Protocol of the Session on July 2, 2009

Sie haben das öffentliche Schulsystem heruntergewirtschaftet, sodass inzwischen die Eltern jedes achten Schülers den Ausweg nur noch in einem freien Träger sehen. 139 freie Schulen haben wir schon, Tendenz steigend. Wir sind in der Dynamik hier inzwischen Spitze, eine bloße Ergänzung ist dies nicht mehr. Das öffentliche Schulsystem ist durch Sie, meine Damen und Herren, in eine akute Wettbewerbsbenachteiligung manövriert worden.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Sie haben weder Vorsorge für den immensen Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern und an Lehrkräften getroffen, der sich ab 2013 auftut, noch Vorsorge zum Schuljahr 2009/10. Zum nächsten Schuljahr stellen Sie ganze 180 Lehrkräfte ein, schicken mehrere hundert Lehrkräfte, die an der Universität Potsdam ausgebildet wurden, in unseren Schulen, mit einem hohen Maß eine Selbstausbeutung der Lehrkräfte, die zum Zweiten Staatsexamen geführt wurden, weg. Absolventen, die hier bleiben wollen, obwohl sie hier schlechtere Vergütungsbedingungen haben, schicken Sie noch in diesem Sommer weg. Sie werden, wenn wir sie ab 2012 brauchen, hier nicht mehr zur Verfügung stehen, weil wir in der Vergütungsspirale der alten Bundesländer, die jetzt schon eingesetzt hat, einfach nicht mitbieten können, Herr Ministerpräsident.

(Vereinzelt Gelächter bei der SPD)

- Ich weiß wirklich nicht, wo hier das Humorvolle ist.

Deswegen meine ich: Umsteuern jetzt! Gerade in der Krise sind die Weichen für bessere Bildung zu stellen. Antizyklische Investitionen in Bildung und Forschung sind das Kerngeschäft eines erfolgreichen Krisenmanagements. Hohe Bildungsqualifikationen sind für den Hochtechnologiestandort Brandenburg von strategischer Bedeutung. Für den Einzelnen, für das Land und die Gesellschaft ist Bildung die entscheidende und renditestärkste Investition in die Zukunft.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Auch wir in Brandenburg werden uns nur durch wissensbasierte Innovationen behaupten können. Der neben dem demografischen Wandel vom Brandenburger Bildungssystem verursachte Mangel an qualifizierten Fachkräften wirkt jetzt schon als Wachstumsbremse.

Nun können Sie sich vorstellen, dass die eben genannten Argumente gar nicht die Hauptargumente der Linken sind. Uns geht es immer zuerst um die Freiheitsgüter, um Teilhabe, um das Menschenrecht auf Bildung. Ich habe nur die Hoffnung, dass die Marktfetischisten und Wachstumsfetischisten unter Ihnen wenigstens dieser Argumentation folgen können und diese Sprache verstehen.

Es war im Übrigen die Sprache von McKinsey & Company. Im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung hat sie den Appell „Zukunftsfähig durch Bildung“ in den politischen Raum gerichtet.

Da muss man doch jetzt nachfragen, ob Ihre Vorhaben der nächsten Jahre auch nur wenigstens im Ansatz ein Schritt in die richtige Richtung sind. Dabei stelle ich fest: Sie alle haben erkannt, dass es einen Bedarf an Lehrkräften gibt. Sie haben auch alle erkannt, dass Bildung Priorität hat. Nun frage ich in Richtung SPD: Wo bleiben Ihre Visionen? Wo bleibt das im Bundestagswahlprogramm Beschlossene? Warum diese Angst, Bildungsbürgertum zu verprellen? Warum nicht der Mut, gute Bildung, Exzellenz für alle anzusteuern, das Strukturproblem anzugehen,

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

wenn schon McKinsey sagt: „Nur längeres gemeinsames Lernen in einer gut ausgestatten Schule wird uns helfen, Erfolge zu erreichen“?

(Bischoff [SPD]: Sie vertrauen McKinsey?)

