Vielen Dank, Herr Minister Woidke. - Wir kommen zur Dringlichen Anfrage 8 der Abgeordneten Gregor von der SPD-Fraktion. Es liegt mit der Frage 247 (Kehrtwende in der Struktur- politik zulasten des äußeren Entwicklungsraumes) eine inhaltlich gleich lautende Frage der Abgeordneten Hesselbarth vor.
Gemäß Anlage 2 Nr. 2 der Geschäftsordnung werden beide Fragen zusammen beantwortet und die Frage der Abgeordneten Hesselbarth als erste gestellt. Bitte, Frau Abgeordnete Hesselbarth.
Wir haben es in der heutigen Aktuellen Stunde schon gehört: Der Ministerpräsident hat auf einer SPD-Klausurtagung verkündet, dass es für Brandenburg ein neues Leitbild geben wird. Danach sollen nur noch die Metropolenregionen gefördert werden.
Ich frage deshalb die Landesregierung: In welcher Weise ist diese Aussage des Herrn Ministerpräsidenten mit dem strukturpolitischen Leitbild der dezentralen Konzentration vereinbar?
Ich rufe die Dringliche Anfrage 8 (Förderung berlinferner Räume) auf, die Frau Abgeordnete Gregor von der SPD-Fraktion stellt.
Die zum Teil überhitzte Berichterstattung der letzten Tage wie auch die Aktion von Populisten, die auf Marktplätzen in berlinfernen Regionen Apfelsinen verteilten, veranlassen mich zu der Nachfrage. Vor allem aus dem Bereich der Wirtschaft wird die Frage laut, ob die berlinferne Region in Zukunft nicht mehr gefördert wird.
Deshalb frage ich die Landesregierung: Wie stellen Sie sich vor, die Wirtschaft in den berlinfernen Regionen in Zukunft zu fördern und zu unterstützen?
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in unserem Lande eine Diskussion begonnen, von deren Notwendigkeit ich fest überzeugt bin. Diese Landesregierung ist nach den Wahlen nicht unter dem Motto „Weiter so!“ angetreten. Wir haben uns eine ganz klare Zielstellung gegeben: Alles, aber auch wirklich alles, was wir tun können, werden wir tun, damit in unserem Lande mehr Arbeitsplätze entstehen bzw. bestehende Arbeitsplätze gesichert werden. Wir haben auch gesagt: Wir werden unter der Überschrift „Wirtschaft hat Vorfahrt“ alles tun; denn nur so entstehen Arbeitsplätze. Anders kann es aus meiner Sicht in den nächsten Jahren nicht laufen.
Die Ansätze, die bisher Gültigkeit hatten, haben dafür gesorgt, dass es in unserem Lande an vielen Stellen durchaus auf- und ausbaufähige Fundamente gibt. Aber die Zeiten ändern sich, und ich denke, darauf muss die Politik reagieren.
Meine Damen und Herren, wir müssen in den nächsten Jahren alle Kraft darauf verwenden, die Stärken unseres Landes und seiner Regionen zu stärken. Dabei müssen wir unsere Schwä
chen kennen, aber es geht vor allen Dingen darum, die Stärken zu stärken und dafür zu sorgen, dass in bislang strukturschwachen Regionen auch Profile geschärft werden. Das gehört heutzutage unbedingt dazu, wenn man wirtschaftlich überleben will. Nur so können wir Zukunft sichern.
Meine Damen und Herren, diese Debatte und auch die Folgen spielen sich selbstverständlich nicht nach dem Schwarz-WeißMuster ab. Aber wir müssen damit leben, dass zumindest am Beginn einer solchen Diskussion immer erst einmal ein solches Schwarz-Weiß-Muster vorherrscht. Das liegt fast in der Natur der Dinge, und wer Angst vor Missverständnissen hat oder davor, fehlinterpretiert zu werden, der wird eine gesellschaftliche Debatte einfach nicht führen. Das wäre jedoch verheerend für die Entwicklung unseres Landes. Deshalb werden wir diese Diskussion führen.
