Gleichzeitig begrüße ich als Gäste Schülerinnen und Schüler des Sally-Bein-Gymnasiums Beelitz. Ich wünsche euch einen interessanten Vormittag.
Ihnen liegt die Tagesordnung mit den von den Fraktionen und Parlamentarischen Geschäftsführern vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen vor. Gibt es dazu Bemerkungen? Das ist nicht der Fall. Wer der Tagesordnung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Tagesordnung einstimmig angenommen worden, und wir verfahren nach ihr.
Ich habe Sie über die Abwesenheit der Ministerin Prof. Dr. Wanka von 13 bis 14 Uhr und über die ganztägige Abwesenheit der Ministerin Ziegler wegen Erkrankung zu informieren. Einige Abgeordnete werden zeitweise nicht anwesend sein.
Die antragstellende Fraktion eröffnet die Debatte mit dem Beitrag der Abgeordneten Kaiser. Bitte, Frau Kaiser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident! Der Mensch steht im Mittelpunkt auch der regierenden Politik. Für manch einen in unserem Land ist dies schwer zu glauben. Sie wissen, die soziale Schere in Deutschland klafft extrem auseinander. Deshalb hat die Linkspartei.PDS in diesem Haus immer wieder die Fragen sozialer Gerechtigkeit, Umverteilung, Beschäftigung, Mindestlohn, Hartz IV, Gesundheit auf die Tagesordnung gesetzt und Lösungswege aufgezeigt. Das werden wir auch weiterhin tun.
Wir fühlen uns bestärkt, bestärkt durch die Forderungen der Menschen in unserem Land, und auch durch Sie, Herr Ministerpräsident. In den letzten Wochen hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mehrmals machtvoll an das soziale Gewissen in Deutschland appelliert, und in Teile der Union scheint der Geist der sozialen Marktwirtschaft zurückgekehrt zu sein. Oder soll vielleicht auch nur dieser Eindruck erweckt werden?
sind sicherlich auch ein Ergebnis des tatsächlich vorhandenen Drucks aus der Gesellschaft. Herr Ministerpräsident, Sie haben mit den Ergebnissen der Politik von Kohl und Schröder kritisch abgerechnet. Sie haben also auch mit Ihrer eigenen Politik abgerechnet. Sie haben in unserem Land die Richtlinienkompetenz. Ihre bundespolitische Wortmeldung ermutigt uns hier und heute, nach den konkreten Schlussfolgerungen für brandenburgische Politik zu fragen; denn davon, dass Ihre Analysen und Erkenntnisse zu Armut, Ausgrenzung und notwendigen Bildungschancen nur auf dem Papier bleiben, gehen wir nicht aus.
Jeder fünfte Haushalt in Deutschland muss nach den Angaben der „FAZ“ derzeit mit einem Netto-Einkommen von weniger als 1 300 Euro im Moment auskommen. Nach der international üblichen Definition von Armut sind in Deutschland nach den letzten offiziellen Angaben im Vergleich zu 2003 insgesamt 13,5 % aller Bürger davon betroffen; ihr monatliches Netto-Einkommen liegt unter 938 Euro. Tendenz steigend.
Im Osten hat mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung Angst davor, in Armut zu geraten. Dabei werden zwei Dinge klar; wer das wissen will, der weiß es. Erstens: Das tatsächliche Ausmaß von Armut und gesellschaftlicher Ausgrenzung in Deutschland ist größer, als es die vielbeachtete jüngste Studie der EbertStiftung zeigte. Demnach gehörten nur 8 % der deutschen Bevölkerung zum sogenannten „Prekariat“ - ich setze das ausdrücklich in Anführungszeichen. Zweitens: Tatsächlich hat die Armut in Deutschland unter Rot-Grün zugenommen.
