Meine Damen und Herren, es ist Punkt 10 Uhr. Ich begrüße Sie zu einem kleinen Jubiläum: Heute findet die 50. Plenarsitzung statt. Hoffentlich läuft sie genauso lebhaft wie die gestrige ab.
Als unsere Gäste begrüße ich zunächst Schülerinnen und Schüler der Stadtschule Altlandsberg. Herzlich willkommen im Landtag Brandenburg!
Des Weiteren haben wir eine Gruppe von zwölf Diplomaten aus mittel- und osteuropäischen Ländern unter uns, die sich den Ablauf einer Plenarsitzung im Landtag Brandenburg anschauen wollen. Ich hoffe, es wird interessant für Sie.
Meine Damen und Herren, der Entwurf der Tagesordnung ist Ihnen zugegangen. Gibt es zu dem Entwurf Bemerkungen? Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen oder Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.
Heute habe ich keine Abwesenheit von Ministern zu verkünden; das freut uns sehr. Dafür fehlen - krankheitsbedingt oder aus sonstigen Gründen - wieder einige Abgeordnete.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben allen Grund, optimistisch zu sein. Ich bin seit fast 13 Jahren Mitglied des Landtages. Ungefähr zehn Jahre davon haben wir über steigende Arbeitslosigkeit, Steuerausfälle und ähnliche Themen, die gewöhnlich nicht sonderlich viel Spaß machen, debattiert.
Heute ist festzustellen: Die Arbeitslosenzahlen sinken. Die Steuereinnahmen steigen - sogar über das Maß hinaus, das wir alle erwartet hatten.
Das Wichtigste daran ist: Es handelt sich nicht um eine Eintagsfliege. Es wird deutlich, dass sich dieser Prozess verstetigt.
Das erkennt man auf der Bundesebene unter anderem daran, dass die Bundesregierung ein Wirtschaftswachstum von 2,3 % und eine um 750 000 Fälle zurückgehende Arbeitslosigkeit
prognostiziert. Aber auch im Baugewerbe - seit vielen Jahren unser Problembereich - verzeichnen wir eine Zunahme der Stellen um 100 000. Die Zahl der offenen Stellen in der Bundesrepublik übersteigt inzwischen die Marke von 900 000.
Das Wichtige für uns ist, dass diese Entwicklung nicht bloß in den westlichen Bundesländern stattfindet, sondern sich auch im Osten widerspiegelt. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle hat für 2007 eine Prognose herausgegeben, wonach das Wirtschaftswachstum in den ostdeutschen Bundesländern 3 % erreicht. Das ist mehr als in den alten Bundesländern. Das ist für uns deshalb so wichtig, weil die Prognosen und auch die Realität in Ostdeutschland über mehrere Jahre ungünstiger waren als im Westen. Das heißt, die Schere ging nicht mehr zu, sondern eher wieder auf. Hier hat sich etwas verändert.
Diese Entwicklung widerspiegelt sich auch in Brandenburg. Wenn man sich die Zahlen des Jahres 2007 ansieht, dann stellt man fest: Bei uns ist etwas in Bewegung. Wir verzeichnen mit 30 000 neuen Stellen den bundesweit höchsten Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, deren Zahl jetzt 711 000 erreicht.
Wir haben im Jahr 2007 Steuermehreinnahmen - Sie kennen die Zahlen - von 229 Millionen Euro. Für die Folgejahre liegt die Prognose mit 400 bis 500 Millionen Euro sogar deutlich darüber.
Natürlich muss man überlegen, warum die Entwicklung so verläuft. Die Ursachen sind zu analysieren, damit man weiß, an welchen Baustellen man am sinnvollsten weiterbaut.
Man stellt zunächst fest, dass eine wesentliche Ursache das Wachstum der Weltwirtschaft ist. Das will man vielleicht nicht so gern hören, weil dieser Einfluss von außen kommt. Dennoch ist das Wachstum der Weltwirtschaft ein Fakt, der bei uns eine wesentliche Rolle spielt.
