Protocol of the Session on April 26, 2007

Meine Damen und Herren, es ist Punkt 10 Uhr. Ich begrüße Sie herzlich zur 48. Plenarsitzung. Ich hoffe, Sie sind trotz der Bombenentschärfung gut durchgekommen.

Ich begrüße die Schülerinnen und Schüler des Sally-BeinGymnasiums in Beelitz und die Pressesprecherinnen des Jugendparlaments in Michendorf, Juliane Höpfner und Anne Kulbatzki, die es sich trotz Abiturstress nicht nehmen lassen, sich für das Jugendparlament zu engagieren. - Ich wünsche euch einen interessanten Vormittag.

(Allgemeiner Beifall)

Die Tagesordnung liegt Ihnen so, wie sie zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern abgestimmt wurde, vor. Gibt es hierzu Bemerkungen oder Ergänzungen? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse über die Tagesordnung abstimmen. Wer ihr zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen oder Stimmenthaltungen? - Beides ist nicht der Fall.

Die Abwesenheiten von gestern gelten im Wesentlichen heute fort. Der Ministerpräsident und Minister Rupprecht sind noch in Israel. Minister Schönbohm wird uns ab 15 Uhr verlassen. Minister Speer ist heute ganztägig abwesend.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Zukunftschancen nutzen durch systematische Berufsorientierung

Antrag der Fraktion der SPD

Wir beginnen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Der Abgeordnete Müller spricht zu uns.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Kunststoffkompetenznetzwerk Brandenburg hat anlässlich eines Projekttages im Oktober 2006 in Guben Schülerinnen und Schüler zu ihren Gedanken zum Thema Beruf befragt. Dabei ist einiges zutage getreten, was durchaus interessant ist, nämlich: 10 % der Mädchen und 20 % der Jungen sehen gute Berufschancen in ihrer Region. Allerdings sind über 80 % der Schüler bereit, für die Realisierung ihrer beruflichen Ziele in andere Bundesländer zu ziehen.

Auf der anderen Seite haben die Schüler zum großen Teil gesagt, dass sie gar keine Betriebe in der Region kennen. 4 % der Mädchen und 14 % der Jungen möchten in der Industrie arbeiten, was im Umkehrschluss heißt, dass das für den Rest nicht zutrifft, obwohl wir alle wissen, dass die Industrie in Brandenburg derzeit der Wachstumsmotor überhaupt ist und im Kunststoffbereich sehr viel passiert.

Das ist ein Alarmsignal, weil das für die Zukunft Brandenburgs

natürlich Fragen aufwirft, etwa die Frage, wie wir den Fachkräftebedarf, den wir zukünftig im Lande haben werden, tatsächlich befriedigen können. Wie erreichen wir, dass das, was an guten, vernünftigen Arbeitsstellen im Lande entsteht, auch mit Fachkräften aus dem Lande besetzt werden kann?

Wie können wir das erreichen, wenn die Jugendlichen die Betriebe in ihrer Region überhaupt nicht kennen, wenn sie nicht wissen, welche Berufsmöglichkeiten sie dort haben, und sie, weil die Diskussion in der Region vielleicht nicht so günstig läuft, nur in die anderen Bundesländer schauen? Hieran muss sich etwas ändern.

Wenn man zusammenfasst, was wir in den letzten Jahren in Brandenburg getan haben und was die Prognosen für Brandenburg aussagen, muss man sehr deutlich erkennen: Alle Schüler, die einen vernünftigen Abschluss in Brandenburg machen, haben auch die Möglichkeit, hier einen guten Arbeitsplatz zu bekommen - wenn die Schüler denn in der Lage sind, erstens einen Ausbildungsplatz zu finden, und zweitens den Anforderungen dieses Ausbildungsplatzes gewachsen sind.

Die 200 000 Fachkräfte, die uns in wenigen Jahren in Brandenburg fehlen werden, werden ein wirtschaftliches und damit ein strukturelles Problem in Brandenburg darstellen. Ich glaube, die Unternehmen haben das inzwischen gut erkannt. Sie erkennen, dass es in einigen Jahren einen harten Wettbewerb um Fachkräfte geben wird, und sie beginnen, sich darauf einzustellen.

