Die Koalition mit uns Sozialdemokraten hinterlässt offensichtlich auch beim Partner ihre Spuren. Denn ich hätte nicht gedacht, dass es die CDU einmal explizit als problematisch bezeichnen würde, wenn Kinder vor allem in Kindergarten und Grundschule von Frauen betreut werden. Aber in der Tat, die Aktuelle Stunde hat, glaube ich, sowohl die Linke als auch die Sozialdemokratie etwas überrascht.
Das Thema ist in der Tat problematisch. Wir haben es diskutiert, und es liegt ein Antrag vor. Aber es handelt sich um ein sehr diffiziles Bildungsproblem, und ich würde mir wünschen, dass wir es im zuständigen Fachausschuss in Zukunft noch intensiv diskutieren können.
Wir Sozialdemokraten messen den Erfolg unserer Bildungspolitik gerade auch an der Frage der Gerechtigkeit. Gleiche Chancen auf einen guten Schulabschluss für alle, egal welcher Herkunft und welchen Geschlechts, das ist unser Ziel. Um es zu erreichen, brauchen wir viele Maßnahmen. In Brandenburg beginnen wir mit einer guten Schulförderung - wir haben dies im letzten Jahr vor allem bei der Änderung des Kita-Gesetzes debattiert -: Familienberatung, Fördermöglichkeiten, Schulen mit möglichst guter Erreichbarkeit, Ganztagsschulen. Wir haben hier im Landtag schon über viele Maßnahmen der Landesregierung auf diesem Gebiet diskutiert, Konzepte verabschiedet und Gesetze geändert.
Chancengerechtigkeit bedeutet für uns Sozialdemokraten nicht Gleichmacherei. Wir müssen die Individualität jedes Einzelnen
würdigen, um ihm die bestmögliche Förderung zukommen zu lassen. Chancengerechtigkeit für alle Kinder in der Schule ist eine vielschichtige Herausforderung. Einen wichtigen Aspekt, nämlich die Förderung von Jungen, greift die CDU mit ihrem Antrag zur heutigen Aktuellen Stunde auf.
Die Landesregierung hat im September 2007 einen Bericht zur Jungenförderung vorgelegt. Ich bedanke mich bei Herrn Minister Rupprecht ausdrücklich für die Arbeit seines Hauses. Im Ausschuss wurde die Qualität des Berichts explizit gelobt.
Der Bericht widmet sich einem Thema, das bislang nicht im Mittelpunkt unserer Debatte stand, und versucht, erste Erklärungs- und Lösungsansätze zu finden. Die Beschreibung des aktuellen Zustandes ist wie immer recht einfach. Die Zahlen teilweise wurden sie von meinen Vorrednern schon genannt zeigen deutlich: Jungen scheinen es in der Schule schwerer als Mädchen zu haben. 63 % aller Sitzenbleiber sind Jungen. 64,5 % aller Förderschüler sind männlich. In der flexiblen Eingangsstufe der Grundschule sind 53,5 % der Jungen zurückgestellt, während von den frühzeitig eingeschulten Kindern 61,8 % Mädchen sind - ein Fakt, der uns zu denken geben sollte, denn Chancengerechtigkeit ist in diesem Fall auch eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit.
Ich bezweifle, dass eine Aktuelle Stunde dieses Problem grundsätzlich erhellen kann. Die Erklärungen zu diesem komplexen Phänomen sind sehr vielfältig. Die wissenschaftliche Erkenntnis steht noch ganz am Anfang. Das Thema ist auf jeden Fall die Aufmerksamkeit aller am Bildungssystem Beteiligter wert.
In diesem Bericht werden drei unterschiedliche Theorien vorgestellt, die etwas Licht in das Dunkel der Benachteiligung von Jungen bringt. Die erste Theorie wurde provokant mit „Feminisierung der Schule“ umschrieben. In aller Kürze: Die Frauen in Kita und Grundschule verstehen nicht, wie Jungen ticken. Deswegen bevorzugen sie unbewusst - so die These - die Mädchen.
Der zweite Ansatz geht davon aus, dass Jungen und Mädchen durch unterschiedliche Methoden zum Lernen angeregt werden und hier Ungleichgewichte herrschen. Das klingt etwas abstrakt, genau wie der von Frau Große verwendete Begriff „Lektürekanon“. Lassen Sie mich es kurz darstellen. Die Zahlen zeigen, dass Jungen zum Beispiel schlechter lesen als Mädchen - so weit, so bekannt. Fragt man aber nach dem Zusammenhang von Leselust und Lesekompetenz, zeigt sich, dass Jungen, die gern lesen, genauso gut lesen können wie Mädchen. Warum aber lesen Jungen weniger gern? Zum Teil liegt das auch am Unterricht.
