Protocol of the Session on November 10, 2011

Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich begrüße Sie zur 45. Sitzung des Landtags Brandenburg. Ich begrüße auch unsere Gäste, auszubildende Bürokaufleute aus dem OSZ II in Potsdam. Herzlich willkommen im Landtag! Einen spannenden Vormittag für euch!

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren! Ihnen liegt die Tagesordnung vor. Gibt es hierzu Bemerkungen? - Wenn das nicht der Fall ist, lasse ich über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Beides ist nicht der Fall, sodass wir nach der Tagesordnung verfahren können.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Mindestlohn jetzt!

Antrag der Fraktion der SPD

Drucksache 5/4181

Des Weiteren liegt Ihnen ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen in der Drucksache 5/4239 vor.

Die Debatte beginnen wir mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Der Abgeordnete Baer spricht zu uns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fairness auf dem Arbeitsmarkt - Mindestlohn jetzt! ist das Thema der heutigen Aktuellen Stunde, zu dem uns die CDU gewissermaßen die Vorlage geliefert hat.

(Bischoff [SPD]: Ja!)

Die Forderung nach einem verbindlichen Mindestlohn ist nicht neu, und ich freue mich, dass sich die CDU auf Bundesebene jetzt scheinbar diesem Thema nicht mehr gänzlich verschließt.

(Beifall SPD und DIE LINKE - Frau Kaiser [DIE LIN- KE]: Scheinbar!)

Damit man von seiner Hände Arbeit leben kann, will die CDU vor allem ihr Arbeitnehmerflügel CDA - die Würde der Arbeit wiederherstellen. Da sage ich nur: Herzlich willkommen in der Realität!

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Am heutigen Tage beschäftigt sich auch der Deutsche Bundestag mit diesem Thema, und ich hoffe, dass es bald gemeinsam gelingt, im Interesse der zahlreichen Geringverdiener im Lande einen Konsens zu finden und einen gesetzlichen allgemein ver

bindlichen Mindestlohn einzuführen. Die Fakten, liebe Kolleginnen und Kollegen, sprechen doch für sich. Die Arbeitslosenquote sinkt, das heißt, es kommen immer mehr Menschen in Arbeit, und doch gibt es eine nicht unerhebliche Zahl von Arbeitnehmern, die weiterhin auf Zahlungen des Staates angewiesen sind.

Wenn Menschen trotz Arbeit weiterhin Transferzahlungen beanspruchen müssen, dann heißt das: Ihr Lohn ist zu niedrig. Hier springt nun die Gesellschaft ein, wenn Unternehmen keinen auskömmlichen Lohn zahlen. Die Gesellschaft finanziert also den Gewinn der Unternehmen. Das ist auf Dauer nicht akzeptabel.

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU] - Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir müssen dafür sorgen, dass der Lohn zum Leben reicht. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die Allgemeinheit Niedriglöhne mit rund 11 Milliarden Euro jährlich subventioniert und auf diesem Weg einzelnen Arbeitgebern ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile verschafft. Diese Gerechtigkeitslücke ist nur durch einen flächendeckenden existenzsichernden Mindestlohn zu schließen.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wie bereits in unserem Antrag beschrieben, haben 5 Millionen Menschen in Deutschland ein Einkommen, das auf einem Stundenlohn basiert, der selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung keine hinreichende materielle und soziokulturelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Dumpinglöhne, liebe Kolleginnen und Kollegen, benachteiligen besonders Frauen. Der Anteil der abhängig beschäftigten Frauen mit Niedriglohn ist etwa doppelt so hoch wie derjenige der Männer. Das in Deutschland bestehende Lohngefälle zwischen Frauen und Männern von 25 % ist unter anderem auf das Fehlen eines gesetzlichen Mindestlohns zurückzuführen. Nahezu zwei Drittel der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen in Vollzeit arbeiteten 2009 zu Niedriglöhnen. Wir sehen in der Einführung eines bundesweit allgemein gültigen Mindestlohns auch einen wichtigen Beitrag zur Herstellung von Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern und damit zur Geschlechtergerechtigkeit.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Deutschland wäre mit einem gesetzlichen allgemeinverbindlichen Mindestlohn längst kein Vorreiter mehr. Deutschland würde nur einen Weg beschreiten, den schon mehr als zwei Drittel der EU-Mitgliedsstaaten erfolgreich gegangen sind. 20 der 27 Mitgliedsstaaten haben bereits einen gesetzlich verankerten Mindestlohn, der in Frankreich bei 9 Euro, in Luxemburg bei 10,16 Euro und in den Niederlanden beispielsweise bei 8,74 Euro liegt.

(Zuruf des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Deutschland ist Europameister im Lohn- und Sozialdumping, liebe Kolleginnen und Kollegen. Über 2 Milliarden Euro pro Jahr gibt der Staat für Aufstocker mit Vollzeitjob aus und subventioniert damit Arbeitgeber, die Arbeitnehmer zu Hungerlöhnen beschäftigen. Es kann doch nicht gewollt sein, dass sich Arbeitnehmer nach einer Vollzeitarbeit noch einen zweiten Job

suchen müssen, um auskömmlichen Familienunterhalt zu gewährleisten.

