Protocol of the Session on January 25, 2006

(Beifall bei SPD und CDU)

und er braucht nicht die Balance zu halten - das ist sein Recht als Opposition - zwischen guten Absichten und begrenzten Mitteln. Genau darauf kommt es aber für die an, die in der Verantwortung stehen. Die Koalitionspartner müssen genau das tun, wenn sie verantwortliche Politik für dieses Land machen wollen. Es geht niemals alles und erst recht nicht alles zugleich. Die Brandenburger Koalitionspartner sind sich dieser Realität bewusst. Wir müssen unsere Ziele mit der Wirklichkeit in Einklang bringen. Das heißt ausdrücklich nicht, dass wir unsere Ziele aufgeben würden. Es heißt nur, dass wir uns der Mühe unterziehen müssen, Strategien und Konzepte zu entwickeln, damit wir unseren Zielen Stück für Stück näher kommen. Diesen Weg haben wir in unserem Lande sehr klar und deutlich eingeschlagen. Wer dagegen so tut, als wäre alles zugleich und jetzt sofort machbar, der verabschiedet sich von dem Anspruch, Wirklichkeit zu gestalten.

(Zurufe von der Linkspartei.PDS)

Dass sie die Wirklichkeit positiv gestalten will, genau das unterscheidet die Regierungskoalition in Brandenburg von der Opposition, meine Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir haben in der Politik für Kinder und Familien vieles erreicht,

(Zurufe von der Linkspartei.PDS)

etliches bleibt noch zu tun.

Eine der wichtigsten Einsichten ist - Sylvia Lehmann hat es auch schon gesagt -, dass wir kein einziges Kind zurücklassen dürfen. Wo immer Kinder daran gehindert werden, ihre Potenziale zu entfalten, nehmen nicht nur einzelne Menschen Schaden, sondern da verliert zugleich unsere gesamte Gesellschaft. Deshalb muss uns allen klar sein: Kinderfreundlichkeit und sicheres Aufwachsen für alle Kinder sind keine Ziele, die wir allein mit staatlichen Instrumenten gewährleisten können. Kinderfreundlichkeit und sicheres Aufwachsen für alle Kinder in Brandenburg werden wir nur im Rahmen einer umfassenden Kultur, einer Kultur der Aufmerksamkeit und des Hinschauens, erreichen. Zu dieser Kultur des Hinschauens kann jede einzelne Bürgerin und jeder einzelne Bürger einen eigenen Beitrag leisten.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin mir sicher, davon hängt mehr ab als von dem Streit über manche familienpolitischen Instrumente. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Für die SPD-Fraktion setzt der Abgeordnete Baaske die Debatte fort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema ist sehr wichtig - Sylvia Lehmann hat es deutlich gesagt - und bestimmt momentan auch sehr die Debatte. Es eignet sich keineswegs für Tiefflüge am Stammtisch. Wenn man das, Frau Fechner, versucht, dann muss man zwangsläufig abstürzen und das ist Ihnen auch geschehen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Solche Fälle wie Dennis in Cottbus, das Baby, das im Beetzsee gefunden wurde, die namenlosen verscharrten Kinder aus Brieskow-Finkenheerd, aber auch die schreckliche Geschichte in Blankenfelde sind Einzelfälle, die uns immer wieder sehr zu Herzen gehen. Wir alle fragen uns in solchen Situationen: Was ist da passiert?

Wir wissen gleichwohl, dass die riesengroße Mehrheit unserer Kinder im Lande sehr wohl behütet in den Familien aufwächst. Wir wissen aber auch, dass es tätliche Gewalt gegen Kinder gibt, dass es Vergewaltigungen gibt, dass es physische und psychische Demütigungen gibt, dass es einfach zu viele dieser Einzelfälle gibt. Somit sind Dennis und die namenlosen Kinder von Brieskow-Finkenheerd eigentlich in der Tat nur die traurige Spitze eines grausamen Eisbergs. Wir sind darüber erschüttert und fragen uns: Warum passiert das? Was kann man dagegen tun? Wir versuchen, uns in die Lage der Kinder zu versetzen. Das gelingt uns vielleicht auch manchmal. Wir fühlen dann Wut, wir fühlen Ohnmacht, weil wieder etwas passiert ist und wir es nicht verhindern konnten. Wir fühlen aber auch Scham, weil das, was dort geschehen ist, Mitmenschen unseres Landes und unserer Gesellschaft getan haben.

