Protocol of the Session on July 10, 2008

Drittens: Wir haben uns damals mit der Frage befasst, was denn „mittelfristiger Ausstieg“ eigentlich bedeutet. In unserem Leitbild für Brandenburg haben wir das Jahr 2050 als Zielpunkt für diesen Ausstieg benannt. Es liegen also nach unserer Vorstellung wenn man rechnet - noch gut vier Jahrzehnte Tagebaugeschehen und Braunkohleverstromung in der Lausitz vor uns.

Das ist für eine Großtechnologie - wie diese - ein Zeitrahmen, den man als mittelfristig bezeichnen kann. Es ist zugleich ein halbes Menschenleben, fast ein gesamtes Berufsleben. Das wissen wir und auch die Menschen, die heute vor dem Landtag protestieren. Sie werden es zu einem großen Teil deswegen wissen - aus diesem Grund sind sie heute hier -, weil sie sich um die Zukunft ihrer Region und um die Zukunft ihrer Kinder sorgen. Das ist ein ernster Auftrag, den die Abgeordneten dieses Landtages bei ihren Entscheidungen auch übernehmen.

Meine Damen und Herren, von der damaligen Landesregierung ist wohl heute vor allem eines in Erinnerung geblieben, und zwar die Versprechen des früheren Ministerpräsidenten Stolpe. Erst gab es Hoffnung für Horno, dann: Nach Horno wird nun kein weiteres Lausitzer Dorf abgebaggert.

Umso größer war verständlicherweise der Aufschrei, als das Wirtschaftsministerium im Frühjahr vergangenen Jahres die

Clausthal-Studie vorlegte. Wir erinnern uns: Darin wurde empfohlen, sieben neue Abbaufelder als erste Stufe künftiger Braunkohle-Nutzung mit hoher Priorität in Angriff zu nehmen. Dieser ersten Stufe sollten laut Gutachten bis zu 33 Orte zum Opfer fallen. 11 500 Menschen wären von Umsiedlung betroffen.

Sie, Herr Ministerpräsident, gingen damals zu derart weitergehenden Vorstellungen - dankenswerterweise - auf Distanz, und Herr Szymanski, der neue Cottbuser Oberbürgermeister, sprach sich für eine sachliche und offene Debatte um Energieversorgung, Klimaschutz und auch mögliche neue Tagebaue aus. Er knüpfte dabei auch an weiter zurückliegende Erfahrungen und Einsichten an. Im Jahr 1993 - auf dem Höhepunkt der ersten energiepolitischen Auseinandersetzungen in Brandenburg - hatte der damalige Umweltminister Platzeck Folgendes erklärt ich zitiere:

„Die Zeit für einen Energiekonsens in Ostdeutschland oder zumindest für einen Runden Tisch „Energie und Kohle“ in Brandenburg ist aus meiner Sicht überreif. Der Schutz der Umwelt als eine der wichtigsten Sozialleistungen gerät inzwischen mit jedem Tag mehr ins Abseits.“

Ich zitiere weiter:

„Weil Demokratie, sprich ausreichende Beteiligung, nicht mehr möglich ist, verlieren Einwohner betroffener Kreise und Gemeinden ihr Vertrauen in eben diese junge Demokratie.

Dass Braunkohle neben der auch von mir hoch respektierten Arbeitsplatzsicherung auch Landschaftszerstörung, Grundwasserabsenkung in nicht bekanntem Ausmaß mit bis heute nicht einschätzbaren Folgen und trotz allem auch erheblicher Schadstoffausstoß heißt, darf heute kaum noch erwähnt werden.“

Die Redepassage vom 27. Oktober 1993 war um einiges länger, Herr Ministerpräsident, und ich bin mir ganz sicher, Sie erinnern sich daran, an die Rede, an die damaligen Konflikte, an die Stimmungen und Nöte, die Sie zu der Schlussfolgerung veranlasst haben: Es braucht einen Energiekonsens, ja, und es braucht eine dafür geeignete Dialogstruktur. Auch deswegen bin ich zuversichtlich: Der Energiedialog von heute kann und wird an Ihnen nicht scheitern.

