Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch uns hat die Wucht der Diskussion in den letzten Wochen wie viele andere betroffen gemacht. Auch den Innenminister haben die Debatten und die Reaktionen tief bewegt. Es wird in der Diskussion aber immer noch hartnäckig von falschen Sachverhalten ausgegangen. Deshalb möchte ich zunächst einmal klarstellen, was der Innenminister wirklich sagte.
Wer die ursprünglichen Äußerungen liest, erkennt, dass er das Wegschauen beklagte. Dafür nannte er Beispiele, die Brandenburg über Wochen bewegten: die rechtsextreme Gang im Havelland, die über lange Zeit Schießübungen im Wald veranstaltete, sich entsprechend kleidete und dann Döner-Imbisse anzündete. Vor Ort wollte niemand etwas bemerkt haben. Er nannte ferner Marinus Schöberl und er nannte die Mutter mit den neun Schwangerschaften, von denen auch niemand etwas gemerkt haben will. Dieses Wegschauen bewegte ihn als Menschen: als Vater, als Großvater und als Innenminister, der in solchen Situationen immer als Erster informiert wird und dann auch öffentlich dazu Stellung nehmen muss. Das Verbrechen an sich hat er ausdrücklich nicht gemeint und er hat sich entschuldigt. Dies sollten wir respektieren.
Die PDS beantragt nun zum dritten Mal die Entlassung des Innenministers und tut dies, obwohl der Innenminister die in Rede stehende Passage bedauert, sich entschuldigt und klargestellt hat, dass er niemanden verletzen wollte. Deshalb wird hier eines ganz klar - damit haben auch Herr Kollege Baaske und die SPD-Fraktion in ihrem Beschluss vollkommen Recht -:
Die PDS möchte diesen Vorgang für den Wahlkampf missbrauchen. Sie nutzt die Diskussion in der Hoffnung, Punkte im Wahlkampf machen zu können, was auch die Sozialdemokraten zu Recht verurteilen. Genau dies ist Ihr Antrag, Frau Enkelmann: ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver. Angesichts dessen frage ich mich, Frau Enkelmann - Sie sind ja nun Spitzenkandidatin Ihrer Partei für den Deutschen Bundestag -, was Ihr Wort eigentlich wert ist.
- Ja, und als Fraktionsvorsitzende verantworten Sie diesen Antrag. Das macht es noch einmal in besonderer Weise schlimmer.
Was ist Ihr Wort eigentlich wert? Vor wenigen Wochen haben Sie in einer Diskussionssendung im RBB mit dem Innenminister vereinbart, dass Sie dieses Thema aus dem Wahlkampf heraushalten wollen. Jetzt machen Sie exakt das Gegenteil. Wochen, nachdem die Diskussion vorbei ist, kommt dieser Antrag.
(Frau Dr. Enkelmann [Die Linkspartei.PDS]: Dazu habe ich etwas erklärt, da hätten Sie zuhören müssen!)
Meine Damen und Herren, Jörg Schönbohm hat für Brandenburg und für die deutsche Einheit Enormes geleistet. Er hat am 3. Oktober 1990 die Nationale Volksarmee übernommen, an dem Tag, den die PDS wahrscheinlich nie haben wollte, damals noch als SED. Er hat dort gesagt: Wir kommen nicht als Sieger zu Besiegten, sondern als Deutsche zu Deutschen. Wer mit Soldaten und Offizieren von damals spricht, weiß, dass sie ihm noch heute mit hohem Respekt begegnen. Er hat ihre Lebensleistung anerkannt, er hat sie geachtet und auf Augenhöhe behandelt.
Jörg Schönbohm leistet heute als Innenminister eine Arbeit, die herausragend ist. Er hat die brandenburgische Gemeindegebietsreform umgesetzt - mit den Betroffenen. Er hat in Hunderten von Diskussionsveranstaltungen vor Ort mit den Betroffenen, mit den Kommunalpolitikern geredet und mit ihnen gemeinsam eine der tiefgreifendsten Reformen der letzten Jahre umgesetzt.
