Protocol of the Session on April 5, 2006

Herzlichen Dank, Frau Abgeordnete. - Es spricht jetzt der Abgeordnete Vietze für die Linkspartei.PDS.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben großes Glück: Wir sind Landtagsabgeordnete und damit Teil der einzigen Berufsgruppe, die ihre Bezüge selbst festlegen kann. Das ist ein ganz komfortables Maß an Souveränität und Entscheidungskompetenz, bedeutet aber auch eine Verpflichtung. Natürlich haben wir Landtagsabgeordnete - das füge ich der Fairness halber hinzu - auch die Pflicht, die Bezüge festzulegen.

(Dr. Klocksin [SPD]: Oder das Pech!)

- Das wäre meine dritte Formulierung gewesen.

Niemand nimmt uns diese Aufgabe ab. Es ist gut, dass uns niemand diese Verantwortung abnimmt. Damit sind wir nämlich verpflichtet, unseren Wählerinnen und Wählern Rechenschaft über unsere Arbeit abzulegen und zu erläutern, dass wir die Bezüge, die wir beschließen, unserer Ansicht nach auch verdienen. Fairerweise füge ich hinzu: In Zeiten des Aufbruchs, eines dynamischen wirtschaftlichen Wachstums, wenn alle Leute Arbeit haben, zu Hause die Kasse stimmt und man sich keine Sorgen um die Rente machen muss, versteht natürlich jeder, dass ein Abgeordneter gut oder sehr gut verdient.

(Dr. Klocksin [SPD]: Selbst dann nicht!)

- Ich glaube schon.

Die Sache wird natürlich ein bisschen problematischer, wenn man nur 1 Euro pro Stunde verdient oder um den Mindestlohn von 8 Euro kämpfen muss, wenn viele keine Arbeit haben, obwohl sie auch gut qualifiziert sind und gerne eine Tätigkeit

ausüben würden. Dann wird die gesellschaftliche Situation beklemmender und man muss mit ihr differenzierter umgehen. So manche Entscheidung einer Bürgerin oder eines Bürgers, nicht mehr zur Wahl zu gehen und Abgeordnete für einen Landtag oder den Bundestag nicht mehr zu wählen, hat vielleicht auch darin ihre Ursache, dass sie oder er nicht mehr von dem überzeugt ist, was die Abgeordneten tun, oder ihnen für die Situation, in der sie als Bürgerin oder Bürger in diesem Lande lebt, eine Mitverantwortung gibt. Davon können wir uns nicht freisprechen.

Deswegen müssen wir intensiv und genau darüber nachdenken, wie wir mit diesem Thema umgehen. Wir dürfen es jedenfalls nicht in einer Geheimoperation oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit tun, wie uns das die bedeutenden Diätenforscher dieses Landes vorwerfen. Vielmehr haben wir, wie Herr Christoph Schulze richtigerweise gesagt hat, die ersten Überlegungen und Eckpunkte schon öffentlich gemacht. Seitdem gibt es eine Diskussion. Obwohl das Gesetz noch gar nicht im Landtag eingebracht war, haben sich bedeutende Bundesbürger schon geäußert und dafür ganze Zeitungsseiten zur Verfügung gestellt bekommen. Manch einer breitete seine Spielwiese aus, andere wollten die Spielregeln ändern. Die „Bild“-Zeitung legte fest, was der Bundestag wert ist, die „Märkische Allgemeine“, was der Landtag wert ist. Das alles ist in Ordnung, das müssen wir uns gefallen lassen. Das ist eben der Vorzug der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

(Vereinzelt Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

Deswegen will ich fairerweise sagen, dass man auch mich gefragt hat, welcher Teufel mich reitet: Gerade die Linke, ausgerechnet Vietze, von denen hätten wir das nicht erwartet!

(Baaske [SPD]: Das stimmt!)

