Protocol of the Session on December 4, 2009

Ich will damit sagen, dass andere nicht so viel Glück hatten, einige erpresst wurden und einigen gedroht wurde. Ich weiß nicht, wie ich in einer solchen Situation, vor der mein Kommilitone damals stand, reagiert hätte. Wenn wir ehrlich sind, dann weiß das hier wohl keiner von sich so ganz genau.

(Frau Dr. Ludwig [CDU]: Das ist eine Unverschämtheit!)

Ich will mit diesen Beispielen in keiner Weise irgendetwas entschuldigen oder verharmlosen - Frau Dr. Ludwig, Sie werden

sich nachher wahrscheinlich auf die Gnade der späten Geburt berufen -, sondern ganz im Gegenteil! Ich möchte, dass wir ehrlich miteinander umgehen und diese Debatte in diesem Hohen Hause in einem Klima der Offenheit und des Verständnisses für Biografien in der DDR führen.

(Beifall SPD - Senftleben [CDU]: Nach Enttarnungen!)

Dabei dürfen wir nicht so tun, als habe das Leben in der DDR nur aus der Staatssicherheit und ihren inoffiziellen Mitarbeitern bestanden. Die DDR war weit mehr als das. Wer das Leben in der DDR auf die Stasi reduziert, geht dem Zentralkomitee von 1989 auf den Leim, das damals beschlossen hat: Wir wollen die Stasi als Sündenbock gebrauchen, damit wir selbst besser wegkommen. - Diese Interpretation hat sich in den vergangenen Jahren leider durchgesetzt.

Ich habe den Eindruck, dass das „Stasisyndrom“ jetzt als Blitzableiter für alles hergenommen wird, was Sie mit dem Thema „Bewältigung von 40 Jahren DDR“ in Zusammenhang bringen wollen. War die Stasi in Wirklichkeit nicht eher ein Instrument, das sich ganz andere, nämlich intellektuell begabte Täter - die Haupttäter - geschaffen haben? Müssten wir uns nicht vielmehr mit diesen Tätern beschäftigen?

Ich habe mich für einen Abgeordneten unseres Landtages ausgesprochen und darum gebeten, man möge ihm Gerechtigkeit und Fairness angedeihen lassen. Ich hatte dabei im Blick, dass jeder, der sich gegen einen solchen Vorwurf wehren muss, die Chance erhalten muss, sich der sozialen Liquidierung seiner Selbst und der seiner Familie entgegenzustellen. Dieses Entgegenstellen hat jeder Abgeordnete in diesem Hause verdient.

Diese Worte stammen nicht von mir, ich habe sie dem Protokoll des Landtages Brandenburg aus dem Jahr 1991 entnommen. Gesagt wurden sie von dieser Stelle aus vom Fraktionsvorsitzenden der CDU Peter-Michael Diestel. Ich meine, seine Worte waren damals und sind auch heute richtig. Wenn wir wollen, dass die DDR-Diktatur tatsächlich aufgearbeitet wird und unsere Kinder erfahren, wie es zu einer menschenfeindlichen Bespitzelung und einem System der Angst kommen konnte, dann müssen wir unsere DDR-Biografien erzählen. Wir müssen darüber reden. Es ist gut, wenn wir erfahren, wie ein Mensch dazu gebracht werden konnte, über seine Mitmenschen, Freunde und teilweise sogar den Ehepartner geheime Berichte zu schreiben. Wir müssen einander zuhören, erst dann kann man bewerten. Aus tiefster Überzeugung rufe ich Sie und die Brandenburgerinnen und Brandenburger auf, über ihre DDR-Biografien, über ihre schwierige Vergangenheit und auch über persönliche Fehler zu reden. Hören wir einander wieder zu!

Historische und politische Aufarbeitung ist zugleich auch Bewahrung unserer Geschichte. Daran haben wir alle ein gemeinsames Interesse. Dazu gehört, dass wir miteinander diskutieren, statt gegeneinander zu agieren. Zu einer ernsthaften historischen Aufarbeitung gehört aber auch, dass man nicht parteipolitische Süppchen kocht. Dazu ist die Problematik viel zu schwierig.

(Senftleben [CDU]: Sind wir jetzt vielleicht schuld?)