Es gibt allerdings keinen Automatismus dahin gehend, dass ein gutes Wachstum der Weltwirtschaft zu einem guten Wachstum in Deutschland, speziell in Ostdeutschland, führt. Das haben wir über mehrere Jahre feststellen können, in denen die Schere relativ weit auseinanderklaffte. Es muss mehr sein als das hohe Wachstum der Weltwirtschaft.
An dieser Stelle kann man die Ursachen im Inland, in Deutschland, in Brandenburg zu identifizieren versuchen. Das will ich im nächsten Abschnitt tun. Es ist festzustellen, dass auf Bundesebene seit Jahren eine zielgerichtete Politik verfolgt wird. Begonnen hat es mit den Arbeitsmarktreformen unter Bundeskanzler Schröder. Damit die Kollegen von der CDU nicht anfangen zu murren, will ich gleich fortsetzen: Die jetzige Bundesregierung setzt diesen Prozess fort; ich verweise auf das Investitionsprogramm 2006.
Es kommt hinzu - auch das ist für die Wirtschaft wichtig -, dass in der Steuerpolitik Kontinuität herrscht, auch bei der Unternehmenssteuerreform; denn es muss Verlässlichkeit entstehen.
Obwohl sich in diesem Punkt die Emotionen splitten, will ich auch erwähnen, dass die über viele Jahre betriebene moderate
Lohnpolitik ein wesentlicher Grund für die jetzige positive Entwicklung ist. Sie hat dazu geführt, dass die Unternehmen ein Stück weit stärker geworden sind.
Unter dem Strich kann man feststellen: Im Zuge der Globalisierung in den Jahren nach 1990 bzw. 1995 hatte die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland abgenommen. Das war allerorten zu erkennen. Die Situation hat sich deutlich geändert. Deutschland ist als Wirtschaftsstandort wieder attraktiver geworden. Genau aus diesem Grund profitieren wir nun auch wieder von der Entwicklung bzw. vom Wachstum der Weltwirtschaft. Das, was dort geschieht, trägt auch bei uns Früchte.
Natürlich ist nicht nur die Politik auf Bundesebene für das, was sich derzeit bei uns entwickelt, entscheidend. Es hat seine Ursachen auch in den von uns in Brandenburg vorgenommenen Weichenstellungen. Ich möchte einen Punkt ansprechen, der einem möglicherweise nicht sofort in den Sinn kommt: die Sicherung der industriellen Kerne. Sehr lange wurde darüber diskutiert, ob dies der richtige Weg sei. Diesbezüglich erinnere ich nur an Frankfurt (Oder) bzw. an das, was in den letzten Monaten dort geschehen ist. Noch vor zwei Jahren konnte sich niemand vorstellen, welcher Boom - auch hinsichtlich der Arbeitsplätze - dort entsteht. Aus einem Überangebot an Fachkräften wurde auf einmal ein Unterangebot. Dort wird händeringend nach Fachkräften gesucht. Es müssen Fachkräfte aus anderen Regionen nach Frankfurt (Oder) geholt werden, damit diese Stellen besetzt und ausgefüllt werden. Ich glaube, das verdeutlicht, wie wichtig es war, an den dort existierenden Strukturen über einen langen Zeitraum festzuhalten.
Die Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung ist auch ein wesentlicher Punkt. In Brandenburg wurde ein Stimmungswandel erreicht. Erinnert man sich zwei, drei oder vier Jahre zurück, wird man feststellen müssen, dass in einigen Regionen häufig argumentiert wurde: Wir brauchen Fördermittel, weil es uns so schlecht geht. - Diese Einstellung hat sich grundlegend geändert. Heute werden Fördermittel beantragt mit dem klaren Hinweis darauf: Wir brauchen Fördermittel, weil wir stark sind und die Stärken weiter ausbauen wollen. - Das ist ein Stimmungswandel, es verdeutlicht Selbstbewusstsein. Unternehmen orientieren sich bei ihrer Suche nach einem Standort für eine Ansiedlung auch an dem ausgeprägten Selbstbewusstsein einer Region. Eine positive Stimmung ist außerordentlich wichtig. Diese positive Stimmung herrscht mittlerweile in sehr vielen Regionen des Landes Brandenburg.
