Protocol of the Session on November 25, 2004

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Nach zwei Diktaturen und 40 Jahren Teilung konnten wir als ein Volk die Geschichte der ganzen Nation wieder in unsere Hände nehmen, auch wenn das einige nicht wollten, und wir können dafür, dass wir das können, dankbar sein. Wir haben das Glück erfahren, nach den nationalsozialistischen Verbrechen und der sozialistischen Gewaltherrschaft die Blockkonfrontation in Frieden zu überwinden. Familien wurden wieder zusammengeführt und wir stehen gemeinsam für die demokratischen Werte unseres Zusammenlebens.

Noch am 25. November 1989 - nach dem Fall der Mauer! - erschien in einer englischen Tageszeitung ein Interview mit dem damaligen DDR-Staatschef Egon Krenz, in dem er bekräftigte, die DDR sei sozialistisch und sie bleibe es auch. Am gleichen Tag veröffentlichte ein Forschungsinstitut die Ergebnisse einer Umfrage unter DDR-Bürgern. 61 % wollten damals schon die Einheit.

Meine Damen und Herren, wir mussten hier bei uns in Brandenburg, in den neuen Ländern, viele Veränderungen bewältigen. Die allermeisten mussten den Arbeitsplatz wechseln, zum Teil mehrfach. Wir haben Arbeitslosigkeit erleben müssen und erleben sie noch. Es gibt bei uns tief greifende Veränderungen im sozialen Umfeld und vieles mehr. All das stellt uns vor große Herausforderungen. Das war und ist nicht einfach. Trotzdem, die Dinge des eigenen Lebens in die eigenen Hände zu nehmen ist kein Verlust, sondern ein Gewinn. Wir müssen uns vor denen hüten, die dieses kostbare Gut wieder gegen den allmächtigen Staat tauschen wollen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich weine der Vergangenheit keine Träne nach. Ich bin froh darüber, dass es die hochgerüsteten Blöcke nicht mehr gibt und man keine Angst mehr haben muss. Ich bin froh darüber, dass es keine Militarisierung in Kindergärten und Schulen mehr gibt mit Liedern wie „Soldaten sind vorbeimarschiert“, mit Wehrkundeunterricht und militärischem Zwangsdienst für Schüler, Lehrlinge und Studenten - übrigens von der Partei, die sich heute als Friedensengel generiert.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich bin froh darüber, dass ich lesen kann, was mich interessiert, und nicht, was vorher durch die Funktionäre der SED zensiert wurde, dass man sich im Restaurant nicht mehr umdrehen muss, wenn man redet, sondern frei und offen reden kann. Ich bin froh darüber, dass die Kinder in Kindergärten nicht mehr ausgehorcht werden, ob sie auch den „richtigen Sandmann“ gesehen haben.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich bin froh darüber, dass es nicht mehr zwei Welten gibt, eine private und eine offizielle, und dass die Eltern ihre Kinder nicht mehr zum Lügen erziehen müssen, dass man sich zur Religion selbstverständlich wieder öffentlich bekennen kann und dabei nicht als rückschrittlich diffamiert und benachteiligt wird.

Meine Damen und Herren, das wichtigste Ergebnis des Falls der Mauer ist die Wiedergewinnung der Freiheit. Wir haben die Freiheit, wir haben die Demokratie und den Rechtsstaat gewonnen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gilt und es ist ein gutes Grundgesetz. Wir haben allen Grund, darüber froh zu sein, denn es sichert uns die Freiheit, die Menschenwürde und einen solidarischen Ausgleich in unserer Gesellschaft, und die Demokratie gibt uns die Möglichkeit, eine Regierung zu wählen oder abzuwählen.

Aus diesen Werten erwächst uns eine Verpflichtung. Eine freie Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn die Bürger bereit sind, selbst Verantwortung zu übernehmen. Freiheit und Verantwortung gehören untrennbar zusammen. Eine freie Gesellschaft kann nur funktionieren, wenn die Bürger bereit sind, sich einzubringen - ob das bei einer privaten Bürgerinitiative, der Gründung eines Kindergartens, als Unternehmer, als Kommunalpolitiker oder in einer politischen Partei geschieht.

(Beifall bei der CDU)

Auch die Tätigkeit - ich sage es ausdrücklich - in einer politischen Partei ist wertvoll und wichtig für die Gesellschaft. Ein Beispiel sind die vielen tausend Kommunalpolitiker im Land Brandenburg, die sich in Sitzungen nach Feierabend ehrenamtlich die Zeit nehmen, über Probleme zu diskutieren und dafür zu sorgen, dass vor Ort Straßen gebaut, Schulen saniert und Dorffeste organisiert werden. Diesen Politikern sind wir zu Dank verpflichtet.

(Beifall bei CDU und SPD)

Die Politik sollte hier selbstbewusster auftreten. Auch als Parteien müssen wir uns nicht verstecken. Unsere Aufgabe als Politiker ist es, diese Werte offen zu vertreten und der jungen Generation zu vermitteln. Das ist die beste Vorsorge gegen radikale Ideologien, ob sie braun oder dunkelrot sind.

(Beifall bei CDU und SPD - Unmut bei der PDS)

- Sie haben die DDR zu verantworten! Das sollten Sie nie vergessen!

