Protocol of the Session on June 9, 2005

(Beifall bei der PDS)

Genau so läuft es aber heute oftmals. Immer mehr Aufgaben werden den Bürgerinnen und Bürgern zugeschoben.

Natürlich ist ein Bürgerbus eine tolle Sache, aber er ist auch aus der Not schwindender ÖPNV-Angebote geboren. Natürlich sind private Spielkreise für Kleinkinder eine gute Sache. Aber sie entstehen oftmals dort, wo durch die Novellierung des KitaGesetzes - das haben wir in der letzten Legislaturperiode zweimal erlebt - Kindern der Zugang zu den Kitas verwehrt wird.

(Beifall bei der PDS)

Bürgerschaftliches Engagement darf nicht der Notausgang sein, wenn sich der Staat zurückzieht.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Bürgerschaftliches Engagement von Jungen und Älteren braucht vor allem eine stabile und verlässliche Basis. Es braucht ein Minimum an finanziellen Grundlagen, ein Mindestmaß an technischer und organisatorischer Infrastruktur. Man braucht ganz einfach ein Telefon und ein Büro, vielleicht auch ein Faxgerät und Briefmarken, um sich in der Breite engagieren zu können.

Das alles sind eigentlich Peanuts, wenn man sich die dafür erforderlichen Geldbeträge anschaut. Wenn dann auch noch diese Peanuts gestrichen werden, wie wir es unter anderem bei den letzten Haushaltsberatungen erlebt haben, gehen damit auch Mittel verloren, die als Drittmittel vom Bund oder von der EU eingeworben werden können.

Hier mussten in den letzten Jahren viele Initiativen erheblich bluten, weil die Landesregierung an empfindlichen Stellen den Rotstift angesetzt hat. Ich denke dabei an die erheblichen Kürzungen bei der institutionellen Förderung von Jugendverbänden, Umweltverbänden, Kulturvereinen. Ich denke an die Kürzungen im Bereich der professionellen Begleitung von Selbst

hilfegruppen. Ich denke an die Streichung der Mittel zum Beispiel für Arbeitslosenserviceeinrichtungen.

Ich möchte einige konkrete Beispiele aus den letzten Haushaltsberatungen nennen: 320 000 Euro wurden bei der außerschulischen Jugendarbeit gekürzt, 490 000 Euro im Bereich der Entwicklung demokratischer Kultur und der Prävention von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Genau diese Arbeit ist aber dringend notwendig. Wir werden heute bei anderer Gelegenheit noch darüber reden. 37 400 Euro wurden bei der Geschäftsstelle des Landesjugendrings gestrichen. Für die Förderung der ehrenamtlichen Arbeit des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen hatten Sie nicht einmal 5 000 Euro übrig. So sieht Ihr Engagement in Sachen Ehrenamt aus, meine Damen und Herren von der Koalition.

(Beifall bei der PDS)

Ich denke natürlich auch an die miserable Ausstattung der Kommunen. Oftmals heißt es ja: Dafür müssen jetzt die Kommunen einspringen. - Sie aber wissen sehr wohl um die schlechte Finanzausstattung der Kommunen und wissen auch sehr wohl, dass sehr viele Kommunen gar nicht mehr in der Lage sind, die so genannten freiwilligen Aufgaben zu unterstützen. In meiner Stadt, in Bernau, in der ich auch Stadtverordnete bin, geht das noch. Wir geben jährlich fast 200 000 Euro für Vereine und Verbände, für Sportarbeit usw. aus. Wir schaffen jetzt einen neuen Jugendklub. Wir sind dazu noch in der Lage, aber viele andere Kommunen im Lande Brandenburg können das nicht mehr leisten.

