Es geht darum - wie Constanze von Bouillon in der heutigen „Süddeutschen Zeitung“ präzise formuliert -, „dass die Beschäftigung mit der Diktatur und ihren Vollstreckern nicht Rache dient, sondern der Demokratisierung postsozialistischer Gesellschaften.“ Ihre Hoffnung, dass sich das inzwischen in Brandenburg überall herumgesprochen hat, hat sich aber leider
nicht erfüllt. Und deshalb müssen wir auch darüber reden, ob wir eine Staatssekretärin das populistische Aufgreifen der bereits in ihrer Entstehungsgeschichte verunglückten kohlschen Redefigur von der „Gnade der späten Geburt“ und nunmehr umdeklariert zur „Gnade der westdeutschen Geburt“ unkommentiert durchgehen lassen und somit das Ringen um die Aufarbeitung zum Konflikt zwischen Alt- und Neubundesbürgern umdeuten wollen.
Und wir müssen darüber reden, ob wir es zulassen, dass der Begriff der Rechtsstaatlichkeit zum Kampfbegriff gegen Demokratie und Aufarbeitung umgeschmiedet wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist noch nicht lange her, da hatten wir in diesem Haus eine grundsätzliche Aussprache über die Zukunft der Aufarbeitung in diesem Land. Unser Ministerpräsident sagte damals, kurz nach der Serie von Stasi-Enthüllungen über dieses Parlament:
Richtig! Die Stasi-Debatte hat unser Land eingeholt - wieder einmal. Ich wünschte, der Landtag hätte diese Diskussionen bereits vor Jahren geführt. Anderenorts hat man sich hier schneller ehrlich gemacht. Die Wucht, mit der sich die Landesregierung jetzt konfrontiert sieht, ist insofern auch hausgemacht.
Mit unseren Initiativen wollen wir heute einen Weg zeigen, der die Klarheit bringt, die Innenminister Woidke zu Recht fordert. Ein Schrecken ohne Ende oder ein Ende mit Schrecken - auch darüber reden wir heute. - Recht herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Vogel, auch aus Ihren jetzigen Ausführungen, die ich schon für sehr ernsthaft und für sehr mit der Sache beschäftigt halte, ist mir nicht deutlich geworden, wie durch Aushebelung von rechtsstaatlichen Kriterien - wie Einzelfallprüfung, keine Generalverdächtigung, Vertrauensschutz, aber auch das Prinzip der zweiten Chance - das Vertrauen in Justiz und Staat und Rechtsstaat gestärkt werden soll. Und das ist ja das, was Ihre Anträge signalisieren, was Sie damit erreichen wollen.
Ich schicke noch einmal voraus, dass ich hier als jemand spreche, der selbst Stasi-Opfer ist. Ich habe 1992 als einer der ersten meine Stasi-Opferakte einsehen dürfen, übrigens mit dem Arbeitstitel - der Sie wenigstens freuen wird - „Umweltschützer“.
In meiner Stasi-Akte finde ich auch drei KGB-Spitzel. Ich will wirklich einmal in aller Ausführlichkeit sagen, wie betroffen
ich bin. Und wir haben postum auch für unsere Eltern die Stasi-Akten beantragt und waren nicht überrascht, dass auch sie schon von der Stasi observiert worden sind. Ich kokettiere manchmal damit, dass ich seit meiner Geburt beobachtet werde. Spätestens war es - so geht es aus den Akten hervor - seit dem 17. Lebensjahr bis zum Ende der DDR der Fall. Im Januar 2011 hatte ich Besuch von der Stasiunterlagenbehörde. Stefan Raabe, der über Internierungslager im Bereich Belzig und Brandenburg forscht und dort meinen Decknamen gefunden hat, den die Stasi mir gegeben hatte, konnte mir mitteilen, dass ich ganz oben auf der Liste derer stand, die im Krisenfall sofort zu internieren gewesen wären. Das hatte natürlich auch biografische Folgen, nämlich dass ich Studienverbot hatte - mit der „neckischen“ Begründung gesellschaftspolitischer Unreife -, das will ich hier nur einmal andeuten.
Trotzdem war es ein Prinzip der friedlichen Revolution - und ich zähle mich zu den friedlichen Revolutionären -, dass wir Gerechtigkeit wollten und keine Revanche.
In der Volkskammer ist einer der Baumeister dieses Prinzips Alwin Ziel als Volkskammerabgeordneter und auch als Staatssekretär gewesen. Laden Sie ihn einmal ein, er kann Ihnen Details dazu schildern, wie das dort im Einvernehmen mit den meisten, mit der großen Mehrheit gelaufen ist.
Und das ist ja immer die Schwierigkeit nach einer solchen Revolution: Wir wussten, ich wusste, viele der Mitstreiter wussten, wohin es gehen soll. Aber dann braucht man halt die Fachleute, die das juristisch auch umsetzen.
