Protocol of the Session on July 1, 2009

Wenn Manfred Stolpe und andere gesagt haben, allen Menschen müsse nach einer solchen dramatischen Wendung der Gesellschaftsordnung eine Chance gegeben werden, dann haben sie Recht.

Herr Vietze hat gesagt, er selbst sei einen schweren Weg gegangen. - Ja, Sie sind einen schweren Weg gegangen, Herr Vietze: vom letzten Bezirkssekretär hier in Potsdam in diesen Landtag. Da sind Sie heute auch schon gewürdigt worden. Das ist wahrlich schwer. Sie fahren einen BMW, während andere, die Opfer nicht alle, aber viele - von Hartz IV leben oder und sich mit einer beschämenden Opferrente begnügen müssen, die ihnen auch nur gewährt wird, wenn sie länger als ein halbes Jahr

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Schulze [DVU])

zu Unrecht im Gefängnis gesessen haben. Nur dann können sie diese überhaupt geltend machen.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [DIE LINKE])

Meine Damen und Herren! Herr Vietze, Sie haben dann beschrieben, dass die Diskussion in den Jahren 2008 und 2009, 20 Jahre nach der friedlichen Revolution, noch einmal Fahrt aufgenommen hat. Das ist eine gute Diskussion, und sie kommt nie zu spät. Denn wenn es darum geht, allen Menschen eine Chance zu geben, kann man das nur unterstreichen. Ich schildere Ihnen einmal ein Beispiel, das belegt, dass wir, die in

der Politik Verantwortung tragen, Menschen, denen wir bisher keine Chance gegeben haben, mit diesem Gesetz eine Chance geben werden.

Bei den Opfern sind viele Verletzungen zurückgeblieben; die körperlichen Wunden heilen schneller als die seelischen. Zu dem Fall: Ein älterer Herr in der Region Cottbus geht als ehemaliger langjähriger Haftinsasse laufend zu Ärzten und sagt, er habe schwere Schäden. Er geht zum Orthopäden, weil er meint, dass körperliche Schäden zurückgeblieben seien. Alle Orthopäden schicken ihn wieder weg. Irgendwann kam er zu mir und sagte: Nirgends wollen sie mir helfen, denn überall ist die Stasi dahinter. - Er fühlte sich verfolgt.

Ich schickte ihn zu einem Cottbuser Orthopäden, der mir gut bekannt und wirklich über alle Zweifel erhaben ist. Letzte Woche kam der Betroffene zu mir und sagte: Herr Dombrowski, der Arzt hat bei mir nichts gefunden. Ich glaube, da ist auch schon die Stasi gewesen.

Von daher könnte man einfach sagen: Der hat sie nicht alle! Aber Fakt ist eines: Der Mann hat ein Problem, und er hat bisher keine Chance gehabt, im Rahmen psychosozialer Beratung Hilfe von jemandem zu bekommen, der sich mit dieser Thematik auskennt.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD])

Das sind die Geschichten, die das Leben schreibt.

(Frau Dr. Funck [CDU]: Herr Klocksin, die Leute sind betroffen!)

Wenn Manfred Stolpe gesagt hat: Allen Menschen eine Chance geben!, dann gilt das auch für diesen Personenkreis, denn nicht alle haben es so gut geschafft, wie wir es vielleicht gewünscht hätten.

Neben der psychosozialen Beratung ist natürlich die Vernetzung von Angeboten und die Vermittlung von Wissen über die Diktaturen in Deutschland ein wichtiger Punkt. Es kann im Grunde genommen nicht befriedigen, dass wir im 20. Jahr der friedlichen Revolution noch darüber diskutieren, ob die DDR ein Rechtsstaat war.

Sie wissen, Herr Vietze, die DDR-Führung hat nie behauptet, dass die DDR ein Rechtsstaat sei, sondern es hieß: Wir sind ein souveräner Staat. - Wie kann denn auch eine Diktatur des Proletariats oder auch jede anders geartete Diktatur etwas mit Demokratie oder Rechtsstaat zu tun haben? Aber heute, mit 20 Jahren Abstand, finden wir uns in einer Diskussion wieder, in der uns weiszumachen versucht wird: Na ja, eigentlich war die DDR ja auch ein Rechtsstaat. - Sie war keiner!

Angesichts der Aussagen über den Bildungsstand bei Schülerinnen und Schülern auch in Brandenburg bezüglich dieses Themas erkennen wir Handlungsbedarf. Es geht überhaupt nicht darum, Herr Vietze, irgendjemanden zu diskriminieren, zu diskreditieren. Sie wissen, auch ich habe das nie gemacht, denn es führt nicht weiter.