(Beifall SPD und vereinzelt DIE LINKE)

Ein gesetzlicher Mindestlohn bedeutet auch, dass die Ausgaben des Staates beim ergänzenden Arbeitslosengeld II, den sogenannten Aufstockern, sinken würde. Dabei warne ich aber vor einer Trickserei beim Mindestlohn. Eine gesetzliche Regelung darf keine Hintertüren beinhalten. Wir brauchen einen bundesweit für alle geltenden Mindestlohn. Nur damit bieten wir Sicherheit für alle Beteiligten.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir setzen darum auf faire Löhne in Brandenburg, auf einen Mindestlohn, und zwar einen Mindestlohn, der zum Leben reicht. Niedriglöhne stehen in einer Reihe mit Armutsrenten und letztendlich Altersarmut. Niedriglöhne sind ein Faktor für Altersarmut. Bereits heute sind ca. 400 000 Bürgerinnen und Bürger auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Durch niedrige Löhne und damit verbundene geringe Rentenbeiträge sowie Zeiten der Arbeitslosigkeit werden viele Geringverdiener Renten unterhalb oder an der Grenze der Grundsicherung erhalten. Nur ein ausreichender Mindestlohn garantiert, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vollzeitbeschäftigt sind, eine Alterssicherung erreichen können, die über der Grundsicherung im Altern liegt.

Von Niedriglöhnen sind keinesfalls - wie häufig behauptet nur gering Qualifizierte betroffen. Fast 70 % der Geringverdiener haben eine Berufsausbildung, knapp 10 % sogar einen Hochschulabschluss. Der Anteil dieser Personengruppen ist in den letzten Jahren sogar im Steigen begriffen. Das widerlegt übrigens auch Ihre These, lieber Kollege Büttner, die Sie in Ihrer Pressemitteilung vom 2. November darlegen, dass gering entlohnte Arbeitsplätze ein Einstieg für Erwerbslose zurück in den Arbeitsmarkt sind und deshalb die Einführung eines branchenunabhängigen Mindestlohns Beschäftigung verhindern würde.

Mit Verlaub: Ich denke, das ist schon ein ziemlicher Spitzenwert auf der nach oben offenen Unsinnsskala.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Niedriglöhne bedeuten doch nicht den Einstieg in eine bessere Zukunft, sondern meist das Verharren in Armut trotz Arbeit. Ich behaupte, wer einen flächendeckenden Mindestlohn ablehnt, möchte auch nicht, dass Arbeitnehmer von ihrer Hände Arbeit auskömmlich leben können.

Die CDU wendet sich nun scheinbar - entgegen ihrer bisherigen Position - dem Thema Mindestlohn zu. Ich muss nicht betonen, wie lange die SPD die Einführung einer gesetzlichen Lohnuntergrenze für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fordert. Auch die Gewerkschaften wissen wir dabei an unserer Seite. Der DGB setzt sich bereits seit 2006 für Mindestlöhne ein, und zwar am besten per Gesetz und flächendeckend, damit von dem Mindestlohn alle Arbeitnehmer - mit und ohne Tarifvertrag - profitieren können.

Die Zunahme von Niedriglöhnen ist vor allem auf den zurückgegangenen Grad der Tarifbindung zurückzuführen. Nur noch jeder zweite Beschäftigte in Deutschland arbeitet in einem

Unternehmen, in dem ein Branchentarifvertrag gilt. Nur noch 32 % der Betriebe unterliegen überhaupt einem Flächentarifvertrag, und selbst in den Bereichen, in denen Tarifverträge gelten, muss noch unterschieden werden.

Darum an dieser Stelle ein Wort an die selbsternannten Gralshüter der Tarifautonomie: Gerade erst hat das Bundesarbeitsgericht der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen die Tariffähigkeit abgesprochen. Auf der Grundlage dieser Gefälligkeitstarifverträge wollten die Arbeitgeber das Equal-pay-Prinzip umgehen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Gefälligkeitstarifverträge sind nur eine Facette des Problems und belegen, dass gesetzliche Leitplanken auch für die Tarifpolitik notwendig sind.

Lassen Sie mich abschließend aus einem Antrag zitieren, der demnächst beschlossen werden soll:

„Weil die Tarifbindung aber nachlässt, gibt es immer mehr tarifvertragsfreie Zonen. Dort können Arbeitgeber die Löhne einseitig festlegen. Außer der in der Praxis schwer nachweisbaren Sittenwidrigkeit und dem Verbot von Lohnwucher gibt es keine Leitplanken. Eine allgemeine Lohnuntergrenze könnte hier Abhilfe schaffen.“

Dieser Antrag stammt im Übrigen nicht von der SPD, sondern soll auf dem Bundesparteitag der CDU in Leipzig beschlossen werden.

(Lachen bei der SPD)

Nun muss sich die CDU also entscheiden: Entweder will sie weiterhin hohe Sozialtransfers und später hohe Zahlungen für die Grundsicherung, verbunden mit hohen Zahlen menschlicher Schicksale, die im Kreislauf von „Arm trotz Arbeit“ gefangen sind, oder aber sie macht einen Schritt in Richtung christlicher Soziallehre und existenzsichernder sowie menschenwürdiger Mindestlöhne, damit man endlich wieder von seiner Hände Arbeit leben kann.

(Beifall SPD, DIE LINKE sowie GRÜNE/B90)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, lassen Sie Ihren Ankündigungen Taten folgen. Unser vorliegender Entschließungsantrag ist nicht überzogen, sondern moderat formuliert, sodass Sie ihm durchaus folgen können, wenn Sie es ernst meinen mit Ihren Ankündigungen zu mehr Fairness auf dem Arbeitsmarkt. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE sowie GRÜNE/B90)

Wir setzen mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Die Abgeordnete Schier spricht zu uns.

(Abgeordnete Lehmann [SPD]: Jetzt kommt der Mindest- lohn!)