Als ich im Sommer - einige warme Tage hatten wir doch - am See lag, lasen die Damen einen schönen Roman, die männliche Begleitung blätterte in Zeitschriften über Auto- und Motorsport. Jedem das Seine. Was aber passiert in der Schule, in der man sich die Texte meist nicht aussuchen kann? Mädchen wie Jungen bekommen dieselbe Geschichte vorgesetzt - „Effi Briest“ -, die Mädchen finden das prima, die Jungen haben keine Lust zum Lesen, weil sie eher auf Sachtexte stehen. Das ist nur ein Beispiel von vielen, wie man Geschlechterdifferenzen, die es nun einmal gibt, im Unterricht berücksichtigen kann, nur muss dafür entsprechende Sensibilität entwickelt werden.
Die dritte Theorie sieht Probleme bei der Herausbildung der Geschlechtsidentität von Jungen, weil die moderne Männerbil
dung komplexer geworden ist und einfache Rollenmodelle immer mehr an Bedeutung verlieren. Kurz gesagt: Den „richtigen“ Jungen gibt es einfach nicht mehr. Wenn gerade in den sogenannten bildungsfernen Milieus dieses Rollenverständnis noch vorherrscht und bei der Herausbildung des eigenen Geschlechterbewusstseins als Vorbild dient, so hat gerade dies wenig Zukunft. Wie gesagt, dieses Thema ist noch zu wenig erforscht, als dass sich endgültige Antworten finden ließen.
Wichtig ist jedoch, dass dieses Problem den verantwortlichen Lehrkräften als solches überhaupt bewusst ist. Das MBJS zeigt in seinem Bericht erste Maßnahmen auf, die sich teilweise in der Umsetzung befinden, so zum Beispiel durch entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrkräfte, durch Aufnahme dieses Themas bei der Lehrerausbildung an der Universität Potsdam, durch Thematisierung bei den Schulräten oder dadurch, dass Geschlechterbewusstsein als Prüfkriterium bei den Schulbuchbegutachtungen auftaucht.
Die ersten Schritte innerhalb der Schulzeit zu gehen ist wichtig. Wir müssen aber auch über den Tellerrand der Schulzeit hinausschauen, schließlich kehrt sich nach dem Abitur das Bild um. Während im Jahr 2004 nur 31,8 % aller jungen Männer die Schule mit einer Studienberechtigung verlassen haben, waren es bei den jungen Frauen ganze 49 %. Die Bruttostudierquote jedoch, also der Anteil derer, die nach dem Schulabschluss ein Studium aufgenommen haben, beträgt bei den Männern 70 % und bei den Frauen nur 61 %. Insgesamt ist die Zahl derer, die in Brandenburg ein Studium aufnehmen, gering. Dies alles zeigt die kürzlich im Auftrag des MWFK veröffentlichte Untersuchung zur Studierneigung. Ich hätte mich gefreut, wenn die Union auch dies zum Anlass für eine Aktuelle Stunde genommen hätte, weil das ein großes Problem ist, dem wir uns in Zukunft stellen müssen.
Auch hier müssen wir die Frage stellen, welche Rolle das Geschlecht bei der weiteren Qualifizierung spielt. Geschlechtergerechtigkeit hört nicht mit dem Schulabschluss auf, sondern muss Berücksichtigung zu jeder Zeit in allen Lebensbereichen finden. - Danke sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Geywitz, vom sozialdemokratischen Bildungserfolg kann wohl keine Rede sein, wenn man sich die Ergebnisse der PISA-Studie ansieht.
(Frau Geywitz [SPD]: Ich bin sehr froh, dass Ihnen unse- re Bildungspolitik nicht gefällt. Es würde mir sehr zu denken geben, wenn sie Ihnen gefiele!)
- Dann denken Sie einmal, Frau Geywitz. Laut Antrag der CDU-Fraktion sollen wir uns in dieser Aktuellen Stunde mit dem Schulwesen beschäftigen - mit einem Schulwesen, welches bildet, und zwar nur ganz allgemein.
Das Finanzministerium hingegen plant in seinem Haushaltsentwurf Geld für Schulen, die Allgemeinbildung vermitteln. Das
Bildungsministerium ist auf seiner Internetseite wiederum einig mit der CDU-Landtagsfraktion und fühlt sich zuständig für Schulen, die zwar allgemein bilden, jedoch genau genommen keine Allgemeinbildung vermitteln.