An der Stelle zurück zur jetzigen Volksinitiative. Die Beunruhigung in der Lausitz hielt sich vor Jahresfrist zunächst in Grenzen. Erst als im September 2007 die konkreteren Pläne von Vattenfall und Landesregierung bekannt wurden, als klar wurde, dass doch wieder Dörfer geopfert werden müssen und dass kein Ende der Braunkohleverstromung in Sicht ist, erst da taten sich betroffene Bürger nicht nur untereinander, sondern auch mit Umweltverbänden und Parteien zusammen.

Die Initiativen aus Proschim, Atterwasch, Kerkwitz, Grabko und Schleife genauso wie die aus Klinge oder Sallgast sind die Basis der Volksinitiative, über die wir heute beraten, meine Damen und Herren Abgeordneten. Wir alle wissen: Es ist deswegen mit parteipolitischem Schlagabtausch nicht getan, auch dann nicht, wenn zwei politische Parteien, die LINKE und die Grünen, an dieser Volksinitiative beteiligt sind.

Dazu kommt bekanntermaßen noch etwas anderes: Hier kämpfen ja nicht drei oder fünf isolierte Dörfer für irgendwelche Sonderinteressen. Nein, schon im Herbst vergangenen Jahres hat in der brandenburgischen Öffentlichkeit eine Verständigung zur zukünftigen Energiepolitik begonnen, zu zwei unterschiedlichen Positionen und zu einem vorläufigen Kräfteverhältnis geführt.

Die eine Position, vertreten von der Volksinitiative, lautet: Keine neuen Tagebaue - für eine zukunftsfähige Energiepolitik! Die andere Position, vertreten von der Landesregierung, lautet: Fortführung der Braunkohleverstromung, sofern die Abscheidung des Klimakillers CO2 gelingt, also die Braunkohle „deutlich klimafreundlicher“ wird, wie der Ministerpräsident im Mai vergangenen Jahres sagte.

Das Ergebnis des ersten - nennen wir es - Kräftemessens lag zum Jahreswechsel auf dem Tisch. Nach einer gezielten Umfrage sprachen sich rund 60 % der Brandenburgerinnen und Brandenburger für die Position der Volksinitiative, rund 40 % für die der Landesregierung aus. Dies ist der Resonanzboden für den Erfolg der Volksinitiative bis heute.

Machen wir uns doch nichts vor, meine Damen und Herren: Das alles ist kein beschränkter Brandenburger Ausrutscher. Auch unter dem Eindruck der aktuellen Preisexplosion bei Energie hat das Allensbach-Institut vor einigen Monaten noch einmal bestätigt:

„Seit vielen Jahren ist die öffentliche Meinung von einer geradezu romantischen Zuneigung zu regenerativen Energien gekennzeichnet.... Ginge es nach dem Wunsch der Bevölkerung, würde die Energieversorgung der nächsten Jahrzehnte vor allem von Sonne und Wind, begrenzt auch durch Wasser und Biomasse, gesichert.“

Weiter heißt es, immer noch bei Allensbach, und zwar gefragt nach den realen Erwartungen, nicht nach den Wünschen der Bevölkerung:

„In Bezug auf die Kohle können sich nur 12 % vorstellen, dass sie künftig beträchtlich zur Versorgung beisteuert.“

(Zurufe)

79 % der Deutschen, so Allensbach - also schimpfen Sie nicht auf mich -

(Frau Lehman [SPD]: Nein, machen wir nicht!)

vor drei Wochen, sind dafür, alte Kraftwerke, die viele Schadstoffe ausstoßen, einfach stillzulegen. Das ist freilich nicht die Position der Volksinitiative, meine Damen und Herren. Sie wissen, das ist auch nicht die Position der LINKEN in diesem Landtag Brandenburg.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Aber das alles macht doch eines deutlich: Auf dem Weg zu einem brandenburgischen Energiekonsens, den wir nach unserer festen Überzeugung auf absehbare Zeit in unserem Lande brauchen, ist noch einiges an Verständigung und Bewegung auch aufseiten der Landesregierung - notwendig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden nun heute, was ich bedauere, die Volksinitiative mehrheitlich ablehnen. Ihre Hauptbegründung lautet: Mit den Vorschlägen der Volksinitiative könne aus heutiger Sicht das energiepolitische Gleichgewicht zwischen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umwelt- und Klimaverträglichkeit nicht erhalten werden.

