wir finden, das ist
völlig inakzeptabel, nicht mehr zeitgemäß, aus der Zeit gefallen wie das Betreuungsgeld. Deshalb erwarten wir eine umfangreiche Zustimmung zu unserem Antrag.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Wahlkampf ist eröffnet. Der heutige Antrag der Grünen-Fraktion Rot-Rot ist mit aufgesprungen - ist der Auftakt zu einem politischen Überbietungswettkampf, bei dem, so zumindest die Auffassung der Einreicher, der gewinnt, der dem vermeintlichen politischen Mainstream folgt, und nicht derjenige, der Problemen und Zeitfragen mit pragmatischen Lösungen begegnet.
Gleichberechtigung gehört zu den gelebten Werten eines Unternehmens und ist allein aus diesem Grund nicht mit einer gesetzlichen Frauenquote durchsetzbar. Viele Arbeitnehmerinnen vertreten ihre Interessen in Unternehmen längst selbst, statt mit dem in diesem Falle stumpfen Schwert Justitia zu hantieren. Rückwärtsgewandte Politiker und Gleichstellungsapostel hingegen versuchen nach wie vor zu regeln, was schlichtweg nicht zu regeln ist.
Wenn wir über Quoten reden, dann sollten diese nur das regeln, was Unternehmen im Sinne der Wertegemeinschaft wichtig ist, aber ohne gesetzlichen Anschub nicht gelebt werden kann. So kann es mit Blick auf die Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt sinnvoll sein, eine Mindestbeschäftigungsquote für Unternehmen festzulegen, nicht, um diesen neue Hürden aufzuerlegen, sondern um aktiv auf das gesellschaftlich akzeptierte Ziel der inklusiven Gesellschaft hinzuarbeiten, von der auch die Unternehmen profitieren.
Ist eine Frauenquote mit Blick auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes, auf dem Frauen und Männer künftig immer häufiger selbst entscheiden können, wo und zu welchen Bedingungen sie arbeiten, wirklich noch zeitgemäß? Klare Antwort: Sie ist es nicht. Schauen wir uns doch die möglichen Wirkungen einer Frauenquote aus praktischer Sicht an: Denkt wirklich jemand von Ihnen, die Verfehlungen des Aufsichtsrates BER wären automatisch signifikant geringer gewesen, wenn dieser zu 40 % mit Frauen besetzt gewesen wäre? Dies anzunehmen wäre entweder naiv oder töricht. Was wir brauchen, ist eine Kompetenzquote.
Lässt sich die so oft kritisierte „gläserne Decke“ tatsächlich nur durch eine gesetzliche oder in Unternehmensstatuten fixierte Quote durchbrechen? Lassen Sie mich die Frage aus der Perspektive der Betroffenen bewerten. Was ist für eine moderne Frau - übrigens genauso wie für den Kollegen mit Migrationshintergrund, den Mitarbeiter mit Behinderung oder den homosexuellen Kollegen - im Arbeitsalltag wichtig? Aus mei
ner Erfahrung sicher keine von oben aufgezwungene Frauenquote, deren Durchsetzung im Anschluss von einer Gleichstellungsbeauftragten ohne wirklichen Einfluss und ohne Einbindung in gesellschaftliche und unternehmerische Strukturen kontrolliert wird. Vielmehr verlangen Frauen zu Recht Respekt und Anerkennung für ihre fachliche Arbeit und das Zugehörigkeitsgefühl zum Kollegium. Schauen Sie sich die Abschlüsse von Schülerinnen und Studentinnen sowie den wissenschaftlichen Mittelbau selbst in MINT-Fächern an. Da ist es nur eine Frage der Zeit, dass wir eine Männerquote brauchen.
Auf privater und gesellschaftlicher Ebene benötigen wir die Möglichkeit, Familie und Beruf, Kind und Karriere in Einklang zu bringen. Wer heutzutage Kinder hat, sich aber nicht auf verlässliche private Netzwerke oder ein gut ausgebautes öffentliches Betreuungsangebot stützen kann, besitzt keine Chancengleichheit. Die Betreuung und Erziehung des Nachwuchses ist in der Praxis nach wie vor Frauensache. Entsprechend müssen wir weitere Anstrengungen unternehmen, um auch die Väter für die zeitweise Kinderbetreuung zu sensibilisieren.
