Protocol of the Session on October 27, 2004

Engagierte Frauen aus Parteien dieses Landes, auch aus Ihrer Partei, meine Damen und Herren von der SPD, und der Frauenpolitische Rat werden es nicht hinnehmen, dass Sie die Gleichstellungspolitik elegant unter den Tisch fallen lassen.

(Beifall bei der PDS)

Schließlich zeigt die Entwicklung des Arbeitsmarktes, dass neben älteren Arbeitnehmern und Menschen mit Behinderungen

vor allem Frauen immer schwerer Arbeit finden. Dieser Tatsache ist politisch, zum Beispiel mit der Entwicklung von Landesprogrammen, wesentlich stärker Rechnung zu tragen.

Herr Ministerpräsident, vergeblich sucht man in der Koalitionsvereinbarung die Versicherung, dass die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Regionen des Landes das Ziel der Landespolitik bleibt. Heute haben Sie in Ihrer Regierungserklärung wenigstens intelligente Lösungen für dieses Problem gefordert. Worin diese bestehen könnten, bleibt allerdings Ihr Geheimnis.

Nehmen wir eine so kardinale Frage wie die Zukunft der Gesamtregion Berlin-Brandenburg. Sie sind sich wieder einmal treu geblieben: Nicht zur Sache streiten, aber um Formalien. Vom Festhalten an einem nicht mehr realisierbaren Termin sind Sie nun zum Zoff um gar keinen Termin übergegangen. Das Schlimme ist: In beiden Fällen vernachlässigen Sie die Entwicklung der Zusammenarbeit mit Berlin und das Miteinander in der Region. Sie versäumen es, die Interessen unseres Landes klar zu definieren und aktiv zu vertreten. Stattdessen herrscht Provokation gegenüber dem Senat von Berlin. Was da in den letzten Tagen an Porzellan zerschlagen wurde, ist kaum wieder zu kitten.

Meine Sorge ist nicht in erster Linie, wie Sie, Herr Ministerpräsident, mit Ihrem Genossen Wowereit klarkommen. Mein Ärger besteht vielmehr darin, dass wichtige Themen in der Zusammenarbeit beider Länder wie die Schulpolitik, die Infrastrukturplanung, eine abgestimmte Wirtschaftsförderung oder die Entwicklung eines gemeinsamen Wissenschaftsstandortes auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden.

(Beifall bei der PDS)

Völlig inakzeptabel aber ist der arrogante Verweis auf die Verschuldung des Landes Berlin. Wer im Glashaus sitzt, sollte wahrlich nicht mit Steinen werfen!

(Beifall und Bravorufe bei der PDS)

Das Erfordernis der Organisation einer vernünftigen, partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg bleibt - und das ist mehr, als ein paar Behörden oder Obergerichte zusammenzulegen. Dazu bedarf es nicht Aktionismus, sondern eines verbindlichen Fahrplanes mit konkreter Schrittfolge.

Dazu passt zum Beispiel überhaupt nicht, wenn jetzt vorgesehen ist, den Regionalexpress 6 - Wittenberg - Neuruppin - Wittstock - künftig nur noch bis Spandau fahren zu lassen und nicht mehr bis in die Berliner City. Das ist das Gegenteil von Zusammenwachsen. Hier werden Grenzen wieder erlebbar.

Erkennbar wird dabei im Übrigen auch ein weiteres Symptom für die umfassende politische Schwäche Ihrer Regierung, Herr Ministerpräsident. Der gesamte öffentliche Personennahverkehr wird durch das ÖPNV-Gesetz weiter den Bach heruntergehen; denn Sie haben daraus in der letzten Legislaturperiode eine freiwillige Aufgabe gemacht. Der zunehmende Verkehr auf der Straße mit Autos und Lkws wird nur verwaltet, es wird aber nicht wirklich gegengesteuert. Schließlich bleibt die Verkehrssicherheit ebenso auf der Strecke wie die Schulwegsicherung für die Kinder.

Meine Damen und Herren, die Erwartungen des sorbischen Volkes an die neue Brandenburger Landesregierung waren groß. Die Koalitionsvereinbarung und auch die heutige Regierungserklärung bringen sie auf das Maß bisheriger Politik zurück. Denn dass die Stiftung für das sorbische Volk unterstützt wird, ist so selbstverständlich wie unser täglich Brot. Dass man sich für ein neues Finanzierungsabkommen einsetzen will, ist zwar löblich, sagt aber nicht viel. Was die Sorben wollten, waren klare Aussagen gegen die Absenkung der Brandenburger Zuschüsse zur Stiftungsfinanzierung, die Einleitung der seit 1996 ausstehenden Novelle des Sorben-Gesetzes, die Sicherung der Zukunft des Niedersorbischen Gymnasiums und klare Aussagen zur Unterstützung des für die Revitalisierung des Niedersorbischen wichtigen Witaj-Projektes. Nichts davon findet sich in der Koalitionsvereinbarung. Auch in der Regierungserklärung dazu kein Wort, Herr Schippel.