Ich kann verstehen, dass manch einer in der Opposition die Regierungsbildung in Brandenburg nicht gutheißt. Das ist ihr gutes Recht und vielleicht sogar auch ihre oberste Pflicht. Aber

manches, was man an schrillen Tönen gehört hat, war doch sehr verstörend. Im Sinne des Landes sollten Sie den Ton und die politische Kultur im Land Brandenburg nicht weiter vergiften. Wenn Frau Wanka gerade über die Negativberichterstattung über Brandenburg in Brandenburg und darüber hinaus geredet hat, so entgegne ich: Die SPD-Fraktion ist in dieser Hinsicht von ihrem Koalitionspartner Ärger gewöhnt. Dabei muss ich nicht einmal allzu weit in die Vergangenheit blicken; die Koalition mit der CDU war für uns nicht immer schmerzfrei. Mir fallen die Namen Hackel, Schelter und Fürniß sowie angesichts einiger schwer verdaulicher Aussagen auch der Name Schönbohm ein. Wir sind Ärger mit Koalitionspartnern gewöhnt, und das gibt uns insofern eine gewisse Gelassenheit.

(Beifall SPD - Senftleben [CDU]: Na, das ist ja wirklich ein wunderbarer Vergleich!)

Sehr geehrte Frau Wanka, Sie haben vorhin Richard Schröder, den ich sehr schätze, zitiert: Jede halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge. - Sie haben darauf hingewiesen, dass weitere Aufarbeitung dringend nötig sei. Genauso richtig ist es, dass auch die CDU diese Aufarbeitung dringend nötig hat.

(Beifall der Abgeordneten Frau Hackenschmidt und Frau Melior [SPD])

Ich möchte an den CDU-Parteitag am 2. Dezember 2008 - fast auf den Tag genau vor einem Jahr - in Stuttgart erinnern. Einige von Ihnen waren sicherlich dabei, zumindest waren sie körperlich anwesend. Auf diesem Parteitag wollten sich die Christdemokraten mit der DDR-Vergangenheit auseinandersetzen. Es gab sogar einen Antragsentwurf mit dem Titel: „Geteilt, vereint, gemeinsam“. Darin hat sich CDU von der Linkspartei und auch von der SPD abgegrenzt. Der SPD wurde unter anderem der Vorwurf gemacht, sie habe mit dem SED-Regime gemeinsame Wertevorstellungen entwickelt. Das müssen Sie mir noch genauer erklären, das kann ich nicht nachvollziehen. 20 Jahre nach dem Ende der DDR dürfe es - so der Tenor des Antrags kein Vergessen und Verdrängen geben. Vergessen und Verdrängen gibt es, und zwar auch und gerade bei der CDU. Noch heute will die Führung der CDU, auch hier in Brandenburg, nicht zugeben, dass die Ost-CDU gewichtiger Teil und starke Stütze des SED-Systems gewesen ist.

Der eben erwähnte Entwurf für den Parteitag zur Rolle der OstCDU enthielt zunächst nicht einen einzigen kritischen Satz, kein einziges selbstkritisches Wort über die Rolle der Block-CDU in der DDR. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer hielt es nicht mehr aus und intervenierte schon im Vorfeld der Debatte mit den Worten: Es kann doch nicht sein, dass die CDU die einzige Partei ist, die nicht weiß, dass es eine Ost-CDU gab.

(Lachen bei der SPD)

In der Parteitagsdebatte zur Aufarbeitung der Rolle der OstCDU in der DDR gab es eine einzige Wortmeldung. In diesem Wortbeitrag findet der Berliner Delegierte Fritz Niedergesäß Worte, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: Die CDU - so Niedergesäß - werde sich im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Ost-CDU „nicht beschmuddeln lassen“. Die CDU habe doch zu DDR-Zeiten lediglich Postminister gestellt und sei nie an die Schaltstellen der Macht vorgedrungen. Frau Wanka, jede halbe Wahrheit ist eine ganze Lüge!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die sicherlich nicht der bolschewistischen Unterwanderung verdächtige Zeitung „Die Welt“ hat dazu konstatiert:

„In diesem Moment klingt die große stolze CDU wie die kleine uneinsichtige PDS nach der Wende.“

(Beifall des Abgeordneten Schulze [SPD])

Sehr geehrte Frau Wanka, wo waren Sie bei dieser Debatte vor einem Jahr? Wo haben Sie Aufklärung auch in Ihrer Partei gefordert? Wo waren die markigen Worte, die Sie in Richtung anderer von sich gegeben haben?

(Homeyer [CDU]: Mein Gott, Walter! - Frau Prof. Dr. Wanka [CDU]: Armselig!)

Im Protokoll des CDU-Parteitages sind sie jedenfalls nicht zu finden. Von niemandem aus der CDU Brandenburg findet sich eine Spur in diesem Protokoll. Mein Eindruck ist: Ihnen geht es weder um Aufklärung noch um Aufarbeitung, Sie wollen weiter spalten. Gehen Sie in Ihren eigenen Keller und schalten Sie das Licht an!

