Protocol of the Session on July 2, 2009

Meine Damen und Herren! Ich darf Sie zur 88. Plenarsitzung des Landtags Brandenburg begrüßen.

Ich begrüße unsere Gäste, eine Schülergruppe aus der Mühlendorf-Oberschule in Teltow. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg und einen spannenden Vormittag für euch!

(Allgemeiner Beifall)

Ich darf vor Eintritt in die Tagesordnung unserem Abgeordneten Peer Jürgens zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren. Herzlichen Glückwunsch!

(Allgemeiner Beifall)

Gefeiert wird erst anschließend.

Gibt es Bemerkungen zur vorliegenden Tagesordnung? - Da das nicht der Fall ist, bitte ich um Zustimmung zur Tagesordnung. - Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Einige Gegenstimmen. Damit ist die Tagesordnung beschlossen.

Wir haben heute eine nicht ganz so starke Fluktuation auf der Regierungsbank zu erwarten, sodass wir davon ausgehen können, dass Herr Görke keinen Geschäftsordnungsantrag stellen muss.

Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Mehr Qualität für Bildung - Umsteuern jetzt

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Wir beginnen mit dem Redebeitrag der Abgeordneten Große, die für die Fraktion DIE LINKE spricht. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Sie haben gestern eine durchweg positive Bilanz bezüglich der bildungspolitischen Erfolge, die Sie in dieser Legislaturperiode erreicht haben, gezogen.

(Senftleben [CDU]: Sie aber nicht! - Frau Lehmann [SPD]: Das machen wir heute wieder!)

Zu einer Bilanz hätte auch gehört, dass man sagt, wo noch Defizite bestehen, wo es noch großer Kraftanstrengungen bedarf. Das haben Sie nicht geleistet. Hätten Sie das getan, würde ich heute eine andere Rede halten können.

(Heiterkeit - Zuruf von der SPD: Die war doch schon fer- tig!)

Sie haben ja alle irgendwo eine Schule besucht - oder fast alle -,

(Heiterkeit)

in der man Ihnen etwas zur Dialektik beigebracht hat. Von der Triebkraft der Widersprüche haben Sie auch einmal etwas erfahren; insofern muss ich heute diesen Beitrag einfach leisten.

(Unruhe im Saal)

- Kriegen wir das ein bisschen ruhiger hin, verehrte Abgeordnete? Hier sitzen Schülerinnen und Schüler aus meinem Wahlkreis, was sollen die denn denken?

(Vereinzelt Heiterkeit bei der SPD)

Da frage ich mich besorgt, ob Sie die Signale der letzten Wochen nicht erreicht haben. Noch nie - noch nie! - hat es in Brandenburg so heftige Aufschreie der Unzufriedenheit bei Akteuren und Betroffenen von Bildungspolitik gegeben wie in den letzten Wochen.

Herr Ministerpräsident, ich habe am 26.06. bei dem Sternmarsch, bei dem ich hinter Ihnen stehen musste, als die 3 000 Kita-Erzieherinnen und -Erzieher im Lustgarten demonstriert haben, erstmals erlebt, dass Sie ausgepfiffen wurden und Ihr sympathisches Lächeln einfror

(Zuruf von Ministerpräsident Platzeck)

- angesichts der berechtigten Forderungen dieser Kita-Initiativen, die Sie allerdings als „alle Wünsche“ bezeichnet haben.

(Ministerpräsident Platzeck: Das ist doch gestern schon alles zur Sprache gekommen!)

Sie haben Härte gezeigt, den Demonstrierenden nicht nach dem Munde geredet.

(Bischoff [SPD]: Das war Ehrlichkeit!)

Sie haben diesmal nichts davon gesagt, dass die Kinder unsere Zukunft sind. Das hätte man Ihnen an dem Tag auch nicht durchgehen lassen, aber genau darum muss es in der Analyse am Ende einer Legislatur und in der Ableitung der Aufgaben aus dieser Analyse gehen. Es geht um die Prioritäten, die wir in diesem Land zu setzen haben.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Brandenburger Kitas werden seit Wochen bestreikt. Beim Bildungsstreik vom 15. bis 20. Juni haben etwa 10 000 Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten in Brandenburg gewaltfrei, kreativ, fantasievoll und ausdauernd für bessere Bedingungen in Schule und Studium demonstriert, haben beeindruckende Aktionen durchgeführt. Wir alle können stolz sein da bin ich ganz bei Ihnen, Frau Prof. Wanka - auf so viel politisches Engagement junger Menschen. Nur, beide Koalitionsparteien haben den Streik weitgehend ignoriert.