Als vierte Partei führe ich die Duden-Redaktion auf, welche die allgemeinbildenden Schulen, die Allgemeinbildung vermitteln sollen, von den Berufsschulen unterscheidet.
Zum Abschluss verweise ich auf den Bericht, um den es heute geht und in dem vom allgemeinbildenden Schulwesen die Rede ist - „allgemeinbildenden“ in einem Wort geschrieben und nicht wie in der Antragsbegründung zu dieser Aktuellen Stunde auseinandergeschrieben.
Wenn sich nicht einmal die brandenburgische Landesregierung einig ist, ob Schulen allgemein bildend oder allgemeinbildend sind, wie sollen das die Lehrer an den Brandenburger Schulen den Schülern vermitteln?
Die von den Regierenden gewollte Verhunzung unserer Sprache ist nur eine Ursache, aber sie ist ein deutliches Symptom.
Das große Problem des Brandenburger Schulwesens ist nicht, dass Jungen benachteiligt werden, sondern dass alle Brandenburger Schüler gegenüber Schülern in anderen Bundesländern benachteiligt sind. Doch heute soll es vordergründig um die Benachteiligung der Jungen in Brandenburg gehen.
Woran liegt es, dass Jungen hier in Brandenburg schulisch schlechter als gleichaltrige Mädchen abschneiden? Um es kurz zu machen - auch die Beiträge meiner Vorredner haben es deutlich zu Tage gebracht -: Man weiß es nicht. Man stellt viele Vermutungen an, aber man weiß es nicht. Auch die Autoren dieses Berichts wissen es nicht.
Liest man sich den Bericht jedoch ganz genau durch, Frau Geywitz, wird eine Ursache genannt, zwar ziemlich verschlüsselt, aber sie wird benannt. In dem Bericht heißt es, dass die den Schulerfolg betreffenden Daten für die Jungen im Laufe der letzten 15 Jahre insgesamt ungünstiger geworden seien. Für mich heißt das: Die sozialdemokratischen Schulreformer, die unsere Kinder zu Versuchskarnickeln degradiert haben, tragen mit ihren Experimenten und weltverbesserischen Schulversuchen ganz erheblich zu dem Problem bei. Mädchen sind vielfach Nutznießer der Reformen und können sich, biologisch bedingt, oft besser an neue Situationen anpassen.
Im Oktober wollte der Kollege Senftleben vom Bildungsminister wissen, welche Maßnahmen er zur Unterstützung der Jungen an Brandenburger Schulen einleiten wolle. Als eine Maßnahme wird uns dieser Bericht präsentiert. Doch die einzige richtige Maßnahme wäre nach Ansicht der DVU-Fraktion ge
Sozialdemokratische Bildungsexperten dürfen ihre wirren Ideen schon viel zu lange zulasten der Brandenburger Kinder ausprobieren.
Für mich sieht es nach der Lektüre dieses Berichts so aus, als ob diese Damen und Herren das Unheil, das sie mit ihren Experimenten angerichtet haben, durch neue Experimente noch verschlimmern werden.
Die DVU-Fraktion hat für den Minister einen ganz anderen Lösungsvorschlag parat: Senken Sie die Mindestgröße für Klassen und fördern Sie die Einrichtung kleinerer Klassen! Lassen Sie Einzügigkeit auch an weiterführenden Schulen zu! Stellen Sie mehr Lehrer ein! Stoppen Sie endlich Ihr Schulschließungsprogramm, und wandeln Sie es in ein Schulgründungsprogramm um!
Wenn der Finanzminister dann noch Lehrer als Menschen akzeptiert, die eine ungeheuer wichtige Aufgabe für unsere Zukunft haben, und nicht einfach nur als wandelnde Einsparpotenziale ansieht, dann werden diese Lehrer auch die notwendige Motivation haben, ihre Schüler zu motivieren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich über das Thema der Aktuellen Stunde. Die Zielsetzung, den Blick für ausgewogene und gerechte Bildungschancen für Jungen und Mädchen zu schärfen, findet meine volle Zustimmung. Mich freut auch das parteiübergreifende Lob für den Bericht, den ich dem Ausschuss präsentieren konnte. Das passiert uns nicht häufig; umso größer ist die Freude.
Um den erwähnten Blick ganz gezielt weiter zu schärfen, möchte ich an dieser Stelle noch ein paar mir besonders wichtige Anmerkungen zu einzelnen Aspekten des Themas machen.