Das Land zieht sich aus der Verantwortung zurück; die Kommunen können es nicht mehr richten. Vieles an ehrenamtlichem Engagement geht dann den Bach herunter. In den vergangenen Jahren haben sich viele Pflänzchen entwickelt, die nun einzugehen drohen. Die Stärkung der Bürgergesellschaft gelingt nicht dadurch, dass das Thema Gegenstand von Sonntagsreden oder - wie heute - einer Aktuellen Stunde ist, sondern es erfordert das ehrliche Engagement der Regierenden, also eine zupackende Regierung. Die kann ich gegenwärtig nicht erkennen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Herzlichen Dank. - Ich begrüße in unserer Mitte eine Gruppe türkischer Schüler aus Bursa. Hos geldiniz! - Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe als letzten Redebeitrag zur Aktuellen Stunde noch einmal die SPD-Fraktion auf. Bitte sehr, Frau Alter.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den Begriff Rentengerechtigkeit und Rentenanpassung von der PDS höre, denke ich an meine Mutter, die das Jahr 1990 leider nicht erlebt hat. Sie hat neun Kinder zur Welt gebracht und hätte, wenn die Wende nicht gekommen wäre, von ihrer Rente ganz bestimmt nicht leben können.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wenn ich in Erinnerungen schwelge, möchte ich 15 Jahre Revue passieren lassen: Ich habe im Seniorenbereich, im Seniorenheim gearbeitet, wo zehn Betten pro Zimmer keine Seltenheit war. Alte Menschen konnten das Heim nicht verlassen, weil ihnen kein Rollstuhl zur Verfügung gestellt wurde, von Pflegematerialien und anderen Dingen ganz zu schweigen.

(Beifall bei SPD und CDU sowie der Abgeordneten Dr. Enkemann [PDS])

Wir, die SPD, wollen, dass die Menschen ihren Lebensabend so lange wie möglich in ihrem bekannten Umfeld genießen können. Genießen bedeutet: geachtete Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Weil ihre Lebensphasen so unterschiedlich sind, sollen unsere Senioren so lange wie möglich die eigene Lebensführung mit Unterstützung der heute technischen Möglichkeiten voll ausschöpfen können. Wir wissen, dass City-Nähe für das Leben unter dem Motto „ambulant vor stationär“ sowie für die ehrenamtliche Arbeit unabdingbar ist. Wir wissen auch, dass Menschen ihr gewohntes Umfeld, ob in der Stadt oder auf dem Land, lieben - diesen Bedürfnissen müssen wir zukünftig Rechnung tragen.

Rufbusse, von denen einige übrigens reguläre und bezahlte Arbeitsplätze darstellen, und der mobile Handel zeigen Lösungswege auf. In meinem Bereich wird der mobile Handel durch Menschen mit Behinderung organisiert.

Wenn wir uns heute über gute Prävention im Gesundheitsbereich freuen, erhöht das nicht nur die Lebensqualität der älteren Generation, sondern verlängert auch die Lebensjahre - und das ist gut so. Wohn- und Lebensformen sollen mit flexiblen Pflegemodellen einhergehen. Dabei müssen Qualität und Selbstbestimmung im Vordergrund stehen. Hier werden für junge Leute mehr Arbeitsplätze entstehen. Dies wurde auch im Fachausschuss kurz angesprochen. Damit sich junge Leute für den Pflegedienst interessieren - Frau Schier ist darauf schon eingegangen -, sind eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und eine höhere Wertschätzung unbedingt nötig. Schon jetzt absolvieren Jugendliche und Zivildienstleistende ein soziales Jahr im Pflegebereich. Ich hatte Gelegenheit, mich mit ihnen auszutauschen, und konnte dabei feststellen, dass sie nach Beendigung dieser Tätigkeit den älteren Menschen aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten.

Auch das Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung wird sich zukünftig intensiver den Wohnkonzepten der Zukunft für lebensgerechtes, sprich altersgerechtes Wohnen widmen. Es könnte ein Auftrag für Studenten und Schüler sein, mit Senioren über neue Wohnformen zu diskutieren und gemeinsam neue lebenswerte Projekte zu erarbeiten. Allzu oft werden Entscheidungen ohne die Betroffenen gefällt und hinterher stellen wir fest, dass sie mehr hätten eingebunden werden müssen.

