Protocol of the Session on May 29, 2008

Beispiel Neuseeland: Dort kündigte kürzlich die Regierung die Wiederverstaatlichung des 1993 privatisierten Bahnver

kehrs und des Fährennetzes an. Wie der dortige Finanzminister erklärte, sei die Rückkehr des Bahnverkehrs der beste Weg, Investitionen in die Industrie zu erhöhen. Der neuseeländische Staat zahlt für den Rückkauf doppelt so viel, wie er 1993 als Privatisierungserlös bekommen hat. Neuseelands Finanzminister sprach hinsichtlich des Verkaufs des neuseeländischen Bahnsystems von einer - so wörtlich - schmerzhaften Lektion.

Doch all dies stört unsere Bundesregierung überhaupt nicht. Dabei droht das eben von mir skizzierte Szenario auch in Deutschland Platz zu greifen, und das sehr schnell. Flächenländer wie Brandenburg sind naturgemäß von den negativen Folgen einer solchen Privatisierung besonders schlimm betroffen.

So fürchtete neben vielen anderen auch der hessische Verkehrsminister negative Auswirkungen auf den Regionalverkehr. Knackpunkt ist für ihn das Schienennetz, das beim Bund verbleiben soll. Die Befürchtungen gehen dahin, dass die privaten Eigner des Personen- und Frachtverkehrs sich nur noch um den lukrativen Fernverkehr zwischen den Metropolen, Hafenstädten und Wirtschaftszentren kümmern, während andererseits das weiterhin bundeseigene regionale Schienennetz zunehmend verrottet und der Regionalverkehr, da nicht lukrativ, immer mehr eingestellt werden wird.

Was für Hessen gilt, gilt für uns wesentlich bevölkerungsärmeres und strukturschwächeres Brandenburg doppelt und dreifach. Doch die den ländlichen Regionen in Brandenburg dann drohenden massiven Stilllegungen von Regionalstrecken dienen garantiert nicht dem Verbraucher und sind deswegen auch kein tragfähiges Konzept.

Ich denke, unsere Fraktion will diesen geforderten Bericht auch. Deshalb stimmen wir diesem Antrag zu.

(Beifall bei der DVU)

Der Abgeordnete Schrey spricht für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst etwas Grundsätzliches zum Thema sagen. Die Deutsche Bahn spielt immer wieder eine Rolle in den Diskussionen im Fachausschuss und auch hier im Plenum. Dies hat sicherlich nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass viele von uns direkt betroffen sind bzw. in ihrem Wahlkreis positive und negative Erfahrungen mit der Bahn gesammelt haben. Ich kann Herrn Dr. Klocksin nur Recht geben: Viele Gebäude, die die Gemeinden hätten kaufen wollen und können, sind mittlerweile verrottet und haben kaum noch einen Wert.

Noch etwas: Die Bahn muss sich den Herausforderungen des freien Wettbewerbs stellen und darf nicht weiterhin den Schutz des fürsorgenden oder, besser gesagt, zahlenden Vater Staates genießen. Nur mit mehr Wettbewerb erreichen wir auch eine bessere Zufriedenheit der Bahnkunden.

Ich halte es für richtig, dass erst die Verkehrsminister der Bundesländer und nun auch der Bundesrat am letzten Freitag entschieden haben, einen eigenen Gesetzentwurf an den Bundes

tag zu übersenden. Die Bundesländer fordern mehr Mitspracherecht und wollen damit unter anderem sicherstellen, dass Bund und Bahn auch künftig in das Schienennetz und in kleine Bahnhöfe investieren. Ich hoffe, dass die Abgeordneten des Bundestages auf die Bedenken der Länder eingehen und nicht ohne Weiteres in dieser Woche über die Teilprivatisierung entscheiden. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie.

Wir teilen die Auffassung der Länderverkehrsminister, dass der jetzige Gesetzentwurf die Länderinteressen nicht ausreichend berücksichtigt und erhebliche Risiken für die Haushalte der Länder und des Bundes birgt. Gerade Brandenburg als Flächenland muss ein grundsätzliches Interesse an qualitativ gut ausgestatteten Bahnstrecken haben. Dazu gehört eben auch, dass wir oder der Bund einen Einfluss auf die Infrastruktur behalten müssen. Für mich gehört der effektive Wettbewerb auf der Schiene zu einem gut funktionieren Schienennetz dazu. Nur so können wir uns auch für die demografischen Herausforderungen fit machen und den Menschen im Land einen zumutbaren SPNV bieten.

Ich gehe davon aus, dass die gute Zusammenarbeit zwischen dem Fachministerium und dem Fachausschuss weiterhin Bestand hat und dass uns das Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung über das Gesetzesvorhaben der Länder und die Auswirkungen der Bahnprivatisierung auf dem Laufenden hält. Deshalb empfehle ich die Überweisung des Antrags aus fachlichen Gründen an den Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung. - Danke schön.

