Protocol of the Session on March 20, 2013

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion Die LINKE der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Abgeordnete Nonnemacher eröffnet die Debatte für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die „gläserne Decke“ ist eine weit verbreitete und sehr anschauliche Metapher dafür, dass qualifizierte Frauen kaum in Top-Positionen von Unternehmen gelangen. Die Hindernisse sind vielfältig und schwer erkennbar. Sie hängen damit zusammen, dass männliche Vorgesetzte eben nicht unbedingt die vielbeschworene Qualität, sondern männliche Mitarbeiter fördern und es Frauen an beruflichen Netzwerken mangelt. Das historisch eingefahrene Prinzip männlicher Alleinherrschaft ist für die Unternehmensorganisation prägend: Männer stellen eher Männer ein.

Die Berliner Medizinprofessorin Gabriele Kaczmarczyk hat dies für den medizinischen Bereich schön auf den Punkt gebracht:

„Wir brauchen die Quote, weil Chefärzte am liebsten ihr eigenes, jüngeres Selbst fördern, den jungen Assistenzarzt, in dem sie sich selbst wiedererkennen, und nicht die Ärztin.“

Obwohl Mädchen und Frauen immer öfter die Mehrzahl der Abiturienten und Studenten stellen - Herr Jürgens und Frau von Halem haben auch auf den steigenden Frauenanteil bei Promotionen und Habilitationen hingewiesen - und ihre Abschlüsse oft besser sind, sehen sie sich mit dem Eintritt ins Berufsleben Schwierigkeiten ausgesetzt.

Bei gleicher oder sogar höherer Qualifikation fangen sie auf niedrigeren Positionen an, sowohl was Gehalt als auch, was Organisationsstruktur angeht. Männer werden häufiger befördert, erhalten größere Gehaltssteigerungen und haben die Fürsprecher, die ihnen die Türen nach oben öffnen. Frauen dagegen bleiben bestenfalls auf der mittleren Ebene hängen.

Dass nicht die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf das Haupthemmnis ist, in Führungspositionen zu kommen, zeigen die Erfahrungen vieler kinderloser oder älterer Frauen, deren Kinder nicht mehr intensiver Betreuung bedürfen. Das Problem sind nicht die Frauen, sondern die Unternehmenskultur. Frauen müssen nicht ständig besser oder erfahrener sein. Sie müssen auch nicht speziell trainiert oder qualifiziert werden, denn qualifiziert sind sie ja. Nein, es muss diesen qualifizierten und talentierten Frauen aber möglich sein, sich zu entfalten und ihre Fähigkeiten als Führungskräfte unter Beweis zu stellen. Deshalb brauchen wir die Frauenquote in den Chefetagen.

(Beifall B90/GRÜNE und der Abgeordneten Prof. Dr. Heppener [SPD])

Es geht dabei nicht nur um ein paar Tausend Karrierefrauen, denn die veränderte Kultur in unseren Unternehmen wird Geschlechtergerechtigkeit in der gesamten Wirtschaft befördern. Das wollen auch wir hier in Brandenburg.

(Beifall B90/GRÜNE und der Abgeordneten Prof. Dr. Heppener [SPD])

Morgen, meine Damen und Herren, ist mal wieder „Equal Pay Day“. Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen liegt dieses Jahr bei 22 %; sonst lag sie immer bei 23 %. Wir merken: Es passiert nichts, und wir kommen nicht voran.

Wie wenig freiwillige Selbstverpflichtungen bewirken, zeigen die im Jahre 2001 von der damaligen Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft geschlossenen Vereinbarungen. Sie sind gescheitert. Als 2010 Bilanz gezogen wurde, war der Anteil der Frauen in Aufsichtsräten gerade einmal um 2 % gestiegen. Auch im Jahre 2012 lag der Männeranteil im Vorstand der 30 Dax-Unternehmen noch bei 93 %.

Mit freiwilliger Selbstverpflichtung hat auch die EU-Kommissarin Viviane Reding schlechte Erfahrungen gemacht. Im Jahr 2011 rief sie europäische Aktiengesellschaften dazu auf, ihren Frauenanteil in Führungspositionen bis 2020 freiwillig auf 40 % zu erhöhen. Ein Jahr später musste sie resignierend feststellen, dass sich EU-weit gerade einmal 24 Unternehmen dazu bereitgefunden hatten - darunter kein deutsches.

Seit Sommer letzten Jahres kämpft die Rechtskommissarin für die Einführung einer verbindlichen Quote. Denn nur dort, wo es sie gibt, sind zügige und verlässliche Erfolge zu verzeichnen. Das Paradebeispiel ist das Nicht-EU-Land Norwegen. Aber auch die Einführung einer Quotenregelung in Frankreich 2011 hat zu schnellen Verbesserungen geführt.

