Protocol of the Session on November 15, 2012

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die heutige Plenarsitzung. Ihnen liegt die Einladung mit der Tagesordnung vor. Gibt es zur Tagesordnung Bemerkungen? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr folgen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Wir haben es heute mit einer Reihe von Abwesenheiten zu tun. Es gibt eine Menge Fachministerkonferenzen, aber die Vertretungen sind wohlorganisiert.

Unsere Gäste kann ich noch nicht begrüßen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Flüchtlingspolitik weiter verbessern - Flüchtlingen in Brandenburg ein menschenwürdiges Leben ermöglichen!

Antrag der Fraktion Die LINKE

Drucksache 5/6269

Des Weiteren liegen Ihnen ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, Drucksache 5/6289, ein Entschließungsantrag der CDU-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/6312, 4. Neudruck, und ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/6336, vor.

Wir beginnen mit dem Beitrag der Linksfraktion. Die Abgeordnete Fortunato spricht zu uns.

(Beifall DIE LINKE und SPD - Frau Stark [SPD]: Sie be- kommen schon Vorschusslorbeeren!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren Kollegen Abgeordnete! Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate, in denen über ansteigende Flüchtlingszahlen und die Umstände ihrer jeweiligen Flucht berichtet worden ist, haben gezeigt, wie viel Armut, Elend und Verfolgung es noch in dieser Welt gibt. Jeden Tag und jede Nacht versuchen Menschen aus Afrika und Asien, eine erhoffte bessere Welt in Europa zu erreichen.

Zugleich begeben sich Menschen in Deutschland, die bei uns eine neue Heimat suchen und um Asyl gebeten haben, auf einen strapaziösen Marsch in die Bundeshauptstadt Berlin, um auf Missstände in der Asylpolitik der Bundesrepublik aufmerksam zu machen. Sie greifen zu diesem ungewöhnlichen Mittel, sehr wohl wissend, dass sie dabei unter anderem gegen die sogenannte Residenzpflicht verstoßen, für deren Abschaffung sie eintreten.

Flughafenasyl, Residenzpflicht, Massenunterkünfte mit überfüllten Räumen und unhygienischen Verhältnissen, Arbeitsverbot, unzureichende medizinische Versorgung sind Instrumente der Abschreckungspolitik der 90er Jahre und sie sind heute noch immer gültig. Wir denken, dass es an der Zeit ist, das zu ändern.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ich hoffe, dass diese Aktuelle Stunde heute einen Beitrag dazu leisten kann.

In Berlin wird ein Denkmal für die Opfer der Sinti und Roma zur Zeit des Hitler-Faschismus in Deutschland eingeweiht - viel zu spät. Bundesinnenminister Friedrich lässt einen Tag später erklären, dass die Sinti und Roma aus Serbien und Mazedonien in ihren Heimatländern nie und nimmer politisch verfolgt sind. Und deshalb - Zitat Bundesinnenminister Friedrich - „müssen wir auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass wieder eine Visumspflicht für Bürger aus beiden Ländern eingeführt wird.“

Gemeint sind Menschen - Roma und Sinti - aus Serbien und Mazedonien. Das ist nur schwer zu ertragen, wenn man die Situation dieser Menschen besonders in Osteuropa, geprägt von Repressalien, Ausgrenzung von gesellschaftlicher Teilhabe bis hin zu direkter Gewalt, betrachtet. Es wird von Flüchtlingsströmen geredet. Zur Information: In Brandenburg halten sich derzeit 1 819 Flüchtlinge mit Aufenthaltsgestattung, das heißt Asylbewerber, und 1 548 ausreisepflichtige Geduldete auf. Das sind die Zahlen per 30.10. dieses Jahres.

Rot-Rot hat seit Beginn der Legislaturperiode in Brandenburg versucht, die Spielräume der Flüchtlingspolitik zu erweitern und Veränderungen auf Bundesebene durch Initiativen im Bundesrat im Sinne von mehr Menschlichkeit auf den Weg zu bringen. Dazu hat es im Landtag gute und wichtige Beschlüsse gegeben. Eine der ersten Entscheidungen war es, die Residenzpflicht für Flüchtlinge in Brandenburg zu lockern und den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich außerhalb des ihnen zugeteilten Aufenthaltsbezirks mit Freunden und Familien zu treffen, einen Arzt oder Anwalt aufzusuchen, Kurse wahrzunehmen und ihre Religion zu pflegen.

