Protocol of the Session on November 10, 2011

(Abgeordnete Lehmann [SPD]: Jetzt kommt der Mindest- lohn!)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussionen um Mindestlöhne oder Lohnuntergrenzen wer

den schon lange geführt, und wir alle wissen, dass die SPD und DIE LINKE sie immer wieder gerne genutzt haben, um sich gegenseitig mit ihren Forderungen in Bezug auf die Höhe zu überbieten.

(Beifall CDU)

Wenn man sich nicht nur oberflächlich mit der Thematik beschäftigt,

(Widerspruch DIE LINKE)

stellt man fest: Das ist eine ziemlich schwierige Diskussion.

Gerne wird von den Befürwortern eines Mindestlohns darauf verwiesen, dass es Länder gibt, die Mindestlöhne geregelt haben. Das ist richtig. Allerdings ist die Spannbreite riesig. In Spanien beträgt der Mindestlohn 3,79 Euro und in Frankreich 9 Euro. Schaut man sich alle arbeitsmarktpolitischen Regelungen in den jeweiligen Ländern an, stellt man fest, dass die Mindestlöhne mit einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes einhergehen.

So gibt es, wenn Mindestlöhne geregelt sind, meistens einen flexibleren Kündigungsschutz. Laut DGB haben in Brandenburg 25 % der Unternehmen eine Tarifbindung. Weitere 29 % gewähren die Löhne und Gehälter in Anlehnung an vereinbarte Tarife. Die restlichen sind nicht tarifgebunden.

Laut Böckler-Stiftung haben aber 49 % der Unternehmen keine Tarifverträge, und weitere 31 % orientieren sich lediglich an Tarifverträgen. Zudem haben wir gerade vom Kollegen Baer noch ganz andere Zahlen gehört.

Sie werden feststellen, dass diese Angaben also nicht hundertprozentig übereinstimmen. Das können sie aber auch nicht, da niemand tatsächlich erfassen kann, wer seine Mitarbeiter wie genau entlohnt. Niemand - der DGB nicht, ver.di nicht und auch die Unternehmerverbände nicht - konnte uns die Frage beantworten, wer in Brandenburg tatsächlich - mit Tarifbindung oder ohne Tarifbindung - weniger als 6,89 Euro Stundenlohn erhält.

(Abgeordnete Kaiser [DIE LINKE]: Halten Sie den Lohn für normal?)

Als Geringverdiener gelten in Anlehnung an die OECD-Definition diejenigen, die als Vollzeitbeschäftigte weniger als zwei Drittel des Durchschnittsgehaltes aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erzielen. Damit lag die Niedriglohnschwelle im Jahr 2010 in den neuen Bundesländern bei 1 379 Euro.

Geringverdiener kennen wir alle: die vielzitierten Frisöre, die Mitarbeiter im Gaststättengewerbe und im Callcenter. Dann gibt es noch die Schlupflöcher. In den Medien wurde wiederholt darüber berichtet, dass das Reinigungspersonal in Hotels teilweise nicht nach dem in diesem Bereich gültigen Tarif bezahlt wird, sondern als Servicepersonal ausgegliedert und dann geringer entlohnt wird.

(Bischoff [SPD]: Deswegen brauchen wir ein Gesetz!)

Dann gibt es aber auch Unternehmen, die zwar nicht tarifgebunden sind, die Mitarbeiter aber dennoch anständig entloh

nen. Selbst in Privathaushalten werden Beschäftigte nicht durchgängig schlecht bezahlt. Mein Fazit: Es gibt keine einfachen Wahrheiten, und Stimmungsmache beruht mitunter auf Zahlenmaterial, das nicht belastbar ist.

(Beifall CDU - Widerspruch DIE LINKE)

Die CDU Brandenburg, meine sehr geehrten Damen und Herren, diskutiert seit Monaten über das Thema Lohnuntergrenze. Wir haben das Thema umfassend in Verbindung mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes diskutiert.

(Jürgens [DIE LINKE]: Davon kriegt man nicht viel mit!)

Eine realistische Herangehensweise ist hilfreicher, als das gebetsmühlenartige Wiederholen oberflächlicher Aussagen.

(Beifall CDU - Zuruf [DIE LINKE]: Sagen Sie das Ihrer Kanzlerin!)

Zeitarbeit, Kurzarbeit oder geringfügige Beschäftigungsverhältnisse wurden häufig kritisiert. Als Arbeitsmarktinstrumente haben sie dennoch dazu beigetragen, Menschen in Beschäftigung zu bringen oder Arbeitslosigkeit zu verringern. Diese Instrumente verlieren automatisch an Bedeutung, wenn alle auf der Suche nach Fachkräften sind.

In allen wissenschaftlichen Untersuchungen wird schon aufgrund der demografischen Entwicklung ein sich weiter verschärfender Fachkräftemangel prognostiziert. Damit wachsen bei einer steigenden Nachfrage in Bezug auf Arbeitskräfte für Arbeitnehmer die Chancen, bei einem eventuellen Arbeitsplatzverlust wieder schnell in Arbeit zu kommen, und der Mangel an geeignetem Personal wird ebenfalls zu steigenden Löhnen und Gehältern führen.