Meine Damen und Herren, was sind die Bedingungen, auf die wir uns einstellen müssen? Es sind mindestens drei; mehr kann ich im Rahmen einer Fragestunde nicht ventilieren. Das ist erstens die demographische Herausforderung, die auf Brandenburg mindestens vierfach niederprasselt, sage ich etwas salopp. Die Gesellschaft wird älter und hat zu wenig Kinder; das gilt in ganz Deutschland, ja leider beinahe in ganz Europa, und stellt ein Problem dar.
Zweitens kommt der Geburtenknick von 1990 zum Tragen. Er betrifft nicht ganz Deutschland, stellt aber eine riesige Herausforderung dar, wenn von einem Schuljahr zum anderen - derzeit sind es noch Schuljahre, bald werden es Jahre im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sein - 50 % der Heranwachsenden fehlen. Bevölkerungsforscher sagen, so etwas habe es seit dem Dreißigjährigen Krieg in unserer Region nicht gegeben.
Als Drittes kommt ein eher brandenburgspezifisches Problem hinzu: Unsere bisherigen Ansätze reichen nicht mehr aus, um der Abwanderung, vorzugsweise junger Leute, Einhalt zu gebieten. Wir haben im letzten Jahr 20 000 junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren verloren. Meine Damen und Herren, da kann man nicht einfach sagen: „Weiter so!“, sondern muss sagen: Die bisherigen Ansätze haben nicht getragen. Der Prozess, den ich eben beschrieben habe, findet nicht in der Zukunft statt, sondern er hat stattgefunden und findet in der Gegenwart statt.
Das vierte demographische Problem, das Brandenburg vor eine große Herausforderung stellt - in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen spielt das keine große Rolle -, sind die Binnenprozesse, die Wanderungen im Lande. Sie haben natürlich etwas mit Berlin und seiner Lage in der Mitte unseres Landes zu tun. Wenn sich eine Dreieinhalb-Millionen-Stadt im Zentrum eines Landes befindet, dann setzen Wanderungsprozesse ein, die sich von Wanderungsbewegungen in anderen Ländern, in denen die Zentren relativ gleichmäßig verteilt sind - in Sachsen zum Beispiel - unterscheiden.
Allein schon diese vier demographischen Herausforderungen für unser gesamtgesellschaftliches Dasein zwingen uns geradezu zu der Erkenntnis, dass wir uns für die Zukunft sehr viel einfallen lassen müssen. Aber das genügt noch nicht. Wir haben es mit den Folgen der Globalisierung zu tun. Auf eine Formel gebracht: In Deutschland, speziell in Ostdeutschland, müssten herkömmliche Produkte künftig billiger zusammengeschraubt werden, als es beispielsweise in Osteuropa geschieht. Aber das wird uns nicht gelingen, denn das hieße, wir müssten
in einen Niedriglohnwettbewerb einsteigen, der unsere Gesellschaft atomisieren würde. Wir können also nur den zweiten Weg gehen, nämlich den, besser zu sein als die anderen, die Nase vorn zu haben, immer einen Tick voraus zu sein. Das ist nun einmal nur durch eine Konzentration der Mittel bzw. mit Investitionen in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Hochtechnologie zu erreichen. Sonst werden wir nicht besser sein. Und wenn wir nicht besser sind, werden wir in Zukunft nicht bestehen können.
Der dritte Komplex betrifft den Finanzbereich. Auch das müssen wir ganz realistisch sehen: Der Umfang der zur Verfügung stehenden Fördermittel und die Finanzvolumina gehen zurück und wir müssen schon heute - ob man sich beliebt oder unbeliebt macht, muss dabei zweitrangig sein - den Blick auf 2020 richten. Unser Land muss bei Strafe seines Nicht-mehr-Vorwärtskommens bis 2020 nicht nur auf eigenen Füßen stehen, sondern auch laufen gelernt haben. Das realistisch darzustellen sind wir den Menschen in unserem Lande schuldig. Das, was wir jetzt begonnen haben, soll dazu dienen - anders, als dieser oder jener unterstellt, vermutet oder vielleicht auch fürchtet; in einer solchen Situation sind diese Befürchtungen ja auch verständlich -, die innere Einheit unseres Landes auch in Zukunft zu wahren und überall lebenswerte Regionen zu haben: im Norden, im Süden, im Westen und im Osten. Aber ich sage noch einmal: Mit einem „Weiter so!“ werden wir das Ziel nicht erreichen. Das zeigen die Prozesse, die in den letzten Jahren abgelaufen sind.