Das Kunststoffkompetenznetzwerk Brandenburg ist eines dieser Unternehmensverbünde, die genau diese Anforderungen erkannt haben, sich darauf einstellen und diese Herausforderung auch mit den Schulen gemeinsam anzugehen versuchen. Sie machen Dinge, die ganz wichtig sind. Sie beginnen in der Grundschule, auf die Schülerinnen und Schüler zuzugehen. In dem Falle haben sie chemische Experimentierkoffer in die Schulen gebracht. Das ist eine Möglichkeit, dass die Schülerinnen und Schüler schon ganz früh erkennen, dass Chemie auch Spaß machen kann, also nicht nur irgendein Unterrichtsfach sein muss. Sie machen Projekte über die gesamte Schulzeit, in vielen Klassenstufen, sodass die Schülerinnen und Schüler im Unternehmen an einer interessanten Aufgabe lernen können, was man beruflich später vielleicht machen kann.

Eine ganz neue Form sind Sommercamps. Das heißt, auch außerhalb des normalen Schulbetriebs, außerhalb dessen, was von den Schülern üblicherweise als Stress angesehen wird, werden Dinge getan, die Abenteuercharakter haben. Damit wird ein Bereich angesprochen, der von Schule manchmal nicht so gut abgedeckt wird.

Die Initiative in diesem Bereich ist nur eine von vielen. Wir wissen, dass in Brandenburg inzwischen eine Menge passiert. Ich glaube sogar, sagen zu können, dass Brandenburg unterdessen Vorreiter bei den Projekten ist, die Schule und Wirtschaft zusammenführen. Es gibt zahlreiche regionale Netzwerke, die Schulen und Unternehmen zusammenbringen wollen und das auch schaffen.

Wir haben die Internetseite „Netzwerk Zukunft“, die 19 solcher regionalen Arbeitskreise auflistet. Es gibt diverse Ausbildungsmessen. Die gibt es in den Schulen, außerhalb der Schulen, wo Schüler und Unternehmen zusammengebracht werden

können. Auch der „Zukunftstag“, der, wenn ich es richtig im Blick habe, heute stattfindet, ist ein solches Projekt, bei dem Schülerinnen und Schüler in ein Unternehmen gehen können, um es einmal von innen kennenzulernen; denn was man von innen kennt, ist vielleicht zukünftig bei dem, was man bei Berufen insgesamt betrachtet, interessant.

Ein weiteres Projekt, das ich für sehr wichtig halte, ist das Modellprojekt „Praxislernen“. Das hat das Bildungsministerium vor einiger Zeit eingeführt und damit letztendlich etwas aufgenommen, was viele von uns aus der DDR-Zeit kennen, nämlich UTP und PA, also permanent und dauerhaft mit Unternehmen verbunden zu sein, um ein bisschen tiefer in das, was dort an Anforderungen besteht, eindringen zu können.

Obwohl man erkennen kann, dass eine Menge passiert ist, muss man feststellen: Eine zentrale Herausforderung haben wir noch nicht lösen können; denn das, was dort angeboten wird, was an Initiativen in Brandenburg stattfindet, ist regional sehr unterschiedlich verteilt. Es gibt Bereiche, in denen das hervorragend klappt. Das hängt oftmals mit Unternehmen und Initiativen zusammen, die dort gestartet worden sind. Es gibt andere Schulen und Bereiche, in denen das überhaupt nicht klappt. Das dürfen wir nicht so im Raum stehen lassen, sondern müssen Antworten geben: Wie erreichen wir, dass die Berufsvorbereitung, die Studienvorbereitung nicht nur partiell, sondern möglichst flächendeckend funktioniert?

Ich will anhand einiger Beispiele verdeutlichen, was mich immer wieder erschreckt, wenn ich in Projekten bin, die sich mit dem Bewerben um Ausbildungsplätze beschäftigen. Ich mache selbst ein solches Projekt im Havelland. Wenn man mitbekommt, dass von 15 ausgeschriebenen Ausbildungsstellen im Landkreis Havelland bei 250 Bewerbern zum Schluss nur 10 Ausbildungsstellen vergeben werden, muss man sich die Frage stellen: Was ist da passiert? Es gab doch genug Interessenten. Warum sind die Ausbildungsstellen nicht besetzt worden? Wenn man nachfragt und erfährt, dass die Bewerber im Bewerbungsgespräch nicht wussten, was ein Landrat oder ein Kreistag ist oder wie die Kreisstadt heißt, in der sie sich gerade beworben haben - was nicht wirklich schwierig ist -, dann ist das schlicht erschreckend und macht deutlich: Sie waren nicht vorbereitet.

