Protocol of the Session on March 21, 2012

Erstens: Der Strom wird auch in Zukunft verlässlich aus der Steckdose kommen. Gerade vor dem Hintergrund des deutschen Atomausstiegs und der weltweiten Ressourcenverknappung trägt Brandenburg als Stromexportland und Stromtransitland zur bundesweiten Energiesicherheit bei.

Zweitens: Energie bleibt bezahlbar. Die Energiestrategie vermeidet untragbare Belastungen für die Bürger unseres Landes, und sie vermeidet Wettbewerbsnachteile für den Industriestandort Brandenburg.

Drittens: Die Bürgerinnen und Bürger Brandenburgs können erwarten, dass ihr Land Vorreiter in Sachen Klimaschutz bleibt. Wir bekennen uns, meine Damen und Herren, nicht nur zu den europäischen und deutschen Klimaschutzzielen, nein, wir übertreffen sie bei weitem, und das können längst nicht alle Bundesländer von sich sagen. Auch das muss an der Stelle sehr deutlich gesagt werden.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Im Vergleich zum Jahr 1990 wollen wir in Brandenburg die Kohlendioxidemission bis 2020 um 40 % und bis 2030 um 72 % senken. Damit stecken wir uns als eines von wenigen Bundesländern quantifizierte Ziele bis 2020, und wir sind das einzige Bundesland, das sich ein konkretes Ziel bis 2030 auferlegt. Wir haben gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein die größten Ambitionen, wenn man dies nur mit Baden-Württemberg, wo bis 2020 eine Reduktion um nur 30 % vorgesehen ist, oder mit der in NRW vorgesehenen Reduktion um 25 % vergleicht.

Viertens: Auf unserem politischen Weg nehmen wir die Bürger des Landes mit. Wir machen keine Energiepolitik gegen die Bürger. Sie sollen sich beteiligen können, und das ist auch passiert, und ich denke, das wird auch künftig passieren.

Diese vier Ecken unseres energiepolitischen Zielvierecks bedingen einander in vielfältiger Weise, und ich glaube, das ist

jedem klar. Ohne Versorgungssicherheit gibt es keine Wirtschaftlichkeit. Ohne Wirtschaftlichkeit wird es keine öffentliche Akzeptanz geben - auch das müssen wir uns immer wieder sehr deutlich sagen - und ohne öffentliche Akzeptanz wird es keine Umweltverträglichkeit geben. Wie Sie es auch wenden, eines muss uns allen klar sein: Alle vier Elemente stützen einander. Wenn wir die einzelnen Teilziele erreichen wollen, wenn wir insgesamt vorankommen wollen, brauchen wir Energiepolitik aus einem Guss.

Meine Damen und Herren, wohl niemand glaubt, Brandenburg würde sich freudig der Energiewende widmen, wenn wir damit die Lausitz schlagartig zu einer industriefreien Zone erklären würden,

(Beifall SPD und DIE LINKE)

wenn wir einer ganzen Branche mit Hunderten Unternehmen und Tausenden Beschäftigten den Hahn abdrehen würden, wenn wir auf einen Energieträger verzichteten, der eine maßgebliche Stütze der gesamten deutschen Energieversorgung ist, wieder besseres Wissen und eben - noch - ohne bessere Alternativen. Ich sage Ihnen, was dann passieren würde: Wir könnten einen energie-, industrie- und sozialpolitischen Scherbenhaufen wegkehren. Wir hätten die Balance verloren und fänden uns nicht im Gestern wieder, sondern im energiepolitischen Vorgestern, meine Damen und Herren!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Auch ohne energiepolitisches Harakiri haben wir genug damit zu tun, Balance zu wahren. Nur drei Punkte dazu:

Erstens: Als Vorreiter beim Ausbau erneuerbarer Energien hat Brandenburg nun natürlich als Erstes mit den massiven Problemen und Herausforderungen zu tun, die mit einer wirklichen Energiewende verbunden sind. Einerseits ist die Infrastruktur des gesamtdeutschen und europäischen Stromnetzes bisher völlig unzureichend auf die neue, dezentrale Versorgung vorbereitet. Das spüren wir tagtäglich. Andererseits ist Strom nur bedingt speicherbar. Deshalb stellen uns die unregelmäßig verfügbaren erneuerbaren Energieträger wie Wind und Sonne vor beträchtliche neue Herausforderungen. Was ist, wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind schwächer wird? Was ist, wenn mehr Windenergie produziert wird, als mit den vorhandenen Leitungen transportiert werden kann? Sieht man von klassischen Pumpkraftwerken ab, steckt die Speicherbarkeit von Strom wahrlich noch in den Kinderschuhen. Darauf komme ich nachher noch einmal zurück.