Meine Damen und Herren, es wird immer wieder Gegenteiliges behauptet, aber ich stehe dazu: Ich werde mich sehr darum bemühen, dass sich unser emotionales Verhältnis zu Berlin bzw. das Verhältnis der deutschen Hauptstadt zu seinem Umland bessert. Denn wir können doch froh sein, dass wir eine Dreieinhalbmillionenstadt in unserer Mitte haben, die noch dazu die deutsche Hauptstadt ist. Ich möchte mir unser Bundesland in seiner Entwicklung nicht vorstellen, wenn ich mir Berlin dabei wegdenke. Dann hätten wir noch wesentlich größere strukturelle Probleme.
Das muss man auch einmal aussprechen dürfen, ohne gleich in Verdacht zu geraten. Ich bin froh, dass wir Berlin in unserer Mitte haben, und ich möchte, dass wir unser Land zusammen mit Berlin entwickeln.
Das ist keine Aussage gegen irgendeine andere Region, sondern die Wirkungen, die von Berlin und seinem Umland ausgehen, helfen, wenn wir es klug angehen, unser gesamtes Land zu stabilisieren. Einige Landkreise, die das Glück haben, Berlin-Anrainer zu sein und daher auch die Tiefe ihres Landkreises mit entwickeln konnten, sagen selbst, dass sie das ohne die von mir angesprochenen Impulse in dieser Stringenz und in dieser Klarheit nicht vermocht hätten. Das muss man doch in diesem Land einmal sagen dürfen. Das dürfen wir nicht verschweigen, sondern wir müssen damit aktiv umgehen und diesen Prozess aktiv ausgestalten. Er nutzt dem ganzen Land - bis zur äußersten Grenze.
(Frau Tack [PDS]: Ist das eine Regierungserklärung oder eine Aktuelle Stunde? - Weitere Zurufe von der PDS)
- Er passt zum Thema Schwarz-Weiß-Schema. Schnell wird gesagt: Manche Bereiche fallen aus der Förderung völlig heraus. Damit wird das Gefühl vermittelt, es komme dort kein Pfennig mehr an. Ich will nur drei Punkte nennen, um etwas zur Relativierung beizutragen. Die Förderung des ländlichen Raumes gilt für das gesamte Land, für jede Region und beträgt bis 2010 immerhin über 1 Milliarde Euro. Man kann es nicht genau beziffern, weil noch nicht feststeht, ob die EU-Mittel fließen, aber über 1 Milliarde Euro wird mit Sicherheit zur Verfügung stehen. Herr Dr. Woidke wird dazu noch ausführen. Insbesondere soll auch das Gewerbe in die Förderung einbezogen werden; die Mittel sollen konzentrierter verwendet werden und somit mehr Chancen bieten.
Meine Damen und Herren, es wird selbstverständlich auch in der Tiefe des Landes künftig überall Schlüsselzuweisungen geben, und zwar - wie es den Verfassungsgrundsätzen entspricht für jede Stadt und jede Gemeinde auskömmliche Schlüsselzuweisungen. Wir haben, um ein drittes Beispiel zu nennen, die Tourismusförderung, die in der Tiefe des Landes wirkt. Ich könnte weitere Beispiele nennen, damit einmal klar wird, dass es das Schwarz-Weiß-Schema nicht gibt. Die Grundförderung wird es überall weiterhin geben. Ich glaube, wir müssen darüber reden, wie wir, wenn wir Stärken stärken wollen, die uns zur Verfügung stehenden Mittel konzentrieren.