(Beifall SPD)

Wahrscheinlich werden Sie einen Schreck bekommen. Sie werden Leichen finden. Aber ich kann Ihnen sagen: Danach wird es Ihnen besser gehen.

(Lachen bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 27-seitige CDU-Leitantrag, der übrigens erst am Ende des Parteitags beraten worden ist, wurde schließlich durch den windelweichen Satz, die CDU habe in der DDR im totalitärem System der SED mitgewirkt, ergänzt. Sanfter, meine Damen und Herren, kann man die Rolle der CDU im DDR-Regime wohl kaum beschreiben. Dazu zitiere ich erneut „Die Welt“:

„Fast wäre der Eindruck entstanden, die CDU wolle sich ernsthaft mit ihrer Vergangenheit in der DDR auseinandersetzen. Aber das Ganze war nur ein Unfall.“

Die CDU, Frau Wanka, hat Angst vor ihrer eigenen Geschichte. Angst hat auch die Brandenburger CDU. Das zeigt schon ein Blick auf ihre Homepage. Ich habe voller Erwartungen den Menüpunkt „Parteigeschichte“ angeklickt. Was soll ich sagen! Ich könnte sagen, ich wurde maßlos enttäuscht. Aber enttäuscht kann man nur sein, wenn man Erwartungen hatte. Insofern war ich also doch nicht enttäuscht.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD)

Auf insgesamt 11 Seiten erfährt man nahezu alles über den Aufbau der CDU in Brandenburg in den späten 40er Jahren. Nur über die Rolle der Brandenburger CDU in der DDR und auch über die Konstanz von Biografien in der CDU findet sich nicht ein einziges Wort auf Ihrer Homepage. Frau Wanka, wenn Sie weiter so wie in den letzten Tagen und auch hier im Parlament argumentieren wollen, dann sage ich Ihnen: Kehren Sie gefälligst erst einmal vor Ihrer eigenen Tür! Da haben Sie genug zu tun.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Denn klar ist: In der DDR haben auch die Schwarzen rote Socken getragen - egal, welche Farbe die Füße, die in den Socken steckten, hatten.

(Heiterkeit bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Ein Wort muss ich noch zur Birthler-Behörde verlieren. Wir erleben seit vergangener Woche, dass Journalisten mit Auszügen aus Akten einzelner Abgeordneter versorgt werden, und zwar ohne, dass die Abgeordneten und der Landtagspräsident davon Kenntnis haben.

(Senftleben [CDU]: Laut Gesetz!)

Ich finde dieses Vorgehen inakzeptabel.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Alle Mitglieder des Landtages haben Aktenauskunft beantragt. Weil Sie die Frage in den Raum stellten: Alle Mitglieder der SPD-Fraktion haben dies getan.

(Frau Prof. Dr. Wanka [CDU]: Ist das definitiv so? - Frau Hackenschmidt [SPD]: Ja!)

Wir befinden uns also in einem laufenden Verfahren. Das Abgeordnetengesetz werden wir in der kommenden Woche ändern. Es gibt überhaupt keinen Grund, am Parlament und am Landtagspräsidenten vorbei via Medien täglich neue „Enthüllungen“ zu präsentieren.

Damit wird das vom Landtag gewählte, offene, transparente und geordnete Verfahren konterkariert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das widerspricht auch dem Geist des StasiUnterlagen-Gesetzes und dem Respekt vor diesem Parlament.

Das Bundesverwaltungsgericht hat schon 2004 festgestellt, dass Frau Birthler die Akten nur zum Zweck der politischen und historischen Aufarbeitung an die Presse weitergeben darf und die Rechte der betroffenen Personen - das ist eine der Grundlagen des Rechtsstaates, Herr Senftleben, auch wenn Ihnen das nicht gefällt - berücksichtigen muss. Betroffene müssen die Chance haben, sich mit ihren Akten auseinanderzusetzen. Es ist unzumutbar, dass die Presse beliebig mit Informationen versorgt wird und betroffene Personen nicht unverzüglich Einsicht erhalten.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir haben uns 1989 für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingesetzt. Der Respekt vor einem demokratisch gewählten Parlament gebietet es, dass die Birthler-Behörde den Präsidenten spätestens dann informiert, wenn sie die Presse unkommentiert mit Aktenauszügen versorgt und es am Ende der Presse obliegt, Richter über Biografien in der DDR zu spielen.

(Beifall SPD)

Ziel ist die historische und politische Aufarbeitung, Frau Dr. Ludwig, und nicht die mediale Hinrichtung von Abgeordneten dieses Hohen Hauses.