Bedingt durch den leidigen Fortzug der jüngeren Generation werden wir verstärkt die Nachbarschaftshilfe einbinden müssen; das bedeutet: generationsübergreifende Wohnformen, wo sich Jung und Alt und Alt und Jung unterstützen, ohne dafür einen finanziellen Ausgleich einzufordern. Das ist selbstverständlich und wurde auch schon so praktiziert. Auch das ist Grundlage unseres diesjährigen Themas: Jung und Alt, gemeinsam das Leben gestalten - unsere Zukunft.

Ein weiteres und für mich sehr wichtiges Thema ist der Umgang miteinander. Der Grundstein dafür wird in den Familien gelegt. So, wie wir unseren Kindern Achtung vor unseren Eltern vorleben, können wir erwarten, dass unsere Kinder später einmal mit uns umgehen werden. Als neuntes Kind einer Großfamilie wurde ich beizeiten zur Achtung gegenüber alten Menschen erzogen. Das habe ich an meine Kinder und Enkelkinder weitergegeben.

In unzähligen generationsübergreifenden Gesprächen konnten wir über diese Probleme sprechen und Gott sei Dank immer wieder feststellen, dass unsere Jugend lange nicht so schlimm ist wie ihr Ruf. Jugendliche äußerten unlängst ihr Unverständnis über die in der Presse veröffentlichten Redebeiträge und Forderungen von Bundestagsabgeordneten. Das ist ein Spiel mit dem Feuer, denn wenn dieses Thema nicht gut moderiert wird, werden wir uns daran verbrennen. Aus diesem Grund wird die SPD dieses Thema weiterhin realistisch begleiten. Danke.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herzlichen Dank. - Wir sind damit am Ende der Debatte zur Aktuellen Stunde angelangt. Ich schließe Tagesordnungspunkt 1 und rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde

Drucksache 4/1347 Drucksache 4/1348 Drucksache 4/1349 Drucksache 4/1289

Es liegen drei Dringliche Anfragen vor; die ursprünglichen Anfragen 15 und 19 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Wir beginnen mit der Dringlichen Anfrage 16 (Miss- verhältnis bei Mitteln für Gewaltopfer), Drucksache 4/1347, gestellt vom Abgeordneten Dr. Scharfenberg von der PDSFraktion.

Bevor ich ihm das Wort erteile, darf ich Sie an unsere gestrige Fragestunde erinnern. In einer Stunde wurden nur sechs Fragen beantwortet, das heißt, jede Antwort beanspruchte zehn Minuten. In der Anlage 2 zur Geschäftsordnung wird unter Punkt 10 ersucht, dass die Antworten nicht länger als fünf Minuten dauern. Ich richte an dieser Stelle also einen Appell an die Regierungsmitglieder, in der Fragestunde keine Grundsatzreferate zu halten.

(Beifall bei der PDS)

- Herr Dr. Scharfenberg, ich gebe Ihnen das Wort.

Ich nehme das nicht persönlich. - In einer Erklärung hat der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion ein angebliches Missverhältnis bei der Mittelaufteilung zwischen Gewaltopfern, minderjährigen Sexualopfern und Opfern rechtsextremer Gewalt festgestellt. Herr Petke errechnete, dass für die Opferhilfe allgemein 33,20 Euro pro Gewaltstraftat und für die minderjährigen Opfer von Sexualstraftaten 24,80 Euro je Straftat

aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt würden. Dagegen habe der Verein Opferperspektive Land Brandenburg für die Opfer rechtsextremer Gewalt 2 219, 88 Euro pro Straftat erhalten. Die CDU-Fraktion leitet daraus die Schlussfolgerung ab, dass die Mittel für Opfer von Gewalttaten neu verteilt werden müssten.

Ich frage die Landesregierung: Sieht sie das Erfordernis einer Neuverteilung der Mittel für Opfer von Gewalttaten?

Für die Landesregierung antwortet die Justizministerin. Bitte, Frau Blechinger.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Scharfenberg, es ist keine drei Wochen her, dass wir den Haushalt für die Jahre 2005 und 2006 verabschiedet haben. Dieser Haushalt sieht Zuwendungen zum Projektfeld Opferberatungen und Täter-Opfer-Ausgleich in Höhe von 45 000 Euro vor. Die Förderung von Institutionen ist nicht vorgesehen. Die Zuwendungen aus der Lottokonzessionsabgabe sind projektbezogen.

