Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde hat eine doppelte Aufgabe. Erstens sollen wir politisch und fachlich das bewerten, was die Bundesregierung vorgelegt hat, und zwar mit den Auswirkungen auf die Situation im Land Brandenburg. Zweitens leisten wir heute auch einen Beitrag zur Erklärung von Vorfällen, die von großen Teilen der Bevölkerung selbstverständlich nicht mehr nachvollzogen werden können.
Lassen Sie mich zu Beginn eines sagen: Wir sprechen hier doch nicht mehr „nur“ von einer Finanzkrise. Die Krise der Finanzmärkte hat doch schon lange andere Bereiche erfasst. Wir sprechen von dem Beginn einer Vertrauenskrise in der Gesellschaft. Deswegen kommt dem zweiten von mir genannten Punkt eine große Bedeutung zu, um überhaupt eine Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungen zu demonstrieren.
Laut den Angaben von gestern Abend sind in den Staaten der Europäischen Union bisher 2 000 Milliarden Euro an Garantieleistungen bzw. Kreditzusagen oder Bürgschaften zusammengetragen worden.
Das ist eine unvorstellbare Summe, vor allen Dingen, wenn man bedenkt, dass diese Summe „nur“ dafür eingesetzt wird, noch größere Finanzenmassen über den Interbankenhandel in Bewegung zu setzen. Selbstverständlich ist das kaum noch nachvollziehbar. Deswegen lassen Sie mich zu Beginn zwei Dinge deutlich sagen:
Erstens: Wie kommt es überhaupt, dass eine öffentliche Zusage - sei es in Bezug auf die Spareinlagen, ich halte es für absolut richtig und notwendig, dass hier eine politische Garantieerklärung abgegeben worden ist, oder sei es in Bezug auf die jetzige Garantieerklärung für die Banken durch die öffentlichen Hände vieler Länder - eine solche Wirkung in der Wirtschaft entfaltet? Sie entfaltet sie deswegen, weil diese Garantiezusagen auf der Erfahrung und der Überzeugung beruhen, dass die öffentliche Hand - sprich die Staaten - aufgrund ihrer Bruttowertschöpfung so viel Geld über Steuern einnehmen kann, dass sie Verpflichtungen, die möglicherweise daraus entstehen, auch längerfristig bedienen kann. Damit wird diese politische Aussage zu einem ökonomischen Wert.
Dass das auch Grenzen hat, haben wir in Island mit dem Defacto-Staatsbankrott gesehen. Umso dringender notwendig war eine europäische und weltweite Regelung, um das Vertrauen herzustellen und mit dieser Garantiezusage agieren und arbeiten zu können. Deswegen waren die Beratungen verschiedener Institutionen letztes Wochenende völlig richtig. Die abgeleiteten Stützungsmaßnahmen sind auch völlig richtig, weil wir hier
nicht mehr nur von einer Krise der Banken reden. Wenn es zu einem Zusammenbruch des Geldhandels kommt, sind von den Spar- bis Girokonten, also von Hartz-IV-Empfängern über Unternehmen bis zu Kommunen und staatlichen Institutionen, alle betroffen. Das heißt: Wenn jetzt nicht gehandelt wird, wird die Krise viel größer werden als die, die wir jetzt haben. Deswegen ist der Kern von öffentlichen Stützungsmaßnahmen völlig richtig.
Zweitens: Wie ist es dazu gekommen neben der Spekulation? Mein Kollege Bischoff hat darauf schon hingewiesen. Wir haben eine Situation, in der 90 % der an den Finanzinstitutionen und Märkten gehandelten Produkte zur Finanzierung der Realwirtschaft nicht benötigt werden. Im Klartext: Die Spekulationsblase hatte einen Umfang angenommen, der nicht mehr realwirtschaftlich abgedeckt war. Das hat zwar sehr viel mit Bankmanagern zu tun, aber nicht nur.
