Protocol of the Session on September 27, 2012

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 63. Plenarsitzung. Zu Beginn darf ich Schülerinnen und Schüler der Bildungseinrichtung Buckow in der Schorfheide begrüßen. Herzlich willkommen bei uns im Landtag!

(Allgemeiner Beifall)

Ihnen liegt der Entwurf der Tagesordnung vor. Wer ihm Folge leisten möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Wer Armut verhindern will, sagt ja zum Mindestlohn!

Antrag der Fraktion der SPD

Drucksache 5/5989

Des Weiteren liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 5/6026, vor.

Die Debatte beginnt mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Der Abgeordnete Baer spricht zu uns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde ist eine konsequente Fortsetzung der gestern schon hier im Hause geführten Debatte zum Thema Altersarmut. Denn Altersarmut beginnt in der Regel immer mit Erwerbsarmut. Die Schere zwischen Arm und Reich - das haben wir schon gestern gehört klafft immer weiter auseinander. Immer mehr Menschen rutschen in Armut; und das, obwohl sie arbeiten.

Im Land Brandenburg sind 16,9 % der Bevölkerung von Armut bedroht. Das ist fast jeder Sechste. Im bundesdeutschen Durchschnitt sind es 15,1 %. Wer weniger als 60 % des mittleren Bevölkerungseinkommens hat, gilt laut EU-Definition als armutsgefährdet. Das heißt konkret: Fast 17 % der Brandenburger müssen derzeit mit weniger als 848 Euro im Monat auskommen.

Wir alle kennen die Daten des Armutsberichts der Bundesregierung. Auch wenn die FDP im Bund die Zustimmung zur Veröffentlichung des Berichts verweigert, so kann sie doch vor den Realitäten nicht die Augen verschließen. Dieser Bericht wird alle vier Jahre durch die Bundesregierung vorgelegt. Eine Analyse des Bundesarbeitsministeriums, die in den Armutsbericht einfließen soll, bringt mehrere interessante Fakten zutage:

Das Vermögen der privaten Haushalte hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt. Das ist eigentlich keine schlechte Nachricht. Aber 50 % aller Haushalte verfügen gera

de einmal über 1 % des gesamten Nettovermögens. In der Analyse des Arbeitsministeriums heißt es weiter:

„Während das Nettovermögen des deutschen Staates zwischen 1992 und Anfang 2012 um über 800 Milliarden Euro zurückging, hat sich das Nettovermögen der privaten Haushalte von knapp 4,6 auf rund 10 Billionen Euro mehr als verdoppelt.“

Weiter heißt es, dass die vermögensstärksten 10 % der Haushalte über die Hälfte des gesamten Nettovermögens auf sich vereinen.

Diese Analyse verzeichnet auch bei der Lohnentwicklung eine große Schere. So sei der obere Bereich der Einkommen in Deutschland positiv steigend, während die unteren 40 % sogar Einkommensverluste hinnehmen mussten. Das Bundesarbeitsministerium bemerkt dazu: Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung. Stundenlöhne, die bei Vollzeitarbeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes von Alleinstehenden nicht ausreichen, verschärfen Armutsrisiken und schwächen den sozialen Zusammenhalt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der Meinung: Das verletzt nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden, es ist zutiefst ungerecht.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Was in Deutschland zum Teil an Armuts- und Hungerlöhnen gezahlt wird, grenzt meines Erachtens schon an einen Verstoß gegen Artikel 1 Grundgesetz, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Denn auch gerechte Entlohnung hat etwas mit guter Arbeit zu tun. Und gute Arbeit hat etwas mit Menschenwürde zu tun.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Tatsache ist: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer und auch der Staat wird immer ärmer. Diese Entwicklung kann uns nicht kalt lassen. Genau da können und müssen wir ansetzen, nämlich mit einem bundesweit einheitlich geltenden Mindestlohn. Es muss darum gehen, dass in Vollzeit arbeitende Menschen von ihrer Arbeit leben können - jetzt und in Zukunft und ohne staatliche Zuschüsse. Der Thüringer Gesetzentwurf, dem sich Brandenburg angeschlossen hat, ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn ich mir persönlich im Detail sicherlich das eine oder andere mehr gewünscht hätte.

