Protocol of the Session on March 2, 2005

Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich zur heutigen Plenarsitzung des Landtages Brandenburg. Vor Eintritt in die Tagesordnung begrüße ich besonders die Schüler einer 10. Klasse des Sally-Bein-Gymnasiums in Beelitz. Ich hoffe, ihr habt einen anregenden Vormittag.

(Allgemeiner Beifall)

Verehrte Abgeordnete, Ihnen liegt der Entwurf der Tagesordnung vor. Wir haben einen zusätzlichen Punkt, nämlich TOP 16 - Antrag auf Genehmigung der Mitgliedschaft von Herrn Minister Jörg Schönbohm im Landesbeirat Brandenburg der Commerzbank AG Frankfurt/Main -, aufgenommen. Es ist verabredet, diesen Punkt ohne Debatte zu verhandeln.

Gibt es Anmerkungen, Ergänzungen oder Änderungswünsche bezüglich der Tagesordnung? - Das ist nicht der Fall. Ich bitte Sie daher, der Tagesordnung per Handzeichen zuzustimmen. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist die Tagesordnung einstimmig angenommen.

Ich habe Sie über einige Abwesenheiten zu informieren. Minister Junghanns muss uns leider ab 15 Uhr verlassen. Er wird von Frau Ministerin Wanka vertreten. Ganztägig abwesend sind heute die Abgeordneten Petke, Bisky, Vietze, Münch und Karney. Ich hoffe, die Beschlussfähigkeit des Plenums wird nicht darunter leiden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Studiengebührenfreiheit im Land Brandenburg

Antrag der Fraktion der PDS

Als erster spricht der Abgeordnete Jürgens von der Fraktion der PDS.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der italienische Schriftsteller Alberto Moravia hat einmal gesagt: „Die Studenten sind die Fieberthermometer der Gesellschaft.“ Wenn er damit Recht hat, wird das Thema Studiengebühren darüber entscheiden, ob Brandenburg gesund bleibt oder ob die Fieberkurve dramatisch ansteigt. Die massiven Proteste von Studierenden gegen die Einführung von Studiengebühren zeugen jedenfalls davon, wie schnell die Temperatur steigen kann. Ihnen ist das Thema ernst und wir sollten es ernst nehmen.

(Beifall bei der PDS)

Lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen machen. Erstens: Die PDS war, ist und bleibt gegen jede Form von Studiengebühren.

(Beifall bei der PDS)

Wir sind der Überzeugung, dass Bildung jedem Menschen unabhängig von seiner sozialen Herkunft und seinen finanziellen Möglichkeiten zugänglich sein muss.

Daran schließt sich meine zweite Vorbemerkung an. Wir lassen nicht zu, dass Kinder gegen Studierende ausgespielt werden. Wir fordern beitragsfreie Bildung von der Kita bis zur Hochschule.

(Beifall bei der PDS)

In der Debatte zum Thema Studiengebühren wird oft ein wichtiger Punkt vergessen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 26. Januar dieses Jahres nicht über die Verfassungsmäßigkeit von Studiengebühren entschieden. Es hat darüber entschieden, inwiefern der Bund regeln darf, ob Studiengebühren verboten werden dürfen oder nicht. Es hat die Regelungshoheit an die Länder gegeben. Es geht also entgegen vielen Verlautbarungen immer noch um das Ob von Studiengebühren und nicht bereits um das Wie. Insofern finde ich es schade, dass sich der Ministerpräsident des Landes - und amtierender Bundesratspräsident am Tag nach dem Urteil hinstellt und sich Gedanken um das Wie macht. Wer, wenn nicht der Bundesratspräsident könnte nun als Vordenker auftreten und zwischen den Ländern vermitteln? Wer, wenn nicht der Bundesratspräsident könnte als immerhin dritthöchster Würdenträger in Deutschland laut die Frage nach dem Ob stellen und eine Diskussion befördern?

(Beifall bei der PDS)

Ich habe Sie leider nicht gehört, Herr Ministerpräsident Platzeck. Ein bisschen Tucholsky hätte Ihnen an dieser Stelle gut getan; denn: Wer diskutiert, kann verlieren. Wer nicht diskutiert, fügt sich schweigend den Forderungen anderer. Der Bundeskanzler ist da weiter. Bereits vor einem Monat hat er die Bundesländer ausdrücklich davor gewarnt, Studiengebühren einzuführen.