Ich habe lange überlegt. Wir haben uns zu dritt verständigt: Frau Funck von der CDU, Herr Schulze von der SPD und ich. Wir haben gesagt, dass wir, wenn wir uns mit einem solchen Thema beschäftigen, es richtig ernsthaft tun müssen. Dann muss auch etwas herauskommen, was Bestand hat und einer sachlichen Prüfung standhält. Ich betone: einer sachlichen Prüfung. - Dabei haben wir Sie nicht gebraucht, Herr Schuldt; wir wollten ja zu einem Arbeitsergebnis kommen.

(Beifall bei Linkspartei.PDS und SPD)

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch Folgendes sagen: Wir haben einen historischen Abriss über die Abgeordnetenentschädigung vorgetragen bekommen. Wir haben festgelegt, dass wir uns mit den Regelungen der anderen Länder und der Situation in unserem Lande befassen und entscheiden müssen, was hier zumutbar und vertretbar ist. Deswegen halte ich es für eine empörende Meinungsmache, wenn behauptet wird, wir gäben uns hier ein Diätenerhöhungs-, Kostenpauschalenerhöhungs- und Rentenalterherabsetzungsprogramm. Genau das Gegenteil ist der Fall. Lesen und Denken muss man können, und zwar bevor man sich äußert; das haben wir im Osten wie im Westen gelernt.

(Beifall bei Linkspartei.PDS, SPD und CDU)

Ich finde es schlimm, so einfach mal das Wort „Mogelpackung“ herauszuhauen. Nein, für eine Mogelpackung stehe ich

nicht zur Verfügung. Ich streite mich gern in meiner Partei sowie mit den Wählerinnen und Wählern meiner Partei und mit allen anderen, weil es wirklich kein leichter Weg ist, in dieser Frage Rückgrat zu beweisen und sich auch öffentlich zu erklären. Ein bisschen mehr Zivilcourage gehört zu jedem Landtagsabgeordneten und zu jedem Bundestagsabgeordneten. Wir alle müssen sagen, was wir wirklich wert sind. Ich weiß genau, dass ich die Verpflichtung habe, dazu beizutragen, dass ein Hartz-IV-Empfänger Arbeit bekommt und dass junge Leute eine Ausbildungschance haben. Aber dieses Problem ist überhaupt nicht gelöst, wenn wir dieselben Bezüge wie ein HartzIV-Empfänger bekommen, weil wir eben arbeiten. Ich halte es für unverschämt, wenn uns jemand als „Halbzeitjobber“ bezeichnet. Wir sind in einem harten Geschäft tätig, und zwar seit 15 Jahren.

(Beifall bei Linkspartei.PDS, SPD und CDU)

Hier sitzen ganz wenige, die in den Genuss kommen könnten, die Regelung zur vorzeitigen Rente mit den „Höchstpreisen“ in Anspruch zu nehmen, weil die Wende zu spät gekommen ist.

(Heiterkeit und Beifall bei Linkspartei.PDS, SPD und CDU - Zuruf von der SPD)

- Über diese Bemerkung können Sie intensiv nachdenken.

(Heiterkeit und Beifall bei Linkspartei.PDS, SPD und CDU - Birthler [SPD]: Zu spät!)

- Wolfgang, du hast mir das immer vorgehalten. Genau die richtige Reaktion wäre, wenn wir einmal die Gegenrechnung aufmachten: Im jetzigen Parlament sind, wenn sie noch vieroder fünfmal gewählt werden, sieben Abgeordnete in der Lage, eine solche Regelung in Anspruch zu nehmen, sobald sie 57 Jahre oder älter sind, je nach Ende der Legislaturperiode. Jetzt könnte jemand wie Frau Schröder sagen, wegen dieser sieben Abgeordneten bräuchten wir dies nicht. Darüber muss man nachdenken. Fakt ist aber, dass es von der Ausgangssituation her noch elf von ehemals 88 Abgeordneten sind.