(Beifall bei CDU und SPD)

Minister Dellmann spricht jetzt für die Landesregierung.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Tack, ich möchte gleich zu Beginn noch einmal ausdrücklich festhalten, wer bei der gesamten Diskussion über das Thema der Bahnreform wirklich die Hauptverantwortung trägt.

(Dr. Klocksin [SPD]: Wir nicht!)

- Lieber Kollege Klocksin, das wissen wir: Es sind die Bundesregierung, der Bundesverkehrsminister und der Bundesfinanzminister sowie vor allem auch die Bundestagsabgeordneten.

Zu behaupten, dass die Landesregierung zu diesem Thema keine klare Position vertreten habe, ist fatal. Wir haben eines immer ganz klar gesagt: Für uns muss das System Eisenbahn im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Das haben der Ministerpräsident und ich mehrfach gesagt, und ich habe das auch in die Fachkonferenzen immer mit eingebracht.

Auch dann, wenn ich bzw. wir mit dem vorliegenden Ergebnis nicht zu 100 % zufrieden sind, so können wir doch zumindest konstatieren: Eines ist verhindert worden, nämlich die Teilprivatisierung der Infrastruktur. Anderenfalls wäre das etwas ganz Fatales geworden. Dass es nicht so gekommen ist, ist auch ein ganz klarer Erfolg der Diskussion der vergangenen Monate.

Was jetzt auf dem Tisch liegt, lässt sich glücklicherweise in eine vernünftige Richtung hin weiterentwickeln.

Die Verkehrministerkonferenz hat dazu einen Beschluss gefasst. Sie hat sich klar positioniert, hat eingefordert, dass bestimmte Dinge auch gesetzlich nachgesteuert werden müssen. Er hat eine sehr klar Sprache gebraucht. Der Schulterschluss ging hier weit über Parteigrenzen hinaus. Das war von der Einsicht in die Notwendigkeit geprägt, dass im Interesse des Systems Eisenbahn hier auch gesetzliche Grundlagen geschaffen werden müssen.

Ich persönlich bedauere, dass sich die Bundesregierung und auch der Bundestag nicht dazu durchringen können, zu weiteren Kernfragen gesetzliche Regelungen zu schaffen, sondern das auf der Basis einfacher aktienrechtlicher Regelungen realisieren, weil dadurch die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundes zu gering sind. Deshalb ist es, glaube ich, gut und richtig, vom Bundestag einzufordern, die Gesetzesinitiative, die über den Bundesrat auf den Weg gebracht worden ist, ernst zu nehmen und sie zu behandeln.

Meine Sorge - da liegen wir überhaupt nicht auseinander - geht dahin, wie die Mittel kontrolliert werden, die auch zukünftig in Milliardenhöhe in das System Schiene hineinfließen. Meine Sorge ist auch, dass das Thema Fernverkehr auf der Bundesebene nicht die Bedeutung hat, die es nach dem Grundgesetz haben muss. Da haben mich die Beteuerungen sowohl von Herrn Mehdorn als auch vom Bundesverkehrsminister überhaupt nicht befriedigt. Wir haben in den letzten Jahren in Größenordnungen Abbestellungen für den Fernverkehr gehabt. Ich glaube, hier ist die Sorge berechtigt und es muss eingefordert werden, dass der Bund auch quasi eine Aufgabenträgerschaft für den Fernverkehr übernimmt.

Was mir auch wichtig erscheint, ist, dass die Länder dieses Thema wirklich „warmhalten“, dass sie dranbleiben. Deshalb bin ich durchaus damit einverstanden, dass wir es auch zukünftig im Ausschuss thematisieren; denn es muss weiterhin Druck auf dem Kessel bleiben, dass die DB AG sich nicht ausschließlich damit beschäftigt, ein Weltkonzern, ein DAX-Konzern zu werden; denn ich habe heute auch schon mit sehr großem Interesse gelesen, dass es dem Kollegen Mehdorn anscheinend mehr darum geht, jetzt ein DAX-Unternehmen zu werden als dafür zu sorgen, die Eisenbahn in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Da sieht man auch schon die sehr unterschiedliche Wichtung. Deshalb ist die weitere Behandlung im Fachausschuss wichtig.

Die Landesregierung, meine Person, wir standen immer sehr klar zu diesem Thema. Wir haben immer ganz klar gesagt: Wir wollen, dass das System Eisenbahn im Mittelpunkt steht. Deshalb ist das, was wir erreicht haben, zumindest ein tragfähiger, ein weiterzuentwickelnder Kompromiss. Aber wir müssen in dieser Angelegenheit wachsam sein, damit sich die Position für die Bundesländer und insbesondere natürlich auch für die Kunden im Güterverkehr, im Regionalbahnverkehr und im Fernverkehr nicht verschlechtert. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Schlusswort hat die antragstellende Fraktion. Frau Tack, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir schlagen nicht die Schlachten der Vergangenheit, Herr Kollege Klocksin, sondern wir schauen in die Zukunft. Wir schauen mit ziemlichen Bedenken und mit Angst in die Zukunft, was die Bahn betrifft. Da ist es - mit Verlaub - gut gebrüllt, Löwe, die Kritik an der Bahn AG hier vorzubringen. Die kann jeder immer wieder bringen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD])

Aber ich kann mich daran erinnern: Es ist noch eine hundertprozentige Tochter des Bundes, und in der Bundesregierung trägt auch die SPD Verantwortung. Deshalb ist es immer wichtig, die Kritik an den Adressaten zu richten; dorthin gehört sie.