Ich kann Ihre Haltung, Herr Platzeck, vor allem deshalb nicht verstehen, weil es von der SPD Brandenburgs kurz vor den Landtagswahlen schon einen deutlichen Beschluss zu diesem Thema gab, in dem ein klares Nein zu Studiengebühren gefordert wurde.

(Beifall bei der PDS - Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Sehr richtig!)

Sie haben mit diesem Beschluss kräftig Wahlkampf betrieben. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass einem so mancher Beschluss eines Parteitages nicht passt. Man muss sicher eine Menge Erfahrungen in der Politik erworben haben, um sich von heute auf morgen um 180 Grad zu drehen, um ohne Weiteres Positionen von anderen blind zu übernehmen - und das alles ohne Diskussion. Ich bin froh, dass es sich meine Partei da nicht so leicht macht.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Wir als PDS haben jedenfalls noch sehr viel Tucholsky in uns. Wir werden weiterhin gegen die Einführung von Studiengebühren kämpfen und alle unterstützen, die sich daran beteiligen.

Wenn man ernstlich über Studiengebühren diskutieren will, sollten zwei Grundsätze für unser Land beachtet werden: erstens die Verpflichtung zu sozialer Gerechtigkeit und zweitens

die Vorteile, die Brandenburg von einer Gebührenfreiheit hat.

Nicht erst seit PISA wissen wir, dass kaum ein anderes westliches Land ein derart sozial selektives Bildungssystem besitzt wie Deutschland. Bildung ist in Deutschland in hohem Maße vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Das zieht sich von der Kita über die Schulen bis zur Hochschule. Nicht ohne Grund liegt der Anteil der Studierenden aus sozial schwächeren Schichten seit Jahren bei 12 bis 13 % - ein Wert, der europaweit niedrigstes Niveau darstellt.

In noch einem Wert ist Deutschland negative Spitze. Nirgendwo ist die Studierendenquote, also der Anteil der Studierenden an der Gesamtbevölkerung, so gering wie in Deutschland. Für Brandenburg sind diese Zahlen sogar noch dramatischer. Studiengebühren, ob als direkte Zahlungen oder nachgelagerte Gebühren, verschärfen diese Situation noch, und zwar vor allem, weil sie eines bewirken: Sie schrecken junge Menschen davon ab, ein Studium zu beginnen.

Studiengebühren machen aber auch aus dem öffentlichen Gut Bildung eine Ware. Wissenschaftliche Ausbildung wie Bildung generell ist ein öffentliches Gut in öffentlicher Verantwortung. Diese Erkenntnis teilen auch die europäischen Bildungsminister mit den Kommuniqués von Prag und Berlin im so genannten Bologna-Prozess. Dabei zieht sich die Gesellschaft zunehmend aus der Verantwortung und Kontrolle zurück. Bereits heute wird allein durch die Bezeichnung die Neoliberalisierung des Bildungssektors vorangetrieben. Da wird von den Studierenden als „Kunden“ gesprochen. Ich bin Student und fühle mich nicht als Kunde, schon gar nicht als König.

Da geht es um Wirtschaftlichkeit und Usability von Studiengängen sowie um Wettbewerb zwischen den Hochschulen um die „Humanressourcen“. Dieses Wort ist übrigens zu Recht Unwort des Jahres.

Zwei weitere Aspekte kommen hinzu: Familien sind schon heute Hauptlastträger der Ausbildungsfinanzierung. Die private Finanzierung von Lebenshaltungskosten ist nach dem Kölner Bildungsforscher Dohmen mit 14 Milliarden Euro etwa genauso hoch wie die staatlichen Ausgaben für die Hochschulausbildung inklusive BAföG. Der Großteil privater Mittel kommt von den Familien, ein weiterer bedeutender Teil von den Nebenjobs der Studierenden. Studiengebühren würden die Familien zusätzlich belasten. Zugleich würden die Studierenden in eine stärkere Abhängigkeit von den Eltern geraten. Dies hat negative Folgen für die Freiheit der Studienplatzwahl und der Studiengestaltung, aber auch für die Selbstständigkeit und die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden.

Studiengebühren, insbesondere Modelle der so genannten nachlaufenden Gebühren, fördern die Ungleichheit der Geschlechter. Schwangerschaft und Elternzeit benachteiligen Frauen im Vergleich zu Männern erheblich in ihrer beruflichen Karriere und haben Verdienstausfälle zur Folge. Beides führt bei gleicher studienbedingter Verschuldung zur Benachteiligung von Frauen. Hinzu kommt, dass Frauen auch noch heute durchschnittlich weit weniger verdienen als Männer und daher länger zahlen müssten. Schlimmstenfalls kann es zu einer Entscheidung zwischen Familie und Studium kommen.