Die Volkskammer hat im Einigungsvertrag - und die Volkskammer war ein demokratisch gewähltes Parlament - festgeschrieben, dass es eine Übernahme von DDR-Staatsdienern nach Überprüfung geben solle. Darüber kann man streiten, aber das war halt das Prinzip. Wir hatten eine friedliche Revolution, und nach einer friedlichen Revolution erfolgt Versöhnung und nicht Revanche.
Das ist das Besondere. Gerade Sie schmücken sich ja gerne in Sonntagsreden auch mit dem Thema „Friedliche Revolution“. Wenn es dann aber wirklich auf die Inhalte einer solchen Revolution ankommt, weichen Sie zurück - auf ganz altertümliche rechtsstaatliche Positionen.
Der Einigungsvertrag, wie gesagt, hat Übernahme nach Überprüfung festgeschrieben - auch Ihre Partei hat dafür gestimmt -, und die Überprüfungskommission wie auch die Richterwahlausschüsse waren demokratisch von der Volkskammer eingesetzt. Es waren nicht irgendwelche dahergelaufenen Leute, die vielleicht mit großer Nachsicht da irgendwas gemacht haben. Es waren demokratisch legitimierte Überprüfungskommissionen und Richterwahlausschüsse, und die Volkskammer und die Bundesstelle für die Stasi-Unterlagen haben ganz klare Kriterien vorgegeben. Ich selber habe in den 90er Jahren zwei Untersuchungskommissionen auf kommunaler Ebene geleitet, und wir hatten diese ganz klaren Kriterien, an die wir uns auch sehr ernsthaft gehalten haben. Das sollten Sie auch nicht in Zweifel ziehen. Ein Kriterium war die Unterschrift und weitere Kriterien waren, ob Berichte verfasst, Geld oder Geschenke an
genommen worden waren, Menschen geschadet worden war. Das Alter, in dem das stattfand, die Umstände, unter denen es dazu gekommen ist - es gab mehrere Fälle von Erpressung -, sowie die Dauer und die Beendigung der Zusammenarbeit wurden ebenfalls berücksichtigt.
Wenn ein Fall vorlag, dann wurde ich von der Stasi-Unterlagenbehörde hier in Potsdam angeschrieben. Ich bin dann dahingefahren und habe die Akten abgeholt. Die wurden nämlich nicht zugeschickt. Dazu war der Inhalt zu brisant. Selbstverständlich habe ich mich dort vor Ort mit den Menschen und mit den Fachleuten in der Stasi-Unterlagenbehörde beraten. Wir, die wir die Überprüfung vorzunehmen hatten, haben diesen Rat sehr ernst genommen. Wenn ich mich recht entsinne das liegt nun allerdings schon einige Jahre zurück -, dann haben wir in der Regel und am Ende in Richtung der Empfehlung dieses Rates entschieden.
Am Ende musste nämlich entschieden werden, ob die zu überprüfende Person entlastet werden sollte. Ich saß damals mit Hubertus Kriesel, dem CDU-Landrat, in einer Überprüfungsgruppe. Wir hatten beide vorher unsere Opferakten gesehen. Ich denke, wir beide haben eine recht gute Arbeit gemacht, und zwar jenseits aller parteipolitischen Polemik.
Wenn die Entlastung zu erteilen war, weil die Akten das hergaben, dann habe ich den Betroffenen immer gesagt: Ich weiß nur das, was hier in den Akten steht. Sie wissen gegebenenfalls mehr. Wenn Sie mehr wissen, dann sagen Sie uns das bitte. Anderenfalls fällt das später auf Sie zurück, falls neue Aktenfunde auftauchen.
Wenn derjenige dann gesagt hat, das sei wirklich alles, dann haben wir ihm das Votum erteilt und ihn entlastet. Die Betroffenen können sich - das ist das rechtsstaatliche Prinzip des Vertrauensschutzes, Herr Vogel - auf den Spruch eines demokratisch gewählten und nach demokratischen Maßstäben handelnden Gremiums verlassen. Das gilt - wie der Generalstaatsanwalt das gesagt hat - lediglich dann nicht, wenn wesentliche und neue Tatsachen zu Tage treten. Das gilt aber nicht umgekehrt durch eine Generalverdächtigung aller, die einmal in ihrem Leben einen Fehler gemacht haben.
Das ist das Prinzip der Einzelfallprüfung. Es ist deshalb überhaupt nicht denkbar, alle 843 Richter sowie die ehrenamtlichen Richter unter Generalverdacht zu stellen. Auch wenn Sie es nicht wörtlich so formulieren, so ist das de facto aber ein Generalverdacht. Das ist so, wenn sich alle nach 20 Jahren noch einmal einer Überprüfung unterziehen müssen.