Ich gehöre zu denen, die, wenn sie sich dazu entschieden, noch einmal zu kandidieren, in die Situation kämen, von dieser Regelung Gebrauch zu machen. Aber ich will nicht mehr, weil wir - das gilt auch für alle anderen Parteien - viele junge Leute haben. Möglicherweise ist es ein völlig falscher Ansatz in den Regelwerken, etwa in dem von Nordrhein-Westfalen, vorauszusetzen, dass jemand mindestens 25 Jahre lang gewählt sein muss, weil er sich dann nämlich um nichts anderes mehr kümmert. Auch damit wird die Steifheit in der Gesellschaft produziert. Wir müssen das auflockern; damit können wir einen Beitrag leisten. Auch deswegen müssen wir über das Regelwerk Nordrhein-Westfalens ernsthaft nachdenken.

Als wir die Eckpunkte eingebracht haben, haben wir - Herr Christoph Schulze, Frau Saskia Funck und ich - gesagt, dass sie sehr übersichtlich sind. Vielleicht müssen wir über einen Punkt, über diesen Automatismus, den wir haben und den der Bundestagspräsident jetzt auch wieder anwenden will, ernsthaft nachdenken. Ich finde, da gibt es im Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1975 eine härtere Auflage: Wenn das entsprechende statistische Amt gemeldet hat, müssen wir das im Parlament behandeln, und erst dann werden wir beschließen. Ich meine, diese Kraftanstrengung können wir uns zutrauen.

Wir müssten es einfach machen. Da brauchten wir das Gesetz bzw. die Entscheidung nicht zu fürchten.

Ein paar Worte möchte ich über das nordrhein-westfälische Modell verlieren: Ich habe hier die steuerlichen Hinweise für die Abgeordneten von Nordrhein-Westfalen. Nun nehme ich das, was in den Zeitungen steht; das liest sich wirklich gut. Also: „Sie haben die Diäten von 4 800 auf 9 500 Euro erhöht.“ Das ist ein ganz hervorragendes Zeichen, die Privilegien sind beseitigt, beispielsweise die kostenfreie Altersversorgung. Was ist überhaupt kostenfrei? Sie bekommen jetzt also eine höhere Diät. Darin sind die Kosten für die Rente, die sie in einen Rentenfonds, ins Versorgungswerk einzahlen, enthalten. Das ist doch aber genauso viel Geld vom Steuerzahler, als wenn es hinterher als Pension gezahlt wird. Wir haben doch kein anderes Geld. Die Kostenpauschale ist weg; dafür gibt es höhere Bezüge. Na, prima! Der Abgeordnete gibt das Geld also für die Altersvorsorge aus, macht seine Steuererklärung und bekommt die Aufwendungen vom Finanzamt zurück. Na, prima - eine andere Kasse, zählt woanders! Das ist eine Mogelpackung.

(Beifall bei der SPD)

Da will ich schon sagen: Mich hat zutiefst bewegt, warum die „Jungs“ in Nordrhein-Westfalen alle so zufrieden waren.

(Heiterkeit)

Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen uns das ansehen und sie unbedingt zur Anhörung holen. Ich freue mich auf Herrn von Arnim, auf die Kollegen aus Niedersachsen, aus Baden-Württemberg, auch auf die Kollegen von Nordrhein-Westfalen, unserem großen Impulsgeber.

Das sind 40 Seiten aus NRW. Darin steht alles. Es ist also folgendermaßen: Die Alterseinkünfte, die ich in den Versorgungsfonds einzahle, kann ich zunächst zu 60 % von der Steuer absetzen - und ab jetzt jedes Jahr 2 % mehr. Wenn man lange genug im Parlament ist, kann man sie zu 100 % absetzen. Das ist ein tolles Auftragswerk. Da haben sie intensiv gerechnet. Die Rechenkünstler, die das alles so bejubeln, sollten sich einmal mit den Fakten beschäftigen. Möglicherweise gehört eine intensivere Arbeit dazu.

