Protocol of the Session on June 16, 2004

um nicht noch mehr Politikverdrossenheit an der Stelle zum Tragen kommen zu lassen. Also soll es ein ganz vernünftiges Gesetz geben, und zwar, wenn es geht...

Frau Kollegin, ich hatte Sie ausdrücklich gebeten!

... mit vielen Betroffenen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort geht an die Landesregierung. Herr Minister Baaske, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen guten Morgen!

(Zurufe: Guten Morgen!)

Die Situation der Langzeitarbeitslosen ist zweifelsohne in dieser Republik sehr schwierig und in Brandenburg und im Osten Deutschlands, denke ich, erst recht. Das weiß hier jeder. Ich glaube, Frau Enkelmann, das, was Sie hier gesagt haben, gerade auch gegenüber meiner Person bzw. dem, was wir in den vergangenen Wochen und Monaten dazu geäußert haben, war nicht nur demagogisch, sondern trat auch die Menschen, die davon betroffen sind, und vor allem deren Sorgen mit Füßen.

(Beifall bei der SPD - Klein [SPD]: Gerade so war es!)

Es hatte schon etwas von übler Nachrede, was Sie da abgelassen haben.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Es gibt Zeugen dafür!)

- Vor allen Dingen habe ich Sie ausreden lassen. Ich habe jetzt die Gelegenheit zum Antworten, Sie haben nachher wieder die Gelegenheit.

Das Schüren von Ängsten und Sorgen in dieser Situation hilft niemandem, erst recht nicht, wenn man sich immer nur die faulen Rosinen herauspickt und diese durch die Gegend wirft.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Das sind keine faulen Ro- sinen!)

Das macht nicht deutlich, dass wir durchaus auch Argumente haben, die dieses Gesetz unterstützen und tragen.

Ich habe auch, nachdem der Kanzler am 13. März vergangenen Jahres seine Rede gehalten hatte, sehr oft und sehr deutlich ge

sagt, dass mir der Tenor, man müsse nur Druck machen, dann bekämen die Leute schon Arbeit, überhaupt nicht gefällt. Das habe ich nicht nur hier, sondern auch an vielen anderen Orten gesagt.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Formulierung in Bezug auf die 100 Euro zum Beispiel, suggeriert doch den Menschen,

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Das war ein Beispiel!)

dass sie im nächsten Jahr nur noch 100 Euro haben. Das ist doch Blödsinn.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: So habe ich das nicht ge- sagt. Ich habe gesagt abzüglich!)

Ich habe das Beispiel hier. Es heißt ganz klar:

„Laut ALG II stehen dieser Familie im nächsten Jahr 1 093 Euro zur Verfügung.“

Man muss vielleicht dazu sagen dürfen, dass dieselbe Familie, wenn sie jetzt Sozialhilfe erhält, nur 906 Euro zur Verfügung hat, also 190 Euro dazubekommt. Es gehört auch zu dieser Reform, dass wir etwas gleichziehen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sagen, das sei jetzt der größte Sozialraub der Geschichte - wo leben Sie denn? Was haben wir hier Anfang der 90er Jahre erlebt, als die Leute alle arbeitslos geworden sind?

(Beifall bei der SPD)

Das war der große Sozialraub. Der Kaufkraftverlust, der damals eingetreten ist, ist gegen die 250 Millionen Euro, die wir jetzt ausgerechnet haben, Pipifax. Auch das muss man doch einmal sagen dürfen.

(Zurufe von der PDS)

Dieses Gesetz ist im Übrigen übermorgen ein halbes Jahr alt. Ich habe schon im vergangenen Herbst laut gesagt, welche Auswirkungen es auf die Menschen haben wird. Ich habe im Herbst auch gesagt, weil die sozialpolitischen Argumente meinerseits in Berlin nicht gezogen haben und man auch wirtschaftspolitisch argumentieren muss, dass zum Beispiel die 250 Millionen Euro an Kaufkraft verloren gehen werden. Diese Argumente habe ich im vorigen Jahr angeführt. Mir jetzt zu unterstellen, wir hätten nicht darum gekämpft, dass das im Gesetz anders geregelt wird, ist pure Heuchelei.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben gesagt, Sie wollten die Reform noch einmal erklärt haben. Ich will es jetzt versuchen.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Ach nein! - Zuruf des Abge- ordneten Vietze [PDS])

Richtig ist doch, dass wir die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe tatsächlich vollziehen müssen. Wir hatten

in den vergangenen Jahren einen Verschiebebahnhof. Der lief folgendermaßen ab: Die Sozialhilfeträger haben die Leute 360 Tage mit öffentlichem Geld beschäftigt. Danach waren sie bei den Sozialhilfeträgern ausgebucht und wurden wieder bei den Arbeitsämtern gemeldet und dort weitergeführt, aber eben auch nur in den Akten. Es hat ihnen nicht wirklich geholfen. Danach sind sie wieder Sozialhilfeempfänger geworden. Sie wurden wieder 360 Tage mit öffentlichem Geld beschäftigt. Danach wurde wieder gewechselt. Es war ein Verschiebebahnhof, ohne dass wirklich auf die Interessen der Menschen eingegangen wurde, ohne dass dafür gesorgt wurde, dass eine Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt stattfindet.