Die Frage, welche Institution eine Zuwendung erhält, stellt sich damit nicht. Vielmehr lautet die Frage: Welche Projekte werden gefördert? Aufgrund des neuen Haushalts ergibt es sich aus der Natur der Sache, dass die vorhandenen Haushaltsmittel neu verteilt werden müssen. Wenn wir das berücksichtigen, lautet die Antwort auf Ihre Frage, Herr Dr. Scharfenberg, mit Blick auf die Landeshaushaltsordnung: Ja.

Die Regeln der Haushaltsbewirtschaftung zwingen uns jährlich zu einer Neuverteilung. Da diese Antwort Sie wenig befriedigen wird, hole ich - eingedenk der eben ergangenen Ermahnung - etwas weiter aus. Ich sagte bereits, wir gewähren Zuwendungen für definierte Projekte. Im Bereich der Opferbetreuung bedeutet das, dass der Bedarf des Opfers einer Gewalttat an Betreuung nach Art und Umfang selten von der Struktur des Täters abhängt, sondern von der persönlichen Situation des Opfers. Entsprechend individuell ist der Betreuungsaufwand. Bei einer sachgerechten Förderung der Betreuung von Opfern ist das zu berücksichtigen. Insofern ist es wenig sinnvoll, Opfergruppen von unterschiedlichen Straftaten zu bilden und ihnen unterschiedliche Wertigkeiten zuzumessen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Klocksin [SPD])

Andererseits ist die Spezialisierung von Betreuung und Beratung sinnvoll. Die Betreuung kindlicher Opfer sexueller Übergriffe erfordert eine andere Herangehensweise als die Betreuung erwachsener Opfer eines schweren Raubes. Deshalb fordern wir Projekte und zahlen nicht für Einzelberatung.

Bei der Prüfung der Projekte haben wir vieles im Blick zu behalten. In der Vergangenheit hat der Verein „Opferhilfe“ ein nahezu flächendeckendes Netz von Beratungsstellen aufgebaut, mit Abstand die meisten Opfer betreut, die umfangreichsten Projekte angemeldet und von uns die höchste Förderung erhalten. Dennoch ergibt sich daraus kein Automatismus. Die Projekte müssen zur Förderung angemeldet werden und die angemeldeten Projekte müssen eine Reihe konkreter Voraussetzungen erfüllen. Die Förderrichtlinien des Landes sind ein kom

plexes Kompendium und die uns vorliegenden Anträge sind zum Teil noch nicht entscheidungsreif.

Uns liegen keine Projektanmeldungen vor, in denen ein Träger von uns einen bestimmten Betrag für jedes betreute Opfer fordert oder die Betreuung aller Opfer von Straftaten übernehmen will. Alle Anträge beschränken sich inhaltlich, räumlich oder zeitlich auf Teilsegmente der Opferbetreuung. In keinem der Projekte kann man im Vorhinein sagen, wie viele Opfer sich an die jeweiligen Träger wenden und wie hoch der Betreuungsbedarf sein wird.

Wir suchen - wie auch die beteiligten Vereine - nach Möglichkeiten der Koordinierung und sind bemüht, mit den wenigen uns zur Verfügung stehenden Mitteln einen möglichst großen Effekt zu erzielen. Gegenüber dem Vorjahr hat sich auch hier einiges - nicht nur das Volumen der verfügbaren Mittel - geändert. Selbstverständlich kontrollieren wir die Effizienz der Förderung, wozu wir verpflichtet sind. Jedes Jahr müssen wir uns erneut darüber Gedanken machen, wie wir den viel zu kleinen Fördertopf verteilen. Auch vor diesem Hintergrund muss die Antwort auf Ihre Frage lauten: Ja, eine Neuverteilung der verfügbaren Mittel auf die Projekte zur Opferbetreuung ist aus der Natur der Sache heraus unumgänglich. - Vielen Dank.

Vielen Dank. Es gibt eine Nachfrage des Fragestellers, Dr. Scharfenberg. Bitte sehr.