Nach zähem Ringen hat die Europäische Kommission im November 2012 einen Richtlinienvorschlag vorgelegt, der in vielen Punkten der widerstrebenden Bundesregierung die Hand entgegenstreckt. Nach dem Gesetzentwurf müssen die EU-Mitgliedsstaaten dafür sorgen, dass ab 2020 Aufsichtsräte großer börsennotierter Unternehmen zu 40 % mit Frauen besetzt sind,

im Fall von Unternehmen mit vorwiegend öffentlicher Beteiligung schon 2018. Bei Neubesetzung von Aufsichtsräten soll das unterrepräsentierte Geschlecht bei gleicher Qualifikation bis zum Erreichen der Quote bevorzugt werden. Die Richtlinie hätte Auswirkungen auf etwa 5 000 börsennotierte Unternehmen. Firmen mit weniger als 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und einem Jahresumsatz unter 50 Millionen Euro sind erst einmal ausgenommen.

Im Mühen um einen zustimmungsfähigen Kompromiss wurden für die Vorstände, die das eigentliche operative Geschäft verantworten, verbindliche Regelungen zurückgenommen und Sanktionen entschärft. Kritiker sprechen davon, dass es sich nur noch um ein „Frauenquötchen“ handele und dass der „Tiger Frauenquote“ als schnurrendes Kätzchen daherkomme. Trotz dieser Kritik, die auch ich teile, wäre das Aufbruchsignal einer EU-weiten Frauenquote gewaltig.

(Beifall B90/GRÜNE und SPD)

Aber selbst diese abgemilderte Richtlinie geht der Bundesregierung noch zu weit. Pünktlich zum Frauentag 2013 hat die Bundeskanzlerin die widerstrebende Ursula von der Leyen an die Kandare genommen und das Kabinett auf Linie gebracht. Die Vertretungen der Bundesregierung in Brüssel sind nunmehr angewiesen, die Ablehnung selbst dieses „weichgespülten“ Richtlinienvorschlages aktiv voranzutreiben. Durch diplomatische Verhandlungen soll die Bildung einer Sperrminorität erreicht werden. Begründet wird diese Haltung der Bundesregierung mit einem Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip und einer fehlenden europäischen Rechtsgrundlage für die Quotenregelung. Beide Argumente sind ein absolutes europapolitisches Armutszeugnis und zeigen, wie rückständig Deutschland auf dem Gebiet der Gleichstellung ist.

In Artikel 3 Abs. 3 des Vertrages über die Europäische Union, in Artikel 23 der Europäischen Grundrechtecharta, im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und in den Antidiskriminierungsrichtlinien ist der Auftrag der EU zur Herstellung von Chancengleichheit verankert. Die EU ist hierin auch handlungsbefugt. Der Bundesrat hat demgegenüber in seiner zustimmenden Stellungnahme auf diese Rechtsgrundlagen ausdrücklich verwiesen. Die Bundesregierung selbst hat auch keine Subsidiaritätsbeschwerde geltend gemacht. Ein Vetorecht steht ihr nach den Lissabonner Verträgen gar nicht zu.

Dass eine Quote mit deutschem Verfassungsrecht und Europarecht vereinbar ist, hatten bereits im Mai 2011 die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister in Halle sowie zahlreiche Expertinnen und Experten bei einer Anhörung im Bundestag im Januar 2013 festgestellt.

Der Deutsche Juristinnenbund fordert ganz entschieden eine verbindliche gesetzliche Quotenregelung zur Erhöhung des Frauenanteils in Entscheidungsgremien und weist auf Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz hin, wonach der Staat die Gleichberechtigung fördern und bestehende Nachteile beseitigen muss.

Doch die Kanzlerin und die Bundesministerin für die Verteidigung antiquierter Frauenbilder und Beibehaltung alter Zöpfe, Christina Schröder, sind nicht nur unfähig, endlich entsprechende Gesetzgebung in Deutschland voranzubringen. Nein, jetzt bremsen sie auch noch die sehr moderaten Vorschläge von der EU-Ebene aus. Gemeinsam mit der Partei der fast frauen

freien Zone, FDP, enthalten sie mit Hinweis auf abstruse Leistungs- und Qualitätskriterien Frauen Chancen vor, die ihnen zustehen.

Ob es sich die CDU als Volkspartei weiterhin leisten kann, die Hälfte des Volkes im Regen stehen zu lassen, muss sie selbst entscheiden. Die Bundesfamilienministerin eilte erst kürzlich betroffen in ihre Heimatstadt Wiesbaden, die auch meine Heimatstadt ist, wo ihre Partei bei den Oberbürgermeisterwahlen erneut eine Großstadt- und Landeshauptstadt - verloren hat. In Hessen ist keine Großstadt mehr übrig geblieben. Vielleicht dämmert es ja einmal, dass der Verlust von städtischen Milieus auch mit einer völlig unzeitgemäßen Frauen- und Gleichstellungspolitik zu tun hat.