Oder wenn ich von einem Unternehmen höre - vorige Woche haben dort Bewerbungsgespräche stattgefunden -, dass da die Mutti mit in den Raum zu dem Bewerbungsgespräch kam und sagte: „Mein Sohn ist immer so schüchtern, und deshalb muss ich jetzt einmal erklären, warum er so gut ist!“, dann weiß man: Das funktioniert nicht.

Oder - was ich bei einem Bewerbungsgespräch selbst erlebt habe -: Da kommt ein Junge herein, bei dem man grübelt, ob er sich wirklich um eine Ausbildung bewerben will. Er kommt herein und sagt: Ich bin der Timo. - Dann fragt man: Was führt Sie hierher? - Mein Onkel Ralf hat gesagt, ich soll einmal hierhergehen! - Das Ganze macht er in kurzen Hosen. Da weiß man: Das geht nicht.

Es gibt also schon Anhaltspunkte, die erkennen lassen: Sie sind nicht vorbereitet gewesen. Sie wussten nicht, worum es geht. Sie haben nicht erkannt: Es ist nicht mehr Schule, ist nicht mehr Spaß, sondern ich komme hier in die Arbeitswelt, wo andere Regeln gelten.

Wie erreichen wir es also - das ist die Frage, die wir uns stellen müssen -, dass das, was partiell funktioniert, möglichst flächendeckend funktioniert? Dazu muss man versuchen, das Ganze systematischer zu machen.

Man muss eine systematische Berufs- und Studienvorbereitung hinbekommen. „Systematisch“ heißt in diesem Zusammenhang, dass das in allen Schulen so funktioniert, dass damit bestimmte Standards erreicht werden. Das heißt: Wenn eine Schülerin oder ein Schüler zu einem Bewerbungsgespräch geht, dann muss sie bzw. er vorher ein bestimmtes Rüstzeug mit auf den Weg bekommen haben. Das kann - natürlich in Verbindung mit den Eltern - nur durch die Schulen geleistet werden, wobei diese bereit sein müssen, mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten.

Ein weiterer Punkt ist in diesem Zusammenhang wichtig. Allein die Vorbereitung durch die Schule wird nicht reichen. Wir müssen es auch erreichen, dass sich die Unternehmen noch stärker öffnen, als das bisher schon der Fall ist. Partiell ist das schon relativ gut, es gibt aber auch Bereiche, in denen das überhaupt nicht funktioniert. Die Schülerinnen und Schüler müssen, bevor sie zu einem Bewerbungsgespräch gehen, die Möglichkeit haben, in die Betriebe sozusagen hineinzuriechen, um zum Beispiel zu wissen, dass man in einem Unternehmen nicht mit kurzen Hosen herumläuft, dass also etwa in einem Bereich, der zur Unternehmensführung gehört, bestimmte Mindeststandards zu erfüllen sind.

Damit dies auf den Weg gebracht werden kann, haben wir einen Antrag formuliert, der für heute Nachmittag auf der Tagesordnung steht. Durch die Umsetzung dieses Antrags soll genau das, was ich bereits beschrieben habe, erreicht werden, dass also zum Beispiel das Praxislernen ab 2010/11 möglichst flächendeckend durchgeführt wird. Dieses Praxislernen soll es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, eine starke und langfristige Beziehung zu Unternehmen aufzubauen, damit sie eben nicht nur einmal in einen Betrieb hineingeschaut haben nach dem Motto „Das war ganz schön“, sondern tatsächlich auch Probleme, Anforderungen, die dort bestehen, kennenlernen.

Wir wollen erreichen, dass die weiterführenden Schulen für die Berufs- und Studienvorbereitung ein Konzept haben. Sie sollen also nicht einfach etwas machen, was vielleicht gerade zufällig funktioniert, sondern sollen ein klares Konzept dafür entwickeln, was bis zur 9. oder 10. Klasse mit den Schülerinnen und Schülern erreicht werden soll, welches die Bausteine sind, die dazu entwickelt werden und mit wem zusammen solche Bausteine entwickelt werden können.

Des Weiteren wollen wir erreichen, dass die Lehrerinnen und Lehrer verstärkt an Praktika in Unternehmen teilnehmen. Für eine Lehrerin oder für einen Lehrer ist es nämlich sehr schwierig, zu erklären, was in einem Unternehmen notwendig ist, welche Probleme da auftauchen können, womit man dort unangenehm auffallen kann, wie dort ein Konflikt ausgelöst werden kann, der gar nicht notwendig ist, wenn sie so etwas nicht auch einmal selbst erlebt haben. Wir brauchen also mehr Praktika für Lehrkräfte, und das möglichst flächendeckend.

