Protocol of the Session on December 4, 2009

die Anträge all derer, die ihre Akten noch nicht kennen oder angefordert hatten und die vor 1989 älter als 18 Jahre waren.

Eine linke, eine demokratisch-sozialistische Partei - und dabei bleibe ich - wird nicht verharmlosen und nicht verherrlichen. Meine Damen und Herren, ich bedauere zutiefst die jetzige Situation, und ich wünschte, es wäre nicht dazu gekommen.

Die Tätigkeit der Regierung wie die Tätigkeit aller unserer Abgeordneten wird nicht von der Vergangenheit überschattet, sondern vom Umgang Einzelner mit dieser Vergangenheit. Verantwortung dafür zu übernehmen heißt nicht nur, individuelle Konsequenzen zu fordern. Ich weiß, wir wissen, dass wir erneut um Glaubwürdigkeit bei unseren Wählerinnen und Wählern und innerhalb der Koalition kämpfen müssen. Klarheit in der Frage unseres Verhältnisses zur Vergangenheit und gute Arbeit auf der Basis der Koalitionsvereinbarung - nur so können wir die Brandenburgerinnen und Brandenburger nachhaltig davon überzeugen, dass sie die richtige Regierung haben und wir die entscheidenden Fragen von Gegenwart und Zukunft lösen und Antworten geben, die Brandenburg voranbringen. Das ist auch Voraussetzung.

Meine Damen und Herren! Schon vor der Landtagswahl versuchten wir hier - durchaus auch gemeinsam - Lücken zu schließen, die bei der Auseinandersetzung mit der Nachkriegsgeschichte in den letzten Jahren und Jahrzehnten entstanden waren, zum Beispiel in der Debatte um die Einsetzung eines Stasibeauftragten in Brandenburg. Hier sollte also eine Lücke geschlossen werden, vor allem im Interesse der Opfer der SED-Diktatur. Wir hatten darüber nicht in der Sache, sondern in der Frage von Präzision und Qualität eine Differenz.

Sehr bald nach der Landtagswahl gab es in diesem Hause einen Konsens zur Überprüfung aller Abgeordneten auf eine eventuelle frühere Tätigkeit für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit. Wir streben dabei ja nicht nur einen Aufruf an, sondern ein gesetzlich geregeltes Verfahren. Wir von der Linken haben den Beschluss mitbefördert und getragen, weil er unseren eigenen Maßstäben im Umgang mit Vergangenheit entspricht. Was wäre denn bei der gesetzlichen Überprüfung der Linksfraktion anderes herausgekommen als jetzt? Bedenklich ist doch, dass dem Landtag nun das gewollte demokratische Verfahren aus der Hand genommen, ja, dass dieses diskreditiert worden ist. Vor lauter Ungeduld, die rot-rote Koalition zu bekämpfen und zu treffen, wurden mit einer Stasienthüllungskampagne die Aufgaben der Faktenermittlung, die Aktenbewertung, auch die Urteilsverkündung und Vollstreckung unter lautem Beifall der Oppositionsfraktionen - der CDU auf jeden Fall - uneingeschränkt den Medien überlassen.

(Unglaublich! bei der CDU)

Fehlinterpretationen sind da eingeschlossen - das ist hier schon gesagt worden -, was den Abgeordneten Luthardt betrifft.

(Heuchelei! bei der CDU)

Kollateralschäden werden offenbar akzeptiert, jedenfalls so lange, wie sie dem Zweck dienen.

Der wurde auf dem CDU-Parteitag in schöner Klarheit formuliert: Die CDU will...

(Zuruf von der CDU)

- Ich stelle mich nicht als Opfer dar, ich mache mich nicht besser, als ich war und bin, und das wissen Sie auch.

(Gelächter bei der CDU)

Ich zitierte jetzt einfach nur Ihren politischen Zweck. Der ist, wie gesagt, auf Ihrem Parteitag deutlich geklärt worden, und dem wurde, soweit ich weiß, nicht widersprochen. Er lautet ich zitiere Frau Richstein -:

„Die CDU will die rot-rote Pest aus dem Land treiben.“

(Senftleben [CDU]: Genau!)

Ist das wirklich demokratische Kultur, die wir in Brandenburg brauchen?

Die Vorgänge der letzten Wochen mögen gerade noch so von den Buchstaben des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gedeckt sein, rechtsstaatlichen Grundsätzen und demokratischen Regeln genügen sie nach meiner Vorstellung nicht. Genauso wie Herr

Woidke das auch schon beschrieb: Die Unschuldsvermutung und das Recht auf Verteidigung sind in Bezug auf Frau Stobrawa und Herrn Luthardt teilweise auf der Strecke geblieben.

