Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 72. Sitzung des Landtages Brandenburg. Ich begrüße als unsere Gäste Schülerinnen und Schüler des Sally-Bein-Gymnasiums Beelitz. Herzlich willkommen bei uns im Landtag.
Wie verabredet, nehmen wir uns einen Augenblick Zeit für einen Rückblick, bevor wir in die Tagesordnung einsteigen.
(Vor Eintritt in die Tagesordnung erinnert der Landtag Brandenburg an den Erlass der „Verordnung des Reichs- präsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ [Reichstags- brandverordnung] am 28. Februar 1933 und gedenkt der politischen Folgen mit einer kurzen Ansprache des Land- tagspräsidenten.)
Meine Damen und Herren! Ihnen liegt der Entwurf der Tagesordnung vor. Gibt es hierzu Bemerkungen? - Wenn das nicht der Fall ist, bitte ich um Zustimmung zur Tagesordnung. - Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall. Wir haben heute von 10 bis 12 Uhr auf Ministerin Kunst zu verzichten. Sie wird von Minister Baaske vertreten.
Thema: Brandenburg zukunftsfest machen - Herausforderungen des Demografischen Wandels aktiv gestalten
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle wissen es, wir spüren es: Die Menschen in Brandenburg werden älter, die Anzahl der jungen Menschen verringert sich deutlich. Und so, wie ich meine ärztliche Praxis immer mehr auf die altersbedingten Krankheiten umstelle, so muss sich auch dieses Land auf den demografischen Wandel einstellen.
Allerdings werden die daraus folgenden Herausforderungen vor allem auf kommunaler Ebene diskutiert. So wurde in der letzten Woche in der Anhörung zum Demografiebericht im Hauptausschuss deutlich - sowohl von kommunaler als auch von wissenschaftlicher Seite -, dass es im Land zwar viele Einzelmaßnahmen, Initiativen und Projekte gibt, aber keine klare Landesstrategie mit deutlichen Zielen.
Deshalb ist es dringend notwendig, im Parlament öffentlich darüber zu diskutieren. Die Landesregierung muss der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe mehr Beachtung schenken. Das Thema erfordert mehr Mut und Weitsicht als bisher, den demografischen Wandel als Zukunftsthema und nicht als Angstthema zu betrachten.
Es geht um die konkreten Fragen: Wie wollen wir in Brandenburg im Jahr 2030 potsdamnah, potsdamfern leben? Wie lassen sich öffentliche Sicherheit, Bildung und die Betreuung älterer Menschen in einem Land bei weniger werdendem Geld und demografischem Wandel organisieren?
Aus der Beantwortung dieser Fragen erwächst uns ein großer Gestaltungsauftrag, weil er den Umbau und die Gestaltung der gesamten Gesellschaft betrifft - in der Stadt und auf dem Land. Dabei vollzieht sich dieser Wandel natürlich unterschiedlich auf dem Land und in der Stadt, berlinnah und berlinfern. Es sind andere Aufgaben und andere Dinge zu beachten, aber er berührt dennoch alle Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
So sind zum Beispiel der Sport, die Kultur, die Vereine und die Kirchen dem Wandel genauso ausgesetzt und spielen in der Gestaltung der Veränderung eine wichtige Rolle. Deshalb verlangt der demografische Wandel von uns, neu vorauszudenken, zu überdenken, was für die Menschen in Brandenburg wirklich wichtig ist. Zudem: Wir verlieren nicht nur junge Menschen, sondern auch ihre Denkweise und ihr Herangehen an die gesellschaftlichen und technischen Herausforderungen.
Meine Damen und Herren, Sie wissen doch, wann Sie in Ihrer Bildungsbiografie am kreativsten und am risikoreichsten waren. Mit Verlaub - doch nicht in den 50er- oder 60er Lebensjahren. Wir brauchen aber diesen Anschub einer jungen Gesellschaft, um Innovationen und neues Denken hervorzubringen.
Schauen Sie sich die prosperierenden Gesellschaften der Schwellenländer an: Sie strotzen doch nur so vor jungen, gut ausgebildeten, dynamischen Menschen. Das hat nichts mit „Jugendwahn“ zu tun, das ist die Versicherung einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung.
Auf der anderen Seite erfordert der demografische Wandel mehr als bisher den Zusammenhalt der Generationen. Es geht um Solidarität von Jung und Alt, von Kranken und Gesunden, von Wohlhabenden und Ärmeren; es geht um die konkrete Unterstützung von Familien, deren Mitglieder füreinander Verantwortung übernehmen - bei der Erziehung der Kinder oder der Pflege der Eltern und Verwandten.
Das alles wird der Staat niemals leisten können, und ich will auch nicht, dass der Staat glaubt, dass er dies den Menschen abnehmen könnte. Er muss jedoch Rahmenbedingungen schaffen. Er muss unterstützen, aktivieren, motivieren, darf aber nicht dirigieren.
Eines muss jedoch klar sein: Jede und jeder in unserem Land wird gebraucht. Dies gilt besonders auch für die Älteren in unserem Land. Wir wollen den Älteren natürlich eine Chance eröffnen. Wir müssen zu einem Land werden, in dem nicht nur die Schnelligkeit der Jugend zählt, sondern auch die Erfahrung der Älteren. Die Menschen suchen in einer digitalisierten und globalisierten Welt, in der Schnelligkeit, Erreichbarkeit und Flexibilität zählen, vermehrt Halt in einer konkreten Heimat, in einer überschaubaren Region, dort, wo sie sich geborgen und beschützt fühlen. Wir müssen Brandenburg viel stärker als Heimat begreifen, anstatt immer nur über Großstrukturen von Kreisen zu debattieren oder in bitterer Polemik gegen Berlin wie gerade bei der Nachtflugdiskussion - zu agieren.