Was ist in den letzten Jahren passiert? Aufgrund der Veränderungen, die es im Rahmen der Globalisierung gegeben hat, sind beispielsweise auch in Deutschland, zum Teil öffentlich beklatscht, Renditeziele der Deutschen Bank von 25 % definiert worden. Jeder, der gefragt hat, wie und womit 25 % erwirtschaftet werden sollen, musste sich anhören, dass er die Zeichen der Zeit möglicherweise nicht begriffen habe, dass er ökonomisch unfähig sei oder politisch aufs Abstellgleis gehöre. Ganz normale Renditeziele von acht bis zehn Prozent galten plötzlich als Ausdruck unternehmerischen Unvermögens.
Zum Teil wurde diese Entwicklung politisch nachvollzogen, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Ich erinnere an das Kreditmarktgesetz unter Rot-Grün. Darin wurde die Börsenaufsicht zum Teil gelockert. Ich denke an die Zulassung von Hedge-Fonds - auch unter der Vorgängerbundesregierung - mit ihren unkontrollierten Wirkungen hier in Deutschland.
Ich darf einen Unverdächtigen zitieren. Altkanzler Schmidt hat zum Agieren der Hedge-Fonds gesagt: „Jede Sparkasse unterliegt einer höheren Aufsicht - zu Recht - als der Hedge-Fonds.“ Dazu kann ich nur sagen: Das politisch zugelassen zu haben das ist zum damaligen Zeitpunkt bereits von vielen kritisiert worden - war einer der Kardinalfehler.
Was ist passiert? Es haben sich Wertvorstellungen in dieser Gesellschaft verändert. Diese veränderten Wertvorstellungen wurden zum Teil auch politisch nachvollzogen, und mit den Konsequenzen müssen wir heute umgehen.
Nach meinem Verständnis ist eine Kernübereinkunft sozialer Marktwirtschaft in drei Punkten erforderlich. Erstens: Die Gesellschaft ist einem sozialen Ansatz verpflichtet, der in einer Einheit von Freiheits- und sozialen Rechten umgesetzt werden muss. Zweitens: Damit die Wirtschaft ihre wertschöpfende Funktion ausüben kann, braucht sie die Möglichkeit zum Agieren. Drittens: Damit Punkt 1 und Punkt 2 in der Gesellschaft Realität werden können, braucht der Markt Regeln, um zu verhindern, dass sich der Markt verselbstständigt und gegen die Gesellschaft und gesellschaftliche Entwicklungen agiert und in den Folgewirkungen spürbar wird.
Aufgrund meiner Biographie bin ich kein glühender Verfechter von Verstaatlichung. Das will ich an dieser Stelle deutlich sagen. Ich amüsiere mich jetzt, nein, ich amüsiere mich nicht, sondern ich bin richtig wütend, wenn mir heute teilweise dieselben Experten erklären, dass Verstaatlichung notwendig sei, die mir noch vor einem Dreivierteljahr gesagt haben, dass eine Gesellschaft bzw. eine Wirtschaft überhaupt nicht mit staatssozialistischen Zielstellungen umgehen könne. Nein, ich will keine vollständige Verstaatlichung, um das deutlich zu sagen. Die Konsequenzen der Einführung einer zentralverwalteten Planwirtschaft haben wir alle erlebt.
Dass aber die Abwesenheit von Regeln jetzt das Nonplusultra sein soll, habe ich nie begriffen. Die Abwesenheit von Regelungen ist doch nicht erst seit dieser Finanzkrise, die uns jetzt ereilt hat, politisch thematisiert worden, sondern begann bereits Ende der 80er Jahre. Ende der 80er Jahre begann die Diskussion über die Notwendigkeit von Regulierungen internationaler Finanzmärkte, und das nicht nur durch politische Parteien. Um einen politisch Unverdächtigen zu zitieren: Herr Soros, ein bekannter Spekulant, der sein Milliardenvermögen mit Spekulationen gegen das englische Pfund verdient hat, hat sein Lebenswerk geschrieben. Ich kann es jedem empfehlen zu lesen. Es ist besser als jedes Lehrbuch. Er kommt zu dem Schluss: Wenn diese Entwicklung so weitergeht, wird diese Gesellschaft in eine tiefste Krise ihrer Existenz hineingeraten. - Da sind wir offensichtlich.
