Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht der immer gleiche Schlagabtausch bringt uns und vor allem Langzeitarbeitslose weiter. Wer sich aus parteitaktischen Gründen noch immer beim Thema Grundsicherung um Verunsicherung statt um Problemlösungen bemüht, verkennt die Zeichen der Zeit und handelt insbesondere gegenüber den Langzeitarbeitslosen politisch unverantwortlich. Es gibt in der Gesellschaft nach wie vor einen Konsens hinsichtlich tiefgreifender Arbeitsmarktreformen. Dies belegt nicht zuletzt der Abstieg der PDS in den Wählerumfragen. Wir dürfen diesen gesellschaftlichen Konsens aber nicht verspielen. Der Bund - ich will die Zahlen noch einmal nennen - veranschlagt für Hartz IV allein in diesem Jahr 38 Milliarden Euro - 24,4 Milliarden für Arbeitslosengeld II/Sozialgeld, 3,5 Milliarden Euro für Verwaltung und Personal, 6,5 Milliarden Euro für Eingliederung in Arbeit.
Noch nie zuvor wurde so viel Geld für aktive Arbeitsmarktpolitik eingesetzt. Entscheidend ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die eingesetzten Steuergelder auch tatsächlich als Lebenshilfe bei den Hilfebedürftigen ankommen. Dieser Frage müssen wir viel genauer nachgehen. Dies verlangt von uns, endlich eine aktivierende Arbeitsmarkt
Ich betone aber auch, dass der Reformbedarf im Bereich SGB II damit nicht erschöpft ist. Darin bin ich mir mit mehreren anderen Landesministern und -ministerinnen einig. Wir wollen eine Initiative für eine Bundesratsentschließung ergreifen, in der entsprechende Reformbedarfe noch einmal kenntlich gemacht werden, wobei die Bundesregierung ihrerseits ja auch signalisiert hat, dass sie im Herbst einen weiteren Schritt vornehmen will.
Aus den vielen Anliegen, die die Länder noch haben, möchte ich drei herausgreifen und darauf näher eingehen, weil sie sehr wichtig sind.
Erstens nenne ich in diesem Zusammenhang die so genannten Aufstocker zum Arbeitslosengeld I. Das sind Angehörige jener Menschen, die Anspruch auf Arbeitslosengeld I haben und selbst bzw. als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft lediglich ergänzend Arbeitslosengeld II erhalten. Diese Aufstocker dürfen nicht von Ermessensleistungen der aktiven Arbeitsförderung nach SGB III ausgeschlossen werden. Zurzeit ist das aber so geplant. Die notwendige beitragsfinanzierte Gesamtbetreuung der Aufstocker durch die Arbeitsagenturen darf nicht in den steuerfinanzierten Regelkreis des SGB II verschoben werden.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist in meinen Augen der Übergang aus dem Arbeitslosengeld II in Rente. Aus unserer Sicht ist wie bei Arbeitnehmern, Arbeitslosen oder Krankengeldempfängern ein nahtloser Übergang in Rente anzustreben. Für Bezieher von Arbeitslosengeld II sollte bei der Zahlung der Geldleistung keine Unterbrechung notwendig werden. Es sollte nicht der Fall eintreten, dass die Betroffenen für eine Übergangszeit von ohnehin nur längstens acht Wochen noch einmal einen Antrag auf Sozialhilfe stellen müssen; denn das wäre menschenunwürdig. Hier muss also nachgearbeitet werden.
Ein dritter Punkt liegt mir ganz besonders am Herzen. Das Stichwort lautet hier: abweichende Bedarfe. Erhebliche Probleme bestehen hinsichtlich länger andauernder und beträchtlich über dem Durchschnitt liegender Bedarfslagen. Nach § 23 Abs. 1 SGB II ist es möglich, ein Darlehen gewährt zu bekommen - wir haben darüber schon gesprochen - und die ratenweise Tilgung mit der Regelleistung zu verrechnen. Das kann aber nur eine Lösung für die Fälle sein, in denen eine entsprechende Situation einmal für kurze Zeit gegeben ist; das kann keine Dauerlösung sein, wenn dauerhaft mehr Bedarfe - das sind die atypischen Bedarfe - vorhanden sind. Sonst trifft das wirklich wieder diejenigen, die ohnehin schon am stärksten betroffen sind.
