Protocol of the Session on June 6, 2012

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir haben uns seit Jahren - jetzt komme ich zum gestrigen Fachkräftegipfel zurück - über jeden Prozentpunkt gefreut, um den uns den Anteil der Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu steigern gelungen ist, um damit auch die Forderungen des Lissabon-Vertrages zu erfüllen. Wir haben uns über jede Frau gefreut, bei der es uns gelungen ist, sie in Arbeit zu bringen und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. Gestern gab es in Berlin einen Fachkräftegipfel. Ein wesentliches Ergebnis dieses Gipfels soll sein, dass es in Zukunft möglich sein soll, Frauen stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auf der anderen Seite beschließt das gleiche Kabinett heute das Betreuungsgeld, bei dem die Thüringer feststellen, dass der Rückgang der Erwerbstätigkeit von Müttern infolgedessen bei 20 % liegt.

Das ist für mich nichts anderes, als würde Ursula von der Leyen in einem Auto sitzen und Gas geben, während Herr Seehofer mit beiden Füßen auf dem Bremspedal herumpoltert. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir auf der einen Seite erkennen, dass wir ein Fachkräfteproblem haben, auf der anderen Seite dann aber Frauen vom Arbeitsmarkt wegholen wollen.

- Herr Senftleben, heben Sie sich Ihre Frage bitte auf, kurz vor Schluss haben Sie noch einmal Zeit.

(Frau Stark [SPD]: Das ist keine Frage, das ist eine Kurz- intervention!)

Wir alle wissen auch, dass es schwer ist, wenn man erst einmal aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist - zum Beispiel im Fall von jungen Müttern -, wieder hereinzukommen. Je länger sie draußen sind, desto schwieriger wird es für sie sein, wieder hereinzukommen. Wir alle wissen auch, dass das Einfluss auf die Karriere hat, wir wissen alle, dass es auch Schwierigkeiten mit der Rente gibt usw. Trotzdem macht sich die Bundesregierung die Zielstellung zu eigen, dafür zu sorgen, dass Frauen dem Arbeitsmarkt fernbleiben, indem sie zum Beispiel eine Prämie dafür erhalten, dass sie ihre Kinder nicht in die Kita geben. Das kann nicht in Ordnung sein.

Jetzt komme ich zum nächsten Punkt der Thüringer Studie, die sagt, was mit den Kindern passiert, wenn sie zu Hause in der

Familie bleiben. Frau Blechinger, jetzt hören Sie bitte gut zu! Das ist die Realität in Thüringen und nicht das Ergebnis irgendwelcher Studien, die am Grünen Tisch erstellt wurden. In Thüringen gibt es tendenziell die meisten negativen Effekte für Mädchen. Die sozialen Fähigkeiten gehen um 18 % zurück, die motorischen Fähigkeiten gehen um 15 % zurück, die Alltagsfähigkeiten der Mädchen in Thüringen sind mit der Einführung des Landeserziehungsgeldes um 25 % zurückgegangen.

(Zuruf der Abgeordneten Blechinger [CDU])

Wenn das nicht dramatisch ist, Frau Blechinger, dann weiß ich nicht, was sonst. Wenn Sie das gut finden, dann bitte sehr, aber Sie merken selbst, wie allein Sie damit selbst im Brandenburgischen Landtag sind.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Kita-Nutzung - da bin ich noch einmal bei Frau SchulzHöpfner - ist in Thüringen um 15 % zurückgegangen, die der älteren Geschwister um 30 %. Sie fragten vorhin, welche Auswirkungen das auf Brandenburg haben wird. Ich weiß das ehrlich gesagt auch nicht, aber wir werden es dummerweise womöglich erleben. Es wird schon so sein, dass das Betreuungsgeld dort in Anspruch genommen wird, wo es politisch en vogue ist. Da käme in allererster Linie Bayern infrage. Es wird auch dort in Anspruch genommen werden, wo der Ausbau der Kita-Plätze nicht so weit ist wie zum Beispiel in Ostdeutschland. Da käme auch wieder Bayern und insbesondere auch Hessen infrage, weil es insbesondere dort an Erzieherinnen und Erziehern mangelt.

Auf der anderen Seite - auch das belegt die Thüringer Studie ist es schon so, dass das Betreuungsgeld insbesondere von Geringqualifizierten und von Haushalten mit niedrigem Einkommen in Anspruch genommen wird. Das heißt, dass in Brandenburg und insbesondere in Randregionen, wo es relativ viele Haushalte mit niedrigem Einkommen gibt, die Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes relativ groß sein wird.

Jetzt habe ich aus der CDU-Fraktion gehört, bei uns in Brandenburg würde gar nichts passieren. Da kann ich nur sagen: Vorsicht! Ich kenne viele Kitas in den Randregionen, die sich mit 40 bis 45 oder noch weniger Kindern gerade so am Rande der Wirtschaftlichkeit bewegen. Wenn jetzt 20 % der Kinder aus dieser Kita herausgehen - ich rechne einmal nur mit 20 % -, heißt das, dass diese Kitas nicht mehr wirtschaftlich sind. Das kann durchaus erhebliche Schwierigkeiten für den einen oder anderen Krippen- oder Kita-Standort bringen.

(Bretz [CDU]: Da zeigen Sie Ihr wahres Gesicht!)

Darum denke ich, dass Sie, bevor Sie hier wettern, alles daran setzen müssen, Ihre Fraktionen im Bundestag davon zu überzeugen, dass sie diesem Gesetz nicht zustimmen, weil es zumindest für Brandenburg eine politische Fehlentscheidung ist. Für Bayern soll es von mir aus blau-weiß so laufen, aber in Brandenburg brauchen wir das nicht.