(Zuruf des Abgeordneten Bochow [SPD])

Dann soll man Belege sammeln. Nun möchte ich einmal aufzählen, was man alles sammeln und abrechnen kann, also wie es in Nordrhein-Westfalen gemacht wird: Bewirtungskosten für mandatsbedingte Einladungen. - Also der Ministerpräsident lädt uns ein - oder wir ihn -,

(Heiterkeit)

lädt die Minister ein, die Bürgerinnen und Bürger, die HartzIV-Empfänger.

Gesammelt und abgerechnet werden können außerdem Büroausgaben wie Porto, Papier, Kugelschreiber, Briefumschläge, Aktenordner, PC-Ausstattung, Telefonausstattung für Festnetz und Handy, Büromöbel, Reinigungskosten, Mietkosten, Nebenkosten - Strom, Wasser, Heizung -, Fachbücher, Zeitschriften, Tageszeitungen - außer der Heimatzeitung, die zum individuellen Gebrauch gehört -, Fahrtenbuch mit Terminkalender. Hinzu

kommen Tankquittungen, Werkstattabrechnungen, Rechnungen für Kfz-Versicherung und Kfz-Steuer. Individuelle Kilometerkosten können geltend gemacht werden, Ausgaben für Dienstwagen, Gehaltszahlungen an Mitarbeiter, die das Büro sauber machen, Geschenke zu mandatsbedingten Anlässen, Spenden, Telefonrechnungen, einschließlich Handy, Übernachtung und, und, und.

Wenn ich diese Liste abgearbeitet habe und mit dem Sammeln der Belege fertig bin, dann gehe ich hin und rechne von meinen 9 000 Euro am Ende des Jahres für jeden Monat 3 000, 3 500 ab - bzw. die werden mir abgerechnet -, bevor ich überhaupt in die Kategorie „Steuerzahler“ komme. Da muss ich ganz einfach sagen: Hier ist die Mogelpackung!

Und weil es eine Mogelpackung ist, sagen die in Baden-Württemberg und in Niedersachsen: Das machen wir nicht, weil mit der Erhöhung der Diäten in Niedersachsen Mehrausgaben in Höhe von 6 Millionen Euro, in Baden-Württemberg von 13 Millionen Euro verbunden sind. Wir sagen: Nein, das können wir uns in Brandenburg - wenn wir auch kleiner sind und es daher „nur“ 4 Millionen wären - gar nicht leisten, weil die Umverteilung von Geld nicht unser Ansinnen ist, sondern eine gerechte, auch an die öffentliche Situation angepasste Regelung.

Nun sage ich: Wenn die Löhne in diesem Lande fallen, weil wir eine Politik betreiben, die bewirkt, dass sie fallen, dann haben wir keinen Anspruch darauf, dass unsere Löhne steigen.

(Beifall bei Linkspartei.PDS und SPD und vereinzelt bei der CDU)

Dann sinken sie in dem Maße der Löhne der Beschäftigen.

(Beifall bei Linkspartei.PDS und CDU)

Wer jetzt glaubt, dass das mit den Renten und den Arbeitslosenbezügen doch das ganz Tolle ist - Herr Baaske, nehmen Sie es mir nicht übel, Sie haben gesagt, die CDU und die Linke wollen das nicht...

(Zuruf des Abgeordneten Baaske [SPD])

- Danke. Ihr könnt das machen. Das Problem besteht jedoch darin: Renten werden genauso berechnet, also bezogen auf das Arbeitseinkommen der Beschäftigten usw., wie dann die Diäten, mit nur einem Unterschied: Während das geringere Entwicklungsniveau bei den Bruttoeinkommen auf die Diäten prozentual in voller Höhe wirkt, würde es, wenn wir die Situation nehmen, dass bei Renten das Minus nicht einträte, weil es eine Nullrunde gäbe und der Bundessteuerzahler zusätzliche Mittel bereitstellen müsste, dazu kommen, dass unsere Bezüge natürlich in geringerem Maße sinken würden als die der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. So viel Mathematik gehört in den Kopf eines jeden Experten, der sich in der Zeitung zu Wort meldet. Ansonsten verdient er die Bezeichnung „Experte“ nicht.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS und vereinzelt bei der SPD)