Ich bin davon überzeugt, dass es im Falle einer systematischen Berufs- und Studienvorbereitung für die Unternehmen einfacher wird, das zu bekommen, was sie brauchen, nämlich er

stens Ansprechpartner in den Schulen und zweitens dann später die für sie passenden Bewerberinnen und Bewerber.

Wir müssen es aber auch erreichen, dass die Schulen lernen, sozusagen aktiver auf die Unternehmen zuzugehen.

Letztlich ist das Geheimnis einer besseren Berufs- und Studienvorbereitung eigentlich Folgendes: Miteinander zu kooperieren ist besser als übereinander zu reden - im Interesse unserer Kinder, im Interesse der Zukunft unseres Landes. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Die Debatte wird mit dem Beitrag der Fraktion der Linkspartei.PDS fortgeführt. Zu uns spricht der Abgeordnete Görke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Auch die Linkspartei wünscht allen Schülerinnen und Schülern bei den Veranstaltungen anlässlich des heutigen „Zukunftstages“ ein gutes Gelingen. Bei dieser Gelegenheit begrüße ich die Schülerinnen und Schüler, die heute hier im Plenarsaal anwesend sind, aber auch die Schülerinnen und Schüler, die auf Einladung meiner Fraktion heute Abgeordnete begleiten werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Mein besonderer Dank gilt den Akteuren vor Ort, die es geschafft haben, landesweit mehr als 10 000 Angebote für Schülerinnen und Schüler zu unterbreiten, um ihnen einen Einblick in die Berufswelt zu gewähren.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion, Sie haben mit dem Thema der Berufsorientierung vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfs zweifellos ein wichtiges und, Herr Müller, aktuelles Thema zum Gegenstand der Aktuellen Stunde bestimmt. Bedauerlich ist jedoch die Art und Weise, wie Sie sich mit dem Thema zumindest im ersten Teil Ihres Vortrags ich hoffe, dass das nachher noch ein bisschen konkreter wird auseinandergesetzt haben. Nicht nur meine Fraktion, sondern wohl auch die Schülerinnen und Schüler, die Eltern, die Pädagogen und die Unternehmer haben zu Recht erwartet, dass Sie aus einer tiefgründigen Analyse heraus zielführende und konzeptionell untersetzte Vorschläge unterbreiten würden, um die Berufsvorbereitung in diesem Land Brandenburg nachhaltig zu verbessern. Ich glaube, an dieser Messlatte - dies war zumindest der Eindruck in meiner Fraktion - sind Sie gescheitert.

Ich habe von Ihnen keine Neuigkeiten vernommen. Bislang war das nur Altbekanntes wie der Ausbau der Projekte „Praxislernen“, „Produktives Lernen“, „Berufswahlpass“ und das „Sommercamp“. Sie werfen uns immer vor, wir würden alles schlechtreden. Was Sie heute hier zumindest im ersten Teil Ihrer Darstellung vorgetragen haben, hatte dagegen schon den Anschein der Schönrednerei. Ich hoffe, dass Sie als zukünftiger Bürgermeister der Stadt Falkensee dann doch tiefgründiger in die Problematik eindringen werden.

(Zurufe von der SPD)

- Das werden wir im Havelland noch klären.

(Bischoff [SPD]: Sie lehnen die Wahl doch ab! - Schippel [SPD]: Wir machen den Wahlkampf allein; da brauchen Sie nicht zu helfen! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Herr Kollege Schippel, damit wir hier nicht von Wahlkampf reden, möchte ich Ihnen jetzt einfach einmal ein paar Fakten nennen. Sie rühmen sich zum Beispiel des modellhaften Einstiegs in das Praxislernen für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I. Das ist bei guter Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung mit einem beträchtlichen Aufwand für die Lehrkräfte verbunden, ist aber für die Schülerinnen und Schüler eine wirklich gute Sache. Vor genau einem Jahr haben wir Sie im Rahmen einer Aktuellen Stunde zum Thema Schule/ Wirtschaft aufgefordert, den Schulen, in denen Praxislernen als fächerübergreifender Ansatz realisiert wird, dafür auch eine auskömmliche Anzahl von Lehrerstellen zuzuweisen. Bis heute, Herr Müller, gibt es jedoch keine entsprechende Lösung.

(Zurufe von der SPD)

Das gilt auch für die Fahrtkostenerstattung für Schülerinnen und Schüler, die gerade im ländlichen Bereich solche Praktikumsplätze aufsuchen sollen, wie Sie es ja gefordert haben: Bis heute keine Lösung.