Protocol of the Session on April 14, 2005

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 13. Plenarsitzung des Landtags und begrüße als Erstes die Gäste zu unserer heutigen Plenarsitzung. Es ist eine 10. Klasse aus der schönen Spargelstadt Beelitz. Für euch beginnt jetzt die schöne Zeit. Der Spargel sprießt. Ich wünsche euch einen interessanten und informativen Vormittag bei uns.

Des Weiteren begrüße ich eine Reihe von Soldaten vom Truppenübungsplatz Wittstock, einer Gegend, die im öffentlichen Interesse steht. Auch Ihnen wünsche ich einen interessanten Vormittag.

(Allgemeiner Beifall)

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich einige Mitteilungen zu machen. Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich darauf verständigt, zum Tagesordnungspunkt 9 - Parlamentarische Kontrollkommission - keine Debatte zu führen. Das spart uns etwas Zeit, die wir auch dringend benötigen, denn die Tagesordnungspunkte 10, 11 und 12 sind noch hinzugekommen. Dabei geht es um die Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses - auch das soll ohne Debatte geschehen -, um die Wahl von Mitgliedern des Beirats zur Unterstützung des Ministeriums der Finanzen in allen wesentlichen Angelegenheiten des Sondervermögens gemäß § 4 des Gesetzes über die Verwertung der Liegenschaften der Westgruppe der Truppen - auch dies ohne Debatte - und um die Wahl von Mitgliedern des Beirats der Investitionsbank des Landes Brandenburg.

Die übrigen Tagesordnungspunkte liegen Ihnen gedruckt vor. Wenn Sie mit dieser Tagesordnung einverstanden sind, bitte ich Sie um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Damit ist die Tagesordnung in der geänderten Fassung einstimmig angenommen.

Wie gestern gibt es auch heute eine lange Reihe von Abwesenheitserklärungen, die ich Ihnen nicht im Einzelnen vortragen werde. Ich erinnere aber an das, was ich gestern zu diesem Sachverhalt gesagt habe.

Wir steigen in die Tagesordnung ein und beginnen mit Tagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Stunde

Thema: Erfahrungen mit der Umsetzung von Hartz IV und notwendige Korrekturen

Antrag der Fraktion der PDS

Der Vertreter der PDS-Fraktion eröffnet die Debatte. Herr Abgeordneter Otto, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Werte Gäste! Hundert Tage Hartz IV zeigen, wie

Recht die PDS mit ihrer grundlegenden Einschätzung hatte, dass Hartz IV im Verbund mit Hartz I bis III keine wirkungsvolle, nachhaltige Strategie im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit ist. Die jüngsten Arbeitsmarktdaten bestätigen das.

Im Gegenteil! - Hundert Tage Hartz IV sind hundert Tage Sozialabbau, sind hundert Tage Bankrotterklärung einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik und sind hundert Tage Erniedrigung und Ausgrenzung der Betroffenen.

(Beifall bei der PDS)

Die Fehleinschätzung bei der Zahl der Anspruchsberechtigten, die Vielzahl falscher Bescheide, erste Gerichtsurteile zur Verfassungswidrigkeit, das unwürdige Schwarzer-Peter-Spiel mit den Kommunen, der verspätete Versand von nachgeordneten Anträgen, erhebliche statistische Lücken und völlig aus dem Ruder laufende Kosten zeigen, das Hartz IV zunehmend zum Damoklesschwert für die rot-grüne Koalition wird.

Nicht die Umsetzung des Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, sondern das Gesetz an sich ist das Problem. Rechtsgutachten von gesellschaftlichen Organisationen und der PDS machen deutlich, dass wesentliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, insbesondere bezüglich der Verletzung des Sozialstaatsgebotes.

Anfang des Jahres wurde die weitgehend gelungene Auszahlung des Arbeitslosengeldes II von Minister Clement und anderen geradezu euphorisch als erfolgreiche Umsetzung von Hartz IV bejubelt. Das zeigt exemplarisch, wie weit ursprünglicher Anspruch und Wirklichkeit auseinander gehen. Natürlich sind hanebüchene Fehler bei der Umsetzung, Fehler durch Bedienstete ein Ärgernis und eine Zumutung für Betroffene. Für manche Hartz-IV-Verfechter im Bund und im Land scheinen sie aber eher willkommener Anlass zu sein, um von Kernproblemen der so genannten Arbeitsmarktreform abzulenken.

Es lässt sich trefflich über Kommunalpolitiker schimpfen zum Beispiel in der Uckermark - die übers Ziel hinaus schießen. Ein Dachstuhl aus ungeeignetem Holz wird jedoch nicht dadurch besser, dass man die Zimmerleute beschimpft. Das Holz muss ausgetauscht werden.