Wir versuchen auch, uns in die Situation der Eltern zu versetzen, um zu verstehen, warum sie so handelten. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann es nicht. Ich kann mich unmöglich in eine solche Situation versetzen. Ich habe ein anderes Elternbild. Ich fühle dann in mir eine gewisse Verzweiflung, weil ich nicht weiß, was ich machen soll, und ich fühle Unverständnis für diese Eltern. Wieder ist die Frage: Was läuft da schief? Erst recht, wenn wir uns darüber einig sind, dass sich eine humanistische Gesellschaft schützend vor jedes ihrer Kinder stellen muss, frage ich mich: Warum kommt es immer wieder vor, dass Kinder verhungern, verwahrlosen, dass eine Mutter ihre Kinder verscharrt?

Sicherlich ist dieses Handeln der Eltern kriminell; da stimme ich sowohl der CDU als auch der PDS zu. Aber die Eltern sind an dieser Stelle sicherlich auch überfordert. Anders kann man es kaum erklären. Natürlich, Frau Hartfelder, Sie haben Recht: Die oberste Verantwortung liegt bei den Familien; das ist völlig richtig. Aber wir wissen auf der anderen Seite, dass es Familien und Eltern gibt, die dieser Verantwortung nicht gerecht werden können, die nicht leisten können, was wir von ihnen erwarten, die die Liebe, die sie ihren Kindern geben sollten, ihren Kindern nicht geben können, weil sie sie womöglich selbst nicht erfahren haben. Ich glaube, dass gerade dann, wenn wir mitbekommen, dass es diese Familien oder Eltern gibt, der Staat und die Gesellschaft gefragt sind.

(Vereinzelt Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Man kann sich nicht damit herausreden, dass dies die Verant

wortung der Eltern sei, sondern genau da muss der Staat eingreifen. Die Frage an uns ist dann wieder: Was können wir ändern?

Der Ministerpräsident hat sehr eindrucksvoll beschrieben, dass wir in Brandenburg sehr viel über unser Kindertagesstättengesetz tun. Wir haben ein sehr gutes Gesetz für den öffentlichen Gesundheitsdienst. Frau Ziegler hat darauf hingewiesen, dass das in den Landkreisen nicht immer so befolgt wird, wie wir uns das wünschen. Wir haben regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, die von den Krankenkassen bezahlt werden. Dennoch passiert so etwas. Selbst wenn wir an diesen Gesetzen noch etwas änderten, könnten wir Fälle wie die in Brieskow-Finkenheerd oder den des Kindes im Beetzsee nicht verhindern. Wir sollten hier - deshalb bin ich noch einmal an dieses Pult gekommen - nicht den Eindruck erwecken, wir könnten durch neue Gesetze, durch neue Verordnungen, durch das Ändern irgendwelcher Behördenstrukturen oder durch die Fortbildung von Mitarbeitern im Jugendamt solche Fälle verhindern. Das wird damit nicht gehen.

Hillary Clinton hat einmal gesagt, es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen. Genau das meine ich auch. Wir brauchen - der Ministerpräsident hat es schon gesagt - eine große Kultur des Hinschauens. Das müssen wir auch in diesem Haus entwickeln und fördern.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Wir brauchen eine Kultur der ungefragten Hilfestellung. Dabei will ich hier keinesfalls den alten Hausgemeinschaften und Brigaden das Wort reden, aber eine Gesellschaft mit isolierten und nur auf sich selbst gestellten Menschen kann auch nicht unser Ziel sein. Ohne menschliches Miteinander und ohne die Wärme der Gesellschaft, des Kollegenkreises werden wir immer wieder überforderte Familien an sich selbst scheitern lassen, und das zuvorderst zum Nachteil der Kinder. Die gesamte Gesellschaft muss Lobby für ihre Kinder sein. Die Debatte hat mir gezeigt, dass das unser aller Ziel ist. Vor allem aber ist dies unser aller Aufgabe, und zwar tagtäglich. - Danke.