Durch politische und persönliche Glaubwürdigkeit lassen sich lokale Bezüge und Identität herstellen. Deshalb stehen wir für eine aktive Strukturpolitik zur Stärkung der Brandenburger Regionen, auch im Hinblick auf ihre Städte als zentrale Orte. Wir wenden uns entschieden gegen die Fusions- und Zentralisierungswut von Rot-Rot in der Fläche. Muss man wirklich wegen der demografischen Entwicklung so viele Polizeistellen abbauen, so viele Schulen schließen, Hochschulen zwangsfusionieren, Bahnverbindungen abbestellen,
Straßen in schlechtem Zustand belassen? Und: Ist eine Großkreisgebietsreform auf dem Reißbrett tatsächlich notwendig?
Es geht nicht, dass die SPD bzw. die Landesregierung kommentarlos Kartenmodelle für eine mögliche Kreisgebietsreform in die Welt setzt; denn damit verunsichert sie viele Menschen.
Zusammenhalt hat etwas mit dem sperrigen Ausdruck „Subsidiarität“ zu tun. Es bedeutet nichts anderes, als dass die Entscheidung am besten bei den Menschen zu treffen ist. Insofern müssen wir zunächst darüber diskutieren, welche Aufgaben die Kommunen lösen können, bevor wir über Strukturreformen sprechen. Bisher habe ich jedoch von der Landesregierung noch keine Vorschläge oder Ideen gehört, nach welchen Kriterien und Maßstäben diese Aufgabenkritik und -neuordnung stattfinden soll.
(Frau Große [DIE LINKE]: Weil Sie nicht dorthin gehen, wo die Dinge stattfinden! - Dr. Scharfenberg [DIE LIN- KE]: Was wollen Sie denn eigentlich?)
Meine Damen und Herren, unsere brandenburgischen Regionen sind vielfältig. Während einige Regionen für eine positive Entwicklung gerüstet sind, haben andere große Schwierigkeiten, die Herausforderungen des demografischen Wandels zu bewältigen. In Brandenburg hat die Entwicklung heftiger begonnen, weshalb wir eine positive Vorreiterrolle spielen könnten. Aus diesem Grund möchte die Union wesentliche Maßnahmen fokussieren, die ich im Folgenden kurz - 14 Minuten Redezeit sind leider nicht ausreichend, um alles genau zu verdeutlichen - vorstellen werde.
Erstens: Verkehrs-, Kommunikations- und Energieinfrastruktur. Dabei möchte ich insbesondere die Mobilität herausgreifen. In Diskussionen mit Kommunalbeamten wird immer wieder deutlich, dass Mobilität eine sehr wichtige - und in Zukunft sogar noch wichtiger werdende - Rolle spielt. Dem stehen ein schlechter werdender ÖPNV und ein schlechter werdender Straßenzustand gegenüber. Breitbandversorgung und Kommunikationsinfrastruktur sind wichtig. Entgegen der Ankündigung des Ministerpräsidenten aus dem Jahr 2009 gibt es noch viele weiße Flecken in der Region.
Zweitens: Wirtschaft, Tourismus und Arbeit. Rückkehrer-Programme sind entwickelt worden, müssen aber noch mehr beworben werden und auch zur Sicherung der Unternehmensnachfolge dienen. Ich halte nichts von einer Tourismusabgabe,
weil sie unsere kleinen Unternehmen und die Selbstständigen in der Region gefährdet. Die gewachsenen Strukturen und die regionalen Angebote der beruflichen Bildung müssen in der Fläche erhalten bleiben.
Viertens: integrierte ländliche Entwicklung. Damit meine ich ein Planungsinstrument, welches Baurecht, Wohnungsbau und Förderprogramme, Bildungseinrichtungen, Institutionen wie die freiwillige Feuerwehr, Kulturinfrastruktureinrichtungen sowie die Abwasserent- und Wasserversorgung integriert. Zudem geht es um die wirtschaftliche Verbesserung durch Investitionen wegen der völlig überdimensionierten Abwasserent- und Wasserversorgungsanlagen im Land Brandenburg.
Fünftens: Entwicklung von kommunalen Verwaltungsstrukturen. Dabei geht es um die Konzentration der Ministerien auf Kernaufgaben und um die Zusammenführung der Landesämter und Landesbetriebe.
Dies soll jedoch nicht auf Potsdam beschränkt sein. Vielmehr gehören die Ansprechpartner in die Region.
(Beifall CDU sowie des Abgeordneten Büttner [FDP] - Zuruf des Abgeordneten Dr. Luthardt [DIE LINKE])
Insofern fordere ich auch ein Demografieministerium - ein Ministerium, das sich insbesondere mit der Demografie auseinandersetzt.
Sechstens: Stärkung ortsansässiger Landwirte. Wir wollen starke und wettbewerbsfähige Betriebe im Eigentum ortsansässiger Landwirte und eine hohe regionale Wertschöpfung im ländlichen Raum. Was wir nicht wollen, ist ein weiterer Ausverkauf Brandenburger Landwirtschaft an Kapitalgeber, die nichts, aber auch gar nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben.
Siebtens: Unterstützung regionaler Produkte. Diesbezüglich muss sich das Land stärker engagieren, und zwar unter anderem in der Frage: Wie schaffen wir es, die Verarbeitungskapazitäten in den Betrieben und die Veredelung durch eine gezielte Förderung noch stärker auszubauen? - Ziel muss es sein, gute Lebensbedingungen in den potsdamnahen und den potsdamfernen Regionen des Landes zu schaffen. Wir wollen kein exklusiv auf Potsdam ausgerichtetes Land Brandenburg.