Insofern müssen sich nicht nur Bankmanager fragen, sondern auch Politik muss sich fragen, was verabsäumt worden ist. Ich halte all das - um das auch so deutlich zu sagen -, was jetzt passiert, für eine Akuthandlung. Wenn wir das jetzt nicht machen, werden die Auswirkungen viel größer sein, als sie gegenwärtig absehbar sind. Das ist aber nur der erste Schritt. Mit dieser Akuthandlung muss jetzt eine europäische und weltweite Regulierung von Finanzmärkten verbunden werden.
Ich möchte das einmal an zwei Beispielen deutlich machen. Erstens: Bis zum Schluss haben sogenannte Rating-Agenturen das sind Unternehmen, die die Werthaltigkeit von Finanzinstrumenten bewerten - allen faulen Krediten die höchste Bonität unterstellt. Das System selbst hat also versagt. Wenn das System selbst versagt hat, muss ich an dieser Stelle etwas anderes setzen. Ich finde: Öffentliche Bewertungsagenturen von Finanzprodukten, deren Aufgabe es ist und die die Ausstattung dafür haben, Finanzprodukte auch zu untersagen, wenn sie zu spekulativ sind, sind eine gute und bessere Alternative.
Zweitens: Banken haben damit Geld verdient, dass sie Risiken eingegangen sind, diese Risiken in Finanzpapiere gefasst und weiterverkauft haben, woraufhin sie noch einmal mit einem höheren Risiko weiterverkauft worden sind. Dazu sage ich: Die Regelungen müssen geändert werden. Finanzinstitutionen müssen die Risiken zu großen Teilen in der eigenen Bilanz ausweisen. Sie dürfen sie nicht auslagern. Das ist eine Ursache dafür gewesen, dass es zu Spekulationen dieses Umfangs überhaupt kommen konnte.
Ich bin der Auffassung: Jede Krise ist auch eine Chance. Herr Bischoff sprach vorhin vom „Blick in den Abgrund“. Ich hoffe sehr, dass mit der Regulierung der Finanzmärkte dieser begleitende Schritt jetzt sehr schnell erfolgt, und zwar genauso schnell
wie man sich auf ein notwendiges Rettungspaket einigen konnte, das völlig unstrittig ist. Aber selbst das ist noch nicht alles.
Viertens: Wir erwarten eine Rezession. Machen wir uns da nichts vor. Weil wir eine Rezession erwarten, wird neben der Soforthilfe und neben der Regulierung der Finanzmärkte eine Stabilisierung der konjunkturellen Situation notwendig werden. Dazu sage ich: Auch wir hier in Brandenburg sind gefragt, uns zu überlegen, wie wir uns perspektivisch bzw. vorausschauend darauf einstellen. Es geht um die Eigenkapitalsituation von Unternehmen - ein Problem, das nicht neu ist. Es geht um den Zugang zu Krediten. Es geht auch darum, bundesweit, beispielsweise aus Brandenburg heraus, die Frage zu stellen, ob nicht die Halbierung der Mehrwertsteuer für arbeitsintensive Dienstleistungen ein Konjunkturprogramm ist, durch das die Handwerker Arbeit bekommen.
Wir müssen uns in der Gesellschaft klar darüber werden, wie wir mit allen diesen Perspektiven und Herausforderungen umgehen. Stichwort Rentensysteme: Weiter den Weg in eine kapitalgedeckte Rente? Oder in welchem Verhältnis sollen umlagegestützte Systeme und Kapitaldeckung bei der notwendigen Rentensicherung stehen?
Nebenbei bemerkt: Wenn Herr Hundt gestern Abend die Politik dafür kritisierte, dass sie die Rentenzahlungen für Langzeitarbeitslose verbessern will, sage ich nur: Fragen Sie einmal die Verbände, durch wen sie sich vertreten lassen. Damit kommt die Abwesenheit von gesellschaftlicher Verantwortung zum Tragen. In dieser Situation eine solche Debatte anzufangen ist schlichtweg unverständlich.