In Brandenburg ist seit Anfang des Jahres das Vergabegesetz in Kraft. Das ist wichtig und das ist richtig. Aber es ersetzt eben nicht einen gesetzlichen Mindestlohn, denn es erfasst längst nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ein bundesweit geltender Mindestlohn würde einheitliche Regeln schaffen. Dies wäre auch ein politisches Signal:

(Beifall SPD und DIE LINKE)

In Deutschland gibt es Wertarbeit, und wir, die Gesellschaft, schätzen den Wert der Arbeit. - Albert Einstein hat einmal gesagt:

(Zuruf von der CDU: Wer ist das?!)

„Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, gibt es keine Hoffnung für sie.“

Als das erste Mal Forderungen nach einem Mindestlohn laut wurden, galten sie noch ausschließlich als Forderungen Linker, Gewerkschafter. Inzwischen ist das Thema aber nicht nur gesellschaftsfähig, sondern topaktuell.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Zum Glück!)

Ich freue mich, dass sich auch die CDU diesem Thema nicht mehr verschließt. Der Thüringer Gesetzentwurf wurde von einer schwarz-roten Landesregierung auf den Weg gebracht. Auch andere Landesregierungen mit CDU-Beteiligung unterstützen diesen Antrag.

Ich werte es als positives Signal, dass sich jetzt Teile der CDU aktiv für eine Haltelinie nach unten einsetzen - eine Haltelinie, die den Beschäftigten in Deutschland ein existenzsicherndes Einkommen garantiert, wie die Thüringer in ihrem Antrag am letzten Freitag schreiben. Ich hoffe, dass es uns nun gelingt, im Interesse der zahlreichen Geringverdiener und der deutschen Wirtschaft einen gesetzlich verbindlichen Mindestlohn einzuführen. Arbeit zum Schnäppchenpreis und Arbeitgeber als Schnäppchenjäger darf es nicht geben.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Geiz ist eben nicht geil, liebe Kolleginnen und Kollegen, denn er geht auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auf Kosten aller Steuerzahler. Die Gesellschaft finanziert den Gewinn der Unternehmen; da müssen wir gegensteuern. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Arbeitslohn zum Leben reicht. In Deutschland haben 5 Millionen Menschen ein Einkommen, das auf einem Stundenlohn basiert, der selbst bei Vollzeitbeschäftigung keine hinreichende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Zahlen aus dem Jahre 2009 besagen, dass fast 16 % aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro erhalten.

Der ungarische EU-Kommissar für Soziales László Andor übte letzte Woche scharfe Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik. Die niedrigen Löhne in Deutschland sieht er als Ursache für die Wirtschaftskrise in Europa. Für Andor sind Mindestlöhne zur Lösung der Krise unabdingbar.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit entsteht bereits heute mehr als jeder vierte Arbeitsplatz in geringfügiger Beschäftigung. Darum bedeutet mehr Regulierung auch mehr Sicherheit und Teilhabe am Aufschwung für alle Beschäftigten. Die positiven Auswirkungen auf die problematische Situation in der Rentenversicherung - das haben wir gestern schon diskutiert - sind dabei auch nicht zu übersehen. Das Plündern der Sozialkassen durch Dumpinglöhne, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss endlich aufhören!

(Görke [DIE LINKE]: Das ist der Punkt! Schön, dass Sie das einsehen! - Beifall SPD und DIE LINKE)

Über 2 Milliarden Euro gibt der Staat pro Jahr für Aufstocker mit Vollzeitjob aus und subventioniert damit Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Hungerlöhnen beschäftigen. Im Land Brandenburg erhielten 66 466 Menschen zusätzlich zu ihrem Erwerbseinkommen sogenannte aufstockende Leistungen. Das gehört eben auch zur Wahrheit: Ein auskömmlicher, fairer Lohn würde so manche ALG-II-Zahlung unnötig machen und die Ausgaben des Staates senken.