Zweitens: Wir gehen fest davon aus, dass wir bis 2030 einen Anteil von 32 % erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch erreichen. Das wäre wahrlich ein großer Erfolg. Aber es muss die Frage erlaubt sein: Woher kommen die beiden anderen Drittel nach 2030? Das ist eine Frage, die mindestens so wichtig ist wie die erste, und wir dürfen nie nur den ersten Teil diskutieren und den zweiten in der Debatte außen vor lassen, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Drittens: Das Gelingen des energiepolitischen Strukturwandels ist auch eine Einstellungsfrage. Aber wir müssen konstatieren: Die Bewusstseinsentwicklung hält bislang nicht mit der technologischen und politischen Entwicklung Schritt. Solarparks in

der Nachbarschaft erregen die Gemüter. Windkraft wird gleichgesetzt mit Verspargelung der Landschaft; wir werden heute noch einiges dazu hören. Bioenergie wird oft auf die Diskussion „Tank oder Teller“ verengt.

Ich verstehe Betroffenheiten, und ich verstehe die Betroffenen. Aber am Ende müssen wir uns trotzdem als Gesellschaft fragen: Was wollen wir eigentlich? Was ist uns eine zukunftsfeste Energieversorgung wert? Muss ein Systemwechsel, wie er sich bei der Energieversorgung derzeit vollzieht - und vollziehen muss! -, nicht auch zwingend Veränderungen in unserer Umwelt, auch in unserer Kulturlandschaft, nach sich ziehen?

Meine Damen und Herren, wer den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes - das gilt für ganz Deutschland - vorgaukelt, eine wirksame Energiewende sei möglich, ohne dass sich viel verändert, ohne spürbare Folgen für Mensch, Natur und Landschaft, der handelt fahrlässig und verantwortungslos. Das ist meine feste Überzeugung.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Landesregierung verwahrt sich gegen solche allzu simplen Sichtweisen. Energie- und Umweltpopulismus dürfen wir uns nicht erlauben. Darum berücksichtigen wir alle Dimensionen dieser komplexen Problematik gleichermaßen mit einem breiten Fächer möglicher Lösungsansätze. Wir setzen uns das Ziel, bis 2030 den Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch - bekanntermaßen ist das nicht der Primärenergieverbrauch, aber das wollen wir jetzt nicht vertiefen - auf 40 % zu steigern.

Aber auch andere Regionen versorgen wir weiterhin verlässlich mit Strom. Das sage ich insbesondere in Richtung unserer Berliner Freunde: Der meiste Strom kommt aus Brandenburg. Das muss in der Hauptstadt manchmal noch deutlicher gemacht werden.

Wir gehen heute davon aus, im Jahr 2030 knapp die Hälfte der erneuerbaren Energie aus Windkraft und etwa ein Drittel aus Biomasse - deshalb schreiben wir die Biomassestrategie kontinuierlich fort - erzeugen zu können. Auch Photovoltaik und Solarthermie werden nach wie vor einen wichtigen Beitrag zu unserer Energieversorgung leisten. Mit kreativen Lösungen, etwa dem Aufbau einer Solarbörse, wollen wir eine höhere Wertschöpfung erzielen.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Abgeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen uns ganz klar gegen eine überfallartige Kürzung der Einspeisevergütung ein. Die Bundesregierung fährt hier einen Kurs, der ihre eigene Energiewende konterkariert.

(Lebhafter Beifall SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Dieser Kurs verunsichert Solarindustrie, Investoren und Verbraucher, und zwar stark. Ich finde, es ist fast schon ein Skandal, dass heute Nachmittag - es hat sich herumgesprochen - die Bundesregierung nur die CDU-geführten Bundesländer zu diesem Thema empfängt, die anderen Bundesländer jedoch nicht. Das ist bei einem industriepolitisch so relevanten Prozess aus meiner Sicht ein unerhörter Vorgang.

