Protocol of the Session on June 6, 2012

(Zuruf von der CDU)

Als ob man da diesen Vergleich ziehen könnte. Das verstehe ich gar nicht.

Es ist ein Unterschied, Herr Senftleben, ob man eine Äußerung eines Herrn Seehofers in einem Betreuungs- oder Kita-Gipfel notiert oder ob man die Einführung eines Betreuungsgeldes im Koalitionsvertrag vereinbart. Das nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis. Nichts anderes war im Jahr 2007 mit der Erwähnung des Betreuungsgeldes als irgendeine Option, die die CSU hat, passiert. Das war keine Idee der SPD, auch keine Idee der CDU, das kann man ihnen noch zugute halten. Es war eine Forderung, eine Bitte von Herrn Seehofer oder von Frau Haderthauer, das aufzunehmen.

Das andere ist: Das Elterngeld wurde eingeführt, um auch besserverdienenden Familien die Möglichkeit zu geben, bis zum 18. Monat in irgendeiner Weise aus dem Beruf auszusteigen und nicht zu große Verdienstverluste zu haben. Genau deshalb gab es das Elterngeld. Es wurde prozentual ausgegeben und es hatte nur diesen Sinn, auch die Familien - ich sage jetzt einmal zur Geburt von Kindern zu locken, die besser verdienen.

Was Sie jetzt aber mit dem Betreuungsgeld vorhaben, ist völlig ungerecht. Ich nenne ein Beispiel: Eine Familie in Potsdam verdient 2 500 Euro brutto. Beide Elternteile gehen arbeiten, zahlen für einen Krippenplatz 100 Euro. Eine andere Familie, die auch in Potsdam lebt und 10 000 bis 15 000 Euro zur Verfügung hat, bei der der Mann arbeiten geht und die Frau nach dem antiquierten Familienbild gar nicht arbeiten gehen muss, da der Mann genug verdient, geben Sie ab nächstem Jahr noch zusätzlich 100 Euro, damit das Kind zu Hause bleibt. Das ist doch nicht fair, das können Sie doch nicht ernsthaft meinen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Daher, meine ich, gehört dieses Betreuungsgeld nicht in diese Republik. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Genilke [CDU]: Sollen die keine Kinder bekommen?)

Das Wort hat noch einmal die SPD-Fraktion. Frau Lieske, Sie hätten noch zwei Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine hitzige Debatte zum Betreuungsgeld, die es wert ist. Heute sind sehr viele Argumente ausgetauscht worden.

Ich möchte gern noch einmal auf einige Punkte der CDU-Fraktion, Frau Blechinger, zu sprechen kommen und auf die Wahlfreiheit der Eltern eingehen. Niemand will die Wahlfreiheit der Eltern einschränken. Niemand schreibt ihnen vor, die Kinder in die Kita zu bringen, sondern sie sollen genau diese Wahlfreiheit haben. Die haben sie in vielen Bundesländern aber nicht. Mit dem Betreuungsgeld wird es nicht besser. Es wird schlechter.

(Beifall SPD)

Wir waren gemeinsam in Finnland unterwegs und haben uns den skandinavischen Raum, nur auf Finnland bezogen, angese

hen. Finnland ist das Land, in dem das Betreuungsgeld schon am längsten wirkt. Es gibt aber neben Finnland auch noch Norwegen und Schweden, Länder, die auch in das Modell Betreuungsgeld eingestiegen sind. Wenn Sie es einmal geschichtlich betrachten und sich fragen, warum, werden Sie feststellen, dass es immer von Christdemokraten vorangetrieben wurde. Man hat sich immer daran orientiert, weil keine öffentlichen Betreuungsplätze zur ausreichenden Deckung des Bedarfs zur Verfügung standen. In Schweden, wo im öffentlichen Betreuungsbereich ganz stark aufgeholt wurde, wird ganz detailliert darüber diskutiert, dieses Betreuungsgeld wieder abzuschaffen.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Wir sollten die Erfahrungen, die die skandinavischen Länder gemacht haben, dass sich das Betreuungsgeld nicht so positiv auf die Entwicklung und Bildung auswirkt, bei unserem Handeln nutzen. Wir wissen, dass in diesen Ländern genau das Gleiche passiert, wie in Thüringen wissenschaftlich evaluiert wurde, dass Frauen, Geringverdiener, Alleinerziehende und Migranten zu Hause geblieben sind. Ich denke dann noch an den Fachkräftegipfel von gestern, bei dem es darum ging, ausländische Kräfte anzuwerben. Wenn darunter junge Frauen sind, müssen und wollen wir ihnen auch etwas anbieten. Wir wollen ihnen anbieten, hier Familien zu gründen und ein gutes Gewissen dabei zu haben, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Ich denke, das Betreuungsgeld geht in die falsche Richtung. Die öffentliche Meinung spricht ein klares und eindeutiges Wort dazu. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Jetzt spricht Frau Abgeordnete Wöllert für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ganz gern noch einen anderen Aspekt in die Debatte einbringen, aber vorher noch etwas in Richtung Kollegin Blechinger sagen: Kollegin Blechinger, kein Elternteil gibt die Verantwortung für sein Kind an der Tür der Kita ab. Die Verantwortung, auch die Erziehungsverantwortung, bleibt auch dann bei den Eltern. Eltern, die einen Kita-Platz in Anspruch nehmen, setzen ihr Kind auch nicht aus. Das möchte ich hier noch einmal klarstellen.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Ende des letzten Monats erschien eine neuartige Vergleichsstudie, diesmal eine internationale Vergleichsstudie von UNICEF zur Kinderarmut. In den 35 reichsten Staaten der Welt wachsen 30 Millionen Kinder in relativer Armut auf. Von diesen wiederum leben 1,2 Millionen im reichen Land Deutschland.