Seitens des Bundes gibt es zurzeit noch keine Willensbildung dahin gehend, hierbei Ausnahmen zuzulassen. Das halten wir aber für unbedingt notwendig bzw. für erstrebenswert. In diesem Zusammenhang werden wir auch verfassungsrechtliche Bedenken geltend machen. Es kann nicht sein, dass solche Menschen mit einer Bedarfssituation, die über die eines „normalen“ Empfängers von Leistungen nach dem SGB II hinausgeht, Darlehen aufnehmen müssen; denn es ist die Frage, wie sie diese im folgenden Monat zurückzahlen sollen. Das ist zwar zwischen allen unstrittig, aber es gibt eben die auch von mir mitgetragene Befürchtung, dass dann, wenn man das Fass hier aufmacht, ganz viele unter die entsprechende Definition fielen. Damit muss man sehr sorgsam umgehen. Ich hoffe, dass wir gemeinsam die richtigen Punkte finden und die richtigen
politik umzusetzen, mehr Transparenz und Effizienz in der Arbeitsförderung und klare Zielvorgaben. Deshalb möchte ich hier noch einmal ausdrücklich für eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik plädieren. Arbeitslosengeld II bewahrt als Rettungsring Langzeitarbeitslose zwar vor dem Untergang, aber sowohl der Versuch der Linkspartei.PDS, den Rettungsring immer mehr aufzupusten, bis dem Sozialstaat gänzlich die Luft ausgeht, als auch der Versuch der Union auf Bundesebene, Luft abzulassen, sind untauglich und gehen am eigentlichen Ziel vorbei, Hilfebedürftige schnell ans sichere Ufer zu bringen und sie zu befähigen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen.
Integration in Arbeit war, ist und bleibt das erklärte Ziel der Arbeitsmarktreform. Mit dieser Maßgabe hat die SPD Hartz IV auf den Weg gebracht. Davon lassen wir uns nicht abbringen. Hier sind aber auch - das will ich deutlich sagen - andere Politikbereiche wie Finanzen, Wirtschaft und Bildung gefragt. Die gesamte Gesellschaft muss hier mit anpacken, und mit dieser Maßgabe steuert, Frau Schulz, der Kapitän im Bundesministerium für Arbeit und Soziales auch weiterhin diese Reform.
An die Adresse von PDS und DVU gerichtet sei noch einmal ausdrücklich gesagt: Arbeitslosengeld II ist eine Grundsicherung für Hilfebedürftige zur Sicherung der Existenz, keine Lebensstandardsicherung.
Wir wollen, dass das Geld bei den Hilfebedürftigen ankommt. An die Adresse der CDU auf Bundesebene gerichtet sage ich: Nicht die zu hohen Regelleistungen, sondern Niedrig- und Niedrigstlöhne sind der Skandal. Ich wende mich hier auch entschieden gegen jeden Versuch, Arbeitslose unter den Generalverdacht eines Leistungsmissbrauchs zu stellen.
Stattdessen müssen wir endlich ein funktionierendes Fallmanagement einfordern. Die Umsetzung von Hartz IV muss erst einmal Realität werden, meine Damen und Herren. Sie sprechen hier immer von gescheiterter Hartz-IV-Reform. Hartz IV ist überhaupt noch nicht umgesetzt. Das ist doch der Punkt.
Auf eine an persönlichen Problemen orientierte Beratung, Betreuung und Vermittlungsdienstleistung, die, Herr Otto, eben nicht Trägerinteressen und nicht kommunalen Haushaltsinteressen untergeordnet ist, kommt es an.
In Verbindung damit plädieren wir nach wie vor für mehr Transparenz und Effizienz. Es kann doch nicht sein, dass bis heute, eineinhalb Jahre nach Beginn der Reform, noch immer keine seriösen Daten über Be- und Entlastung Brandenburger Kommunen vorliegen. Das ist schlichtweg ein Unding.