(Beifall bei der PDS)

Das Kernproblem liegt in den von einer großen politischen Koalition gewollten Kürzung und Verweigerung von Leistungen. Hartz IV und Haushaltssanierung gehen nicht zusammen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Auch die Landesregierung hat dies in der Grundrichtung so gewollt und mit beschlossen, und zwar im Wissen darum, dass die Arbeitsplätze, auf die schneller vermittelt werden soll, im Land einfach nicht vorhanden sind, im Wissen darum, dass die Leistungssätze im Osten um 14 Euro niedriger sind als im Westen, im Wissen darum, dass viele Betroffene gar keine Leistungen mehr erhalten, im Wissen darum, dass die 58er-Regelung, die bislang praktiziert wurde, ausläuft, und im Wissen darum, dass Frauen, Kinder und ältere Arbeitslose am stärksten betroffen sind.

Die Philosophie von Hartz IV „Fördern und Fordern“ besteht in der Praxis aus Leistungskürzungen, Sanktionen und Zwang. Die Nagelprobe für die Reform ist die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigung. Wenn sich da nicht bald sichtbare Erfolge einstellen, nutzt auch die beste Verwaltung, von der man übrigens noch weit entfernt ist, nichts.

Dazu nur einige Stichworte: Erhöhte Fallzahlen, erhöhter Aufwand. Die Kommunen befürchten, auf den erhöhten Kosten sitzen zu bleiben.

Die geplanten Betreuungsschlüssel von 1 : 75 und 1 : 150 sind nicht erreicht worden.

Jugendliche, die bis Ende März in eine Maßnahme eingewiesen werden sollen, sind nur mit 50 % abgesichert.

Die Arbeitsmarktprojekte der Kommunen entstehen gerade erst. Die Eingliederungsmaßnahmen sind in der Akquise und die vorhandenen wenigen Maßnahmen richten sich hauptsächlich an Jugendliche. Alle anderen bleiben auf der Strecke.

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Problematik des Verhältnisses zwischen Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird. ARGEn, Kommunen und Optionsgemeinden streiten sich vor allen Dingen darüber, wie die Ausbildungsvermittlung erfolgen soll.

Bei der Bearbeitung von Widersprüchen gibt es einen erheblichen Bearbeitungsstau.

Nichtleistungsbezieher - darunter viele Frauen - sind rechtlich schlecht gestellt: Sie haben kaum eine Chance auf Vermittlung und können den Anspruch auf Kranken- und Rentenversicherung verlieren.

Offener Regelungsbedarf, Informationsdefizite bei den Bearbeitern und Betroffenen führen zu einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit.

Hartz IV ist im Dezember 2003 beschlossen worden. Sie haben der PDS im letzten Jahr immer wieder Panikmache vorgeworfen. Inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Politiker der SPD oder der CDU Nachbesserungen fordert: Angleichung der Regelsätze Ost und West, bessere Zuverdienstmöglichkeiten, eine Lösung für die über 58-Jährigen usw. Tatsächliche Nachbesserung - Fehlanzeige. Die Betroffenen werden hingehalten und vertröstet und möglicherweise in wahltaktischen Erwägungen aufgerieben.

(Beifall bei der PDS)

Wie sehr sich die Hartz-IV-Befürworter in das enge Korsett ihrer verfehlten Politik gezwängt haben, zeigt die aktuelle Debatte um die Zuverdienstmöglichkeiten. Es liegen nicht nur unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch; vielmehr werden sofort jene auf den Plan gerufen, die Befürchtungen um die Niedriglöhne bei den Vollbeschäftigten äußern.

(Schippel [SPD]: Das machen die Gewerkschaften!)

Diese Angst können wir Ihnen nehmen, wenn Sie eine ernsthafte Debatte um gesetzliche Mindestlöhne führen. Selbst im konservativen England war dies möglich.

(Frau Dr. Schröder [SPD]: Sie wird doch gerade geführt!)

- Hoffentlich wird sie richtig geführt. - Ein zentraler Ansatzpunkt im Sozialgesetzbuch II ist der Zugang erwerbsfähiger Sozialhilfeempfänger zu Vermittlungs- und Eingliederungsleistungen. Die Zweiklassengesellschaft der Arbeitslosen sollte endlich der Vergangenheit angehören. Hinsichtlich dieses Ziels hat Ihnen die PDS sogar zugestimmt. Aber wurde dieses Ziel erreicht? Kann und soll es überhaupt erreicht werden? Wir haben begründete Zweifel.