Herr Ministerpräsident, was folgt daraus, wenn Sie formulieren, dass unter anderem die SPD das Ziel der vorausschauenden Vermehrung von Lebenschancen für alle in der politischen Wirklichkeit nicht wichtig genug genommen hat? Was tun Sie nun, wo Sie selbst sagen, die Armutsquote, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen sowie alleinerziehenden Eltern in unserem Land, sei besorgniserregend hoch? Was folgt daraus, wenn Sie sich mit katastrophalen Folgen zu geringer sozialer Investitionen für die Zukunft von Kindern und Jugendlichen konfrontiert sehen? - Das sind Zitate.
Wir von der Linkspartei.PDS sind auf die Vorschläge der SPD gespannt und legen unsere erneut auf den Tisch. Sie haben die Chance, diese Vorschläge, die auf der Tagesordnung stehen, heute Nachmittag gemeinsam mit uns zu beraten und ihnen vielleicht zuzustimmen.
Herr Ministerpräsident, Sie schreiben den alten, nachsorgenden Sozialstaat als ineffizient und zu teuer ab. Ist er nicht aber mindestens auch finanziell geschwächt, strukturell ausgehöhlt und spätestens von Schröder preisgegeben worden? In unserem Land gibt es doch offensichtlich ein anderes gravierendes Problem, nämlich das der strukturellen Langzeitarbeitslosigkeit einerseits und andererseits den Fakt, dass Millionen Euro aus der Arbeitsmarktpolitik für die Nachsorge des Marktversagens, obwohl sie vorhanden waren, nicht ausgegeben wurden.
Im Oktober 2006 hatten wir 140 000 Arbeitslose, die Grundsicherung nach dem SGB II erhalten. Dennoch gibt es Probleme mit dem Mittelabfluss, nicht nur in der Wirtschaftsförderung; auch das ist bekannt. 26 Millionen Euro sind 2005 aus dem Landeshaushalt für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik nicht abgeflossen. Dazu kommen 100 Millionen Euro, die von
den Arbeitsagenturen nicht ausgegeben wurden. Ein kompetenter Umgang mit den bestehenden Strukturen wäre doch aber erste Voraussetzung für Kritik und Umbau am Sozialstaat, oder?
Angesichts einer solchen Praxis scheint es mir, Sie schütten mit Ihrem Platzeck-Bullerjahn-Papier das Kind mit dem Bade aus.
Wer angesichts der beschriebenen Probleme das Prinzip der Nachsorge ganz über Bord wirft, kündigt den Betroffenen - den Ausgegrenzten und Abgehängten in diesem Land - die Solidarität auf. So, wie Sie Bismarcks Beitragsfinanzierung und Nachsorge in einem Handstreich delegitimieren wollen, stelle ich die Frage, ob Abbau und Kürzungen notwendiger Leistungen so legitimiert werden sollen.
Der Politik muss es doch immer darum gehen, die konkrete Lebenssituation von Menschen aufzunehmen, ihnen Unterstützung zu geben, und zwar auch dann, wenn das nur nachsorgend geschehen kann. Zum Beispiel braucht ein schwerbehinderter Mensch einen Nachteilsausgleich - schon der Begriff verweist auf Nachsorge -, um seine Mobilitäts- und Kommunikationsbarrieren überwinden zu können. Gestern hatten wir das Thema Mindestlohn. Wie kann man glaubwürdig Vorsorge fordern, wenn Menschen von ihrer Hände Arbeit inzwischen nicht mehr leben können? Wir brauchen also einen existenzsichernden Mindestlohn.
Um einmal ein erfreuliches Beispiel zu nennen, wenn auch leider nicht für die Betroffene: In meinem Wahlkreis bekam eine junge Frau Drillinge. Sie kämpft um eine Pflege- und Haushaltshilfe rund um die Uhr, denn sie selbst ist noch nicht wieder richtig gesund und muss drei Babys stillen und versorgen. Jeder normale Mensch weiß, dass das nicht gehen kann. Wann bitte sollte diese Frau für diese Situation vorsorgen?