Meine Damen und Herren, Jörg Schönbohm hat die brandenburgische Polizei reformiert. Wir wissen, dass die Aufklärungssquote in Brandenburg von Jahr zu Jahr steigt. Die Bürger schätzen ihre Polizei, sie achten sie und auch das ist ein Verdienst des Innenministers, was anzuerkennen ist.
Meine Damen und Herren, wir haben noch viel vor. Wir wollen den Zugang zu Behörden vereinfachen; wir wollen Bürokratie abbauen und wir wollen das Land wirtschaftlich stark machen. Ich weiß, dass der Innenminister einer der stärksten Streiter dafür ist. Deshalb wird er für Brandenburg gebraucht.
und macht mich nachdenklich; das ist unsere Diskussionskultur. Ich möchte mich noch einmal ausdrücklich bei Herrn Baaske für die sehr persönlichen Worte, die er hier sagte, bedanken.
Was haben wir eigentlich für eine Diskussionskultur? Da trifft jemand eine Aussage, die wohl direkt nur die Wenigsten lesen, und reflexartig fällt man über die Person her. Der PDS-Landesvorsitzende spricht von politisch-ideologischem Missbrauch und von einem Wahlkampfmanöver und macht damit genau dasselbe, was er dem Innenminister vorwirft. Parteichef Bisky unterstellt einen Vorwurf, der lautet: Kommunisten fressen Kinder. - Was für ein unsäglicher Schwachsinn, aber mit Methode.
Kaum einer geht mehr auf den Sachverhalt an sich ein. Niemand macht sich die Mühe, darüber nachzudenken, warum wir in Brandenburg solche Probleme haben. Warum haben wir denn die Situation, dass wir in den neuen Ländern regelmäßig über Rechtsextremismus reden müssen, was woanders nicht in dem Maße der Fall ist? Die Arbeitslosigkeit allein wird als Erklärung nicht genügen, sonst müsste es in Nordhessen, in Teilen des Ruhrgebietes und in Ostfriesland auch solche Umtriebe geben. Warum müssen denn der Ministerpräsident und sein Stellvertreter regelmäßig zu mehr Zivilcourage aufrufen? Das alles hat doch Ursachen. Oder: Warum ist bei uns Fremdenfeindlichkeit höher und es wird weggeschaut - oftmals, oftmals nicht, sehr oft nicht, aber oftmals eben doch?
Stattdessen, meine Damen und Herren, zielt die Diskussion geradewegs darauf ab, die Person, die missverständlich den Anstoß gab, zu diskreditieren und zu stigmatisieren - nach dem Motto: Was dem Gegner schadet, nutzt mir.
Einiges an Kritik ist sicherlich berechtigt, das kam auch aus unseren Reihen, aber in dieser Form ist es keine Diskussionskultur. Deshalb, meine Damen und Herren: Der Antrag ist ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver. Er missbraucht die Diskussion und wir lehnen ihn selbstverständlich ab. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In unserem Land ist vor einigen Wochen etwas Fürchterliches und eigentlich bis heute Unvorstellbares geschehen. Wir wissen auch bis dato noch nicht genau, wie es geschah. Wir begreifen auch nicht, warum es geschah. Vielleicht werden wir es nie tun. Wir wissen, neun Kinder sind tot. Sie wurden geboren, sie wurden getötet und sie wurden in Blumentöpfen vergraben.
Meine Damen und Herren, wem angesichts eines solchen Verbrechens nicht der Atem stockt, dem würde man wahrscheinlich zu Recht sagen, dass er seelisch abgestumpft ist.
Mich beschäftigt auch, wer angesichts eines solchen Verbrechens unerschüttert und geschäftig zur Tagesordnung übergehen kann.