Wenn man übertrieben Verantwortung zuweist - ich denke, die kann man auch nur persönlich zuweisen -, läuft man Gefahr, unglaubwürdig zu werden. Von daher bitte ich, Herr Vietze,

einfach noch einmal zu überlegen, ob das, was Sie heute hier vorgetragen haben, wirklich ein Beitrag zur Versöhnung ist. Denn es geht darum - ich zitiere Manfred Stolpe -, „allen Menschen eine Chance zu geben“, auch denen, die Täter geworden sind, weil sie als inoffizielle Mitarbeiter noch immer ein Geheimnis mit sich herumtragen. Denn im Gegensatz zu den hauptamtlichen Mitarbeitern wissen ja die inoffiziellen Mitarbeiter in der Regel nichts voneinander, sie wissen nicht, mit wem sie sich austauschen können. Sie tragen dieses Geheimnis mit sich herum. Ich würde mich freuen, wenn von diesen vielen Tausend inoffiziellen Mitarbeitern, die dieses dunkle Geheimnis mit sich herumtragen - es kann die Menschen nicht glücklich machen, wenn sie ein Geheimnis bewahren müssen -, viele sich einem solchen Beauftragten anvertrauen, um nach Möglichkeiten zu suchen, sich dieser Last zu entledigen. Dafür gibt es gute Beispiele. Es muss nicht so weit kommen, dass es jemand seinen Angehörigen erst auf dem Totenbett gesteht. Es sind ja auch Angehörige und Kollegen bespitzelt worden. Es lebt sich schwer mit einer Lüge, egal in welchem Bereich. Auch für diese Menschen ist dieses Gesetz eine Chance.

Von daher, Herr Vietze, zum Schluss: Seien Sie bitte versichert zumindest gilt das für meine Fraktion -, dass das Gesetz kein Instrument der Abrechnung sein soll, sondern ein Instrument zur Aufarbeitung und Versöhnung. - Danke.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Dombrowski. - Für die Landesregierung spricht Minister Rupprecht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den emotionalen Redebeiträgen, die auch sehr stark persönlich gefärbt waren, jetzt eine kurze und sachliche Einschätzung der Landesregierung.

(Dr. Niekisch [CDU]: War das vorher unsachlich?)

- Nein, dann bin ich falsch verstanden worden.

Meine Einschätzung hatte ich schon bei der 1. Lesung zusammengefasst, indem ich sagte, dass ich den ersten Entwurf grundsätzlich begrüße. Dazu stehe ich auch heute. Ich habe damals gleichzeitig meiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass dieser Entwurf in den weiteren parlamentarischen Beratungen spezifiziert und auch qualifiziert wird. Dies ist in den vergangenen Wochen geschehen. Insbesondere hat das Ergebnis der interessanten Expertenanhörung am 18. Juni die Regierungsfraktionen dazu gebracht, einen überarbeiteteten Gesetzentwurf vorzulegen und einzubringen, den ich für sehr gelungen und auch umsetzbar halte.

Der vorliegende Entwurf bietet aus meiner Sicht eine sehr gute rechtliche Grundlage, um Menschen, die von der Verfolgung zur Zeit der sowjetischen Besatzungszone und der DDR unmittelbar und auch mittelbar betroffen waren, zu beraten und ihnen eine psychosoziale Betreuung zu vermitteln. Insoweit, glaube ich, wurden viele der Anregungen der Experten berücksichtigt und aufgenommen. Die Stellungnahmen, die Herr Baaske hier vorgetragen hat, bestätigen das. Als Bildungs

minister des Landes begrüße ich außerordentlich, dass der Landesbeauftragte die Kenntnis über die Wirkungsweisen der diktatorischen Herrschaftsformen nicht nur der Öffentlichkeit allgemein vermitteln soll, sondern ausdrücklich auch in den Schulen tätig sein und diese unterstützen soll.

Nach der Verabschiedung dieses Gesetzes werde ich mich - das ist ein Versprechen -, wie es mir zusteht und wie ich beauftragt bin, bemühen, umgehend die personellen und die sächlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit die bzw. der Landesbeauftragte nach der Wahl durch den Landtag so schnell wie möglich ihre bzw. seine Arbeit aufnehmen kann. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Rupprecht.

Wir kommen zur Abstimmung. Ihnen liegt die Beschlussempfehlung des Hauptausschusses in der Drucksache 4/7724 vor. Es geht um das Gesetz über den Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und Folgen diktatorischer Herrschaften. So heißt der Gesetzentwurf noch, weil er in der 1. Lesung mit diesem Titel eingebracht wurde. Ich stelle hiermit die Beschlussempfehlung des Hauptausschusses zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses folgen möchte, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf so angenommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 6 und rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Gesetz zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften 2009

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 4/7522

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Haushalt und Finanzen

Die Diskussion dazu eröffnet der Kollege Dr. Bernig von den Linken.

Herr amtierender Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist Ausdruck dessen, wie schnelllebig Gesetze und Politik im Land Brandenburg sein können, und dafür, welchen Stellenwert die Regierung dem Parlament einräumt. Ich will das kurz erläutern.

Erst im März 2009 haben wir das Beamtenrechtsneuordnungsgesetz verabschiedet, von dem ich damals behauptet habe, dass es den Namen nicht verdiene. Meine Fraktion hatte verschiedene

Vorschläge der Gewerkschaften aufgegriffen und mehrere Änderungsanträge eingebracht, um wenigstens einige Fortschritte zu erreichen. Sie wurden allesamt abgelehnt, auch der Antrag zur Abschaffung der Regelbeurteilung.

