Zusammen mit den Vertretern aller anderen Bundesländer mahnte Brandenburg wiederholt ein transparentes und durch die Kommission einheitlich anzuwendendes Prüfraster an. Es muss klar sein, in welcher Weise die Kommission dem Subsidiaritätsgedanken tatsächlich gerecht werden will. Der zurzeit auf Eis liegende - um es diplomatisch zu formulieren - Vertrag über eine Verfassung für Europa würde zur Verstärkung der Subsidiaritätskontrolle das so genannte Frühwarnsystem mit neuen Verfahrensrechten für die nationalen Parlamente einführen.
Dies war im Übrigen eine der Hauptforderungen der deutschen Bundesländer im Verfassungsprozess. Das Verfahren würde vorsehen, dass die Kommission alle ihre Entwürfe für europäische Gesetzgebungsakte an Bundestag und Bundesrat übermittelt. Diese könnten dann binnen sechs Wochen direkt gegenüber der Kommission darlegen, weshalb der Entwurf ihrer Ansicht nach nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sei. Unter bestimmten Voraussetzungen müsste die Kommission dann gegebenenfalls nachbessern. Außerdem gäbe es ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof.
Wie das Verfahren in Deutschland im Einzelnen ablaufen soll, hat der Bundesgesetzgeber bereits Ende letzten Jahres im so genannten Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestags und des Bundesrats in Angelegenheiten der Europäischen Union entschieden. Allerdings tritt das Gesetz natürlich erst mit dem Verfassungsvertrag in Kraft. Das ist im Übrigen einer der seltenen Fälle, in denen die Bundesrepublik Deutschland bei der Umsetzung von EU-Recht schneller war.
Um es deutlich hervorzuheben: Das skizzierte System wäre insofern grundlegend neu, als der Bundesrat direkt mit der Kommission in Verbindung stünde. Für die Vertretung von Länderinteressen auf EU-Ebene wären wir also im Prinzip nicht mehr auf die Bundesregierung angewiesen. Um den politischen Entscheidungsprozess trotz des ruhenden Verfassungsvertrags zu verbessern, hat die Kommission bereits jetzt damit begonnen, dem Bundesrat und dem Bundestag alle neuen Gesetzgebungsvorschläge und Konsultationspapiere direkt zu übermitteln; praktisch im Vorgriff auf die europäische Verfassung.
Die Landesregierung begrüßt dies als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Allerdings kann dies nicht die im Verfassungsvertrag vorgesehenen Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ersetzen.
Was bedeutet das Angebot der Kommission konkret? - Zunächst will ich auf Folgendes hinweisen: Es bestehen wesentliche Unterschiede zum Frühwarnsystem nach dem Verfassungs
vertrag. Die Stellungnahmen der nationalen Parlamente sind an keine Frist gebunden. Sie sollten natürlich sinnvollerweise zeitnah erfolgen. Es fehlen Vorgaben, die der Kommission bestimmte Verpflichtungen zum Umgang mit diesen Stellungnahmen auferlegen. Die Kommission hat zum Verfahren interne Leitlinien entwickelt. Es geht ihr vorrangig darum, mit ihrer Initiative einen politischen Prozess in Gang zu setzen. Der Bundesrat - und mit ihm die Landesregierung - hat die Kommission bereits im Sommer dieses Jahres ersucht, ihre Initiative ernst zu nehmen, effektiv anzuwenden und die Bundesratsstellungnahmen gebührend zu berücksichtigen.
Es ist zu begrüßen, dass die Kommission damit unabhängig vom ungewissen Ausgang der Verfassungsdiskussion das Subsidiaritätsprinzip ab sofort in ganz Europa stärker berücksichtigen will. Dies könnte zu mehr Demokratie, mehr Bürgernähe, zu einer besseren Rechtsetzung in der EU und - das ist einer der wichtigsten Aspekte - bei den Menschen zu einer Stärkung der Akzeptanz der europäischen Integration beitragen.
Insgesamt wird es zunächst darauf ankommen, mit der praktischen Umsetzung auf europäischer und nationaler Ebene Erfahrungen zu sammeln; Herr Bochow sprach eben von „Training“. In diese Richtung geht auch Punkt 2 des Antrags der Fraktionen von SPD und CDU. Der Bitte um einen Sachstandsbericht über die Gestaltung des deutschen Frühwarnsystems zur Subsidiaritätskontrolle bis Ende Januar 2007 kommt die Landesregierung selbstverständlich gern nach.