(Beifall SPD, DIE LINKE und GRÜNE/B90)

Unsere energiepolitischen Ausbauziele sind erreichbar. Das hat jedoch zwei unabdingbare Voraussetzungen: Erstens müssen wir die erneuerbaren Energien vollständig in das bestehende Energiesystem einbeziehen. Zweitens müssen wir Mittel und Wege finden, um das gesamte Energiesystem so zu steuern, dass wir Überschüsse verwerten und Mangel ausgleichen können. Unsere energiepolitische Zukunft steht und fällt also mit dem Ausbau des deutschen Stromnetzes, mit der Entwicklung innovativer Speichertechnologien und intelligenter Netzintegrationskonzepte. Da wartet in den nächsten Jahrzehnten eine Menge Arbeit - auch Überzeugungsarbeit - auf uns.

Mit Blick auf den Netzausbau setzt sich die Landesregierung für die Weiterentwicklung bestehender Ausbaukonzepte ein prioritär und mit ganzer Kraft. Aber - auch das sage ich hier deutlich - wir bleiben dabei, dass der Netzausbau einer gerechten bundesweiten Umlagefinanzierung bedarf. Schließlich profitiert ganz Deutschland von einer dezentralen regenerativen Stromversorgung. Die Lasten dürfen nicht dort bleiben, wo man sich diesem Thema verstärkt widmet. Das wäre nämlich der Osten Deutschlands, meine Damen und Herren!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

In Bezug auf das Problem der Speicherung kann Brandenburg bereits Erfolge verzeichnen. Im vergangenen Oktober wurde bei uns - in Prenzlau - das weltweit erste ausschließlich mit erneuerbaren Energieträgern betriebene Wasserstoffhybridkraftwerk eröffnet. Allerdings stehen wir in ganz Deutschland bei der Erforschung und Realisierung solcher großtechnischen Lösungen wahrlich noch am Anfang.

(Zuruf von der CDU: Eben!)

Die Landesregierung bekennt sich dazu, diesen Prozess durch eine gezielte Förderung relevanter Projekte und die Optimierung der notwendigen Rahmenbedingungen weiter zu beschleunigen. Die Landesregierung setzt auch weiterhin auf den Auftrieb von Forschung und Entwicklung. Schon heute verfügen wir in Brandenburg über starke Strukturen auf diesem Gebiet, von der BTU in Cottbus bis hin zum Leibniz-Institut für Agrartechnik.

Aber wir wissen auch: Stillstand ist immer Rückschritt. In Zukunft müssen wir die Synergien zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen deutlich - ich betone: deutlich! - besser nutzen. Deshalb sage ich hier auch: Die Überlegungen von Ministerin Sabine Kunst, den Wissenschaftsstandort Lausitz weiter zu profilieren, gehen genau in diese und damit in die richtige Richtung.

(Beifall SPD und des Abgeordneten Görke [DIE LINKE])

Der Aufbau einer Technischen Universität mit einer Fokussierung auf die Bereiche Energie, Umwelt, Mensch ist exakt das wissenschaftspolitische Aufbruchsignal, das zu den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts passt und auch zu den brandenburgischen Fähigkeiten, diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

Ich sage sehr deutlich, auch in Richtung unserer Lausitzer Bürgerinnen und Bürger: Damit wird die Lausitz nicht geschwächt, sondern wir wollen sie stärken. Schließlich ist Energie eines der zentralen Zukunftsthemen und eine der großen globalen Herausforderungen; für die Lausitz und ganz Brandenburg gilt das im Besonderen. Der Schlüssel, die Herausfor

derungen der nächsten Jahrzehnte zu meistern, liegt in technologischen Innovationen auf der Grundlage praxisnaher universitärer und außeruniversitärer Forschung. Für mich gibt es zur Bewältigung dieser großen Aufgabe keine bessere, keine passendere Heimat als die Lausitz. Deshalb wollen wir diesen Weg gehen, meine Damen und Herren, und deshalb wird das ein guter Weg sein.

(Beifall SPD)

Im Zusammenspiel von Wissenschaft und Wirtschaft, von privatem und öffentlichem Sektor werden wir die Energiewende bewältigen. Aber wir dürfen den zweiten Schritt nicht vor dem ersten gehen. Der Atomausstieg ist richtig, aber er macht eben auch einen beträchtlichen Umbau notwendig.