(Schippel [SPD]: Wissen Sie überhaupt, wovon Sie re- den?)

Meine Damen und Herren, die europäische Region, zu der Brandenburg und Berlin gehören, reicht nicht erst seit dem 1. Mai dieses Jahres über die Oder und die Neiße hinweg. Wie man angesichts dessen in der Koalitionsvereinbarung auf einen europapolitischen Teil gänzlich verzichten kann, müssen Sie unseren polnischen Nachbarn, aber auch den Menschen in Ostbrandenburg einmal erklären.

(Beifall bei der PDS)

Nur gemeinsam können wir den Menschen in unserer weitgehend strukturschwachen Region eine Zukunft schaffen. Bisher Erreichtes sollten wir nicht nur nicht verspielen, sondern wir sollten viel ernsthafter, als das in der Vergangenheit der Fall war, an dieser Aufgabe arbeiten. Vereinbarungen mit den Nachbarwoiwodschaften haben wir in ausreichender Zahl, sie müssen aber endlich mit Leben erfüllt werden.

Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn wir Ihnen unverbindliche Absichtserklärungen für die nächsten fünf Jahre vorwerfen, dann bekommt unser Argwohn ob der dahinter steckenden Gründe durch Ihren Koalitionsvertrag neue Nahrung. Ich meine den eher versteckt platzierten Abschnitt 4.2. „Bürokratieabbau und konsequente Deregulierung“. Wer den gelesen hat, weiß, warum bestimmte Themenfelder unterbelichtet sind. Lassen Sie mich die entscheidenden Sätze zitieren:

„Die Landesregierung wird... eine ressortübergreifende Entbürokratisierung vorantreiben. Das Augenmerk ist auch vor dem Hintergrund des demographischen Wandels - verstärkt darauf gerichtet, welche Aufgaben der Staat zwingend wahrnehmen muss, welche davon er selbst erfüllen will und bei welchen es wirtschaftlicher ist, sich Dritter bei der Aufgabenerfüllung zu bedienen.“

(Zuruf von der CDU: Das ist doch richtig!)

Nachdem die Regierung seit 1999 immer wieder verhindert hat, dass die politische Diskussion zu den Kernaufgaben der Landesverwaltung geführt wird, hat man sich jetzt mit der Koalitionsvereinbarung selbst den Freifahrtschein ausgestellt, um alles und jedes, was aus der Sicht der Bürokratie und der Minister verzichtbar ist, zu streichen.

Es geht im Übrigen nicht nur um die Definition und Wahrnehmung von Staatsaufgaben, sondern auch um die Definition und Wahrnehmung von Landesinteressen - auch und gerade im Bundesrat.

Der Länderkammer selbst und den Bürgerinnen und Bürgern haben Sie dort in den letzten Jahren Unerträgliches zugemutet - vom Chaos beim Zuwanderungsgesetz bis zur Zustimmung zu Hartz IV. Die Interessen der Brandenburgerinnen und Brandenburger waren Ihnen dabei schnuppe.

Wir jedenfalls werden weiter darauf dringen, dass sich der Landtag einmischt, nicht nur in bundespolitische Fragen, sondern auch dann, wenn es um die Europäische Verfassung, die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Strukturfonds nach 2007 und andere für unser Land existenzielle Fragen geht. - Darauf können Sie sich verlassen.

Meine Damen und Herren! Nachdem die vergangenen fünf Jahre durch einen Stillstand bei der Funktionalreform gekennzeichnet waren, gibt es nach dem Durchpeitschen der Gemeindegebietsreform keinerlei Gründe mehr für eine weitere Verschleppung.

(Lunacek [CDU]: Wer hat die denn durchgepeitscht?)

- Das fragen ausgerechnet Sie?

Wir halten es für falsch, dass die mögliche Aufgabenübertragung auf die kommunale Ebene erst hinter einen Aufgabenverzicht und die Privatisierung von Aufgaben eingeordnet wird. Damit sind die Versprechungen der Koalition, den Kommunen einen ausreichenden Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum zu sichern und die kommunale Eigenverantwortlichkeit auszubauen, auf Sand gebaut.

Wir fordern eine zügige Durchführung der Funktionalreform. Sie sollte in enger Abstimmung mit den betroffenen Ministerien und den kommunalen Spitzenverbänden vorbereitet werden. Dafür jedoch brauchen wir keine weiteren fünf Jahre.

Das entscheidende Problem für die Kommunen ist und bleibt aber die völlig unzureichende Finanzausstattung. Wir fordern die Landesregierung nachdrücklich auf, sich für eine bundesweite Gemeindefinanzreform einzusetzen.

