Protocol of the Session on December 15, 2004

(Beifall bei der PDS - Schulze [SPD]: Fangen Sie einmal bei sich an!)

Für die SPD-Fraktion spricht Frau Abgeordnete Siebke. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Schulform Oberschule, wie sie jetzt beschlossen wird - sie unterscheidet sich von dem Entwurf, der uns vor Wochen vorgelegen hat, doch erheblich -, ist ein Fortschritt gegenüber dem jetzigen Schulsystem. Sie trägt der demographischen Entwicklung Rechnung und gestaltet die Schullandschaft der weiterführenden Schulen in Brandenburg übersichtlicher.

Sie sehen das anders, Frau Große. Das war auch nicht anders zu erwarten. Da wieder die Kritik kam, die Bevölkerung und die Beratungsgremien seien hier nicht zu Wort gekommen, möchte ich klarstellen, dass das so ganz einfach nicht stimmt. Wir haben ein ordnungsgemäßes parlamentarisches Verfahren durchgeführt. Sie selbst haben gesagt, dass wir 18 Anzuhörende haben zu Wort kommen lassen, die ganz unterschiedliche Standpunkte zu dem Gesetzentwurf vertreten haben. Sie haben Recht, dass die Ablehnung groß war. Aber die Ablehnung kam aus sehr unterschiedlichen Richtungen. Ich betone hier noch einmal, wir

haben das nicht als Alibiveranstaltung verstanden, wie Sie sagen, sondern wir haben Veränderungen am Gesetzentwurf vorgenommen. Sie wissen, dass wir im Ausschuss die entsprechenden Änderungsanträge gestellt haben. So viel zum Verfahren.

Ich habe bereits gesagt: Die Schulform Oberschule ist ein Fortschritt. Lassen Sie mich jetzt noch einige Gründe nennen, die dafür sprechen.

Erstens: Den Schülerinnen und Schülern, die eine Oberschule besuchen, bleiben - auch wenn Sie hier etwas anderes sagen - alle Bildungsgänge offen, auch der des Erwerbs der allgemeinen Hochschulreife; denn auf dem Weg der individuellen Förderung an der Oberschule ist der Wechsel an das Gymnasium möglich.

Zweitens: Das Ablegen des Abiturs nach zwölf Jahren muss an den Gymnasien derart ausgestaltet werden, dass Schülerinnen und Schüler so lange wie möglich ans Gymnasium wechseln können; aus meiner Sicht mindestens bis zum Ende der achten Jahrgangsstufe. Besonders wichtig ist dies aus organisatorischer Sicht für Kinder in dünn besiedelten Gebieten; denn wenn es uns gelingt, das durchsetzen, müssen sie erst nach Beendigung der 8. Klasse längere Schulwege zum Gymnasium in Kauf nehmen. Das ist also auch ein Beitrag zur schulortnahen Beschulung.

Drittens: Die Schulkonferenz wird künftig über die innere Struktur der Oberschule entscheiden. Das ist das, was wir alle wollen, nämlich die Stärkung der Selbstständigkeit von Schule. Eltern, Lehrer und Schüler haben ein Mitspracherecht. Wir könnten die Entscheidung über diese Schulform noch zwei Jahre hinausschieben. Letztlich kann immer nur die Schulkonferenz darüber entscheiden, wer die ersten 7. Klassen vertritt. Das geht nicht im Vorfeld, wie wir alle genau wissen.

Viertens: Keiner Oberschule ist es verwehrt, integrative Unterrichtsformen zu wählen. In dieser Organisationsform werden Schülerinnen und Schüler nicht nach ihren voraussichtlichen Abschlüssen sortiert. Ich fordere insbesondere die Lehrkräfte und die Eltern bezüglich ihrer Entscheidung in der Schulkonferenz auf, sich an den PISA-Siegern zu orientieren. In den betreffenden Ländern werden - wie wir gelernt haben - Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen Lernvermögens sehr erfolgreich lange gemeinsam unterrichtet.

Fünftens: Die Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe haben sich als sehr erfolgreiche Schulform erwiesen. Das Schulgesetz sieht vor, dass sie dort erhalten bleiben, wo Schülerinnen und Schüler sie wählen. Wir haben hinzugefügt, dass auch das Prozedere über die Bildung der Klassen der gymnasialen Oberstufe so weitergeführt wird, wie wir es bereits kennen. So weit zu den Fakten, wie wir sie sehen.