All diese Gründe lassen nur einen Schluss zu: Wer sozial gerecht handeln will, muss Studiengebühren in jeder Form ablehnen.

(Beifall bei der PDS)

Die Auswirkungen von Studiengebühren können auch nicht gemildert oder sozial verträglich gestaltet werden. Es ist lächerlich, mit welchen Ideen hier Studierende beruhigt werden sollen. Gebühren sind sozial ungerecht; Gebühren schrecken ab; Gebühren führen zu Schulden - egal, ob nach dem Studium wegen der Sozialverträglichkeit 10 % weniger gezahlt werden müssen.

Ein weiterer Grundsatz hat in der bisherigen Debatte kaum eine Rolle gespielt. Dabei lohnt es sich, die Standortvorteile für Brandenburg anzuschauen. Ich habe vorhin auf die dramatischen Zahlen bezüglich der Studienanfänger hingewiesen. In Brandenburg verläuft diese Entwicklung ungleich heftiger; in unserem Land nehmen nur knapp zwei Drittel aller Abiturienten ein Studium auf. Das ist der niedrigste Wert in ganz Deutschland.

Noch problematischer ist, dass nicht einmal die Hälfte aller Studienanfänger in unserem Land bleibt. Darum, Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren, sollten wir uns kümmern!

Zu dem ohnehin großen demographischen Problem kommt also ein Akademikerproblem. Eine aus dem Jahre 2001 stammende Studie der GEW zu Akademikern in Deutschland kommt zu dem Schluss:

„Der Geburteneinbruch in den ostdeutschen Ländern war so groß, dass jedes 1994 geborene Kind zum Abitur geführt werden müsste, um den heutigen Akademikergrad halten zu können.“

Selbst die rasante Zunahme der Studierendenzahlen in den letzten Semestern reicht nicht aus, um dieses Problem zu beheben.

Die Landesregierung hat dieses Problem erkannt - bravo! Aber warum soll dann - frage ich Sie -, wenn wir zu wenig Studierende haben, die Einführung von Studiengebühren dazu führen, dass es mehr werden?

Andersherum wird ein Schuh daraus: Begreifen wir Studiengebührenfreiheit doch als Vorteil! Brandenburg könnte von der Attraktivität eines Bundeslandes ohne Studiengebühren profitieren.

Es gibt - da gucke ich wieder die SPD-Fraktion an - einen Beschluss des SPD-Parteirates vom 31. Januar 2005, in dem es heißt - ich zitiere sehr gern -:

„Die CDU schwächt mit der Einführung von Studiengebühren den Wissenschaftsstandort Deutschland und trägt dazu bei, dass Deutschland im internationalen Vergleich der Studierendenquoten weiterhin im unteren Drittel bleibt.“

Stärken wir also den Wissenschaftsstandort Brandenburg und verzichten wir auf die Einführung von Studiengebühren!

(Beifall bei der PDS)

Allerdings funktioniert das nur bei deutlich größeren Anstrengungen im Hochschulbereich. Wenn wir junge Menschen und Akademiker hier bei uns halten wollen, müssen wir zuerst investieren - mehr als es bisher der Fall war. Ohne eine deutlich bessere Personal- und Grundausstattung werden die Hochschulen den Zuwachs nicht verkraften können; sie verkraften ihn jetzt schon nicht.

Sollten Sie mir als Studenten wegen fehlender Erfahrung nicht trauen oder weil Sie annehmen, dass ich einfach zu jung bin oder weil Sie der PDS nicht glauben wollen, so glauben Sie vielleicht dem ehemaligen Außenminister von Deutschland, Hans-Dietrich Genscher. Er hat in der Sendung von Frau Christiansen gesagt:

„Deutschland hat nur eine Chance, wieder Weltniveau zu erreichen, wenn wir auf dem Gebiet der Wissenschaft Weltniveau werden. Dieses Weltniveau muss uns auch etwas wert sein.“

Wenn wir Bildung endlich als einzige Ressource Brandenburgs erkannt haben und Sie Ihre Politik dementsprechend ausrichteten, wäre Studiengebührenfreiheit ein Standortvorteil für Brandenburg.