Natürlich ist einzuräumen: Für einen stabilen Energiemix der Zukunft und für die Zukunft der Lausitz ist mehr nötig als nur die gesetzliche Regelung, dass es keine neuen Tagebaue geben kann, wie es der Gesetzentwurf der Volksinitiative vorsieht. Die Initiatoren selbst aber, meine Damen und Herren, machen darauf aufmerksam. Denn das Motto, unter das sie die Initiative gestellt haben, sagt eben nicht nur: Keine neuen Tagebaue!, sondern es sagt zugleich: Für eine zukunftsfähige Energiepolitik!

Wir nehmen sie in beiden Aspekten ernst und bitten auch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies zu tun. - Vielen Dank.

Für die SPD-Fraktion setzt der Abgeordnete Baaske fort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen guten Tag!

(Zurufe: Guten Tag!)

Frau Kaiser, Sie und Ihre Partei müssen sich hier schon wieder den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie mit billigem Populismus versuchen, das Land zu spalten. Sie wollen das Land spalten in die Menschen, die auf der Kohle leben, und die Menschen, die von der Kohle leben. Sie begründen Ihre Aktion mit Umfragen Ihrer Partei, die sich überhaupt nicht mit dem decken, was im vergangenen Jahr „Märkische Allgemeine Zeitung“ und „rbbFernsehen“ erhoben haben. 55 % der Brandenburger unterstützen die Politik der Landesregierung, die auf eine weitere Braunkohleförderung abzielt. Selbst die Anhänger der LINKEN teilen mehrheitlich - in Klammern: 57 % - diese Position. Das war eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts dimap im Auftrag der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ und von „rbb-Nachrichten“. Nur 36 % der Märker unterstützen die Ziele der Volksinitiative. So viel zu dem, was Sie uns gerade an Zahlen darboten.

(Vietze [DIE LINKE]: Ja, nur 36 %!)

Wir reden hier und heute in dieser schwierigen Situation natürlich auch darüber, ob und wie neue Tagebaue erschlossen werden können. Das ist ein sehr schwieriges Thema und, wie Sie gerade sagten, kein Thema, das sich für Volksinitiativen eignet, weil es sehr komplex ist. Ich frage mich, warum Sie da mitmachen.

Wir machen uns diese Fragen auch nicht leicht, indem wir ja oder nein antworten, weil es diese Antworten so nicht geben wird. Wir Sozialdemokraten sagen immer wieder, unser Ministerpräsident vorneweg: Zukunft braucht Herkunft! Zukunft braucht auch Heimat! Das ist für uns gar keine Frage. Wir ha

ben insofern auch vollstes Verständnis für die Menschen, die Angst und Sorge davor haben, dass ihre Wohnungen, dass ihre Dörfer von Abbaggerung betroffen sein könnten. Nur nutzen wir diese Sorgen und Nöte eben nicht aus, indem wir sie politisch manifestieren und indem wir sie politisch für Volksinitiativen oder Ähnliches nutzen. Das werden Sie von uns nicht erleben.

(Beifall bei der SPD)

Es wird ein umfangreiches Genehmigungsverfahren geben. Das wird sich über fünf, sechs, vielleicht sieben Jahre hinziehen. Wir Sozialdemokraten werden darauf achten, dass am Ende dieses Genehmigungsverfahrens eine wie nur irgend möglich sozial vertretbare Lösung für alle Betroffenen dabei herauskommt. Das wird unsere Aufgabe sein. Ich glaube, man kann inzwischen mit Fug und Recht behaupten, auch wenn Sie mir gleich wieder den Vorwurf des billigen Lobbyismus machen werden, dass wir mit Vattenfall dabei einen relativ zuverlässigen Partner im Land Brandenburg haben. Die Lafontaine-Partei argumentiert auch gern damit - das hat Frau Kaiser gerade wieder gemacht -, dass Ministerpräsident Stolpe vor 15 Jahren gesagt hat: Horno ist das letzte Dorf, das abgebaggert wird.

(Zuruf der Abgeordneten Kaiser [DIE LINKE])

Man muss sich vielleicht aber auch einmal - die Zeit läuft anschauen: Es gibt heute eine völlig andere globalpolitische Diskussion zum Thema Energie, als wir sie vor 15 Jahren hatten.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [DIE LINKE])

Wer vor einem Jahr dahergekommen wäre, Herr Vietze, und hätte gesagt, dass sich der Ölpreis auf dem Markt in diesem Jahr verdoppelt, dem hätte niemand geglaubt. Vielleicht sollte man tatsächlich, wenn es um Energie, wenn es um Versorgungssicherheit und Ähnliches geht, niemals nie sagen. Vielleicht ist das auch eine Erfahrung daraus.