Ein weiterer Punkt ist die Bürokratie. Bürokratie ist ein Thema, das uns in Diskussionen immer wieder erwischt. Seit Jahren verfolgen wir die Strategie, unnötige Bürokratie abzubauen. Dazu wurde der von Tina Fischer geleitete Sonderausschuss eingerichtet. An dieser Stelle möchte ich die vom Ausschuss geleistete hervorragende Arbeit hervorheben. Sie verdeutlicht auch nach außen hin: Bürokratie ist kein Selbstzweck, in bestimmten Bereichen ist sie erforderlich, und das wird auch so bleiben, aber an Stellen, an denen sie nicht nötig ist, wird sie abgebaut. Diesbezüglich sind wir auf einem hervorragenden Weg.
Insofern möchte ich darunter einen kurzen Zwischenstrich ziehen. Wir haben tatsächlich Grund, optimistisch zu sein. Allerdings dürfen wir uns auf dem, was wir erreicht haben und was derzeit positiv verläuft, nicht ausruhen. Das wäre die
völlig falsche Schlussfolgerung; denn die Herausforderungen, vor denen wir stehen, werden nicht kleiner, sondern eventuell sogar größer. Insofern muss man sich mit diesen Herausforderungen auch beschäftigen.
Die größte Herausforderung ist, glaube ich, die Fachkräfteproblematik, und zwar nicht nur im Bereich der Angestellten, sondern auch im Bereich der Führungskräfte, die zum Teil vergessen wird. Aufgrund des Überschusses an qualifizierten Fachkräften, die Arbeit suchten, gab es in vielen Unternehmen keine systematische Rekrutierungs- und Personalentwicklungsstrategie. Das rächt sich derzeit etwas, weil der sich relativ schnell vollziehende Umbruch dazu führt, dass die Unternehmen nicht gut aufgestellt sind. Insofern müssen die Unternehmen ihren Beitrag leisten. Aber auch wir können unseren Beitrag leisten, indem wir solche Strategien mit ESF-Mitteln unterstützen.
Im Handwerksbereich, vor allem bei kleinen Unternehmen, besteht ein erhebliches Problem bei der Nachfolge. Es gibt viele Unternehmen, die relativ gut am Markt aufgestellt sind, denen es jedoch nicht gelingt, einen Nachfolger zu finden. An dieser Stelle sind die Kammern stark gefragt. Jedoch müssen auch wir versuchen, diese Anstrengungen zu flankieren.
Im Bereich Ausbildung gibt es nach wie vor einen hohen staatlichen Anteil. Doch auch hier ist der Umbruch zu erkennen. Immer mehr Unternehmen suchen Auszubildende, finden jedoch keine geeigneten Bewerber, sodass Ausbildungsstellen nicht besetzt werden. Diesbezüglich müssen wir unseren Beitrag leisten und insbesondere bei den Schulen ansetzen; denn wir können die Lehrer mit der Vorbereitung von Schülerinnen und Schülern auf das Berufsleben nicht allein lassen. Inzwischen wissen wir, dass das nicht funktioniert. An dieser Stelle ist das Land gefragt. Vieles organisieren wir über unsere Aktivitäten hinsichtlich der Kooperation von Wirtschaft und Schule. Jedoch sind auch die Unternehmen gefordert, stärker auf die Schulen zuzugehen, um Schranken abzubauen, Wege zu öffnen und klarzumachen, worum es geht.
Eine weitere Herausforderung ist die Langzeitarbeitslosigkeit. Wir wissen, es geschieht im Bereich der Arbeitslosigkeit viel. Die Zahl der Arbeitslosen insgesamt geht zwar zurück, die Zahl der Langzeitarbeitslosen bleibt jedoch relativ konstant. Das ist sehr schlimm. Dabei geht es nicht nur um die Hartz-IVEmpfänger, sondern auch um die Aufstocker. Auch an dieser Stelle müssen wir von dem Sockel herunterkommen. Es müssen Maßnahmen angewandt werden, die bisher noch nicht funktionierten - unter anderem Kombilohn in bestimmten Zielgruppen, Mindestlöhne in Branchen, in denen sich die Tarifpartner darauf verständigen, sowie gezielte individuelle Beratung und Förderung.