Hier gibt es einen Unterschied zwischen der Justiz und der Polizei. Denn bei der Polizei sind neue Tatsachen aufgetaucht. Die müssen geprüft werden. Hier muss rechtsstaatlich gehandelt werden. Das betrifft den jeweiligen Einzelfall. Im Zweifel steht da Aussage gegen Aussage. Gerichte werden das entscheiden müssen. Auch das ist ein Teil des Rechtsstaats. Deshalb hatte der Innenminister einen anderen Auftrag, zu handeln, als dies für den Justizminister galt, der sich aus meiner Sicht bisher korrekt verhalten hat.
Ich will ein weiteres Prinzip nennen. Ich meine damit das Prinzip der zweiten Chance. Liebe Christen, wenn Sie im Religionsunterricht aufgepasst haben, dann müssten Sie genau dieses Prinzip der zweiten Chance verinnerlicht haben. Das ist eine Grundsäule des christlichen Abendlandes.
Liebe Grüne, wir hatten einmal einen Außenminister aus Ihrer Partei. In dessen Amtszeit hat der „Spiegel“ Fotos veröffentlicht, die ihn als jungen Mann zeigten, als er Polizisten verprügelt hat. Ein Polizist hatte den klangvollen Namen Marx. Das hat sich bei mir eingeprägt. Niemand in diesem Land hat Herrn Fischer daraus einen Vorwurf gemacht, weil er sich längst von dieser gewaltsamen Vergangenheit gelöst hatte.
- Ja, Sie haben ihm vielleicht einen Vorwurf gemacht. Aber der Großteil der rechtsstaatlich eingestellten Menschen hat ihm diesen Vorwurf nicht gemacht.
Das Gewaltmonopol in einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Ordnung infrage zu stellen ist keine Petitesse. Es war schon starker Tobak, was da passiert ist. Die abendländisch-christliche Kultur ruht auf dem Gewaltmonopol des Staates, wenn ich das richtig erinnere. Der „ewige Landfrieden“ von 1497 sei erwähnt. Damit begann die Neuzeit. Trotzdem gab es für diesen Außenminister das Prinzip der zweiten Chance.
In der Bundesrepublik gab es früher den Kommunistischen Bund Westdeutschlands. Der hatte eindeutig Ziele, die mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren waren. Wenn man die ehemaligen Mitglieder dieses kommunistischen Bundes googelt, dann liest sich das wie ein „Who is Who“ der grünen Partei.
Ich kann die Namen hier gar nicht alle aufzählen. Sehr viele von ihnen sind in Ihrer Partei. Manche sind auch in der SPD, ich erwähne zum Beispiel Ulla Schmidt; das will ich gar nicht verheimlichen. Ich nenne beispielsweise Jürgen Trittin, Krista Sager, Angelika Beer, Reinhard Bütikofer, Winfried Nachtwei und Ralf Fücks. Die Liste nimmt kein Ende, ich habe sie nicht mehr weitergeführt.
Auch der erste grüne Ministerpräsident in diesem deutschen Lande, Winfried Kretschmann, hat von 1973 bis 1975 zum KBW gehört. Allen diesen Menschen billigt man die zweite Chance zu. Sie haben sie auch genutzt. Sie haben sich von ihrer Vergangenheit distanziert. Das gilt genauso für die Menschen, von denen wir heute sprechen. Die Prinzipien des Rechtsstaats gelten. Das gilt auch für das Prinzip der zweiten Chance. Das gilt für alle. Erneut will ich mit Rautenberg sagen: Wir haben keine schlechten Erfahrungen mit den Richterinnen und Richtern und den Justizmitarbeitern, die übernommen worden sind, gemacht. Die sind zudem durch ein langes Filtersystem gegangen. Das sind keine Haupttäter. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sie die zweite Chance genutzt haben. Das gilt für sie genauso wie für die von mir zitierten Mitglieder Ihrer Partei.
ment, die Zahl der Akten habe sich verdreifacht, schließt bei Ihnen wohl ein: Einmal Stasi - immer Stasi. Wer da überprüft wird, sagt immer nur das Notwendige. Der sagt immer nur das, was man gerade in den Akten liest.
- Das ist eben nicht die Erfahrung. Wenn Sie - so wie ich - eine Stasi-Überprüfungskommission geleitet hätten, dann hätten Sie ganz andere Erfahrungen machen können. Ich habe nicht nur diese anderen Erfahrungen gemacht, sondern ich habe auch ein anderes Menschenbild. Das entspricht im Übrigen dem freiheitlichen Rechtsstaat besser als ein Menschenbild der Generalverdächtigung.
Wer sich also gerne mit der friedlichen Revolution schmückt ich schmücke mich nicht damit, ich bin dabei gewesen, und ich habe 38 Jahre in der DDR dafür gestritten -, der muss am Ende auch akzeptieren, dass eine friedliche Revolution nicht mit „der Guillotine“, mit Revanche, endet, sondern mit Rechtsstaatlichkeit. Anders, als Sie uns das in Ihren Anträgen suggerieren wollen, schafft Rechtsstaatlichkeit Vertrauen. Deshalb lehnen wir Ihre Anträge ab. - Vielen Dank.