Wir hatten im Ausschuss eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände. Aussage der kommunalen Spitzenverbände im Land Brandenburg: In absehbarer Zeit werden keine validen
Daten zur Be- und Entlastung von Kommunen auf dem Tisch liegen. Das ist ein Skandal. Milliarden Gelder des Bundes fließen momentan ohne Erfolgscontrolling in eine Blackbox. Hier brauchen wir mehr Transparenz. In diese Blackbox gehört die Lampe gehalten.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass noch zu wenig Lebenshilfe bei den Betroffenen ankommt. Doch wir werden die Arbeitsmarktpolitik alten Stils überwinden. Darauf können Sie sich verlassen. Arbeitsmarktreformen funktionieren nicht im Selbstlauf. Wir brauchen einen langen Atem. Der, meine Damen und Herren, darf uns jetzt nicht ausgehen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Schröder, gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Wenn Sie die Umfrageergebnisse der Linkspartei.PDS als Absturz interpretieren, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass in der gestrigen Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vermerkt wurde, dass wir inzwischen bundesweit bei 10 % und im Osten deutlich vor der CDU und der SPD liegen, und damit dort die stärkste Partei sind.
Wenn Sie das als Absturz interpretieren, wundert mich Ihre Einschätzung der Arbeitsmarktreform Hartz IV inzwischen nicht mehr.
Das können Sie anscheinend nicht zur Kenntnis nehmen, denn dann müssten Sie Ihre Perspektive wechseln. Es kann, sehr geehrte Frau Dr. Schröder, sehr geehrte Ministerin, in Brandenburg - über Brandenburg reden wir - von einer Entlastung der Kommunen im Zusammenhang mit der Umsetzung von Hartz IV nicht die Rede sein. Es gibt keinen Arbeitsplatz mehr trotz gut qualifizierter Vermittler. Es gibt keinen mittelfristigen Ansatz für existenzsichernde Beschäftigung in Brandenburg. Es gibt keine Lösung für die langzeitarbeitslosen Jugendlichen. Wenn Sie die Gesamtbilanz, dass dieses Gesetz, mit dem auf Kosten von Arbeitslosen Umverteilungen im Bundeshaushalt vorgenommen wurden, versagt hat - wie auch die Einsparungen beim Arbeitslosengeld I, Frau Dr. Schröder -, als Popu
lismus abtun, trifft dieser Vorwurf nicht meine Fraktion, die mehrere Monate im gesamten Land unterwegs war.
Diese Einschätzungen nehmen vor Ort Landräte, Chefs der Arbeitsgemeinschaften und der Grundsicherungsämter, Mitarbeiter der Beschäftigungsgesellschaften und nicht zuletzt - das wird Sie nicht wundern - die Arbeitslosen selbst vor.
Wenn diese Menschen Ihre Reden von heute zur Kenntnis nehmen, werden sie vielleicht wie ich an dieser Stelle leider nur sagen können: Ihre Reden zeugen von einer völligen Unkenntnis der Lage im Land. Ich hätte es nicht unterstellt. Ich bin sehr überrascht, dass das heute so eindeutig herauskommt.
Ich denke, dass es bei den Hartz-Reformen um Einsparungen ging, nicht vordergründig um die Zusammenführung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Der Kostenfaktor war das treibende Motiv. Jetzt wird Missbrauch unterstellt, damit man eine Begründung findet, um weiter Kosten zu reduzieren.
uns fallen noch mehr ein -, sondern die Arbeitslosen in diesem Land hingestellt. Die Arbeitslosigkeit bekämpfen Sie damit nicht. Mit dem Fortentwicklungsgesetz, das Sie, Herr Baaske, „selbstredend“ befürworten wollen, wird keines der von Ihnen benannten Probleme gelöst.
Ich bitte Sie, eine Auszeit zu nehmen und vielleicht in der Mittagspause zu beraten, ob Sie, Frau Ministerin, diesem Gesetz im Bundesrat die Stimme geben.
Ich erinnere an die atypischen Bedarfe. Warum sagen Sie nur, Sie haben Bedenken bei den jetzigen Regelungen? Warum stimmen Sie nicht dagegen? Warum befördern Sie die Debatte nicht? Es reicht nicht, Bedenken zu haben, es muss die Macht genutzt und dagegen gestimmt werden.