Meine Damen und Herren von der PDS - Sie weisen das zurück, das ist mir klar -, der Zusammenhang zwischen Ihrem Antrag und dem laufenden Bundestagswahlkampf ist zu offensichtlich, als dass ihn irgend jemand übersehen könnte. Es ist für mich keine Frage: Im Wahlkampf geht es manchmal hoch her und das muss auch so sein, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es Grenzen gibt, die man nicht überschreiten sollte. Sie müssen sich deshalb in einer ruhigen Minute sehr ernsthaft Rechenschaft darüber ablegen, ob sich dieser an Tragik nicht zu überbietende Fall von neun getöteten Babys wirklich dazu eignet, für Ihre Wahlkampfzwecke instrumentalisiert zu werden. Denken Sie bitte noch einmal darüber nach!
Damit wir uns nicht missverstehen: Ich halte die in Rede stehende Äußerung des Kollegen Schönbohm für falsch und fatal. Ich habe das mehrfach deutlich gesagt. Ich habe Verständnis dafür, dass ein so entsetzlicher Fall hochgradig emotionale Reaktionen auslösen kann. Etwas anderes ist es aber, wenn aus der Empörung heraus verallgemeinernde Behauptungen über vermeintlich gesellschaftliche Ursachen solcher Taten aufgestellt werden. Gerade dazu eignet sich der vorliegende Fall nämlich nicht. Sie haben es in der Debatte eben gehört, dem stimme ich völlig zu: Diese neunfache Kindstötung ist ein absolut singuläres Verbrechen. Jeder Versuch, einen solchen Ausnahmefall als wie auch immer folgerichtige Konsequenz - welcher gesellschaftlichen Missstände auch immer - zu interpretieren, muss zwangsläufig ins Leere gehen. Eine solche Tat gibt keinen Aufschluss über Zustände in einer Gesellschaft.
Insbesondere die Lebensverhältnisse in der DDR bieten uns keinen Schlüssel zur Erklärung dieser Kindstötungen. Kindstötungen hat es weder in der DDR noch nach 1990 in Brandenburg in einem solch auffälligen Umfang gegeben, dass sie als charakteristisches Merkmal der gesamten Gesellschaft gelten könnten. Vor diesem Hintergrund mussten die Äußerungen von Minister Schönbohm die Menschen in Brandenburg, wie wir gespürt haben, in ganz Ostdeutschland, tief verletzen, denn Herr Schönbohm hat mit seinen Äußerungen die ostdeutsche Gesellschaft in eine Kollektivhaftung genommen. Man müsste zumindest wissen, dass diese Äußerung so interpretiert und aufgefasst werden konnte. Wir haben es mit einem Einzelfall zu tun und er bleibt auch künftig ungeeignet, solche Schlussfolgerungen zu ziehen.
Ich muss gestehen, dass mich die Einlassungen des Kollegen Schönbohm nicht nur erschrocken, sondern auch überrascht haben. Denn ich weiß, dass Minister Schönbohm ein differenzierteres Bild von Ostdeutschland und seinen Menschen hat. Ich weiß auch, dass Respekt für ihn kein Fremdwort ist. Es bleibt aber dabei: Jörg Schönbohms Argumentation halte ich für falsch und verletzend, aber Herr Schönbohm hat sich dafür entschuldigt. Er hat dies aufrichtig gemeint. Alle weiteren Fragen - auch das will ich hier sagen - sind Fragen in Sachen der CDU, sich mit ihrem Parteivorsitzenden auseinander zu setzen, sofern sie das für nötig hält.