Ein Zweites will ich sagen: Wir haben natürlich große Sorge, weil - auch Sie haben sie unterstrichen - mit der Teilprivatisierung der Bahn Risiken verbunden sind. Aber das Eigentliche ist, dass der Regionalverkehr in die Privatisierung einbezogen wird und die Länder eben kein Mitspracherecht haben. Das ist die große Kritik, die wir vorbringen. Da nützt es auch nichts, Herr Klocksin, dass die Länder nun schnell noch einen Gesetzentwurf gemacht haben. Sachsen-Anhalt ist ja, wenn ich richtig informiert bin, damit am 23. Mai im Bundesrat gewesen. Der Gesetzentwurf kommt vielleicht irgendwann in den Bundestag, oder auch nicht, aber morgen wird über die Teilprivatisierung entschieden, und der Bundesverkehrsminister hat schon deutlich gemacht, dass er von dem Gesetz der Länder nichts hält. Also können wir auf das Schicksal des Gesetzentwurfs oder der Empfehlung aus dem Bundesrat schon gespannt sein. Es gibt kein Mitspracherecht. Das ist doch das große Dilemma, das wir hier zu benennen haben.

(Dr. Klocksin [SPD]: Das richtet sich an den Ansprech- partner! Da widerspricht niemand, Frau Tack!)

- Das habe ich an die Allgemeinheit gerichtet gesagt, nicht nur an Sie, Herr Dr. Klocksin.

Deshalb will ich zum Schluss noch einmal deutlich unterstreichen: Wirkliche Erfolge, wie Minister Dellmann sie gerade genannt hat, können wir im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung der Deutschen Bahn nicht erkennen, auch wenn das Netz in öffentlicher Hand bleibt. Wir sagen ganz deutlich: Die Deutsche Bahn als ein wesentliches Element der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung gehört in öffentliche Hand. So soll es auch bleiben, und es wird ein Trugschluss sein, nach der nächsten Bundestagswahl zu sagen: Dann schauen wir einmal, wie die Mehrheiten sind, dann nehmen wir das zurück. - Privatisiert ist privatisiert. Wir wissen das aus den Erfahrungen der anderen Länder, die jetzt ihre Bahnen mühevoll mit viel mehr Geld zurückkaufen, als sie vorher Gewinne gemacht oder Rendite eingefahren haben. Das ist ein viel größerer Aufwand. Dem wollten wir gerne vorbeugen. Deshalb sagen wir: Das ist der falsche Weg. Wir werden uns um Mehrheiten bemühen, um möglicherweise einen besseren Weg zu finden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Debatte.

Die Fraktion DIE LINKE hat die Überweisung des Antrags in Drucksache 4/6226 an den Ausschuss für Infrastruktur und Raumordnung beantragt. Wer dem Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall, ein erfreuliches Ergebnis. Damit ist dem Überweisungsantrag zugestimmt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 9 und rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

10 Jahre „Tolerantes Brandenburg“

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 4/6231

Wir beginnen die Debatte mit dem Beitrag der Abgeordneten Fechner. Sie spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das sogenannte Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ wird ja nun zehn Jahre alt. In all den vielen Jahren ist sehr viel Geld in dieses Handlungskonzept geflossen, Geld, das der Brandenburger Steuerzahler gezahlt hat. Die Landeshaushaltsordnung sagt dazu in § 7 Abs. 2 Satz 1:

„Für alle finanzwirksamen Maßnahmen sind angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen.“

Das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ enthält sehr viele finanzwirksame Maßnahmen. Doch die Landesregierung weigert sich seit zehn Jahren beharrlich, diese Bestimmung der Landeshaushaltsordnung zu erfüllen und ihr Handlungskonzept zu evaluieren. Die für diesen Bruch der Landeshaushaltsordnung angeführten Ausreden sind immer die gleichen. Das wichtigste Argument dürfte sein, dass die mit dem Handlungskonzept verfolgten Ziele nicht in Zahlen auszudrücken und somit nicht messbar seien und daher auch nicht evaluiert werden könnten. Doch, meine Damen und Herren, es gibt durchaus messbare Erfolge. Bei der Landtagswahl 1999 zum Beispiel wurden über 58 000 Stimmen für die Deutsche Volksunion abgegeben. Bei der Landtagswahl 2004 waren es bereits über 71 000. Innerhalb von fünf Jahren, meine Damen und Herren, fast 13 000 Stimmen Zuwachs! Das ist doch ein Erfolg für das Land Brandenburg. Das ist doch ein Erfolg für die Demokratie.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, in unserem Nachbarland Mecklenburg-Vorpommern gibt es auch ein Landesprogramm, vergleichbar mit unserem Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“. Das Programm nennt sich „Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken“.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.