Wohin wollen wir sie lenken? Wie wollen wir sie organisieren, damit sie effektiver eingesetzt werden, damit mehr Arbeitsplätze daraus entstehen, damit wir wirklich mehr Zukunft sichern können? Die Debatte darüber ist überfällig. Ich meine, was die Kollegen Szymanski und Junghanns gestern vorgestellt haben, zeigt sehr deutlich, dass hier mitnichten irgendeine Region abgehängt wird, sondern dies gute Ansätze für eine gesamtgesellschaftliche Debatte sind, die darauf zielt, unser Land insgesamt nach vorn zu bringen.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Trotz Ihrer ausführlichen Darlegungen gibt es weiteren Informationsbedarf. Herr Domres, bitte.
- Es war leider nicht zu erkennen, weil Sie nicht stehen geblieben sind. Ich sehe nur die Meldung vom Mikrofon 5. Wir haben unlängst darüber gesprochen. - Herr Domres, bitte haben Sie noch etwas Geduld. Die Fragestellerin hat natürlich zunächst das Nachfragerecht.
Herr Ministerpräsident, wollen oder dürfen Sie in den Aktuellen Stunden nicht mit einer demokratisch gewählten Partei in diesem Landtag reden?
Eine zweite Frage: Sie haben in Ihren Ausführungen unter anderem gesagt, dass wir uns sehr viel einfallen lassen müssen. Was genau, wie genau? Alles, was Sie gesagt haben, war einfach zu unkonkret. Die Menschen in diesem Land möchten wissen, was genau Sie sich einfallen lassen und wie Sie das umsetzen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es leuchtete eben die rote Lampe, deshalb habe ich meinen Redebeitrag beendet.
Ich will nur sagen, dass die Entwürfe für ein neues Leitbild als Grundlage für die Debatte in unserem Land gestern ausführlich vorgestellt und aus meiner Sicht heute auch sehr ausführlich in Zeitungen unseres Landes wiedergegeben worden sind. Mit Verlaub, Herr Heinze, als erfahrener Mann hier in diesem Lande sollten Sie das wissen, und nicht behaupten, seit Sonntag habe die Landesregierung angefangen zu arbeiten.
Wir haben natürlich seit Bildung der Koalition - das haben wir gestern bereits gesagt - an genau dieser Umsteuerung gearbeitet. Wir haben aber auch gesagt - ich kann mir nicht vorstellen, dass das nicht in Ihrem Sinne ist -, dass wir das vor uns Liegende einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion unterziehen wollen. Wir werden mit diesen Vorstellungen, die die Kollegen gestern hier geäußert haben, in die Regionalen Planungsgemeinschaften gehen. Wir werden mit den Landräten, mit den Verbänden und den Kammern reden. Wir werden uns in den nächsten Wochen dafür Zeit nehmen, weil wir auf diesem Weg keine Idee - das neue Leitbild ist ja noch in der Entstehung - aus keiner Region verlieren dürfen.
Wir müssen aber auch, Herr Heinze, den Mut haben zu sagen, was nicht passieren darf, denn anderenfalls würden wir den vor uns stehenden Herausforderungen nicht gerecht werden. Wenn wir auf Ideen eingehen, darf es nicht passieren - um bei der zentralörtlichen Gliederung zu bleiben -, dass wir am Schluss nicht 60 oder 65, sondern wieder 150 Zentren haben. Wir müssen ein Modell entwickeln, das tragfähig und bezahlbar ist auch das gehört dazu - und welches das Land in Gänze entwickelt. Wir werden dabei - diese Möglichkeit haben wir nicht mehr - nicht auf alle Wünsche eingehen können, aber wir werden jede Idee aufnehmen. Dazu bin ich fest entschlossen.
Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass dieses Thema auf solch großes Interesse stößt, weise aber noch einmal darauf hin, dass für Nachfragen die Knöpfchen nur gedrückt werden können, während der Redner die reguläre Frage, nicht aber die Nachfragen beantwortet.