(Zuruf des Abgeordneten Burkardt [CDU])

Denn jetzt ist der Landtag nicht mehr selbst Herr des Verfahrens, und es fällt mir schwer, zu glauben, dass das in Ihrem Interesse ist. Ich bin mir sicher, dass es auch nicht die Demokratie stärkt. Infrage gestellt wird, was in Brandenburg in den letzten beiden Jahrzehnten an politischer Kultur gewachsen ist. Es ist schick geworden, den Brandenburger Weg der frühen 90er Jahre zumindest zu belächeln und mit bösem Blick mit einer kleinen DDR gleichzusetzen.

(Zuruf des Abgeordneten Wichmann [CDU])

Aber was war denn der Brandenburger Weg? Er steht für den politischen Willen, im Interesse und unter Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger zu politischen Lösungen zu kommen. Auf dem haben wir uns, haben Sie sich doch alle bewegt – egal, unter welchen Regierungskonstellationen. Dieser Brandenburger Weg hatte seinen Nährboden in der demokratischen Erneuerungsbewegung des Herbstes 1989. Es ging um soziale, um ökologische Verantwortung und darum, ostdeutsche Spezifika aufzunehmen. Höhepunkt war die gemeinsame Arbeit an der Verfassung. Andere Schwerpunkte, aber auch die Rolle Brandenburgs als Tor zum Osten, die Einführung von LER, die Sicherung der Agrargenossenschaften, die aktive Gestaltung des zweiten Arbeitsmarkts und die sozialen Leistungen gehörten dazu.

Wollen Sie denn wirklich all das für tagespolitische Vorteile über Bord werfen oder vergessen? Und besonders frage ich hier die CDU: Wollen Sie all das diskreditieren, nur weil Sie nicht mehr in der Regierung sind? Dieser brandenburgische Weg hat die Entwicklung des Landes bestimmt, er hat die Brandenburger Identität, das Selbstverständnis vieler Brandenburgerinnen und Brandenburger bis heute geprägt, und daran konnte auch die SPD-CDU-Regierung anknüpfen, als sie „Erneuerung aus eigener Kraft“ ausrief. Daran knüpft jetzt ihrerseits die SPD-LINKE-Regierung an, wenn sie „Gemeinsinn und Verantwortung“ zum Ausgangspunkt nimmt.

Ein Aspekt des Brandenburger Weges, meine Damen und Herren, war die Übereinkunft, Geschichte und Vergangenheit „mit menschlichem Maß“ gegenüberzutreten. Es gab dazu einen Landtagsbeschluss gleichen Namens, eingebracht von Abgeordneten mehrerer Fraktionen, auch der CDU.

Besonderen Respekt und Bewunderung zollen die Mitglieder meiner Fraktion und ich denjenigen Menschen, die sich damals wie heute als Leidtragende, als Opfer des DDR-Systems zu diesem menschlichen Maß im Umgang mit jenen bekannten, die die Verhältnisse in der DDR nicht nur akzeptierten, sondern die SED-Herrschaftsstrukturen mitgetragen haben.

Mich hat - weil heute viel von persönlichen Erinnerungen die Rede war - 1990 das Zusammensein, die Zusammenarbeit mit Walter Janka sehr geprägt.

(Zuruf von der CDU: Der Arme!)

In Brandenburg sind in den Jahren seit 1990 und auch im zurückliegenden Wahlkampf wichtige Maßstäbe gesetzt und auch

erprobt worden. Nicht allein das Leben eines Menschen vor 1989, sondern auch die seither erbrachte Lebensleistung soll zu seiner Bewertung herangezogen werden. Menschen sollten und konnten sich durch bewusste, offene eigene Veränderungen selbst einen Platz in der demokratischen Gesellschaft schaffen. Auch wenn wir in der Linken durchaus andere Konsequenzen gezogen haben als die Kolleginnen und Kollegen der CDU, so haben wir doch die Chance dieser Demokratie genutzt und versucht, ihr zu dienen - wenn auch gerade im Widerstreit, in Konkurrenz.