Aber auch im Lande gibt es noch viel zu tun. Das kommunale Finanzausgleichsgesetz ist leider deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Jetzt geht es darum, den Kommunen mehr Finanzen zur eigenverantwortlichen Verwendung zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der PDS - Lunacek [CDU]: Zum Schuldenab- bau!)

Mit Blick auf die Kommunen ist auch auf die Gefahren hinzuweisen, die sich mit den Vorstellungen der Koalition zur Kulturentwicklungsplanung verbinden. Sicher, in Deutschland liegt die Kulturhoheit bei den Ländern. Das ist aber keine Vollmacht für eine Abschiebung der Verantwortung nach unten. Ein solcher Weg würde der gesamten Kulturlandschaft nur schaden.

Meine Damen und Herren, auch über die Abwassermisere ist

an dieser Stelle wieder zu reden. Das wird Ihnen jetzt wahrscheinlich etwas unbehaglich sein, Herr Ministerpräsident, aber dafür tragen Sie und Ihr ehemaliger Staatssekretär Speer erhebliche Verantwortung. Statt aber endlich aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, wollen Sie weitermachen wie bisher. Warum sonst wird in Ihrer Koalitionsvereinbarung die Europäische Kommunalabwasserrichtlinie erneut falsch zitiert und dann als Vorwand für den weiteren Ausbau ineffizienter zentraler Abwasseranschlüsse ins Feld geführt? Wir fordern Sie auf, dezentrale Lösungen für den ländlichen Raum nicht länger als Gnadenlösung zuzulassen, sondern konsequent in diese Richtung umzusteuern.

Mit Genugtuung haben wir allerdings aufgenommen, dass Sie sich nunmehr endlich der Kostenreduzierung bei der Gewässerunterhaltung annehmen wollen.

Meine Damen und Herren, ich scheue mich nicht, auch einmal positiv an die Zeiten des Umweltministers Platzeck zu erinnern. - Nicht bei der Abwasserpolitik, aber im Naturschutz wünschten wir uns in Brandenburg sehr wohl ein „Weiter so!“ Aber die Zeiten eines engagierten Umweltministers Platzeck sind vorbei.

Wie wenig Kenntnis der Rechtsmaterie muss man haben, um eine Aussage in den Koalitionsvertrag zu nehmen, die da lautet, „grundsätzlich keine Landesregelungen über Bundes- und EU-Standard zu verfolgen“? Die Gesetze und Richtlinien, über die wir sprechen, sind Rahmengesetze; der Gesetzgeber zwingt uns, sie auf Landesebene auszugestalten. Das ist unsere Aufgabe.

(Zuruf von der CDU: Genau das!)

Wohin aber wohl der Zug der kleinen Koalition fährt, lässt sich am Umgang mit dem Nationalpark „Unteres Odertal“ ahnen. Wenn Sie im Nationalpark Akzeptanzprobleme haben, dann hängen diese am wenigsten mit dem Nationalparkgesetz zusammen. Die bereits seit einigen Monaten kursierende Novelle à la CDU zielt darauf ab, den Nationalpark faktisch abzuschaffen.

(Bischoff [SPD]: Das ist völliger Quatsch!)

Dem wird sich die PDS mit aller Kraft widersetzen, Herr Bischoff.

Der Nationalpark „Unteres Odertal“ darf nicht jahrelangen Querelen und fehlender Kompromissbereitschaft geopfert werden.

(Bischoff [SPD]: Dann müssen Sie einmal dorthin kom- men!)

Ich weiß aus eigenem Erleben - Herr Bischoff, wir haben uns dort oben sehr oft getroffen -, dass mit ehrlichem Engagement vor Ort die Akzeptanz durch Landwirte, Angler und Fischer sowie Jäger erreicht werden kann,

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

aber auch das erfordert endlich klare, und zwar vor allen Dingen verbindliche Regelungen, Herr Bischoff. Lassen Sie uns an dieser Stelle gemeinsam weiterarbeiten.

(Bischoff [SPD]: Sie wollen ja nicht!)

Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, die Erfahrungen der politischen Wende 1989/90 und den Geist der Brandenburger Verfassung neu zu beleben. In den letzten Jahren benahmen sich doch Regierung und Regierungsparteien oft so, als wüssten nur sie allein, was für die Brandenburger gut ist. Dass dem nicht so ist, haben wir alle in den vergangenen Monaten erlebt. Auf den Straßen und Plätzen, auf den Zeitungsseiten, aber auch in den Kneipen und Wohnzimmern hat sich ein beträchtlicher Frust über die Politik als Ganzes, über die Politiker angesammelt - über alle Politiker, meine Damen und Herren!

Dem ist nicht einfach durch Zuhören zu begegnen. Hier muss sich grundlegend etwas an der politischen Kultur in unserem Land ändern.