Nach den Protesten der Gewerkschaften, insbesondere der GdP, bringt nun die Koalition nach drei Monaten Gültigkeit des Beamtenrechtsneuordnungsgesetzes die erste Änderung dieses Gesetzes ein. Diese Änderung sieht vor, dass das Gesetz nicht mehr die Regelbeurteilung vorschreibt, sondern das Nähere durch Verwaltungsvorschriften geregelt wird. Damit könne mehr Flexibilität erreicht werden.

Da diese Regelung den Intentionen unseres Antrags vom März 2009 entspricht, stimmen wir dieser Änderung natürlich zu. Nur, meine Damen und Herren von SPD und CDU, interessiert das Innenministerium Ihr Anliegen zumindest vorerst überhaupt nicht. Sie können Ihren Wählerinnen und Wählern versprechen, was Sie wollen - das Innenministerium interessiert das nicht. Noch bevor Ihre Gesetzesänderung überhaupt beschlossen ist, hat das Innenministerium den Beamtinnen und Beamten über sein Intranet verkündet, dass es bei der Regelbeurteilung bleiben wird, weil sie sich bewährt habe. Ist das grenzenlose Ignoranz, oder soll hier einer vorgeführt werden?

Unserem zweiten Antrag zur Änderung des Gesetzentwurfes haben Sie in den Ausschüssen leider nicht zugestimmt. Sie folgten der Argumentation der Landesregierung, dass es sich um eine wirkungsgleiche Übernahme des Tarifergebnisses handele, weil das pauschalierte Leistungsentgelt abgeschafft und ins Grundgehalt eingerechnet werde. Eine solche vergleichbare Leistungsbezahlung gebe es für Beamte nicht, womit eine Anhebung des Sockelbetrages um 20 Euro und nicht um 40 Euro gerechtfertigt sei. Das stimmt. Vergleichbar ist die Leistungsbezahlung nicht. Aber es gibt sie trotzdem auch im Beamtenbereich - nur mit dem Unterschied, dass die Beamten keinen Rechtsanspruch darauf haben und dass sie den Leistungsanteil mit der Streckung der Lebensaltersstufe 1997 selbst erwirtschaftet haben. Seitdem obliegt es dem jeweiligen Ressort, ob Leistungsprämien und Zulagen gezahlt werden. Darüber hinaus müssen diese Leistungsbestandteile aus dem jeweiligen Personalbudget erwirtschaftet werden. Ich kann mich also als Ressortschef entscheiden, ob ich mehr Beförderungen vornehme oder ob ich Leistungsprämien zahle.

Wenn Sie eine tatsächlich wirkungsgleiche Übernahme des Tarifergebnisses wollen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu. Auch Ihr Argument, unser Antrag hebele das Tarifergebnis aus und stelle die Beamten finanziell besser, greift nicht. Sie vergessen dabei, dass die Beamten in der Vergangenheit mehrfach von der zeit- und inhaltsgleichen Übernahme des Tarifergebnisses abgekoppelt wurden und auch 2007 eine inhaltliche Abkopplung in Höhe von 1,4 % erfolgte. Darüber hinaus müssen Sie in Rechnung stellen, dass ein großer Teil der Beamten nicht nach dem Dienstposten bezahlt wird, den sie ausüben, sondern nach dem, den sie statusrechtlich innehaben. Das ist in Brandenburg oft ein Unterschied von ein bis vier Besoldungsgruppen. Ein aussagekräftiges Flugblatt dazu wurde heute Morgen vor dem Landtag verteilt.

Herr Finanzminister, wenn Sie die längere Arbeitszeit in anderen Ländern anführen, was zum Beispiel im Vergleich zu Thüringen 5 % Besoldung ausmache, vergessen Sie zweierlei. Erstens handelt es sich hierbei um eine virtuelle Größe, und zweitens

haben die Ostdeutschen 15 Jahre lang mindestens 1,5 Stunden mehr gearbeitet und dafür auch keinen Ausgleich erhalten.

Sehr verehrte Damen und Herren, auch mit diesem Gesetzentwurf bestätigt sich die Befürchtung, dass mit der Föderalismusreform I ein beamten- und besoldungsrechtlicher Flickenteppich entsteht. Und die Landesregierung webt daran kräftig mit. Das zeigt sich bei der Arbeitszeit, wo ein Wettkampf um die längsten Arbeitszeiten ausgebrochen ist, wobei sich Brandenburg hier noch zurückhält. Das zeigt sich auch bei der Übernahme des Tarifergebnisses.

Derzeit planen sieben Länder, das Tarifergebnis zeit- und inhaltsgleich zu übernehmen. Bayern und Sachsen-Anhalt wollen zwar auf die 40 Euro Einmalzahlung verzichten, haben aber den Sockelbetrag von 40 Euro vorgesehen. Brandenburg gehört zur Minderheit der vier Länder, die diesen Sockelbetrag auf 20 Euro halbieren wollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie: Folgen Sie unserem Antrag und sorgen Sie so damit dafür, dass sich Brandenburg bei der Übernahme des Tarifergebnisses der Mehrheit der Länder anschließt und die Beamtinnen und Beamten gerecht behandelt werden. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)