Die politische Handlungsfähigkeit wird eine nächste Herausforderung sein. Derzeit verbuchen wir Mehreinnahmen. Diese Situation kann dazu führen, dass man das Geld wieder mit vollen Händen ausgibt. Diesen Fehler dürfen wir nicht machen. Es gibt Prozesse, die wir nicht aufhalten können - unter anderem die Verminderung von Zuweisungen des Bundes und der EU auf der Einnahmeseite und Ausgabesteigerungen sowohl bei Zinsen als auch im Bereich von Pensionslasten - und die uns dazu veranlassen, mit dem Geld hauszuhalten.
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Situation in Berlin-Brandenburg. Aufgrund der derzeit vorherr
schenden Situation befürchte ich ein wenig, dass das Verhältnis zwischen Berlin und Brandenburg vor allem im Wirtschaftssegment eher problematischer als besser wird. Das ist für mich eine recht bedrohliche Situation, weil wir nur gemeinsam eine Chance haben, die Potenziale in der Gesamtregion zu heben. Darüber zu diskutieren, dass man bestimmte Aufgaben nicht mehr gemeinsam erledigen möchte - auch die IHK Berlin schlug kürzlich solche Töne an -, ist der falsche Weg. Wir sind eine Arbeitsmarkt- und eine Wirtschaftsregion. Nur gemeinsam haben wir die Chance, das im Grunde vorhandene Potenzial zu erschließen. Dies gelingt uns nicht so gut, wie es sein müsste. Sieht man sich andere Regionen an, ist festzustellen, dass es bei denen zum Teil besser funktioniert.
Nichtsdestotrotz: Herausforderungen und Probleme, die man erkannt hat, kann man lösen. Damit hat man den ersten Schritt getan. Insofern bleibt zum Abschluss festzustellen: Wir haben allen Grund, optimistisch zu sein. - Ich danke Ihnen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fakt ist, dass auch in Brandenburg die konjunkturelle Erholung spürbar ist - Herr Müller, diesbezüglich geben wir Ihnen Recht -, jedoch nicht wegen, sondern trotz der Politik von Bund und Land, die Sie hier betreiben.
Schauen wir uns den Arbeitsmarkt genauer an. Sie sagten vorhin unter anderem, wir verzeichneten gegenwärtig einen erheblichen Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, nämlich einen Anstieg auf 710 000. Ja, das ist eine erfreuliche Entwicklung, die seit etwa einem Jahr zu beobachten ist. Allerdings verschweigen Sie, von welchem Niveau wir ausgehen. Vor den sogenannten Arbeitsmarktreformen gab es in Brandenburg 810 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Nun sind es 100 000 weniger. Das gehört auch zu einer nüchternen Analyse und zur Wahrheit.
Herr Kollege Müller, zur Wahrheit gehört auch, dass „sozialversicherungspflichtig“ nicht zwangsläufig „existenzsichernd“ bedeutet. Das haben Sie, glaube ich, in der Analyse vergessen.
Was kennzeichnet diesen Aufschwung am Arbeitsmarkt noch? Ich hoffe, Herr Kollege Baaske, Sie können sich noch an die Veranstaltung beim DGB zu den prekären Arbeitsverhältnissen erinnern, die wir beide vor einigen Wochen besucht haben. Dort wurde uns die Brandenburger Realität deutlich vor Augen geführt. Etwa ein Drittel aller Arbeitsverhältnisse sind mittlerweile prekär, das heißt ungesichert. Diese prekäre Beschäftigung - das ist auch eine Analyse, die ich bei Ihnen, Herr Müller, vermisst habe - wurde unter Ihrer Regierungsbeteiligung sowohl im Bund als auch im Land deutlich ausgeweitet.
Ich meine nicht nur die 135 000 Mini- und Midijobber sowie die 55 000 Beschäftigungsverhältnisse im Niedriglohnsektor, sondern auch die massive Ausweitung der Zeit- und Leiharbeit in Brandenburg.