Deshalb warnen wir: Wer die Beitragsfinanzierung ablehnt, ohne eine steuerfinanzierte Alternative aufzuzeigen, öffnet gewollt oder ungewollt dem Abbruch des Sozialstaates die Tore. Es macht die Alternative doch nicht glaubwürdiger, wenn zum Beispiel die SPD erst Steuermittel in Höhe von 40 Milliarden Euro in das Gesundheitswesen stecken, jetzt aber dem System 4,2 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer entziehen will.
Fast beschwören Sie, Herr Ministerpräsident, in Ihrem Papier die Bedeutung der Bildung. Mit diesem Teil wird sich Frau Große in bewährter Art beschäftigen. Mir ist es wichtig, an dieser Stelle nicht falsch verstanden zu werden. Ihre Analyse teilen wir. Sie ist zutreffend. Wer aber eine solche Einschätzung vornimmt, muss daraus praktische Konsequenzen ziehen und einen politischen Kurswechsel einleiten.
Bei diesem Kurswechsel geht es nicht einfach um einen nachsorgenden oder vorsorgenden Sozialstaat im engeren Sinne, sondern um ein verantwortungsbewusstes Umsteuern von einer nachsorgenden Reparaturpolitik hin zu einer investiven vorsorgenden Gesellschaftspolitik. Von konkreten Projekten war bisher bei Ihnen noch keine Rede. Dabei liegt aus unserer Sicht auf der Grundlage Ihrer Analyse auf der Hand, was mindestens notwendig wäre. Ich möchte mich hier auf sechs Vorschläge
beschränken. Herr Baaske, ich stelle jetzt unsere Vorschläge vor, nicht dass Sie nachher wieder sagen, wir hätten keine unterbreitet.
Erstens: Eine Reform der Hartz-Reformen. Diese Hartz-Reformen bekämpfen nicht die Arbeitslosigkeit, sondern Arbeitslose. Sie verschärfen Ausgrenzung, und sie haben sich nicht bewährt. Der erste Schritt wäre doch, wenigstens dafür einzutreten, die Überschüsse der Bundesagentur in Bildungs- und Weiterbildungsprojekte und nicht in die Haushaltssanierung fließen zu lassen, damit sie den Betroffenen zugute kommen.
Zweitens: Eine soziale Bildungsreform, skandinavisch schlau, wie in Berlin. Davon wird noch die Rede sein. Allerdings ist mir noch unklar - was ich in Ihre SPD-Richtung frage -, wie das gemeinsam mit der CDU gehen soll, mit der die Differenzen diesbezüglich besonders groß sind.
Drittens: Es wäre wichtig, Investitionen, die in den nächsten Jahren geplant sind, auch vorzunehmen, und nicht unserem obersten Kassenwart im Lande durch Sparwahn Genüge zu tun. Seit 2003 sind insgesamt 1,3 Milliarden Euro Investitionsmittel im Land nicht ausgegeben worden. Damit hätten 30 000 Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Viertens: Daraus folgt die Notwendigkeit einer Initiative für öffentlich geförderte Beschäftigung. Das fordern Gewerkschaften, Träger, Kommunen und Kirchen unisono. Diese öffentliche Beschäftigung ist möglich. Sie können in der Haushaltsdebatte unseren Anträgen dazu zustimmen.
Fünftens: Ein Vorstoß zur Änderung der Umverteilungsrichtung bei den öffentlichen Finanzen wäre wichtig. Finanzminister Speer sollte wenigstens die Kraft haben, für eine faire und solidarische Finanzverteilung unter den Ländern zu streiten.
Sechstens: Ein Konzept für eine ausgewogene Regionalpolitik, für ausgeglichene Lebenschancen und für gleichwertige Lebensbedingungen. In der Leitbilddebatte, die im Land geführt wird, frage ich mich, wo Ihre Impulse für den vorsorgenden Sozialstaat gerade in den bei uns vorhandenen strukturschwachen Regionen bleiben.