(Abgeordnete Kaiser [DIE LINKE]: Was ist das für eine zynische Logik?)

Grundsätzlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, sind die Tarifpartner dafür verantwortlich, auskömmliche Löhne im Sinne der im Grundgesetz verankerten Tarifautonomie zu vereinbaren.

(Beifall CDU - Widerspruch DIE LINKE)

Dort, wo es keine tarifliche Bindung gibt, ist das allerdings nicht möglich, und da sind die Gewerkschaften in der Pflicht.

(Bischoff [SPD]: Die Christlichen!)

Wir führen als CDU in Brandenburg diese Diskussion über eine Lohnuntergrenze schon länger, als Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den Linken, es vermuten.

(Abgeordnete Kaiser [DIE LINKE]: Aber sehr diskret! Hat noch keiner gemerkt!)

Wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften größer ist als das Angebot und der Arbeitsmarkt flexibler wird, ist eine gesetzliche Lohnuntergrenze möglich.

Diese muss allerdings moderat ausgestaltet sein und darf nicht, wie bereits erwähnt, zum Spielball des politischen Wettbewerbs

werden. Die Festsetzung muss durch ein unabhängiges Gremium, ähnlich dem Hauptausschuss für Mindestarbeitsentgelte auf Bundesebene, auf der Grundlage belastbarer und nachvollziehbarer Fakten in einem transparenten Verfahren stattfinden. Das unterscheidet uns.

Die Lohnuntergrenze ermöglicht auch die Einhaltung des Lohnabstandsgebots. Das Verharren in Untätigkeit darf nicht lohnender sein als eine Erwerbstätigkeit. Wir gehen noch weiter in unseren Forderungen. Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt ist ein modernes Abfindungssystem, das sich beispielsweise an der Dauer der Betriebszugehörigkeit orientiert.

(Bischoff [SPD]: Wir reden über Mindestlöhne!)

- Eben! - Nach erfolgreichen Kündigungsschutzklagen haben nur wenige Arbeitnehmer den Wunsch, an ihren alten Arbeitsplatz zurückzukehren; stattdessen sind sie mit einer entsprechenden Abfindung einverstanden. Durch eine für alle Seiten kalkulierbare Abfindungsregelung entfiele in vielen Fällen eine Klage.

(Holzschuher [SPD]: Was hat denn das mit Mindestlöh- nen zu tun?)

- Wenn Sie über Mindestlöhne reden, dann müssen Sie auch über die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes nachdenken.

(Zuruf von der SPD: Ganz gewiss! Wenn wir irgendetwas in Deutschland nicht mehr brauchen, dann ist es die Fle- xibilisierung des Arbeitsmarkes!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe soeben dargestellt, dass ein politischer, ein gesetzlicher Mindestlohn ein Wettlauf wird nach dem Motto: Wer bietet mehr? - Sie wollen bestellen und andere sollen bezahlen.

(Bischoff [SPD]: Sie haben es nicht verstanden! - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Bei Aldi oder was? - Jürgens [DIE LINKE]: Also lehnen Sie die Initiative der Kanzlerin ab?)

Deswegen können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. - Vielen Dank.

Vielen Dank. - Der Abgeordnete Dr. Bernig spricht für die Linksfraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon fast ein Ritual in diesem Hohen Haus, die Aktualität der Themen von Aktuellen Stunden infrage zu stellen. In der Tat ist das Thema Mindestlohn für die Linke schon fast ein alter Hut, da wir die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes schon seit Jahren fordern und auch in diesem Parlament seit Jahren - damals noch als Opposition - beantragt haben.

Umso erfreulicher ist es, dass es in dieser Frage - aber auch in anderen - im Land Brandenburg im Jahr 2009 zu einem Politik

wechsel gekommen ist und wir uns in der Koalition auf die Einführung von Mindestlöhnen verständigen konnten.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Was wir in eigener Verantwortung regeln konnten, haben wir mit dem Programm „Arbeit für Brandenburg“ und mit dem Vergabegesetz bereits geregelt. Was auf der Ebene des Bundes geregelt werden muss, haben wir beim Bund mehrfach eingefordert. Wir wiederholen das heute mit unserem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag.

Das Aktuelle an dem Thema ist die Tatsache, dass sich nunmehr auch die CDU dem Thema Mindestlohn zuwendet. Man hat fast Angst, dass man bei der Forderung nach einer Transaktionssteuer durch die Bundeskanzlerin nun mit der Forderung nach einem Mindestlohn links überholt wird, auch wenn die CDU von Lohnuntergrenze und nicht von Mindestlohn spricht.

Aber diese Sorge verfliegt sofort, wenn man sich die Details des Ansinnens der CDU genauer ansieht. Dann wird sehr schnell deutlich, dass es sich um eine Mogelpackung handelt. Interessant ist, dass der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt beklagt, dass hierbei wohl der Meinung der Bevölkerung nachgegeben werde. Es wäre ja schön, wenn es so wäre, aber auch das ist nur eine Nebelkerze.