Meine Damen und Herren! Die bisherigen Mitglieder meiner Fraktion Gerd-Rüdiger Hoffmann und Renate Adolph taten das auch. Auch sie haben Konsequenzen aus der Vergangenheit gezogen, und sie haben sich in den letzten Jahren bewusst verändert, sie haben Leistungen für die demokratische Politik erbracht, und sie haben damit den Menschen im Land Brandenburg gedient. Dennoch: Beide haben eine wesentliche Voraussetzung nicht erfüllt, die eben zu diesem gleichberechtigten demokratischen Wettstreit gehört: Offenheit, und die - ich bleibe dabei - gehört zu den Maßstäben meiner Fraktion wie meiner Partei und zu meinen persönlichen Grundsätzen.

Der Prozess des Entschuldigens, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, Frau Prof. Wanka, Herr Dombrowski, ist doch ein individueller Prozess. Vergebung - darauf kann man hoffen. Es gibt auf Vergebung keinen Anspruch. Vergeben können Menschen nur individuell. Zwischen Tätern und Opfern, Verantwortlichen und Betroffenen kann und muss es so einen Vorgang geben. Den gibt es also immer in privaten, gesellschaftlichen und juristischen Zusammenhängen, aber nicht durch Parteien, für Parteien. Das heißt, wir haben einander nichts zu vergeben. Wir müssen einfach an dieser Stelle beginnen, Konsequenzen aus der Vergangenheit zu ziehen und für eine demokratische Gesellschaft zu streiten. Wir stehen in den verschiedenen Fraktionen - davon gehe ich aus, und ich hoffe, das bleibt unsere Handlungsgrundlage - für einen solchen gesellschaftlichen Weg, für solche gesellschaftlichen Strukturen, die Menschen den Weg in die Demokratie öffnen und nicht verbauen, egal, welche Partei sie gewählt haben.

Aufgrund der Debatte - Sie haben es selber angeführt - will ich jetzt doch noch einmal auf diese Charakterfrage kommen, Frau Prof. Wanka, Herr Dombrowski. Wie gesagt, ich mache mich nicht besser, als ich in der Vergangenheit war. Das wissen Sie auch. Aber wollen Sie wirklich bei dieser Charakterfrage bleiben? Denken Sie doch noch einmal darüber nach, ob Sie das wirklich aufrechterhalten. Charakter ist doch nichts Genetisches. Ein Mensch bildet sich doch im Laufe seines Lebens aufgrund seiner Erfahrungen, und auch ein Charakter bildet sich aus und verändert sich aufgrund von Erfahrungen.

(Zuruf von der CDU)

Ansonsten würden Sie jetzt doch eine Debatte aufmachen, die heißt: Schnüffeleien damals und heute sind vergleichbar, und Schnüffeleien bleiben immer Schnüffeleien. Dann müssten wir an dieser Stelle sagen: Schnüffler bleibt Schnüffler, egal, wie, wann und wo.

(Zurufe von der CDU: Das ist doch naiv! - Frau Prof. Dr. Wanka [CDU]: Sie müssen hinhören, wenn ich rede!)

Dann müssten wir uns doch die Frage stellen - ich frage das ganz bewusst -: Was machen wir mit den Lidl-Verkäuferinnen

und den Kameras, was machen wir mit den V-Leuten, den Sozialdetektiven bei Hartz IV, den E-Mail-Lesern in Parteien?

(Zuruf von der CDU)

Ist das denn Charakter?

(Zuruf von der CDU)

Ich bin der Meinung, dass kein Staat der Welt das Recht hat, von seinen Bürgerinnen und Bürgern Schnüffeleien zu fordern. Kein Staat der Welt hat das Recht, Schnüffeleien zu fordern,

(Beifall DIE LINKE)

egal auf welcher Grundlage und egal, zu welchem guten oder schlechten Zweck und im Namen welcher Idee. Das ist meine Position. Nie wieder soll der Zweck die Mittel heiligen.

(Frau Prof. Dr. Wanka [CDU]: So abgebrüht! - Weitere Zurufe von der CDU)

Lassen Sie uns bitte diese Lehre aus der Vergangenheit beherzigen!

(Beifall DIE LINKE)

Ich habe Fragen gestellt und anfangs auch ausdrücklich gesagt: Wir werden uns künftig darüber unterhalten müssen, wir werden das besprechen müssen. Damit werden wir nicht fertig.

(Zuruf von der CDU)

Ich habe auch eine Menge Fragen, meine Damen und Herren, bezüglich der Praxis im Umgang mit Akten und Erkenntnissen der Birthler-Behörde. Ich stelle die Frage,

(Genilke [CDU]: Wir wollen Antworten haben, Frau Kai- ser, keine Fragen!)