In dieser Studie wird erstmals neben der relativen Einkommensarmut auch über einen sogenannten Deprivationsindex das ist ein Ausgrenzungsindex - umfassend eine unmittelbare Mangelsituation von Kindern erfasst. Danach erhält eines von 20 Kindern in Deutschland keine tägliche warme Mahlzeit, und das hier bei uns, in einem der reichsten Länder der Welt.

Was hat das nun mit dem Betreuungsgeld zu tun? Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, schreibt uns ins Stammbuch:

„Es ist enttäuschend, dass Deutschland es nicht schafft, die materiellen Lebenslagen von Kindern entscheidend zu verbessern...“

Wir haben jede Menge Bedarf, bei Kinderarmut anzusetzen und wirksam etwas zu tun. Dazu ist das Betreuungsgeld in keiner Art und Weise geeignet, weil es nämlich die Kluft zwischen denjenigen, die schon jetzt an Mangel leiden, und anderen, die viel mehr haben, weiter vertieft. Das Betreuungsgeld wird auch nicht angerechnet, wie das bei anderen Leistungen seit Jahren der Fall ist. Dieser Prozess hat sich gestaltet beim Elterngeld, beim Erziehungsgeld und bei der Erhöhung von Kindergeld. Es ist immer beim Existenzminimum für Kinder in den Familien geblieben, die das Geld eigentlich für besondere Bedarfe ihrer Kinder am meisten bräuchten.

Wie kann man das am besten auffangen? Indem gerade diese Kinder die Kita besuchen. Deshalb ist jeder Cent, der anderweitig investiert wird, ein verlorenes Geldstück für die Investition in Bildung, Erziehung und Betreuung gerade dieser Kinder. In der Kita kann ihnen all das gegeben werden, was sie an Bildung, Erziehung und Betreuung in Ergänzung zu ihren Familien brauchen, um die Lücken weiter zu schließen. Das ist eine politische Aufgabe.

Es passt in das Bild des faulen Kompromisses, der in der schwarz-gelben Regierung beschlossen wurde. Wie beim Betreuungsgeld - Herr Minister Baaske sagte es schon -, das jeder erhält, auch wenn er ein Rieseneinkommen hat, ob er es braucht oder nicht - er kann die 100 Euro auch der Oma geben; auch das ist möglich -, so ist auch das neue Konzept beim Pflegegeld geplant, das jetzt über eine private Pflegezusatzversicherung eingeführt werden soll, wonach jeder einkommensunabhängig vom Staat noch fünf Euro dazukriegen soll. Da frage ich mich: Was ist der Sinn der ganzen Sache? Wir haben ein Sozialsystem, das auf dem Solidarsystem beruht. Wir haben nicht vor, dieses Sozialsystem zu verlassen.

(Frau Lehmann [SPD]: Aber die Bundesregierung!)

Wir wollen es ausbauen. Auch dafür brauchen wir die Kitas. Deshalb geht unser Entschließungsantrag in die richtige Richtung. Die Länder, die bereits viele Kita-Plätze vorhalten, geben auch viel dafür aus. Die sollten jetzt in die Qualität investieren können. Da sind wir völlig auf Ihrer Seite. Auch wir möchten, dass die Qualität in unseren Kitas noch besser wird.

Aber ich kann Ihnen sagen: Wenn alle Kinder Zugang zu Kitas haben, nehmen ihn auch ganz viele in Anspruch. In meiner Stadt - Spremberg - ist das letzte Kita-Jahr beitragsfrei. Dort haben wir eine hundertprozentige Inanspruchnahme. Es gibt im Vorschuljahr kein Kind, dass die Kita nicht besucht. Sie sehen: völlig freiwillig, ohne Anreize. Die Eltern wissen schon, was gut für ihre Kinder ist. Darauf vertrauen wir. Deshalb: Stimmen Sie unserem Entschließungsantrag zu!

(Beifall DIE LINKE)

Dann machen wir die beste Politik für unsere Kinder im Land.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Als Nächste spricht Ministerin Münch.

Ich begrüße die zweite Hälfte der Gruppe aus Crinitz, Münchhausen und Sonnewalde. Ich wünsche Ihnen hier einen spannenden Vormittag.