(Bretz [CDU]: Es geht Ihnen nicht um die Kinder! Es geht Ihnen um die vollen Kita-Plätze, das ist das wahre Argument!)

1,2 Milliarden Euro - jetzt bin ich noch einmal bei der CDU

Fraktion - würden für Brandenburg 20 bis 30 Millionen Euro bedeuten, je nachdem wie man das rechnet. Mit 20 bis 30 Millionen Euro könnten wir den Betreuungsschlüssel massiv verbessern und würden der Forderung, die Sie gerade geäußert haben, auf wunderbarer Weise nachkommen. Hier noch einmal meine dringende Bitte: Setzen Sie sich dafür ein!

Ich fände es vollkommen in Ordnung, wenn die Länder das Geld bekämen und sagen könnten: Wir wollen es als Betreuungsgeld auszahlen oder lieber in die Strukturen vor Ort stecken.

Meine rote Lampe blinkt. Ich wollte noch ein wenig zu den Betreuungsmöglichkeiten, die wir ansonsten noch hätten, sagen. Aber im Großen und Ganzen werden wir diese Debatte noch ein paar Wochen führen. - Schönen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Wir haben wiederum eine Kurzintervention, Herr Senftleben, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Minister Baaske, Sie sind, wie Sie erwähnen, oft auf Bundesebene unterwegs, im Bundesrat, und verhandeln dort über Gesetze mit. Ich möchte Sie daran erinnern, weil Sie die ganze Zeit über die Entscheidungen auf Bundesebene gesprochen haben: Das Betreuungsgeld wurde zum ersten Mal in einem Beschluss im Jahre 2008 erwähnt. Das können Sie auch nachlesen: Im Februar 2008 stand es im „Spiegel“.

Wenn ich mich recht erinnere, bestand damals die Regierung nicht aus CDU und FDP, sondern aus CDU und SPD. Das heißt, im Jahr 2008 haben diese beiden großen Parteien beschlossen, dass unter anderem das Betreuungsgeld in Deutschland eingeführt wird.

(Zuruf des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Davon wollen Sie heute nichts mehr wissen.

(Beifall CDU)

Ein anderer Punkt: Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie unter anderem mit dafür verantwortlich sind, dass das Elterngeld in Brandenburg eingeführt worden ist, dass im ersten Lebensjahr Mütter, aber auch Väter für die Betreuungsleistungen Geld bekommen können. Jetzt frage ich mich: Wie schizophren ist es eigentlich, dass Sie einerseits die Erfolge des Elterngeldes hochhalten, indem Sie sagen, immer mehr Väter kümmern sich um die Betreuung ihrer Kinder, und andererseits kritisieren, dass dies mit dem Betreuungsgeld so fortgeführt werden kann?

(Zurufe von der SPD - Beifall CDU)

Das ist ein Widerspruch in sich, den Sie nicht aufklären können.

Das Gesetz muss man auch einmal lesen, Herr Minister! Das Gesetz besagt nicht, dass Mütter oder Väter, die das Betreuungsgeld in Anspruch nehmen wollen, nicht arbeiten gehen

dürfen. Sie dürfen genauso arbeiten gehen, wie sie es vorher auch getan haben. Die Frage ist nur, ob das Kind während der Arbeitszeit der Eltern in einer öffentlichen Einrichtung oder in anderen Modellen betreut wird.

(Jürgens [DIE LINKE]: Oder von Oma, Opa oder Tante!)

Und nichts anderes sagt das Gesetz aus. Deshalb geht es hier nicht um wirtschaftliche Fragen, sondern um Familienfragen. Die stehen für uns trotz aller wirtschaftlicher Diskussion immer noch im Vordergrund.

(Beifall CDU - Zuruf von der Fraktion [DIE LINKE]: Es ist ein Anti-Kita-Gesetz!)

Sie können schreien, so viel Sie wollen.

(Zuruf von der Fraktion [DIE LINKE]: Wir haben genau dasselbe Recht wie Sie!)

Der Präsident hört gar nicht zu.

Herr Jürgens, Sie haben zurzeit nicht das Wort!

So ist es.

(Beifall CDU)

Ein letzter Punkt: Meine Kollegin Frau Schulz-Höpfner hat darauf hingewiesen, Sie können hier mit der Thüringen-Studie so oft wedeln, wie Sie wollen. Aber die Frage ist doch, warum unter anderem in Thüringen die Kinder im PISA-Leistungsvergleich mit Abstand am besten abschneiden, auch vor unseren Kindern in Brandenburg.

(Beifall CDU)

Diese Frage muss hier, in diesem Landtag, beantwortet werden und nicht die anderen Dinge, die Sie zitieren. Das ist Ihre Aufgabe als Regierung. Seit über 20 Jahren sind die Bildungsminister von der SPD, und sie haben es nicht geschafft, dass es in diesem Lande besser wird. Das ist Ihre Verantwortung und nichts anderes!

(Beifall CDU)

Herr Minister Baaske hat die Möglichkeit, darauf zu reagieren.

Das Betreuungsgeld gibt es in Thüringen seit vier oder fünf Jahren. Schreiben die Vier- und Fünfjährigen jetzt schon Vergleichsarbeiten? Was soll denn der Unsinn?

(Beifall DIE LINKE)

Das ist doch ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen.

(Zuruf von der CDU)