Auch beim Bildungsstreik war eine der Hauptforderungen die Beendigung des Aussortierens, die Beendigung der Methoden, die auf Druck, auf Repression, auf Wegschicken basieren. Wo bleibt, meine Damen und Herren der SPD, Ihre Leidenschaft für die noch vorhandenen Gesamtschulen, die zumindest ansatzweise diesen Forderungen entsprechen? Es gibt in Ihrem Programm keine Aussage zu strukturellen Fragen, keine am Bedarf orientierte Bemessung der Stellen. Sie wollen noch nicht einmal so viele Lehrkräfte neu einstellen, wie Sie laut Schulressourcenkonzept zu sparen vorhaben,

(Bischoff [SPD]: Wir sparen hier nicht!)

und erst recht nicht so viele, wie eigentlich vorgesehen waren. Sie, Herr Ministerpräsident, sparen 400 pro Jahr laut Schulressourcenkonzept. Sie, Herr Ministerpräsident, haben in Verantwortung für künftige Generationen - so war Ihr Argument bei der Kita-Demo - eine Bewegung in Richtung Verbesserung des Personalschlüssels bei den 3- bis 6-Jährigen abgelehnt. Das „Basta“ oder „Alternativlose“ erzeugte dort erheblichen Unmut. Verantwortung heißt doch aber vor allem, Kindern von Anfang an die bestmögliche Bildung mitzugeben.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Das geht bei den 3- bis 6-Jährigen nicht in einer Gruppe von 20 Kindern. Wenn Sie sich eine Kita mit 90 Kindern vorstellen, wo der Betreuungsschlüssel bei den 0- bis 3-Jährigen 1 : 6 beträgt, den Sie sich im Wahlprogramm vorgenommen haben, so sind das ganze drei Stunden in einer Woche, die diese Kita dann mehr bekommt. Das kann doch nicht ernsthaft Ihre Antwort auf die Situation des Personals im Kita-Bereich sein.

(Zurufe der Abgeordneten Lehmann und Holzschuher [SPD])

Nun zu Ihnen, meine Damen und Herren, Sie stopfen mit Ihren Wahlprogrammaussagen nur Löcher, die Sie selbst gerissen haben, und eigentlich nicht einmal das wirklich.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Nun zu Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU. Mein Kollege Senftleben hat in dieser Legislaturperiode sehr viel Bodenhaftung erfahren. Er war vor Ort präsent. Er hat die SPD

auch ein Stück weit getrieben, vor sich hergetrieben, allerdings in unterschiedliche Richtungen. Viele Forderungen der letzten Wochen kommen mir sehr bekannt vor - ob die zum Erhalt von Schulen - zu spät -, ob die Personalausstattung - zu wenig oder ob die Schulämterdebatte - zu unprofessionell. Auch die CDU will plötzlich den Kita-Personalschlüssel auf 1 : 6 und 1 : 10 verbessern. Das hätten Sie in der vergangenen Legislaturperiode fünfmal haben können, wenn Sie unseren Anträgen zugestimmt hätten. Das ist jetzt Ihr Glaubwürdigkeitsproblem aber besser spät als nie.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE - Zuruf der Abge- ordneten Kaiser [DIE LINKE])

- Keine Sorge, wir können uns bei diverser Übereinstimmung im Detail nicht vorstellen, dass die CDU die Weichen in die richtige Richtung stellt. Sie wollen - pädagogisch völlig unsinnig - Grundschulklassen größer als Sek-I-Klassen haben. Sie wollen Bildungsprivilegien ausbauen und natürlich in Ignoranz aller internationalen Erfahrungen Schülerinnen und Schüler nicht länger gemeinsam lernen lassen und kommen dann immer mit dieser Einheitsschulkeule. Die CDU hat keine Idee zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Ich frage mich, wie diese SPD mit all dem leben kann. Aber das Leben von uns Parteien ist hier Nebensache, es geht um das der Kinder, um deren nachhaltige Entwicklungsmöglichkeiten und deren Chancengleichheit in diesem Land. Ich bin gespannt auf die Debatte.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE - Zurufe von der SPD)

Bevor die Abgeordnete Geywitz für die SPD-Fraktion ans Rednerpult tritt, begrüße ich eine weitere Besuchergruppe, angehende Journalisten, die ihr Volontariat bei der „Lausitzer Rundschau“ absolvieren und damit auf dem Weg in die vierte Gewalt sind. Herzlich willkommen und einen spannenden Vormittag bei uns!