Ich komme zum Schluss. Politik darf über Armut nicht nur reden, sie muss sie bekämpfen, und sie kann das auch. Dafür muss gehandelt werden. Dafür muss entschieden werden. Dafür müssen Projekte umgesetzt werden. Sie haben es in der Hand. Sie regieren hier. Der Druck im Land ist gewaltig, denn in Ostdeutschland hat mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung Angst davor, selbst in Armut zu geraten. Zwei Drittel der Arbeiter und die Hälfte der Menschen mit einem Bildungsgrad unterhalb von Abitur und Fachhochschulreife haben bundesweit eine ausgeprägte Angst vor Armut. Die meisten Menschen sehen den Grund für ihre Angst im Versagen der Politik. Ich frage mich: Wie lange wollen wir diese Angst noch nähren? Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen guten Morgen! Frau Kaiser, auch Ihre Vorschläge endeten oft genug mit einer Frage, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Ich möchte auf die Vorschläge, die Sie vorgetragen haben, zum Teil eingehen, zum Teil wird das der Ministerpräsident nachher noch tun, oder aber wir werden das in der Debatte heute Nachmittag an einigen Punkten abarbeiten können.
Zunächst einmal möchte ich einige Worte zur Begrifflichkeit sagen, weil wir oft darauf angesprochen werden, wie wir es mit dem Begriff der Unterschicht halten und warum wir nicht von Unterschicht sprechen, sondern - was ich schon seit eineinhalb Jahren tue - vom sozialen Unten.
Vor kurzem habe ich in Eberswalde - Britta Stark sitzt noch hier im Saal - mit Langzeitarbeitslosen gesprochen. Das war gerade zu dem Hochpunkt, als man in diesem Lande über Unterschicht und Ähnliches diskutiert hat. Ich entsinne mich, wie flehentlich uns einige der Hartz IV-Empfänger, die langzeitarbeitslos waren, baten: Leute, bitte, nennt uns, wie ihr wollt, aber nicht so zementiert „Unterschicht“. Wir selbst wissen, dass wir wenig Geld haben. Wir selbst wissen, dass wir Schwierigkeiten haben, dort herauszukommen. Wenn aber unsere Kinder mitbekommen, dass sie in diese Schicht gesteckt werden - wie sollen wir sie ermuntern, dort herauszukommen? Wie sollen wir ihnen Mut machen, diese Schicht zu verlassen?
Ich maße mir nicht an, mich in die Situation hineinversetzen zu können. Weil uns aber die Betroffenen selbst bitten, sie nicht Unterschicht zu nennen, nehme ich das auf und tue es nicht. Ich spreche stattdessen vom sozialen Unten und auch nicht vom abgehängten Prekariat. Das ist für mich kein Begriff, den man dafür verwenden kann. Egal, welchen Begriff man verwendet, man wird es nie richtig fassen, sondern dem einen oder anderen damit weh tun. Damit will ich die Debatte über die Wortwahl beenden und auf den Kern der Sache zu sprechen kommen.
Worum geht es eigentlich? Wir sollten über die Ursachen von Armut reden. Wir sollten darüber reden, wie wir die Menschen aus der Armut herausholen können. Wir sollten darüber reden, wie wir ihnen Lebenschancen anbieten können, und zwar allen und von Anfang an. Vor diesen Fragen stehen wir. Auf diese Fragen brauchen wir Antworten. Darum bin ich, ehrlich gesagt, der Linkspartei.PDS auch dankbar dafür, dass sie diese Aktuelle Stunde beantragt hat.
Frau Kaiser, da Sie behauptet haben, wir hätten das erst in den letzten Wochen und Monaten erkannt, möchte ich darauf erwidern: In meiner Zeit als Arbeits- und Sozialminister, an die ich mich noch gut erinnern kann, habe ich hier in diesem Hause regelmäßig darüber gesprochen, wie die Situation gerade unserer Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger ist. Ich habe regelmäßig darüber gesprochen, dass unter den über 70 000 Sozialhilfeempfängern sehr viele allein erziehende Mütter waren und dass fast 30 000 Kinder diesem Personenkreis