(Zuruf von der CDU: Aha!)

Die Versorgungslücke müssen wir sukzessive schließen, und zwar so, dass der Strom in ganz Deutschland sicher und bezahlbar bleibt. Erneuerbare Energien können diese Rolle noch nicht 1:1 übernehmen. Weitere Energieimporte dürfen aus meiner Sicht diese Rolle nicht übernehmen, wenn wir gefährliche neue Abhängigkeiten vermeiden wollen.

Brandenburg steht zu seiner Verantwortung im Rahmen der nationalen Energieversorgung. Auch deshalb bekennt sich die „Energiestrategie 2030“ ausdrücklich zur weiteren Verstromung von Braunkohle. Braunkohle ist derzeit der günstigste und noch auf lange Sicht verfügbare Energieträger in Deutschland. Auf dem Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien, den wir nun wahrlich energisch und weit vor anderen Bundesländern beschreiten, trägt die Braunkohle zu Preisstabilität und Versorgungssicherheit bei. Günther Oettinger, der Energiekommissar der Europäischen Union, hat erst kürzlich wieder darauf hingewiesen, dass die Braunkohle auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Viele Experten sagen heute unisono: Die Rolle der Braunkohle im nationalen Energiemix müssen wir auch als Folge des Atomausstiegs - neu bestimmen!

Das sehen übrigens auch die Bürger unseres Landes so. Die Brandenburgerinnen und Brandenburger haben in einer aktuellen Infratest-Umfrage zu 72 % die Meinung geäußert, nach dem Atomausstieg sei der gleichzeitige Ausstieg aus der Braunkohle unmöglich.

Meine Damen und Herren! Es ist unstrittig: Braunkohle ist nicht unproblematisch. Das Gegenteil zu behaupten wäre tatsächlich Verklärung. Aber Braunkohle ist nach dem Atomausstieg weniger Teil des Problems als vielmehr Teil der Lösung. Denn auf unserem Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien bildet Braunkohle genau die Brücke, die wir unbedingt brauchen. Diese Brücke kann erst dann enden - so ist das mit Brücken -, wenn wir das andere Ufer tatsächlich erreicht haben und - ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag - „bis der Industriestandort Deutschland seinen Energiebedarf sicher und zu international wettbewerbsfähigen Preisen aus erneuerbaren Energien decken kann.“ Das wird noch ein langer Weg sein.

Dazu bedarf es technologischer Lösungen, von denen heute noch niemand weiß, wann sie gefunden werden. Deshalb dürfen wir uns nicht selbst unserer Zukunftsoptionen berauben, und wir werden unsere bestehenden Tagebauplanungen fortsetzen

müssen. Wir müssen an der Möglichkeit eines Kraftwerkneubaus in Jänschwalde festhalten. Von der Dynamik der Energiewende insgesamt wird es abhängen, über die notwendige Länge der Brücke - das heißt, über die Dauer der weiteren Nutzung der Braunkohle zur Stromerzeugung - entscheiden zu können.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang aber einen weiteren durchaus zentralen Punkt nennen. Derzeit sichert die Braunkohleverstromung in Brandenburg direkt und indirekt 16 000 Arbeitsplätze. Im Bergbau und in der Kohleverstromung sind dies gute, tariflich bezahlte Arbeitsplätze. Hier gibt es starke Gewerkschaften und ein konstruktives Miteinander von Betriebsräten und Arbeitgebern. Hier wird konsequent ausgebildet und nach der Ausbildung weiterbeschäftigt. Ja, hier gibt es im wahrsten Sinne des Wortes gute Arbeit.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wenn jetzt argumentiert wird, der Zuwachs an Arbeitsplätzen bei den erneuerbaren Energien würde die wegfallenden Arbeitsplätze bei den konventionellen mehr als kompensieren, dann mag das in der Theorie stimmen. Noch deutet die Praxis allerdings nicht darauf hin, dass wir mehr und vor allem mehr gute Arbeitsplätze bekommen. Immer noch kritisieren Betriebsräte und Gewerkschaften die viel zu hohen Leiharbeitsquoten und die oftmals untertarifliche Entlohnung bei Unternehmen der erneuerbaren Energien.