Auf unsere Initiative hin hat das Innenministerium das aufgegriffen und erst auf Landesebene und danach mit Berlin eine Vereinbarung dazu getroffen. Dass die Ausschlussgründe trotz eines Runderlasses von den Ausländerbehörden mancher Landkreise benutzt werden, um Verlassenserlaubnisse immer noch zu verweigern, sollte uns nochmals Anlass sein, uns dem Thema Residenzpflicht zu widmen. Eine einheitliche Rechtsanwendung sollte im ganzen Land möglich sein.

Auf Initiative des Landes Brandenburg gab es eine Bundesinitiative zur bundesweiten Abschaffung der Residenzpflicht.

(Beifall DIE LINKE und vereinzelt SPD)

Sie wurde abgelehnt.

Das Land Brandenburg hat eine Initiative zur Abschaffung des überflüssigen, teuren und rechtlich umstrittenen Flughafenasylverfahrens eingebracht.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Auch dies: abgelehnt - nur weil man weiterhin abschrecken will.

Für neu angekommene Flüchtlinge gibt es nicht mehr ausreichend Unterkünfte. Es muss uns endlich gelingen, die unzumutbare Situation in den Flüchtlingsunterkünften, wie sie auch der Flüchtlingsrat und die Kirchen seit Jahren kritisieren, endlich zu verbessern. Änderungen gab es bisher wenige. Deswegen war es gut, dass der Landtag die Landesregierung beauftragte, die Mindeststandards für Gemeinschaftsunterkünfte zu überarbeiten. Mit den erreichten Fortschritten auf diesem Gebiet sind wir aber lange nicht zufrieden. Einige Kreise versuchen, die Asylbewerber tatsächlich besser unterzubringen; sie wollen neue Standorte errichten, sanieren Gebäude und suchen Wohnungsunternehmen als Partner für die Unterbringung in Wohnungen.

Gleichzeitig aber sind alte, skandalöse Heime weiter in Betrieb. Man versucht nun, unter Hinweis auf steigende Flüchtlingszahlen, damit zu argumentieren, dass eine Verbesserung der Zustände unter diesen Bedingungen nicht zu erreichen sei. Dazu sage ich deutlich: Das geht überhaupt nicht.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Bedingungen in den Heimen der Landkreise müssen sich verbessern. Die Verweildauer muss sich deutlich verkürzen. Die Linke setzte und setzt sich weiter für eine dezentrale Unterbringung ein. Es gibt aber doch Landkreise, die zeigen, dass sie etwas verändern wollen. Zum Beispiel wird in Ostprignitz-Ruppin ein großes Investitionsprogramm aufgelegt, und der Landkreis Oberspreewald-Lausitz führt eine großangelegte Modernisierung durch.

Die Flüchtlinge müssen die Möglichkeit haben, an dieser Gesellschaft teilzuhaben. Sie müssen, wenn sie das wollen, dabei auch Unterstützung erfahren, und gerade in Wohnungen ist die Betreuung wichtig. Die frühere Integrationsbeauftragte Frau Prof. Weiss sprach immer von mangelnder interkultureller Bildung, oftmals schon in den Verwaltungen. Es ist wichtig, dass Verantwortliche in den Kreisen und Kommunen für die Arbeit mit Flüchtlingen qualifiziert sind, dass Kita-Erzieher und Lehrer in der Lage sind, Kinder aus Flüchtlingsfamilien in ihre Einrichtung aufzunehmen und sie einzubeziehen. Bei Besuchen in den Einrichtungen der Landkreise und in den Verwaltungen begegnen mir die verschiedensten Herangehensweisen an Belange von Flüchtlingen, und, meine Damen und Herren, es ist nicht immer lustig, was mir da begegnet.

Integration kann man nicht verordnen, sie muss wachsen. Wenn man wirklich etwas für die Menschen tun will, die zu uns kommen, geht das nicht nebenbei, im laufenden Geschäft der Verwaltung, und es geht schon gar nicht in abgelegenen Sammelunterkünften - und dort sind viele, nicht übergangsweise, sondern jahrelang unter schlechten Bedingungen untergebracht.