(Allgemeiner Beifall)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Wer in Brandenburg ein ruhiges Leben führen will, sollte nicht Bildungspolitiker werden. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren viel angepackt und geschafft, damit unsere Kinder mit bestmöglicher Bildung aufwachsen. Wir haben die Oberschule und das Abitur nach zwölf Jahren eingeführt, wir haben FLEX ausgebaut, Frau Große, und 245 Millionen Euro in den Ausbau der Ganztagsschulen gesteckt. Wir haben den Schulsozialfonds eingeführt und mit Millionensummen aus Europa das Praxislernen in unseren Oberschulen umgesetzt. Wir sind bei den PISA-Ergebnissen in allen Kategorien aufgestiegen. In unseren Kitas fangen wir jetzt schon vor der Schule mit einer gezielten Sprachförderung an. Das alles hat Geld gekostet. Wir haben viel Geld in die Hand genommen, weil Bildung bei uns nicht nur in Reden Priorität hat, sondern auch in der Praxis. Dafür danke ich allen, die daran beteiligt waren. Ich verspreche: Wir werden das auch nach der Wahl tun.

Auch bei mir sind die Wünsche für eine bessere Personalausstattung an unseren Kitas angekommen. Ich verspreche den El

tern: Wir wollen mit dem neuen Kita-Gesetz mehr Erzieherinnen für unsere Kleinsten einstellen, besonders bei den unter den 3-Jährigen.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß, dass der Wunschzettel der Fraktionen in diesem Haus noch viel länger ist. Wir Sozialdemokraten haben unser Wahlprogramm nicht an den Weihnachtsmann geschrieben. Wir halten es mit Helmut Schmidt, der einmal gesagt hat: Politiker sollen nur versprechen, was sie auch halten können. - Wir sagen: Viel versprechen hilft nicht, nur Versprechen halten hilft.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erfolgreiche Bildungspolitik ist keine Tonnenideologie. Sie bemisst sich nicht nach der Zahl der Anträge im Plenum, auch wenn ich manchmal bei Frau Große den Eindruck hatte. Gute Bildungspolitik unterstützt ganz praktisch all die Menschen, die lernen und begreifen, ihre Neugier stillen und ihre Fantasie entdecken wollen.

Darum möchte ich in dieser Aktuellen Stunde vor allen Dingen über das Leben reden, über Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, über die vielen Engagierten, die ich in den letzten fünf Jahren in diesem Land kennen gelernt habe. Gute Bildungspolitik heißt für mich, Menschen reich machen an Wissen und Können. Manchmal gelingt es sogar, dass Träume wahr werden. Zum Beispiel Juliane Domscheit, sie ist Schwimmerin und ist als Schwimmerin zur Sportschule nach Potsdam gekommen. Aber es lief nicht so gut. Statt den Kopf hängen zu lassen, hat Juliane die Zähne zusammengebissen und ist zu den Ruderern gegangen. Aufstehen und neu anfangen! Dann hat es geklappt. Sie wurde 2006 Vize-Juniorenweltmeisterin, hat im letzten Jahr an den Olympischen Spielen teilgenommen, und am letzten Samstag bekam sie trotz dieser enormen Belastung ihr Abiturzeugnis.

Juliane ist nicht allein. Ihre Schulkameradin, die Kanutin Franziska Weber, hat am letzten Sonntag bei der EM in Brandenburg an der Havel Silber geholt. Zusammen mit der Medaille hat Matthias Platzeck ihr das Abiturzeugnis überreicht; denn zur Abi-Feier konnte sie wegen der EM nicht fahren.

Unsere Potsdamer Sportschule ist eine Schule, in der jungen Menschen die Chance gegeben wird, dass ihre Träume wahr werden. Bildungserfolg ist viel mehr als ein Platz im PISARanking nach oben. Wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler in Brandenburg aus ihren Talenten etwas machen, nicht nur im Sport, sondern auch in der Musik. Darum haben wir ein Musikschulgesetz, das den Kommunen bei dieser Aufgabe hilft. Solch ein Gesetz gibt es sonst nur noch in Sachsen-Anhalt. Natürlich werden wir beim nächsten Landeshaushalt wieder diskutieren, ob der Topf dafür noch etwas voller werden kann. Viele haben aber auch jetzt schon Erfolg.