Nun zu der Argumentation, die wir auch von anderer Seite immer wieder hören. Sehen wir uns diese Argumentation bzw. diese Behauptungen genauer an.

Die erste Behauptung, die immer wieder, so auch heute, in den Raum gestellt wird, lautet: Wir zementieren mit diesem Gesetz, insbesondere wegen des Wegfalls oder des Fehlens des Bildungsgangs allgemeine Hochschulreife, das gegliederte Schulsystem. - Sehen Sie sich das in der Praxis an. Am Ende des Besuchs der Oberschule - so steht es im Gesetz - kann ein Schüler die Zugangsberechtigung zur gymnasialen Oberstufe erwerben und damit den Weg zum Abitur gehen. Das ähnelt der Rege

lung, die wir bereits von der Realschulen her kennen. Wir wissen, dass Realschüler durchaus gewechselt und dann ihr Abitur abgelegt haben.

Wenn Sie jetzt auf die Gesamtschulen abheben und sagen, der Bildungsgang allgemeine Hochschulreife sei hier nicht mehr zu finden, dann wissen wir aber auch, dass an Gesamtschulen das kann man auch an den Oberschulen tun - Leistungsdifferenzierungen auch vorgenommen werden können, wenn man integrativ unterrichtet. Das heißt, auch in der Gesamtschule haben wir nie - ich jedenfalls kenne keine solche Gesamtschule diese drei Leistungsstufen in unterschiedliche Kurse gegliedert, sondern der Bildungsgang allgemeine Hochschulreife ist immer - das ist allgemeine Praxis - individuell gefördert worden, nämlich im Leistungskurs, und ist kein Extrakurs gewesen. Die Kursbildung an den jetzigen Oberschulen kann genauso erfolgen. Im Gesetz ist zudem vorgesehen, dass die Schüler individuell gefördert werden können, ja sollen, sodass sich dieser Weg zur allgemeinen Hochschulreife auch in der Oberschule wiederfindet und ein Wechsel ans Gymnasium auch während der Schulzeit möglich sein wird.

Unser Problem ist doch nicht die Ausgestaltung der Bildungsgänge an der Oberschule, sondern unser Problem, das wir lösen müssen, ist der Übergang zum Abitur nach zwölf Jahren, wobei sicherzustellen ist, dass die Chance zum Wechsel von der Oberschule ans Gymnasium so lange wie möglich gegeben ist. Das zu gewährleisten heißt für uns, die Stundentafeln und Lehrpläne so lange wie möglich gleich zu gestalten. Dann haben wir nämlich auch die entsprechende Durchlässigkeit im Schulsystem. Ich denke, das wird unsere gemeinsame Aufgabe sein - ich spreche da auch unseren Koalitionspartner an -, wenn wir den zweiten Schritt, die nächste Schulgesetznovelle, in Angriff nehmen.

Der zweite Vorwurf lautet, dass die Selektion zementiert würde. Das heißt, es wird der Vorwurf erhoben, dass Schüler von Anfang an abschlussbezogen in bestimmte Schubladen gesteckt würden. Wir kennen jedoch alle den Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden wollen, und wissen: Dem ist nicht so, sondern es ist vorgesehen, dass die Schule entscheiden kann, ob sie abschlussbezogene Klassen bildet - das haben Sie, Frau Große, auch gesagt - oder die Schüler integrativ unterrichtet. Das heißt, nicht einmal Kursbildung ist vorgeschrieben, sondern es kann auch im Klassenverband durchgängig auf unterschiedlichen Niveaustufen unterrichtet werden und es ist auch möglich, eine Mischform zu wählen. Deshalb verstehe ich den Aufschrei der Realschule in Werder nur bedingt, die sich beklagt, dass die Schüler jetzt in abschlussbezogene Klassen sortiert werden müssten. - Nein, dem ist nicht so. Ich wiederhole, was ich eingangs zu den Punkten gesagt habe, und fordere hier jeden auf: Unterrichten Sie integrativ! Sie haben die Entscheidungsmöglichkeit vor Ort. Tun Sie es doch!

