Protocol of the Session on April 2, 2009

„Die Trennung der Trägerschaft arbeitsmarktpolitischer Leistungen nach den Rechtskreisen des SGB II und III stellt aus unserer Sicht eine der größten Achillesfersen der deutschen Arbeitsmarktpolitik dar. Bei den anvisierten politischen Korrekturen der Arbeitsmarktpolitik sollte daher die Notwendigkeit einer einheitlichen, rechtskreisübergreifenden Arbeitsmarktpolitik... in den Mittelpunkt gerückt werden.“

Ich zitiere weiter:

„Gleichzeitig muss ein breiter Diskurs darüber geführt werden, wie aus gesamtgesellschaftlicher Sicht die Zielsetzung der Bundesagentur in diesem Bereich aussehen sollte. Politisch entschieden und auch gesetzgeberisch stärker verankert werden muss, ob die Bundesagentur für Arbeit... eine sozialpolitische und umverteilende Aufgabe wahrzunehmen hat...“

oder ob sie - das sind jetzt meine Worte - eine rein betriebswirtschaftlich handelnde Versicherungskasse ist, die mittlerweile auch als Handkasse des Bundesfinanzministers - ich sage nur: Aussteuerungsbetrag - genutzt wird.

(Vereinzelt Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Die Linke - jetzt komme ich zu Ihrer Frage, Herr Kollege Holzschuher - steht für eine Organisationsform, bei der es keine Zweiklassenbetreuung von Erwerbslosen gibt. Wir stehen für eine Zusammenführung der Regelkreise des SGB II und III, bei der man nicht zwischen „Premiumkunden“ des Arbeitslosengeldes I und sogenannten „Restkunden“ unterscheidet.

Ich möchte die SPD-Arbeitsmarktexpertin Schröder vom 13.03. zitieren - dies ist also 14 Tage her -: Frau Schröder regte in diesem Zusammenhang an, einen der Grundpfeiler der Hartz-IV-Reform zu überdenken: die Trennung der Bereiche Arbeitslosengeld I und II, stigmatisiere die Langzeitarbeitslosen bei der Jobsuche. Ihr Vorschlag lautete: Eine einheitliche Anlaufstelle für alle Arbeitslosen mit Vermittlung aus einer Hand. Das Ursprungskonzept der Hartz-Kommission habe die derzeit praktizierte Trennung gar nicht vorgesehen.

Es versteht zum Beispiel niemand, liebe Kollegin - wohl auch Sie nicht -, dass es in vielen Kreisstädten Brandenburgs zwei Arbeitsämter gibt, die ARGE oder das Grundsicherungsamt der Optionskommunen und 500 Meter weiter - ich übertreibe einmal - ein weiteres Arbeitsamt.

Die rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit des Know-how der BA und der sozialen bzw. regionalen Kompetenz der Kommune - das ist die große Aufgabe, an der wir uns nicht verheben sollten, sondern die wir lösen müssen. Die Mischverwaltung ist keine effektive und ist vor allem mit Blick auf den Einsatz der Steuermittel nicht die beste Lösung.

(Ministerin Ziegler: Sondern?)

Deshalb müssen wir natürlich auch darüber nachdenken, wie die Arbeit der Bundesagentur und ihre Stellung in diesem Land neu justiert bzw. verändert werden müssen.

Erstens: Die BA muss durch die Politik wieder ihren sozialpolitischen Auftrag zugewiesen bekommen. Die Linksfraktion

hatte - zumindest im Deutschen Bundestag - entsprechende Anträge vorgelegt.

Zweitens: Es gilt, die Selbstverwaltung der BA wieder zu stärken. Die durch den Umbau der BA und die teilweise einseitige Orientierung auf betriebswirtschaftliche Kriterien und Managementmethoden verursachte Schwächung der Selbstverwaltung muss beseitigt werden.

Drittens: Die Einbindung privater Arbeitsvermittlungsagenturen ist zurückzuführen und die Vermittlung in prekäre Beschäftigung ist zu unterbinden.

Viertens - das ist eine wesentliche Baustelle -: Zur Sicherung eines besseren Niveaus der Betreuung der Erwerbslosen sind die vorhandenen Probleme und Defizite der BA im personellen Bereich unverzüglich abzubauen. Das betrifft vor allen Dingen die kontinuierliche Weiterbildung der Kolleginnen und Kollegen, die Entfristung der Arbeitsverträge und die Sicherung des Betreuungsschlüssels.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, nur auf der Grundlage einer reformierten und damit erneuerten Bundesagentur kann eine Kooperation und Vernetzung, vielleicht auch Verschmelzung mit den regionalen und sozialen Kompetenzen der Kommunen erreicht werden.

Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, das Scheitern des Entwurfs des sogenannten ZAG-Organisationsgesetzes inklusive der geplanten Grundgesetzänderung liegt allein in Ihrer Verantwortung. Vierzehn Monate nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stehen Sie als Koalitionspartner mit leeren Händen da und sind zerstritten - von einer Verunsicherung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den zwölf Jobcentern in unserem Land und in den Nebenstellen und den landesweit 305 000 Hartz-IV-Betroffenen ganz abgesehen.