Wir werden in Brandenburg - dessen bin ich mir sicher - politisch darüber debattieren müssen - 2009, 2010, vielleicht auch noch in den Folgejahren -: Wie gehen wir mit der Finanzierung öffentlicher Daseinsvorsorge um? Welche Rolle spielen dabei Kommunalfinanzen? Wie erreicht man, die Kreditklemme überhaupt nicht zuzulassen? Bedeutet das für uns möglicherweise, Bürgschaftsrahmen neu zu überdenken, auch die Instrumente, die wir hier zum Ansatz bringen? Wie gehen wir mit Fragen der Arbeitsmarktförderung um? All das wird auch für uns in Brandenburg spürbar werden. Deswegen ist, glaube ich, eine Konsequenz wirklich absehbar: Die unsägliche Debatte über ein Verschuldungsverbot ist vom Tisch.
Das sage ich wirklich nicht, weil ich ein Anhänger einer ausufernden Verschuldung bin; das hat damit überhaupt nichts zu tun. Wenn sich aber die öffentliche Hand den Spielraum nimmt, aufgrund einer konjunkturellen Situation oder anderer Ereignisse politisch handeln zu können, dann ist das die Selbstenthauptung von Politik.
Die Auffassung, dass wir einen öffentlichen Handlungsspielraum brauchen - was auch bedeutet, dass die Kreditaufnahme
für strukturell wichtige Zwecke gesichert sein muss, und zwar unabhängig davon, wie die Gesamtsituation im Haushalt eingeschätzt wird -, zu diffamieren hat nichts mehr mit Verantwortung gegenüber kommenden Generationen zu tun.
Wir werden unserer Verantwortung gegenüber der heutigen und auch der kommenden Generation nicht gerecht, wenn wir strukturelle Herausforderungen nicht lösen. Nebenbei bemerkt: Es ist niemand zur Schuldenaufnahme oder zur tiefen Verschuldung verpflichtet. Eine solche Regelung kenne ich nicht. Es ist doch immer eine Frage der politischen Abwägung, was ich für notwendig bzw. nicht für notwendig erachte. Darum geht der politische Streit. Es ist gut und richtig, dass wir ihn führen. Aber das Instrument aus der Hand zu geben, tut mir leid, dem kann ich nicht folgen.
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. Erstens: Ich halte den Gesetzentwurf im Kern für richtig. Zweitens: Wir werden darüber zu debattieren haben, ob die Beteiligung der Länder in der Höhe sein muss, ja oder nein, ob es nicht beispielsweise ausreicht, für die eigenen Institutionen die Verantwortung zu übernehmen. Wir werden auch darüber reden müssen, was die Ziffer 10 des § 13 bedeutet. Dort ist definiert, dass die Bundesregierung sämtliche weitere Bedingungen festlegen kann, zu denen sie Beteiligungen oder andere Garantieleistungen ausspricht. Das heißt, es gibt hier noch großen Diskussionsbedarf.
Ich möchte im Namen meiner Fraktion abschließend nur feststellen, dass dieses Paket im Kern richtig ist. Wir hoffen auf eine Verabschiedung am Freitag. Denn wenn das unterbleibt, sind die Auswirkungen viel gravierender, als wir sie uns jetzt vorstellen können. - Vielen Dank.
Ich begrüße als unsere Gäste die zweite Hälfte der Besuchergruppe Seniorinnen und Senioren der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Ich wünsche Ihnen einen spannenden Vormittag bei uns im Landtag.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muss ehrlich sagen - Kollege Bischoff hat es angesprochen -, die Situation ist nicht geeignet, um in einen Politikstreit zu verfallen.
Ich wollte die Opposition loben; das soll hier im Parlament nämlich auch mal vorkommen. Die Worte von Herrn Christoffers waren in dieser Situation sehr wohltuend, auch wenn wir uns in einigen Punkten sicherlich unterscheiden. Aber das, was ich von der Linken heute ursprünglich erwartet habe, ist Gott sei dank ausgeblieben. Vieles ist schon gesagt worden, das erspart mir eine lange Rede.
Die Banken vertrauen sich gegenseitig nicht mehr - es ist dargestellt worden, wie diese Situation entstanden ist -, und das ist das eigentliche Hauptproblem. Durch dieses Misstrauen ist die Finanzierung und die Kreditabsicherung nicht mehr wie gewohnt gegeben. Der Großteil der in Europa mit Schwierigkeiten kämpfenden Institute hat diese Schwierigkeiten eben nicht durch die Übernahme zu hoher Risiken, sondern durch die Liquiditätskrise auf dem Geldmarkt.