Wenn die Realschule in Werder sagt, es habe sich gezeigt, dass Schüler unterschiedlichen Leistungsvermögens auch in Klassen ohne Kursteilung sehr gut unterrichtet werden können, dann gratuliere ich dieser Schule und sage: Fahren Sie durchs Land und sagen Sie allen, dass sie so unterrichten sollen. Ich komme da durchaus mit. Sie sollen weiter so verfahren. Den Beweis, dass dies gut funktioniert, haben sie angetreten. Für eine lange gemeinsame Schulzeit von Kindern mit unterschiedlichem Leistungsvermögen sind wir immer zu haben. Wir werden jede Schule unterstützen, die diesen Weg geht.

Es gibt eine weitere Kritik, die mit der Bezeichnung der Abschlüsse zusammenhängt. Es ist kein Geheimnis, dass die SPD-Fraktion da ähnlich denkt. Es ist schon - sage ich einmal vorsichtig - etwas schizophren, Abschlüsse nach Schulformen zu bezeichnen, die wir entweder noch nie hatten bzw. abzuschaffen im Begriff sind.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Wir kennen aber auch die seit Jahren von der CDU vorgetragene Argumentation, dass unsere Schulabschlüsse in der Wirtschaft nicht verstanden werden. Ich halte es schon für bedenklich, welch geringes Vertrauen unsere CDU-Abgeordneten in unsere Unternehmerschaft und deren Lernfähigkeit haben; diesbezüglich habe ich so meine Probleme. Das tut der Qualität der Schule und dem, was dort geleistet werden soll, jedoch keinen Abbruch.

Ich fasse zusammen: Die Oberschule hat alle Chancen, eine gute Schule für brandenburgische Schülerinnen und Schüler zu werden. Eine Voraussetzung dafür ist, dass Eltern, Lehrkräfte und Schülerschaft landesweit - da stimme ich Frau Große zu zeitnah und jetzt sehr schnell über die Oberschule informiert werden, damit sie sich mit ihr identifizieren können.

Um die Schülerinnen und Schüler optimal zu fördern, ist die Ausstattung der Oberschule mit ausreichend Lehrerstunden eine wesentliche Voraussetzung, und zwar auch für den Erfolg und die Akzeptanz dieser neuen Schulform.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Ich freue mich in diesem Zusammenhang über die Aussage, dass die Lehrerstellen aus dem System Gesamt-/Realschulen entsprechend den Schülerzahlen im System Oberschule erhalten bleiben. Somit besteht die Chance, daraus eine qualitativ hochwertige Schule in Brandenburg zu machen. Ich fordere Sie auf, dies zu unterstützen und dieses Schulsystem zu propagieren.

Ich halte es für bedenklich, die Oberschule schlechtzureden. Es ist unsere Aufgabe, sie zu einer Schule zu machen, die den Schülern alle Chancen bietet. Sie werden sehen, dass das möglich ist.

(Beifall bei der SPD)

Für die DVU-Fraktion spricht die Abgeordnete Fechner. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach jahrelanger Diskussion über das Zusammenlegen der Schulen ist es nun endlich so weit: Der Weg für die neue Oberschule ist frei. Auch wenn es vonseiten meiner Fraktion etliche Kritikpunkte gibt, sehen wir durchaus einige positive Aspekte, die die Einführung dieser neuen Schulform mit sich bringt:

Erstens: Durch die Einführung der Oberschulen könnte der eine oder andere Schulstandort erhalten bleiben.

Zweitens: Im Brandenburgischen Schulgesetz wird endlich

auch dem Namen nach wieder das altbewährte dreigliedrige Schulsystem, bestehend aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium, verankert.

Ich möchte begründen, warum die DVU-Fraktion für das dreigliedrige Schulsystem ist. Wir sind der Meinung, dass es für die unterschiedlichen Begabungen, die die Schüler haben, auch unterschiedliche Bildungsgänge geben muss - Bildungsgänge, die es dem Einzelnen ermöglichen, entsprechend seinen Fähigkeiten und Begabungen gefördert und vor allen Dingen auch gefordert zu werden.

Nach der Vorstellung linker Bildungsideologen sollen alle Kinder nach Möglichkeit den gleichen Schulabschluss haben. Am liebsten wäre es den Genossen, wenn alle Kinder das Abitur hätten. Ich muss ehrlich sagen, das ist eine wunderbare Vorstellung. Das hieße aber, dass alle Kinder die gleichen Voraussetzungen, die gleichen Begabungen mit sich bringen müssten.