(Beifall bei SPD und CDU sowie vereinzelt bei der Linkspartei.PDS)

Für die Fraktion der Linkspartei.PDS spricht jetzt die Abgeordnete Kaiser.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident hat eine Kultur des Hinschauens in unserem Landes beschworen. Ich bin damit ausdrücklich einverstanden. Er hat gesagt: Alle können und müssen ihren Beitrag dazu leisten. Ja, Herr Ministerpräsident, das werden wir. Deshalb sollte die Opposition auch nicht verunglimpft werden. Wir werden jeden Schritt unterstützen, mit dem sich die Lebens- und Entwicklungsbedingungen für die Kinder in unserem Lande, ihre sozialen und Bildungschancen, ihre Gesundheit und ihre Sicherheit vor Gewalt, ihre Ausbildungs- und Freizeitmöglichkeiten verbessern.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

staatlichen Betreuung, bei der wir ja über professionelle Maßnahmen reden, die Geborgenheit in der Familie entgegenzusetzen, ist nicht der neue Ansatz, den wir brauchen. Professionelle staatliche Betreuung und Geborgenheit in der Familie sind keine Gegensätze, sind kein Entweder-oder; vielmehr müssen gesellschaftliche Angebote mit der Betreuung in der Familie verknüpft werden. Wir brauchen nicht eine Intervention, wenn das Problem bereits da ist, sondern wir brauchen Angebote in der Normalität.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Sprache ist ja verräterisch: Wenn Sie von Rabenmüttern reden diesen Begriff gibt es übrigens nur im Deutschen - oder von Fremdbetreuung, dann werden Ihre Vorbehalte in diesem Zusammenhang deutlich.

Im Gegensatz zu der fast vollständigen Überwachung aller normal verlaufenden Schwangerschaften gibt es für die Zeit nach der Geburt der Kinder nicht genug Infrastrukturangebote. 43 % aller Kinder in der Bundesrepublik mit Mehrfachbenachteiligungen erhalten keine professionelle Hilfe. Die Sozial- und Armutsforschung sagt uns, dass wir anstelle eines Nebeneinanders von familien- und kindbezogenen Hilfen ganzheitliche Verbundlösungen brauchen, angefangen von hauswirtschaftlichen, sozialpädagogischen und sozialpsychologischen Angeboten, Bildungsangeboten bis hin zu passfähigen Ganztagsangeboten, wobei die Eltern von vornherein einzubeziehen sind, das also Hand in Hand mit ihrer Erziehungskompetenz gemacht werden soll. Gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten gibt es zurzeit zu wenig Familien- und Infrastrukturangebote. Gerade in diesen Familien muss es aber einen vielseitigen, anregungsreichen Kinderalltag geben, wenn Fehlentwicklungen von vornherein verhindert werden sollen.

Zu sprechen ist auch über die so genannten sozialen Umweltbedingungen. Ich nenne hier noch einmal die Felder Ernährung, Schäden des Immunsystems oder der Sinnesorgane, soziales und Bindungsverhalten, Konflikterfahrung, die Frau Wöllert auch schon angesprochen hat. Auch hieran wird deutlich, dass verlässliche ganzheitliche Angebote gemacht werden müssen.

Das bestehende Jugendhilfesystem soll keine Kinder-, Jugendoder Elternpolizei sein. Wir sehen keinen Anlass dafür, hier grundsätzlich etwas umzukrempeln, wie es in dem Thema der heutigen Aktuellen Stunde anklingt. Unserer Meinung nach ist es nicht nötig, das bestehende Gesetz grundlegend zu ändern, aber das Gesetz sollte ausgestaltet werden. Die Umsetzung der vorhandenen Gesetze muss politisch, also personal- und haushaltsseitig, abgesichert werden.

Ich nenne dazu ein Beispiel aus dem Landkreis MärkischOderland: Wenn in diesem Landkreis die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des allgemeinen sozialen Dienstes doppelt so viele Fälle im Bereich der Familienhilfe und der Hilfe zur Erziehung bearbeiten müssen, wie es vorgesehen bzw. gesetzlich empfohlen ist, wo soll dann noch Zeit sein für Elterngruppenarbeit in Kindertagesstätten und in Horten, also für Prävention?

SPD und CDU wollen Familienpolitik als ihr wichtigstes profilbildendes Politikfeld, als Chefsache, beackern. Wenn sie das wirklich wollen, dann dürfen sie im Wettkampf um den Titel der familienfreundlichsten Partei allerdings nicht zwischen den Programmen hin und her springen. Es gab ja einen Koalitions

Deshalb liegen unser Gesetzentwurf zum Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz und unser Entschließungsantrag zu einem familienpolitischen Maßnahmenpaket auf dem Tisch. Darüber kann man diskutieren und sich dazu verhalten.