Von Niedriglöhnen sind keinesfalls - wie häufig angenommen nur gering qualifizierte Menschen betroffen. Fast 70 % der Geringverdiener haben eine Berufsausbildung und knapp 10 % sogar einen Hochschulabschluss. Der Anteil dieser Personengruppe an der Anzahl der Geringverdiener ist in den letzten Jahren sogar noch gestiegen. Die Zunahme von Niedriglöhnen ist vor allem auf den zurückgegangenen Grad der Tarifbindung zurückzuführen. Ich will gar nicht darum herumreden: Nur noch 32 % der Betriebe unterliegen einem Flächentarifvertrag, und wer der Erosion der Tarifverträge wirksam entgegentreten will, braucht flankierende Maßnahmen wie den Mindestlohn, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Starker Beifall SPD und DIE LINKE)

Ein gesetzlicher Mindestlohn führt zu Mehreinnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der BA. Ein gesetzlicher Mindestlohn führt zu einer größeren Binnennachfrage, denn wer mehr verdient, gibt auch mehr aus. Niedriglöhne stehen in einer Reihe mit Armutsrenten und letztendlich Altersarmut - dazu haben wir gestern einiges gehört.

Im Land Brandenburg bekamen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Jahr 2011 im Jahresdurchschnitt einschließlich Sonderzahlungen monatlich lediglich 2 467 Euro brutto. Damit liegt das durchschnittliche Einkommen der Arbeitnehmer unter der von Frau von der Leyen zur Altersarmut genannten Schwelle von 2 500 Euro.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der 7. Oktober ist weltweit der Tag der menschenwürdigen Arbeit. Gerechte und auskömmliche Entlohnung ist Teil menschenwürdiger Arbeit, und ein allgemeinverbindlicher Mindestlohn ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Lassen Sie uns darum heute aus diesem Anlass auch aus diesem Hause das Signal senden, dass in Brandenburg gute Arbeit ihren Wert hat. Ich bitte Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Stimmen Sie zu, dass über den Weg des Bundesrates in Deutschland für mehr Gerechtigkeit gesorgt werden kann! Stimmen Sie zu, dass wir mit einem Mindestlohn den Weg einschlagen, Armut trotz Arbeit zu verhindern! Stimmen Sie zu, dass wir mit einem Mindestlohn einen Schritt unternehmen, Altersarmut trotz jahrzehntelanger Beschäftigung zu verhindern! - Vielen Dank.

(Starker Beifall SPD und DIE LINKE)

Während die Abgeordnete Schier für die CDU-Fraktion ans Mikrofon tritt, begrüße ich in Ergänzung unserer Buckower Gruppe auch Frau Luther. Herzlich willkommen, Frau Luther, schön, dass Sie auch wieder dabei sind.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem sind wir uns einig, nämlich darin, dass Vollzeitbeschäftigte möglichst von ihrer Arbeit leben können müssen. In der Diskussion um niedrige Löhne dürfen wir die Teilzeitbeschäftigten und die 30 % Unausgebildeten nicht vergessen. Und wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Arbeitnehmer bei einem Bruttolohn von 1 200 Euro mindestens 2 000 Euro monat

lich erwirtschaften muss - Urlaubsgeld, Krankengeld, Steuern und Sozialleistungen der Arbeitgeber eingerechnet. Das ist bei manchen gering qualifizierten Arbeitnehmern nicht der Fall. Diese würden im Falle eines gesetzlichen Mindestlohnes entweder ihren Arbeitsplatz verlieren

(Bischoff [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

oder einen Arbeitsvertrag zum Beispiel über 30 Stunden unterschreiben und 40 Stunden arbeiten.

(Bischoff [SPD]: Das ist doch jetzt schon so!)

Es gab - das gebe ich zu - eine große Diskussion innerhalb der CDU, die dazu geführt hat, dass die Landesfachausschüsse und der Bundesparteitag einen Beschluss gefasst haben: Ja, die CDU in Brandenburg und auch die Bundes-CDU sind für einen Mindestlohn oder die Festlegung von Lohnuntergrenzen. Allerdings unterscheidet uns die Herangehensweise gravierend. Sie streiten seit Jahren für einen gesetzlichen Mindestlohn, der für alle Branchen und alle Regionen gelten soll. Damit machen Sie zum Beispiel die Tarifpartner entbehrlich. Und was noch hinzu kommt: Sie bestellen etwas, was andere bezahlen sollen.