(Beifall)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben hier heute Morgen ein breites Spektrum an Emotionen und pädagogischen Intentionen - von freundlich mahnenden über die geduldig erinnernden bis hin zu sehr emotional bewegten Argumentationen - erlebt. Ich bin sehr froh darüber, dass sich zeigt, dass es mit Ausnahme einer einzigen Fraktion eine ganz breite Koalition gibt, die hier einer Meinung ist. Das ist genau das richtige Signal, das wir nach Berlin schicken müssen und das wir unseren Einrichtungen im Land schuldig sind, dass es nämlich überhaupt keinen Ansatz für eine Mehrheit für dieses unsinnige Vorhaben gibt.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Im Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld wird behauptet - ich muss das zitieren -, dass die Mehrheit der Eltern erst für Kinder im dritten Lebensjahr den Wunsch hat, öffentlich geförderte Betreuungsangebote in Anspruch nehmen zu können. Das mag stimmen. Aber eine Studie, die das Bundesministerium selbst in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Ergebnis: Je geringer die Ausbauquote in den Jugendamtsbezirken ist, desto später wollen Eltern die Kinder betreuen lassen.

Woran liegt das? Es ist ganz klar: Was nicht da ist, wird auch nicht nachgefragt, weil man sowieso keine Chance hätte, es zu bekommen. Die Sozialwissenschaftler nennen das resignative Bescheidenheit. Statt den Ausbau der Plätze für die Jüngsten zu sichern, setzt die Bundesregierung also darauf, dass sich die Eltern weiter in resignativer Bescheidenheit üben. Das ist skandalös. Dabei ist die frühe Bildung entscheidend für die späteren Bildungsprozesse - das wissen wir sehr genau -, und sie sichert eine gute Chance für alle Kinder.

Auf 1,2 Milliarden Euro schätzt die Bundesregierung die jährlichen Ausgaben für das Betreuungsgeld plus einen nicht bezifferbaren Verwaltungsaufwand für die Länder. Das muss draufgelegt werden.

(Frau Alter [SPD]: Das ist der Punkt!)

Setzt man dagegen, dass sich der Bund nur mit der Hälfte des Betrages an den laufenden Kosten für die geschaffenen U3Plätze beteiligt, sieht man, wie die CDU/CSU ihre Schwerpunkte setzt. Die Länder fordern seit Jahren vom Bund, seine viel zu knapp kalkulierte Beteiligung an den laufenden Ausbaukosten der tatsächlichen Entwicklung anzupassen. Das wissen auch die CDU-regierten Länder sehr genau.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Der Bund lässt mit seinem mehr als mageren Zehn-Punkte-Aktionsprogramm lediglich ein paar bunte Luftballons steigen,

beteiligt sich aber weiterhin nur mit 770 Millionen Euro im Jahr an den Kosten für Krippen- und Tagespflegeplätze. Dafür leistet er sich gegenüber diesen 770 Millionen Euro mindestens 1,2 Milliarden für das Betreuungsgeld pro Jahr, das - wir haben es heute Morgen schon gehört - alle Fachleute als unsinnig, falsch, kontraproduktiv oder bestenfalls unwirksam einschätzen.

Gegen diese milliardenschwere Fehlinvestition haben wir mit den anderen Ländern - auch zusammen mit dem Kollegen Baaske - am 1. Juni bei der Jugend- und Familienministerkonferenz einen ganz klaren einstimmigen Beschluss gefasst, den auch die CDU-regierten Bundesländer mittragen. Ich muss sagen, Frau Schröder kann einem schon leid tun, wenn man spürt, wie sie versucht, etwas zu verteidigen, hinter dem sie selbst nicht steht. Auch das sollten Sie Ihrer Familienministerin nicht zumuten.

Würde der Bund diese 1,2 Milliarden Euro zusätzlich in den qualitativen und quantitativen Ausbau investieren, hätte Brandenburg - das ist die für uns wichtige Zahl - für die Kita-Betreuung rund 36 Millionen Euro im Jahr mehr zur Verfügung. Vielleicht erinnert Sie diese Zahl an etwas. Richtig: Das entspricht genau dem Betrag, den wir uns mühsam aus dem Haushalt geschnitten haben, um die Personalschlüsselverbesserung in den Kindertagesstätten zu finanzieren. Mit zusätzlichen 36 Millionen Euro könnten wir sofort den Personalschlüssel weiter verbessern und die Betreuungsqualität in den Kitas weiterentwickeln, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE)

Gerade in dieser Relation wird der Unsinn des Betreuungsgeldes deutlich. Anstatt die Betreuungsqualität für alle Kinder in den Kindertagesstätten zu verbessern, werden 1,2 Milliarden Euro ausgegeben, damit Eltern ihre Kinder zu Hause lassen und ihnen genau das nicht zugute kommt. Das ist eine Politik, die wir den Bürgern wirklich nicht mehr erklären können. Deswegen setze ich darauf, dass unser gemeinsamer Entschließungsantrag ein deutliches Signal Richtung Berlin setzt. Man soll die Hoffnung nie aufgeben, dass sich die Vernunft doch noch durchsetzt. - Danke schön.

(Beifall SPD und DIE LINKE)