Lassen Sie mich zum Schluss deutlich sagen: Selbst nach dem weitergehenden Frühwarnsystem des noch nicht in Kraft getretenen Verfassungsvertrags liegt es im Ermessen der nationalen Parlamente, ob und wie sie die regionalen Parlamente, also in Deutschland die Landtage, im Prozess der Subsidiaritätsprüfung mit Gesetzgebungsvorhaben konsultieren betrauen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herzlichen Dank. - Wir sind damit am Ende der Rednerliste angelangt und kommen zur Abstimmung über die Anträge.
Es liegt Ihnen der Antrag der Fraktionen von SPD und CDU in Drucksache 4/3563 vor. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Bei einigen Stimmenthaltungen ist diesem Antrag mehrheitlich zugestimmt worden.
Wir kommen zum Entschließungsantrag, eingereicht durch die Fraktion der Linkspartei.PDS. Wer diesem Antrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Diesem Antrag ist mehrheitlich nicht entsprochen worden. Er ist abgelehnt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim jüngsten Gammelfleischskandal wurden in sieben Bundesländern ca. 1 500 t verdorbene bzw. überlagerte Fleisch- und Wurstwaren aus mehr oder weniger dunklen Ecken einzelner Kühlhäuser ans Licht der Öffentlichkeit befördert. Verbotener Genreis erreichte Brandenburg, nachdem er zuvor in sechs anderen Bundesländern aufgetaucht war. Nicht nur die Auswirkungen von Verstößen, sondern auch die Ursachen sind länderübergreifend.
Die Gewährleistung einer hohen Lebensmittelsicherheit ist Aufgabe der einzelnen Länder. Sie wird dort sehr unterschiedlich gehandhabt. Was wir brauchen, sind Qualitätsstandards für die länderhoheitliche Lebensmittelkontrolle, die erstens verbindlich, zweitens bundeseinheitlich und drittens EU-konform sind. Die jüngsten Gammelfleischvorkommnisse machten die Defizite der Lebensmittelüberwachung in qualitativer und quantitativer Hinsicht erneut deutlich. Schließlich wurden die Missstände nicht rechtzeitig aufgedeckt und abgestellt.
Bisherige Kontroll- und Qualitätssicherungssysteme müssen neu überdacht werden. Es kann nicht sein, dass mit krimineller Energie Gewinne maximiert werden und man sich dann auch noch selbst bescheinigt, wie qualitätsbewusst gearbeitet wird. Dass es mit dieser Eigenkontrolle gerade nicht immer klappt, haben die jüngsten Skandale bestätigt. Waren es doch meist nicht die betriebseigenen Kontrolleure, die unlautere Machenschaften gestoppt haben, sondern Mitarbeiter und Außenstehende, denen der unappetitliche Geruch so auf den Magen geschlagen ist, dass sie auf die Missstände aufmerksam machten.
Auf die Selbstkontrolle allein kann die Sicherheit von Lebensmitteln nicht begründet werden. Im Verbraucherschutzbericht des Landes Brandenburg aus dem Jahr 2005 wird die Eigenkontrolle vor Ort als eine Schwachstelle ausgemacht. Folgerichtig stieg die Zahl der staatlich überwachten Betriebe in Brandenburg gegenüber dem Vorjahr um 6 % auf 32 800. Prüfer nahmen 2005 mehr als 63 000 Kontrollen vor.
Die Lebensmittelüberwachung in Brandenburg hebt sich im Bundesmaßstab positiv ab. Das allein genügt aber nicht; darüber sind sich alle Zuständigen einig. Die Notwendigkeit eines bundesweit einheitlichen Qualitätsmanagements der Lebensmittelkontrolle ist inzwischen unumstritten. Bund und Länder schieben jedoch zulasten der Verbraucher und der gesamten deutschen Ernährungswirtschaft die Verantwortung hin und her. Diese sieht ihren guten Ruf gefährdet; schließlich schlägt jeder Skandal auf die gesamte Branche und damit auch auf Brandenburg zurück.