Kinder sind für uns das Maß unserer Arbeit, unserer Politik. Wir sind in der Verantwortung, hier in der Opposition und in den Kommunen als Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Wir müssen die Debatte also nach dem Motto führen, dass Kinder, und zwar alle Kinder, das Maß unserer Arbeit, unserer Politik sind. Solange in diesem Land Realität ist, dass Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern eine Kita nicht besuchen, weil die Eltern das Essengeld dort nicht bezahlen können, haben wir hier genug zu tun.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Eine Regierung, die im Kinderschutz neue Wege gehen will, gesteht damit ein, dass sie bisher zumindest auch falsche Wege gegangen ist. Wenn wir hier neue Wege gehen wollen, dann ist Voraussetzung dafür eine Abkehr von der bisherigen Landespolitik, müssen wir also Mut zu einem tatsächlich neuen Ansatz haben. Dabei geht es nicht nur um die Quantität, also um die Frage, wie viele Kinder versorgt sind, sondern auch um die Qualität der Angebote. Alles, was wir über die Fähigkeiten und Kenntnisse der Einschülerinnen und Einschüler, über die Gesundheitsberichterstattung und über PISA wissen, sagt uns, dass Sie mit Ihrer bisherigen Politik schief liegen.

Natürlich ist es richtig, dass es hierbei nicht um weiche Politik, sondern um knallharte Zukunftsfragen unserer Kinder geht. Zwischen dem Gedöns Ihres Vorgängers im Amt des Bundesvorsitzenden der SPD, Herr Ministerpräsident, und Ihrem Ansatz ist natürlich ein weites Feld. Das bedeutet aber nicht, dass Familienpolitik über Geburtenförderung und die Frage der Vereinbarkeit zwischen Familie und Berufstätigkeit allein das Thema vor Landtagswahlen sein sollte. Vielmehr geht es darum, tatsächlich nachhaltige Maßnahmen auf den Weg zu bringen.

Ich muss Sie in diesem Zusammenhang nicht auf den anderen bärtigen Klassiker verweisen, der Hinweise zur Entstehung der Familie, des Privateigentums und des Staates - bis heute letztlich unbestritten - zu Papier gebracht hat. Ich meine aber, Herr Ministerpräsident, dass es bei der neuen Strategie auch um eine andere Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik gehen muss. Die SPD und auch Sie selbst, Herr Ministerpräsident, sehen immer Skandinavien als Vorbild. Dazu möchte ich nur folgende Stichworte erwähnen: nicht sinkende, sondern steigende Löhne, höhere Staatsquote, Einbeziehung der Gutverdiener in die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme, höhere Binnenkaufkraft, Mindestlohn. Bleiben Sie also dran an Ihrem Hauptziel der Verminderung der Massenarbeitslosigkeit, Herr Ministerpräsident. Anderenfalls werden wir auch für Kinder keine Zukunft in diesem Lande finanzieren und bauen können.

Die SPD hat hier und heute den Anspruch erhoben, die Partei der Kinder zu sein. Diesen Anspruch erhebt die CDU in der Person von Frau von der Leyen ebenfalls. Ihr geht es allerdings nicht um die Förderung von Kindertagesstätten, sondern mehr um die Förderung privater Betreuungsangebote. Aus diesem Grunde befinde ich mich zu ihr auch in einem deutlichen Widerspruch.

Frau Hartfelder, was Sie heute gemacht haben, nämlich der

konsens. Aber inzwischen haben Sie sich gegenseitig widersprochen.

Ich meine, wir sollten den brandenburgischen Weg gehen. Die Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch. Dabei geht es darum, zu Kindertagesstätten, zu integrierten Angeboten vor Ort, also zu Freizeit- und sozialen Angeboten, geeignete Beschlüsse zu fassen. Wir werden Sie bei der Umsetzung und Erweiterung des Maßnahmenpakets wirklich unterstützen.

Ja, Herr Ministerpräsident, harte Fakten sind zu schaffen; darin stimme ich Ihnen zu. Anderenfalls bleibt am Ende - mit Verlaub - wirklich nur Gedöns. Dass dies eintritt, wollen wir im Sinne der Kinder und im Sinne der Erwartungen in diesem Land nicht hoffen. Nachdem die Debatte um Familienpolitik als eine neue Initiative auch unserer Landesregierung eröffnet worden ist, sind die Erwartungen in unserem Lande hoch. Ich appelliere an Sie, diese Erwartungen nicht zu enttäuschen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Für die Landesregierung spricht jetzt Ministerin Ziegler.