Wie gesagt, wir haben großes Verständnis für all die Menschen, die auf der Kohle leben. Aber es gibt auch eine ganze Menge Leute, die von der Kohle leben. Zu denen gehören zuallererst die 10 000 Beschäftigten im Bergbau und in der Energiewirtschaft, die in der Lausitz von der Kohle leben müssen, weil sie damit ihr täglich Brot verdienen. In der Lausitz ist viel weggebrochen. Es gibt dort kaum noch Textil- oder Glasindustrie. Aber wir haben immerhin noch die Energieindustrie. Wir haben dort Braunkohle, die aus der Erde geholt werden kann, die auch viele Jobs sichert. Die jungen Leute - einige von ihnen sitzen noch hier im Saal -, die wir heute unten gesehen haben, wären, wenn wir dort aufhören müssten mit dem Baggern, genauso von Umsiedlung betroffen. Auch sie müssten sich Arbeitsplätze außerhalb von Brandenburg suchen. Auch sie müssten zusehen, dass sie ihre Familien ernähren können. Niemand würde ihnen das Häuschen hinstellen. Niemand würde darauf achten, dass ihre Kinder in die gleiche Kita, in die gleiche Schule gehen können. Niemand würde darauf achten, dass sie zusammen mit ihren Freunden irgendwohin ziehen können. All das muss man dabei berücksichtigen. Auch das ist Unsicherheit, und auch das ist Umsiedlung.

(Beifall bei SPD und CDU)

Von der Kohle leben auch wir alle, die Energie bezahlen müssen. Insbesondere ist das für die Leute wichtig - da wundere ich mich, dass Sie es hier so aufbringen -, die ein schmales Portemonnaie haben. Denn natürlich darf Autofahren kein Luxus bleiben für die, die einen Haufen Kohle im Portemonnaie haben. Natürlich kann es nicht sein, dass sich nur noch reiche Menschen eine warme Wohnung leisten können. Natürlich müssen die Lebensmittel bezahlbar sein. Nicht umsonst hat sich der G 8-Gipfel in dieser Woche mit der Nahrungsmittelkrise auf den Weltmärkten beschäftigt. Agrarische Produkte werden zunehmend in Biogas und Ähnliches umgewandelt.

Am vergangenen Samstag konnten wir in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ ein Zitat des IWF-Direktors lesen. Er sagte, wenn die Preisentwicklung so weitergehe, würden einige Regierungen nicht mehr in der Lage sein, ihre Bevölkerung zu ernähren. Man habe in einer Studie festgestellt, dass die zunehmende Produktion von Biokraftstoffen maßgeblich für den weltweiten Anstieg der Nahrungsmittelpreise verantwortlich sei.

Ich verstehe es nicht. Frau Kaiser, Ihre Partei spielt sich überall als Friedensengel auf. Ich rufe Ihnen zu, wenn Sie das lesen: Auch Hunger ist Krieg! Wer die wirklichen Herausforderungen dieser Welt sehen will, der muss sich einmal den Nord-Süd-Bericht anschauen, und der wird auch verstehen, wen - weil er dann hungern muss - eine falsche Energiepolitik zuerst trifft; nicht uns hier, aber den Süden dieses Erdballs wird es massiv treffen. Das muss man sehen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Auch deshalb brauchen wir heimische Kohle; deshalb brauchen wir die Energie aus der Kohle. Natürlich wissen wir, dass die CO2-Verstromung nicht die sauberste Lösung ist; na klar. Jänschwalde und Schwarze Pumpe sind unsere größten CO2Emittenten. Das wollen wir doch gar nicht infrage stellen. Sie sind es noch, muss man sagen. Wir in Brandenburg arbeiten als eines der wenigen Länder zusammen mit Vattenfall mit Verve daran, dass sich dieses „Noch“ bald umstellt. Wir werden in diesem Jahr den ersten 30-MW-Block erleben, der mit CO2Verflüssigung ans Netz geht. Wir werden im Jahr 2015 - das ist zufällig gerade das Jahr, in dem die Entscheidung darüber gefällt werden muss, ob das neue Kraftwerk gebaut wird oder nicht -, wenn alles gut läuft, mit 300 Megawatt ans Netz gehen.