Wir müssen aber auch über die wirklich schlechten Bedingungen in der ZABH Eisenhüttenstadt sprechen. Bei meinen regelmäßigen Besuchen gemeinsam mit meiner Kollegin Helga Böhnisch in der Einrichtung wurden wir immer wieder darauf hingewiesen, dass es dort an Geld für Modernisierungsmaßnahmen fehlt. Umso erfreulicher ist es, dass erste Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Das allein reicht aber nicht aus. Wir haben vorgestern im Innenausschuss in einer einstimmigen Abstimmung zum Haushalt der Jahre

2013/14 Anträge eingebracht, um die Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung deutlich zu verbessern. Das Männerhaus soll zu Ende und das Familienhaus neu gebaut werden, und ich erwarte, dass der BLB diese Maßnahmen umgehend in Angriff nimmt, wenn der Haushalt beschlossen ist.

Das Land Brandenburg hat - entgegen der ursprünglichen Prognose - einen Anstieg der Zahl der Asylsuchenden zu verzeichnen. Aktuell befinden sich in der ZABH in Eisenhüttenstadt 526 Personen. Die Aufenthaltsdauer in dieser Erstaufnahmeeinrichtung hat sich in den letzten Monaten deutlich verbessert, weil die Kapazität der Landkreise nicht mehr ausreicht. Mit einem Entschließungsantrag bitten wir die Landesregierung, in dieser für alle - für die Flüchtlinge und für das Personal der ZABH - schwierigen Situation Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung und Betreuung zu verbessern.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Dazu gehört unter anderem die Bereitstellung von Bildungsangeboten, besonders für Kinder und Jugendliche, zum Erwerb der deutschen Sprache. So haben diese die Möglichkeit, später nicht völlig unvorbereitet eine Schule zu besuchen.

Die medizinische Versorgung sollte unbedingt verbessert werden. Die Beschwerdestelle auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung ist dabei einzubeziehen. Besonders wichtig ist eine migrationsspezifische, sozialpsychologische Betreuung durch qualifiziertes Personal und eine altersgerechte Betreuung für Kinder und Jugendliche. Mit Freude habe ich zur Kenntnis genommen, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU, der Kollege Dombrowski, am Montag in Eisenhüttenstadt war, um sich die Situation der Flüchtlinge genauer anzusehen.

(Dombrowski [CDU]: Das stimmt!)

In der Presse war zu lesen: Wir brauchen ein anderes Zuwanderungsgesetz. Darin stimme ich Ihnen zu, Herr Dombrowski. Das brauchen wir, und ich bitte Sie: Teilen Sie das auch dem Bundesinnenminister und Ihrer Bundespartei mit.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes könnte dazu ein erster Schritt sein. Das Bundesverfassungsgericht hat im Sommer festgestellt, dass Asylsuchende mit den Leistungen, die ihnen gewährt werden, keine menschenwürdige Existenz führen können und das Gesetz deshalb dem Grundgesetz widerspricht.

Nun ist die Bundesregierung am Zug. Flüchtlinge sollen in die bestehenden sozialen Sicherungssysteme aufgenommen werden, und es ist nur folgerichtig, dass dies jetzt gefordert wird. Das begründet einmal mehr: Die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ist überfällig. Der Bundesrat sollte sich mehrheitlich zu der Initiative von Brandenburg, RheinlandPfalz und Schleswig-Holstein bekennen.

Was Ihren Antrag betrifft, werte Oppositionsfraktionen: Ich freue mich sehr, dass wir zu diesem Problem anscheinend einer Meinung sind, und ich würde mich freuen, wenn es nicht diesen Entschließungsantrag gäbe, sondern Sie unserem Antrag zustimmen könnten.

(Beifall DIE LINKE und SPD - Lachen bei der CDU)

Im Innenausschuss wurde auch über den Stand der Änderungen der Härtefallkommissionsverordnung informiert. Der Abstimmungsprozess dazu läuft noch - was unter anderem auch den Bereich der Ausschlussgründe betrifft. Ich gehe davon aus, dass uns diese der Innenminister vor dem Erlass der Verordnung, wie besprochen, nochmals im Ausschuss vorstellen wird.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns im Land Brandenburg das tun, was in unserer Verantwortung liegt, und lassen Sie uns in unseren Landkreisen mittun, damit sich unsere ausländischen Mitbürger bei uns zu Hause und willkommen fühlen! Wie hieß es im Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

„Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“

- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE, SPD, CDU und GRÜNE/B90)

Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Der Abgeordnete Dombrowski spricht.