Unsere Jugendlichen aus Brandenburg spielen beim Bundeswettbewerb von „Jugend musiziert“ ganz vorn mit, zuletzt Anfang Juni in Essen. Ich gratuliere Maximilian Wagner aus Leegebruch zu seinem ersten Preis in der Kategorie Querflöte genauso wie Jonas Finke aus Potsdam, der beim Horn die maximale Punktzahl erreichte, und Lisa Kollade aus Beelitz, ebenfalls Platz 1, sowie Tillmann Albrecht aus Potsdam mit seinem

Cembalo. Ich denke, das hat einen Applaus aus dem ganzen Haus verdient.

(Allgemeiner Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Leistungen fallen nicht vom Himmel. Schülerinnen und Schüler haben sie erkämpft, und Lehrerinnen und Lehrer haben sich dafür eingesetzt. Sie lassen den Griffel nicht um halb eins beim letzten Gongschlag fallen, wie manche glauben, die schon lange keine Schule mehr von innen gesehen haben.

Unser märkisches Bildungssystem wächst, sicher nicht die Zahl der Schulen, aber die Zahl der Schulen, die Qualität ganz groß schreiben, die ein eigenes Profil entwickeln und mit Kreativität und Engagement unsere Jugend für die Zukunft fitmachen. Diese Schulen gibt es bei uns immer öfter, zum Beispiel die Montessori-Schule in Potsdam - wohlgemerkt eine staatliche Oberschule mit Montessori-Orientierung, die 2007 den deutschen Schulpreis gewonnen hat.

Solche hervorragenden Oberschulen und Schulen gibt es im ganzen Land. Mich hat die Oberschule in Glöwen immer wieder beeindruckt. Diese Schule in der Prignitz war häufig von der Schließung bedroht. Aber die Lehrer haben nicht gewartet, was passiert, sondern sind durchgestartet. Sie haben seit zehn Jahren eine Partnerschaft mit dem Rundfunksinfonieorchester in Berlin. Jedes Jahr geben die Schüler der Glöwener Oberschule gemeinsam mit diesen Profimusikern ein Konzert in der Berliner Philharmonie. Die Oberschule in Glöwen hat noch mehr geleistet. Sie hat sich auf den Weg zu einer Schule für alle Kinder gemacht, einer Schule, die kein Kind zurücklässt.

(Beifall der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

An der Oberschule in Glöwen lernen Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichstem Förderbedarf: beim Lernen, beim emotionalen-sozialen Verhalten, beim Hören, beim Sehen oder bei der Sprache. Nur dadurch wachsen diese Kinder zu Hause bei ihren Eltern und Geschwistern auf und nicht in einer Spezialschule weit entfernt.

(Beifall der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

Brandenburg meint es ernst mit der Förderung der Integration. Im Bundesdurchschnitt gehen 15 % aller Kinder mit Förderbedarf in die Regelschule, im Land Brandenburg sind es 35 %, und wir wollen noch mehr.

Eines will ich klar sagen: Integration setzt Rahmenbedingungen voraus, zum Beispiel genügend Sonderpädagogen. In der Hinsicht bin ich unzufrieden, dass das Wissenschaftsministerium bei der Einrichtung des Sonderpädagogik-Studiums an der Universität Potsdam noch zögert. Wenn Sie, liebe Frau Prof. Dr. Wanka, noch zweifeln, dann fahren Sie in die Schule für Sehgeschädigte nach Königs Wusterhausen. Dort lernen die Kinder Orientierung, Mobilität und lebenspraktische Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, eigenständig und selbstbestimmt zu leben. An dieser Schule basteln Lehrer, studierte Sonderpädagogen dreidimensionale Tastkarten für den Geografieunterricht, damit die Kinder lernen, wie die Grenzen von Afrika sich anfühlen. Die Lehrer übersetzen Schulbücher in Handarbeit in Blindenschrift, damit ihre sehschwachen und blinden Schüler ein vollwertiges Abitur machen können. Das

sind unsere Sonderpädagogen. Wir sollten uns nicht scheuen, mehr davon auszubilden.