(Beifall B90/GRÜNE und SPD)

Für uns Grüne ist geschlechtergerechte Politik von der Kommune bis zur internationalen Gemeinschaft ein Kernanliegen. Bitte unterstützen Sie mit der Zustimmung zum vorliegenden gemeinsamen Antrag die Einführung einer EU-weiten Frauenquote und die Bitte an die Landesregierung, sich nach Kräften dafür einzusetzen, besonders im Bundesrat.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Die Abgeordnete Prof. Dr. Heppener setzt für die SPDFraktion fort.

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Ursula Nonnemacher, es gibt jetzt eigentlich keine Fragen mehr. Ich muss gar nicht mehr erläutern, weshalb sich meine Fraktion dem Antrag, der ursprünglich von den Grünen kam, so bedingungslos angeschlossen hat.

Wir fordern die Landesregierung auf, sich mit ihren Mitteln dafür einzusetzen, dass diese EU-Initiative unterstützt und durchgesetzt wird. Die EU-Kommissarin Viviane Reding hat sie in den Auseinandersetzungen im vorigen Jahr angekündigt.

Sie sagte am 1. März:

„Wenn die Wirtschaft bis Ende 2011 keine Fortschritte macht, müssen wir auf EU-Ebene über Schritte nachdenken, wie sie bereits in Frankreich, Spanien und Norwegen im Gesetzblatt stehen. Ich möchte erreichen, dass bis zum Jahre 2015 30 % und bis zum Jahre 2020 40 % der Aufsichtsräte der börsennotierten Unternehmen auf Europas Binnenmarkt weiblich sind.“

Diese Fortschritte sind eben nicht eingetreten. Aber - Frau von Halem hat die Zahlen bezüglich des Verhältnisses bei Dissertationen, Promotionen, Habilitationen und berufenen Hochschulprofessoren schon genannt -: 60 % aller Absolventen von Wirtschaftsstudiengängen sind heute Frauen. Wir haben also genug Frauen, die Führungspositionen in der Wirtschaft übernehmen können. Wir haben gut ausgebildete Frauen!

Aber Frauen sind nicht nur in besser bezahlten Berufen und Branchen unterrepräsentiert, sondern auch auf den höheren Stufen der Karriereleiter. Christine Bergmann hat es einmal so formuliert:

„Insbesondere Geld, gesellschaftliche Akzeptanz, Ungebundenheit und Macht sind auch heute noch so ungleich verteilt, dass wir schlechterdings nicht behaupten können, Frauen rivalisierten unter den gleichen Bedingungen.“

Recht hat sie!

Zahlen wurden schon genannt. Das, was in Deutschland erreicht worden ist, sind 15,6 % weibliche Aufsichtsratsmitglieder. Noch schlimmer ist die Lage bei den Vorständen. Nach einer DIW-Studie von 2010/11 sind es 3,2 % bei den 200 umsatzstärksten Wirtschaftsunternehmen, 3,2 % bei den DAXUnternehmen. Nimmt man die 30 DAX-Konzerne und die 100 größten Unternehmen, sinkt der Frauenanteil auf 2,2 %. Das heißt, von 490 Vorstandsmitgliedern in diesen Unternehmen sind gerade 11 weiblich.

Frau Nonnemacher sprach schon davon, dass die 2001 geschlossene Vereinbarung der Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft gescheitert ist. Auch die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen in Deutschland brachte keine spürbare Erhöhung des Frauenanteils an den Führungskräften der Unternehmen.

Ich hätte nie gedacht, dass ich in dem Zusammenhang einmal einen Mann zitieren könnte und würde - Olaf Henkel, Expräsident des BDI -, von dem ich nie geglaubt hätte, dass er Folgendes gesagt hat:

„Es ist ein Armutszeugnis für die deutsche Wirtschaft, dass Frauen in den Aufsichtsräten meist von der Arbeitnehmerseite kommen.“

Glückwunsch den Gewerkschaften!

„Wenn sich nichts ändert, muss der Gesetzgeber nachhelfen.“

Und tatsächlich: 63 - 72 % der weiblichen Aufsichtsräte vertreten die Arbeitnehmerseite, die Arbeitnehmerinnenseite. Der Frauenanteil auf der Anteilseignerseite beträgt zwischen 2 und 5 %, und die gehören dann meist noch zur Eigentümerfamilie. So sieht das mit den Frauen aus.

Von der „gläsernen Decke“ ist schon gesprochen worden. Wir haben eine von den Männern geprägte Unternehmenskultur. Wir haben eine traditionelle Sicht auf die Aufgabenverteilung.

Vor einiger Zeit kauften wir ein Oberhemd für meinen Mann. Es war ein kleiner Zettel daran, auf dem stand:

„Die klugen Ideen unserer Ingenieure und die fleißigen Hände unserer Näherrinnen haben Ihnen dieses Produkt zur Verfügung gestellt.“

(Heiterkeit SPD und DIE LINKE)

Wahrscheinlich stimmt das sogar.

Das ist etwas, was sich durch die Jahrhunderte zieht. Da sieht man doch immer noch das Bild: Die treusorgende Frau, die das Feuer der Höhle bewahrt,