Leider ist das nicht der Fall. Jedes Kind hat seine eigenen individuellen Fähigkeiten. Das eine Kind verfügt über eine schnelle Auffassungsgabe, kann konzeptionell, logisch, analytisch denken und handeln; ein anderes Kind ist sehr kreativ, besitzt ein abstraktes Vorstellungsvermögen und wird später im beruflichen Leben vielleicht die künstlerische Laufbahn einschlagen; wieder ein anderes Kind besitzt handwerkliche, praktische Fähigkeiten. Es gilt die unterschiedlichen Talente zu fördern. Das funktioniert mit einer Einheitsschule, wie sie von linken Ideologen gefordert wird, nicht.

Natürlich wäre es schön, wenn alle Kinder mit ihren unterschiedlichen Begabungen gemeinsam in kleinen Klassen individuell gefördert werden könnten. Doch das, meine Damen und Herren, kostet sehr viel Geld. Solange der Bund und auch das Land nicht die Bildungspolitik, sondern die Konsolidierung des Haushalts als höchste Priorität einstufen, ist nicht damit zu rechnen, dass wesentlich mehr Geld in die Bildungspolitik fließen wird. Mit dieser Tatsache müssen wir uns zunächst leider abfinden. Es gilt also, mit dem vorhandenen Budget auszukommen, ob uns das nun passt oder nicht.

Werte Genossen, die Menschen sind nicht alle gleich. Sie sind alle gleichwertig, aber nicht alle gleich.

(Beifall bei der DVU - Jürgens [PDS]: Das sollten vor al- lem Sie sich merken!)

Für uns als DVU-Fraktion hat der Gebäudereiniger oder die Toilettenfrau denselben Stellenwert wie ein Universitätsprofessor, was die Notwendigkeit der Tätigkeit anbelangt. Aber brauchen alle Menschen die gleiche Schulbildung und den gleichen Schulabschluss?

Wie heißt es doch so schön bei den Genossen? „Vielfalt statt Einfalt.“

(Zuruf des Abgeordneten Sarrach [PDS])

Nach Ansicht unserer Fraktion sollten die unterschiedlichen Begabungen der Kinder gerade in der Bildungspolitik Berücksichtigung finden. Dem kann man zum Beispiel nachkommen, indem Kinder entsprechend ihren unterschiedlichen Begabungen unterschiedliche Bildungsgänge besuchen.

Für unsere Fraktion ist die Hauptschule keine Rest- oder Dummschule, wie uns linke Ideologen seit Jahren weismachen wollen. Leider hat sich diese diskriminierende, falsche Ansicht in den Köpfen vieler bereits festgesetzt, sodass die Akzeptanz der Hauptschüler in der Bevölkerung sehr zu wünschen übrig lässt. Schulabgänger, die einen Hauptschulabschluss erworben haben, sind heutzutage auf dem Ausbildungsmarkt leider nicht sehr gefragt; hier gilt es umzudenken.

Wir als DVU-Fraktion begrüßen ausdrücklich, dass im Brandenburgischen Schulgesetz endlich auch dem Namen nach wieder das altbewährte dreigliedrige Schulsystem, bestehend aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium, verankert wird. Doch das ist dann auch schon so ziemlich alles, was an dem Strukturgesetz unsere Zustimmung findet.

Leider stehen mir nur fünf Minuten Redezeit zur Verfügung,

(Schippel [SPD]: Das reicht auch!)

sodass ich nur noch auf einen Kritikpunkt kurz eingehen kann. Laut Gesetz können die Schulen die Entscheidung darüber treffen, ob sie in kooperativer oder integrativer Form unterrichten wollen. Diese Regelung richtet sich offensiv gegen die von uns geforderte Einheitlichkeit des brandenburgischen Schulsystems.

(Zuruf der Abgeordneten Große [PDS])

Gnade den Schülern, die umziehen oder aus anderen Gründen die Schule wechseln müssen und dann mit einem anderen System konfrontiert werden! Einerseits schafft man die Gesamtschule nominell ab, andererseits überlässt man jeder Schule die Entscheidung darüber, ob sie mit diesem schülerfeindlichen Unsinn weitermachen möchte oder nicht.

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Auf weitere Kritikpunkte kann ich aus Zeitgründen leider nicht eingehen. - Unsere Fraktion wird der Beschlussempfehlung des Ausschusses nicht folgen.