Den sich auftuenden Widerspruch zwischen Arbeitskräftebedarf und der tatsächlichen Vereinbarkeit von Karriere und Familie zu schließen, darin sehen wir als Liberale unsere Aufgabe. Kinder und Karriere zu vereinbaren darf nicht die Ausnahme, es sollte selbstverständlich sein. Als Frau sage ich Ihnen: Ich benötige keine Frauenquote, auch keine Flexi-Quote, um beruflichen Erfolg zu haben. Ich kann sehr gut für mich selbst entscheiden, in welchem Unternehmen ich zu welchen Konditionen arbeite und wo ich wann und in welcher Funktion Verantwortung übernehme.
Wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht mit meinen Vorstellungen decken, habe und nehme ich mir die Freiheit, den Arbeitgeber zu wechseln. Das ist gelebte Freiheit, das ist gelebte Verantwortung für meine Interessen.
Dass es gerade Grüne, SPD und Linke sind, die mit der Frauenquote wedeln, macht eines deutlich: Sie haben nicht verstanden, dass sich ein Kulturwandel nicht per Gesetz verordnen lässt. Kulturelle Wandlungsprozesse sind immer Folge gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse. Wer glaubt, diese politisch steuern zu können, der irrt. - Ich danke Ihnen.
Wir kommen zum Beitrag der Landesregierung. Es spricht unser Männerquotenmann Staatssekretär Schroeder.
Sehr verehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nicht den Eindruck, dass wir es hier mit einer Initiative im politischen Überbietungswettkampf zu tun haben,
sondern eher mit einer Initiative gegen das Schneckendasein in dieser Republik, gegen den Stillstand
und gegen die Nichtausschöpfung der Potenziale, die in dieser Gesellschaft vorhanden sind und nicht genutzt werden.
In diesem Sinne geht es um eine Initiative, die dazu beiträgt, mehr Gerechtigkeit und mehr Wachstum und Modernität in unserer Gesellschaft möglich zu machen.
Wir haben lange Zeit auf die Kraft der Vernunft gesetzt. Wir haben lange Zeit auf die Selbstregulationsfähigkeit der Wirtschaft gesetzt. Und wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass dies zu keinem fruchtbaren Ergebnis geführt hat. Insofern ist die Initiative für Quote eine Initiative des Lernens. Aus diesem Lernen heraus kommen wir zu dem Schluss, dass mit einer Quote ein Stück mehr erreicht werden könnte, um Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern zu erreichen, und ein Stück mehr für eine bessere Unternehmenskultur. Insofern ist dieser Vorschlag, diese Initiative, parteiübergreifend hier aus der Mitte des Parlaments, eine, die ausdrücklich von der Landesregierung unterstützt wird, weil wir uns hiervon eine Verbesserung unserer gesellschaftlichen Lebenssituation und der wirtschaftlichen Modernität versprechen. Wir haben aus diesem Grund im letzten Jahr gemeinsam mit Hamburg eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die dazu beitragen soll, genau die
ses Ziel in der Bundesrepublik zu verankern. Dieser Antrag ist im Bundesrat angenommen worden. Er steckt allerdings jetzt in den entsprechenden Gremien und wird von der Bundesregierung blockiert. Die Bundesregierung ist diejenige, die verhindert, dass wir eine moderne Bundesrepublik sind, dass wir eine fortschrittliche Bundesrepublik sind und dass wirtschaftliches Wachstum in dem Maße ausgenutzt wird, wie es möglich wäre.
In diesem Sinne möchte ich alle Beteiligten bitten, das Potenzial, das in diesem Lande ist, besser zu unterstützen, weil dieses Potenzial dazu beitragen kann, dass wir nach vorne blicken und diese Kompetenzen und Potenziale so ausschöpfen, wie es sich für eine moderne Gesellschaft ziemt. Es ist also ein Gebot der Vernunft, diese Initiative zu unterstützen. - Vielen Dank.
Vielen Dank. - Damit sind wir am Ende der Rednerliste angelangt und kommen zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 5/6990 - Neudruck. Wer ihm Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen ist der Antrag mehrheitlich angenommen.
Ich schließe Tagesordnungspunkt 11 und die heutige Sitzung und erinnere die Präsidiumsmitglieder: Wir wollen uns etwa um 16.50 Uhr zur Sondersitzung treffen.