Die Beschäftigten zahlen wieder den Preis für ein kaum fundiertes Modell und sollen einen weitgehend ungesicherten Arbeitgeberwechsel hinnehmen. Darüber hinaus erwartet nicht nur ver.di eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Diese sind jetzt schon teilweise katastrophal, was auch die hohe Quote der Widersprüche deutlich machen kann. Zudem werden die Hilfebedürftigen, um die es eigentlich geht, in eine Art Mithaftung genommen.

Liebe Kollegin Lehmann, Sie haben wertvolle Zeit verstreichen lassen und ein Organisationschaos angerichtet, und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Wirtschaftskrise fühlbar wird und die Zahl der Arbeitslosen wahrscheinlich noch steigen wird.

(Zuruf der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Bis zur Neuregelung der Hartz-IV-Umsetzung, die spätestens bis Ende 2010 zu erfolgen hat, muss jetzt Sorge dafür getragen werden, dass die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in den ARGEn durch entsprechende Vertragsverlängerungen mit der BA sichergestellt wird.

(Frau Lehmann [SPD]: Längst passiert! Das haben Sie auch nicht mitgekriegt!)

- Ich habe gesagt, Sie sollen Sorge dafür tragen. Noch sind sie nicht unterzeichnet.

(Frau Lehmann [SPD]: Völlig desinformiert!)

- Sagen Sie doch nicht so etwas. Sie sind doch noch gar nicht unterzeichnet.

(Frau Lehmann [SPD]: Es ist doch alles passiert!)

- Ach so, es ist schon passiert? Es ist komisch, dass der Kreistag Havelland noch gar nicht darüber diskutiert und entschieden hat. Sie wissen wahrscheinlich mehr als ich.

(Bischoff [SPD]: Ja!)

Neben einer grundsätzlichen organisatorischen Neuorientierung muss die Hartz-Gesetzgebung - das ist eine Tagesaufgabe auch für Sie - durch eine bedarfsgerechte soziale Grundsicherung ergänzt werden.

(Frau Lehmann [SPD]: Vergessen Sie den Mindestlohn nicht!)

Die Linke steht für folgende Punkte:

Erstens für eine Neubemessung der Regelsätze, angepasst an die tatsächliche Preisentwicklung.

Zweitens: Gleichzeitig für eine eigene Mindestsicherung für Kinder nach altersgerechtem Bedarf.

Drittens für einheitliche Zumutbarkeitskriterien in SGB II und III, die Rücknahme der mit den Hartz-Gesetzen eingeführten Verschärfungen und die Verbesserung des Anspruchs auf Qualifizierung und Weiterbildung für alle Erwerbslosen. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Es folgt der Beitrag der CDU-Fraktion. Die Abgeordnete Schulz erhält das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin einigermaßen entsetzt. Mein Eindruck ist: Hier wird Wahlkampfgetöse auf hohem Niveau durchgeführt, und zwar auf dem Rücken der Bediensteten und auf dem Rücken derer, die betroffen sind.

(Beifall bei der CDU)

Das macht mich sehr, sehr traurig.

Herr Görke, ich finde es - mit Verlaub - eine Unverschämtheit, wenn Sie von „Restkunden“ sprechen.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Er hat gesagt „sogenannte“!)

Ich habe noch nie gehört, dass jemand eine derartige Klassifizierung vornimmt.

(Frau Lehmann [SPD]: Jawohl! - Frau Kaiser [DIE LINKE]: Sogenannte! - Weitere Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Das halte ich für eine Unverschämtheit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann es nicht anders sagen: Das Verfahren ist in der Tat nicht optimal gelaufen, aber - ich sage Ihnen ganz klar -: nicht nur bei der CDU, sondern auch bei der SPD. Ich erinnere daran, dass der Staatssekretär schon vor einiger Zeit in die Öffentlichkeit ging und gesagt hat: Der Kompromiss, den wir hier vorhaben, ist auch nicht verfassungskonform. Wenn das, bitte schön, der eigene Staatssekretär aus dem Ministerium sagt, dann ist das schon von einiger Bedeutung. Oder?

Ich kann nur sagen: Es war in der Tat ein schlechtes Handling, aber lieber ein schlechtes Handling als ein langfristig schlechtes Ergebnis.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der CDU: So ist es!)

Ich möchte ein gutes Ergebnis. Der jetzt gefundene Kompromiss ist in der Tat nicht mehrheitsfähig und nicht tragfähig. Ein Kompromiss in dieser Frage darf meiner Meinung nach nicht ein kurzatmiges Modell sein, sondern es muss ein breit akzeptiertes Modell für eine künftige Arbeitsverwaltung, für die SGB-II-Leistungsempfänger sein. Andernfalls ist er nicht zielführend und könnte in der Tat zu Verunsicherung führen.

Im Moment, behaupte ich, sind wir von der Verunsicherung, von den Chaostagen, die hier ausgeschrieben wurden, weit entfernt. Das sagen nicht nur die Bediensteten selbst, sondern auch die ARGEn, also die Arbeitsgemeinschaften. Das ist auch in einer vor kurzem ausgestrahlten Sendung von der ARGE in Berlin selbst so gesagt worden. Die Panikmache der vergangenen Tage ist überhaupt nicht notwendig.