Wer einmal im Arbeitslosengeld II steckt - egal, ob er aus der Sozialhilfe, der Arbeitslosenhilfe oder im nächsten Jahr aus dem Arbeitslosengeld I kommt -, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit darin gefangen bleiben. Dafür sorgen schon die fehlenden Arbeitsplätze und die „Strafe“, die die Bundesanstalt für Arbeit für jene zahlen muss, die vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II rutschen. Was bleibt den Empfängern von Arbeitslosengeld II übrig? 1-Euro-Arbeitsgelegenheiten und die neuen Programme zur Sicherung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit, also nichts, was in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung führt.

Die PDS-Fraktion hat im Oktober letzten Jahres ein umfangreiches Korrekturpaket zum Sozialgesetzbuch II vorgelegt. Dieses Paket bleibt für uns weiterhin aktuell. In unserer Antragstellung werden von den unterschiedlichsten Änderungsanträgen zum Hartz-IV-Gesetz aus den unterschiedlichsten politischen Bereichen bestärkt,

(Beifall bei der PDS)

aber wir beschränken uns nicht nur darauf, denn die mindestens genauso wichtige Seite ist die aktive Arbeitsmarktförderung; die Betonung liegt auf „aktiv“. Selbstverständlich sind die Handlungsmöglichkeiten des Landes hierbei beschränkt und im Zuge des Hartz-IV-Gesetzes sogar noch kleiner geworden. Trotzdem hat das Land immer noch 100 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds zur Verfügung, mit denen sinnvolle Maßnahmen und Projekte gefördert werden können.

(Schulze [SPD]: Über die Hälfte davon ist doch für die Erstausbildung von Jugendlichen bestimmt!)

Nach unserem Eindruck hat die Landesregierung ihren Platz unter den Akteuren der aktiven Arbeitsmarktpolitik noch nicht wieder gefunden. Wir werden im Zusammenhang mit den Landesprogrammen darauf näher eingehen. An dieser Stelle mache ich nur einige kurze Anmerkungen. Die Landesregierung spricht von drei neuen Schwerpunkten: der Regionalisierung, dem Programm „Aktiv für Arbeit“ und der Qualifizierung der Fallmanager.

Was die Fallmanager angeht, so vertreten wir nach wie vor den Standpunkt, dass die von der BA an die Kommunen bzw. die Träger gegebenen Mittel genutzt werden sollten, um die Programme für über 50-jährige Langzeitarbeitslose einschließlich der Nichtleistungsbezieher aufzustocken.

Aktuelle Äußerungen aus der SPD-Fraktion fokussieren eindeutig auf die Förderung von 1-Euro-Jobs, was mich doch verwundert. Natürlich ist die Nachfrage nach den so genannten Arbeitsgelegenheiten groß, aber doch nur deshalb, weil es andere nach dem Sozialgesetzbuch II vorrangige Maßnahmen kaum gibt. Wir wollen niemandem Chancen verwehren, sind jedoch dagegen, Hoffnungen auf „richtige Arbeit“ mit einem

drei- bis sechsmonatigen Zubrot abzufertigen und Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitmarkt zu gefährden.

(Beifall bei der PDS)

Schon jetzt liegt der Förderschwerpunkt viel zu einseitig auf diesem Instrument. Sollen noch mehr Jobs dem 1-Euro-Job als vermeintlichem Allheilmittel zum Opfer fallen? Soll die Kofinanzierung weiterhin beim Maßnahmeträger statt beim Arbeitslosen ankommen? Sollen damit die relativ teuren AB-Maßnahmen ersetzt werden? Die PDS verfolgt einen anderen Ansatz.

Auf dem ersten Arbeitmarkt - ich glaube, darüber sind wir uns alle einig - werden auf kurze Sicht nicht genügend Arbeitsplätze entstehen, um die Arbeitslosigkeit deutlich zu senken. Wir wollen deshalb sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze über gemeinwohlorientierte Arbeitsförderprojekte schaffen. Der Bedarf bei Vereinen, Verbänden, gemeinnützigen Projekten, Selbsthilfegruppen und vor allen Dingen bei den Menschen ist vorhanden. Das soziokulturelle Angebot vor Ort kann damit wesentlich verbessert werden. Das Wichtigste: Über 1 000 Menschen könnten damit die Chance erhalten, der Dauerarbeitslosigkeit für zwei Jahre zu entrinnen, hätten Chancen der beruflichen Entwicklung, leisteten Beiträge zum sozialen Sicherungssystem und stärkten die Kaufkraft.