Es mag zwar hilfreich und interessant sein, wenn das Bundesverbraucherschutzministerium darüber informiert, wie man fri
sches Fleisch erkennen kann. Eine kleine Kostprobe: Verbraucher sollten Fleisch möglichst schon beim Einkauf auf Geruch, Oberfläche und Färbung prüfen. Fleisch sollte keinen unangenehmen Duft haben, sondern neutral bzw. mild bis leicht säuerlich riechen. Die Oberfläche von Geflügelfleisch sollte nicht schmierig sein und keine Druckstellen aufweisen. Fleisch darf sich nicht schwammig anfühlen, sondern muss fest sein. Die Farbe sollte niemals gräulich sein. - Dass solche Tipps der richtige Weg sind, bezweifeln wir.
So gut es auch gemeint ist, wird damit jedoch eine ordentliche Lebensmittelüberwachung ad absurdum geführt. Hierdurch wird der Verbraucher zum Freizeitlebensmittelkontrolleur. Das kann nicht sein, Herr Schulze.
Das jüngst verabschiedete Verbraucherinformationsgesetz wurde in letzter Minute und sicher auch unter dem Eindruck der Situation verändert.
Es ist zu begrüßen, dass nunmehr der Zugang zu Kontrolldaten erleichtert wird und die Behörden hinsichtlich der Informationspflicht zu aktivem Handeln gezwungen sind. Damit hat der Bund den zweiten Schritt ohne den ersten getan. Die Informationspflicht steht, das Kontrollsystem liegt am Boden. Die schwarzen Schafe können sich weiterhin freuen.
Lebensmittelverstöße müssen entschieden offengelegt werden. Das hat sich in anderen Staaten wie Irland und Dänemark längst bewährt und trägt zur erhöhten Qualität von Produkten bei. Dort fegt die Veröffentlichungspraxis Sünder vom Markt.
- Es ist wirklich höchst unangenehm, bei dieser Unruhe hier zu sprechen. Nicht einmal das bekommen Sie mit.
Ich bitte Sie, die letzten Minuten noch Ruhe zu bewahren. Von hier oben aus betrachtet ist es fraktionsübergreifend unruhig. Aufgrund der Gespräche untereinander nimmt die Lautstärke immer mehr zu.
Sehr geehrte Abgeordnete, ein Appell an Sie alle: Nehmen Sie bitte Rücksicht auf die, die hier vorn stehen. - Danke.
von Horst Seehofer nach den ersten Skandalen im zurückliegenden Jahr ist unter anderem an seiner Unverbindlichkeit gescheitert. Das 13-Punkte-Programm der Verbraucherschutzminister der Länder vom September dieses Jahres bleibt ebenso unverbindlich. Das liegt daran, dass im Zuge der Föderalismusreform die Schaffung eines einheitlichen Lebensmittelkontrollsystems verschlafen wurde. Bundesminister Horst Seehofer weiß das. Ich zitiere ihn von Anfang Oktober:
„Die erkannten Probleme gehen über die akut betroffenen Bereiche der Überwachung von fleischverarbeitenden Betrieben und von Handelsunternehmen hinaus und sind struktureller Natur. Die strukturellen Schwächen der Lebensmittelüberwachung sind allein mit unterstützenden Maßnahmen nicht zu beheben. Es muss konstatiert werden, dass in den bisherigen Bemühungen bei der Umsetzung des 10-Punkte-Programms zwar eine Reihe von Verbesserungen bei den begleitenden Maßnahmen angestoßen und bereits umgesetzt sind, zu entscheidenden strukturellen Reformen kam es in den Bundesländern bisher aber nicht.“
Horst Seehofer fordert völlig zu Recht die Einführung eines einheitlichen Qualitätsmanagements auf Bundes- und Landesebene. Er bleibt jedoch hinter dem formulierten Anspruch zurück und hofft auf das kollegiale Zusammenwirken und eine allgemeine Verwaltungsvorschrift. Kurz: Er scheitert an der föderalen Systematik.
Genau hier setzt unser Vorschlag zur Schließung eines Staatsvertrages an. Er erscheint uns als das geeignete Instrument, die inhaltlich durchaus übereinstimmenden Forderungen in eine verbindliche Form zu überführen, ohne gleich wieder die Föderalismusdebatte vom Zaun zu brechen.