Wir haben die Aufgabe, für diese Werte zu kämpfen und einzustehen sowie den jungen Menschen zu vermitteln, welche Chancen sie heutzutage haben. Sie haben heute mehr Chancen als jemals zuvor in der deutschen Geschichte. Es stehen heute jedem jungen Menschen - unabhängig vom Geldbeutel - Bildungschancen offen. Man kann ins Ausland gehen, um dort zu studieren oder um als Au-pair zu arbeiten. Man kann sich selbstständig machen, wenn man es sich zutraut und die entsprechende Geschäftsidee hat.

(Sarrach [PDS]: Sicher!)

Es gibt Chancen. Diese müssen ergriffen werden. Übrigens wird demnächst mit Harz IV jedem jungen Menschen bis 25 Jahre eine Beschäftigung garantiert.

(Frau Osten [PDS]: Wo ist da Beschäftigung?)

Die Politik muss alles tun, damit sich die Angleichung von Ost und West rasch vollzieht. Seit einigen Jahren stagniert die Angleichung. Deshalb erwarte ich von der Landesregierung, dass sie Veränderungen herbeiführt.

(Hammer [PDS]: Gleiche Zahlungen bei Hartz IV wären ein Anfang gewesen!)

Die Lebensverhältnisse in Ost und West müssen angeglichen werden. Die alten Bundesländer und der Bund leisten solidarische Hilfe. Wir müssen jedoch etwas tun. Das ist ein wirkliches Problem; denn seit sechs Jahren laufen Ost und West wieder auseinander, weil die Wirtschaft in den neuen Bundesländern langsamer wächst als in den alten. Die Folge ist, dass viele junge Menschen weggehen.

Ich erwarte von unserer Landesregierung und auch von uns selbst, dass Initiativen ergriffen werden, die nachhaltig wirksam sind, die an diesem Zustand etwas ändern. Es genügt nicht, diesen Zustand jedes Jahr erneut zu beklagen, und am Ende bleibt doch alles, wie es ist.

(Beifall bei CDU und SPD - Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Wer regiert denn eigentlich?)

Politik muss Mut machen, optimistisch nach vorn zu schauen, nicht zu klagen und zu jammern, sondern selbst Chancen zu suchen und zu ergreifen. Man kann sich nicht mehr auf den Staat verlassen; der kann das nicht leisten. Wir müssen Selbstvertrauen vermitteln. Dazu gehört zuallererst, dass wir unser Land nicht ständig schlechtreden. Wir können auf Brandenburg stolz sein.

(Beifall bei CDU und SPD)

In Brandenburg gibt es nicht nur drei gescheiterte Großprojekte, sondern mehr als 50, die sehr gut funktionieren und mit denen Geld verdient wird.

Wir werden die Aufgaben meistern, wenn wir optimistisch nach vorn schauen und den Mut haben, konsequente Entscheidungen zu treffen, um dieses Land nach vorn zu bringen. Es wird auch die eine oder andere schmerzhafte Entscheidung geben. Dies muss man erklären, die Entscheidungen trotzdem treffen, denn dies ist für die Zukunft notwendig.

(Zuruf des Abgeordneten Hammer [PDS])

Ich betrachte es als einen Segen, dass die Mauer - und mit ihr die Diktatur - gefallen ist.

(Bochow [SPD]: Ja!)

Ich bin glücklich, dass meine Kinder in einer freien Gesellschaft aufwachsen dürfen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Für die PDS-Fraktion hat die Abgeordnete Steinmetzer das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! 15 Jahre deutsche Einheit sind aus meiner Perspektive mehr als die Hälfte meines Lebens und demzufolge nur „ein Teil“ von mir. Alles hat eine Ursache und eine Vorgeschichte. So ist der 9. November 1989 nicht losgelöst zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit der Vorgeschichte. Das wissen Sie so gut

wie ich. Meine Generation hat nichts zu verantworten, Herr Kollege.

(Beifall bei der PDS - Schippel [SPD]: Fragen Sie einmal Herrn Vietze!)

Zehn Jahre meines Lebens habe ich in der DDR verbracht und meine Kindheit dort erlebt. Meine Wurzeln sind dort. Die ersten Jahre eines Kindes prägen es fürs ganze Leben. Genau in diesen ersten Jahren ist eine vernünftige Politik notwendig, weil sie die Basis dafür herstellt.

(Sarrach [PDS]: Heute auch!)

In der DDR hatte ich eine unbeschwerte, sorgen- und angstfreie Kindheit. Ich hatte viele gleichaltrige Freunde, die in der gleichen Straße wohnten. Nach der Schule ging ich in den Hort, in dem ich Hausaufgaben machte und spielte. Danach war ich mit meinen Eltern zusammen.

(Klein [SPD]: Und jetzt?)

Uniformierungen und Reglementierungen sind sicher nicht unbedingt Merkmale einer Demokratie. Sicher ist, dass freies Aufwachsen und Leben sowie Meinungsfreiheit die Eigenverantwortung der Menschen fördern. Das ist gut so. Doch wie wachsen Kinder heute auf? Manche werden von den Großeltern betreut, weil die Eltern arbeiten oder es keinen Kita-Platz gibt.

(Zuruf von der CDU: Das war früher genauso!)

Vielen ist es versagt, in eine Kita zu gehen, weil ein Elternteil arbeitslos ist. Die Kinder, die in die Kita gehen können, sehen ein Elternteil manchmal tagelang nicht, weil dessen Job im Vordergrund steht.

(Zuruf des Abgeordneten Klein [SPD])

Gleichaltrige Kinder in einem Dorf gibt es kaum noch. Viele Eltern sind von Zukunftsängsten, Arbeitslosigkeit und Geldnöten betroffen. Diese Ängste - in der DDR kannte man sie nicht - prägen heutzutage die Kinder.