Lassen Sie mich noch eine weitere Differenzierung sagen. Es ist aus meiner Sicht nicht redlich, die Äußerungen von Innenminister Schönbohm mit den sehr wohl kalkulierten Wahlkampfparolen von Ministerpräsident Stoiber auf eine Stufe zu stellen. Herr Stoiber hat gefordert - und das mehrfach, in unterschiedlichen Variationen -, dass die angeblich Frustrierten in
Ostdeutschland nicht noch einmal eine Bundestagswahl entscheiden dürften. Mit solchen Sprüchen werden Menschen im Westen und im Osten unseres Landes ganz bewusst gegeneinander in Stellung gebracht. Wer solche Parolen ausgibt und damit Stammtischmeinungen bedient, hat an der inneren Einheit unseres Landes, an ihrer Vollendung offensichtlich kein Interesse.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung arbeitet mit Hochdruck, um Brandenburgs Zukunft als erfolgreiches und lebenswertes Land zu sichern. Sie hat ihr Amt unter schwierigen Bedingungen angetreten. Es geht darum, die Wirtschaft voranzubringen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen. Es geht darum, alles zu tun, um die negativen Folgen des demografischen Wandels zu mildern. Es geht darum, die Bedingungen für Familien zu verbessern und Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wieder mehr Kinder geboren werden können. Und es geht darum, mit aller Entschiedenheit den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Wir haben keine Zeit zu verschwenden. Wir sind es den Menschen in unserem Lande schuldig, uns auf die wesentlichen Aufgaben zu konzentrieren. Die Landesregierung arbeitet in kollegialer Anstrengung daran, die Erneuerung unseres Landes aus eigener Kraft voranzutreiben. Genau das erwarten die Menschen in unserem Lande von uns.
Meine Damen und Herren, der Anlass dieser Debatte ist der schreckliche Fall der neun wahrscheinlich von ihrer Mutter getöteten Kinder. Über dieses beklemmende Rätsel können und dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Die Kinder sind tot. Wir können sie auch nicht lebendig machen. Aber welche Lehren wir aus diesem Fall zu ziehen haben, welche Verantwortung wir eventuell besser wahrnehmen müssen, darüber müssen wir miteinander sprechen, und zwar in der dafür angemessenen Weise. Diese angemessene Weise wird sich in Wahlkampfzeiten nicht herstellen lassen. - Ich danke Ihnen.
Das Wort erhält noch einmal die antragstellende Fraktion. Für Die Linkspartei.PDS spricht der Abgeordnete Dr. Scharfenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erneute Fehltritt von Herrn Minister Schönbohm - ich denke, da sind wir uns weitgehend einig - ist angemessen genug, um seinen Rücktritt zu fordern. Die Diskussion darüber, ob es ausreicht, in diesem Zusammenhang eine Rücktrittsforderung aufzustellen, stellt sich überhaupt nicht,
sondern Sie brauchen nur die öffentlichen Verlautbarungen zu verfolgen. Es hat Rücktrittsforderungen aus den Reihen der CDU gegeben. Es hat reichlich Rücktrittsforderungen aus den Reihen der SPD gegeben. Herr Schönbohm hat die Chance zum Rücktritt nicht genutzt. Deswegen ist es folgerichtig, dass dieser Entlassungsantrag heute von der Opposition zur Abstimmung gestellt wird.
Dass das vor dem Hintergrund eines Wahlkampfes geschieht, das haben wir uns nicht ausgesucht. Sie können sich darauf verlassen, dass wir den Rücktrittsantrag auch gestellt hätten, wenn wir nicht vor den Bundestagswahlen wären.
(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Schulze [SPD]: Dann hätten Sie es in der nächsten Sitzung machen können! Wir haben im September noch eine Sitzung!)
Es gibt auch Einigkeit in der Beurteilung der Äußerung von Herrn Schönbohm. Das hat die SPD in ihren Verlautbarungen zum Ausdruck gebracht. Aber die Schlussfolgerungen sind unterschiedlich und ich finde, es ist einfach unglaubwürdig, wie die SPD die Kurve kriegt. Es wird zum Ausdruck gebracht, dass Herr Stoiber mit seinen Äußerungen viel schlimmer sei als Herr Schönbohm und der Unterschied darin bestünde, dass Herr Stoiber sich nicht entschuldigt habe.
Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Herr Stoiber sich entschuldigt hat, und ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass Herr Schönbohm an einem Tag verkündet hat, dass Herr Stoiber ganz schlimme Äußerungen getan hat, und wenige Tage später hat er sich vor Herrn Stoiber gestellt. Ich finde das eigenartig.
Der Ausfall von Herrn Schönbohm ist schlimmer als der von Herrn Stoiber; denn er ist politischer Repräsentant des Landes Brandenburg. Er müsste es besser wissen als er es mit seinen Worten zum Ausdruck gebracht hat.