Etwa 7 000 Lehrerinnen und Lehrer haben in ihren Personalversammlungen im Juni in sechs Schulamtsbereichen eben nicht nur um ihre Rechtssicherheit als Teilzeitverbeamtete gekämpft, sondern vor allem die desaströse Personalpolitik des Landes angeprangert, die Einstellung neuer Lehrkräfte und die Anerkennung ihrer geleisteten Arbeit gefordert.

Die bildungspolitischen Sprecher, Frau Kollegin Geywitz und

Herr Kollege Senftleben, aller demokratischen Fraktionen sind derzeit fast täglich von Verbänden und Gremienvertretern eingeladen. Ich habe wirklich noch keine Veranstaltung erlebt, bei der nicht die Luft brannte, und wirklich noch keine, bei der auch nur annähernd von Erfolgen gesprochen wurde.

Die Musikschulen sehen nun nur noch in einer Volksinitiative „Musische Bildung für alle“ einen Weg, die von 3,3 Millionen auf 2,6 Millionen Euro gekürzte Landesförderung zu thematisieren. Sie, meine Damen und Herren der Regierung und der Koalition, haben hier Kommunen und Eltern über Gebühr belastet. Die Elternbeiträge stiegen immerhin um 34 %.

Das alles können Sie doch nicht einfach ausblenden, meine Damen und Herren der Koalition. 20 000 Protestierende in den letzten Wochen - und das bei Menschen, die sonst zu einer unglaublichen Duldsamkeit fähig sind! Sie haben offensichtlich Grenzen überschritten und reden sich das Ganze auch noch schön.

Wenn Sie die Erfolge bei PISA gestern in der Begründung Ihrer Erfolge als einzigen Beweis Ihrer guten Bildungspolitik ins Feld führen, dann möchte ich nur daran erinnern, dass der Erfolg insbesondere durch die Gruppe der Gymnasialschüler erreicht wurde, dass die Risikogruppe stabil bei 23 % liegt, also die Gruppe derer, die letztendlich im unteren Kompetenzbereichniveau liegen, und wir nach wie vor das Land mit den meisten Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss sind, dass wir das Land mit den geringsten Pro-Kopf-Ausgaben sind und all Ihre Maßnahmen dazu geführt haben - das finde ich besonders bitter, auch für eine sozialdemokratische Partei besonders bitter -, dass der schulische Erfolg maßgeblich von der sozialen Herkunft abhängt.

Was bisher nicht signifikant war, haben Sie in dieser Koalition über die beiden Legislaturperioden erreicht. Sie haben in der letzten Legislatur 4 500 Lehrerstellen eingespart, die LehrerSchüler-Relation nicht in dem Maße verbessert, wie Sie es sich vorgenommen hatten.

(Holzschuher [SPD]: Aber verbessert!)

- Dazu sage ich gleich etwas.

Sie haben alle durchaus richtigen Maßnahmen wie die Flexible Eingangsphase, den Ganztagsbetrieb, die Stundenzuweisungen für die Oberschule - das ist das einzige Lob, das ich heute erteile -

(Frau Dr. Funck [CDU]: Gott sei Dank!)

aber aus dem System heraus finanziert und damit die Bedingungen für individuelles Fördern für die Breite verschlechtert.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Fragen Sie in den Schulen Ihres Wahlkreises nach, wie viele Stunden dort noch für Teilungsunterricht, für Förderunterricht zur Verfügung stehen, wie hoch die Vertretungsreserve ist, wie groß die Klassen im Verflechtungsraum sind, und Sie werden erschrecken.

Sie, meine Damen und Herren der SPD, haben sich von der CDU zu den Leistungs- und Begabungsklassen hinreißen las

sen und damit fast 100 Vollzeitlehrerstellen dem System entzogen, weil: Die sind eben nicht zusätzlich draufgepackt worden.

(Bischoff [SPD]: Es sind mehr als je zuvor! - Frau Dr. Funck [CDU]: Es geht bei Ihnen nicht um die Kinder!)

Sie haben das öffentliche Schulsystem heruntergewirtschaftet, sodass inzwischen die Eltern jedes achten Schülers den Ausweg nur noch in einem freien Träger sehen. 139 freie Schulen haben wir schon, Tendenz steigend. Wir sind in der Dynamik hier inzwischen Spitze, eine bloße Ergänzung ist dies nicht mehr. Das öffentliche Schulsystem ist durch Sie, meine Damen und Herren, in eine akute Wettbewerbsbenachteiligung manövriert worden.