Das Nächste: Natürlich brauchen wir in dieser Republik auch beim Umgang mit Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern das Prinzip des Förderns und Forderns. Wir haben in Brandenburg Projekte mit intensiver Betreuung. Ich nenne hier nur FAIR in Fürstenwalde oder PFIFF in Zossen. Es wurde Ihnen das Beispiel Prignitz genannt. Ich kann auch PotsdamMittelmark anführen, wo wir dieses konsequent umsetzen. Daran merkt man, dass selbst in schwierigen Arbeitsmarktsituationen eine Integration von Langzeitarbeitslosen möglich ist.

Wir brauchen natürlich auch eine passgenaue Vermittlung. Wir brauchen die Dienstleistung der Behörde Arbeitsamt. Sie heißt bei mir immer noch Arbeitsamt, weil sie noch keine Agentur ist. Diese Dienstleistungsbehörde muss errichtet werden und es muss möglich sein, dass man dann passgenau vermittelt. 60 % der brandenburgischen Unternehmer melden ihre freien Stellen nicht dem Arbeitsamt, weil sie genau wissen, dass die passgenaue Vermittlung nicht funktioniert. Es gibt in jedem Monat 32 000 Menschen, die in den Markt hineingehen bzw. den Markt verlassen. 8 000 davon gehen über die BA. Das heißt doch, dass sehr viel im Hintergrund abläuft, dass viel über Mund-zu-Mund-Propaganda oder über Anzeigen in den Zeitungen geschieht, aber nicht über die Dienstleistung Arbeitsamt.

Natürlich brauchen wir auch endlich Förderinstrumente für die Langzeitarbeitslosen und die Sozialhilfeempfänger, nicht nur für die Shareholder, wie sie Gerster bezeichnete: „Meine Shareholder sind die Beitragszahler“, sondern eben auch für die, die keine Beiträge zahlen und bisher aus Steuersystemen finanziert wurden.

Natürlich müssen wir die positiven kommunalen Erfahrungen, die wir auch in Brandenburg gemacht haben, bei der Vermittlung von Sozialhilfeempfängern nutzen. Sie müssen in diese Arbeit einfließen. Das brauchen wir und darum auch diese Reform.

Jetzt brauchen wir wegen der Nachforderungen keine Krokodilstränen mehr zu weinen. Wir haben diese Forderungen, auch nach mehr Geld, im vergangenen Jahr sehr deutlich erhoben. Wir haben darum gerungen, dass wir von den 331 Euro wenigstens auf 345 Euro kommen, wenigstens den Westtarif erreichen. Auch damit konnten wir uns nicht durchsetzen. Aber jetzt zu sagen, wir hätten es nicht versucht, ist doch einfach Blödsinn.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der PDS)

Der Kompromiss war bei dem Hartz-Papier sehr schwer zu finden. Wir haben bis kurz vor Weihnachten darum gerungen. Die

Zahlen waren bis zum Ende strittig. Sie waren vom Mai des vergangenen Jahres an strittig, als die Arbeitsgruppe „Quantifizierung und Qualifizierung“ bei Eichel tagte. Schon da waren sie schwierig, schwierig nachzuweisen und schwierig zu berechnen. Aber die Situation war ganz einfach so, dass man irgendwann einmal etwas entscheiden musste. Wir haben damals schon gesagt, dass wir eine Revisionsklausel brauchen. Ich kann mich gut entsinnen, dass ich auch hier in diesem Gremium von einer solchen gesprochen habe. Jetzt haben wir sie. Es war auch vielfach die Rede davon, dass man das schon irgendwie ausrechnen könne. Jetzt haben wir die Revisionsklausel. Ich denke, damit kann es auch ganz gut funktionieren.

Ich glaube nach wie vor, dass es besser gewesen wäre, wir hätten eine vernünftige Option gefunden, das heißt, dass die Kommunen in die Lage versetzt worden wären, wenn sie denn wollten, sich selbst für diese Leistungsgewährung zuständig zu erklären.

Jetzt können wir aber hoch und niedrig springen, es wird keine vernünftige Optionsregelung geben. Ich kann jetzt, selbst wenn ich den Entwurf aus Niedersachsen nehme, nicht erkennen, dass irgendein Entwurf mehrheitsfähig wird. Noch dazu würde er keines der Probleme lösen, weil wir schlicht und ergreifend die verfassungsrechtlichen Probleme so nicht lösen können. Kein Ministerpräsident in dieser Republik wird die Verfassung dahin gehend ändern, dass nachher der Bund auf die Kommunen durchgreift und der Ministerpräsident sozusagen Regierungspräsidium wird, aber nicht mehr Ministerpräsident des Landes ist. Das wird doch so nicht passieren. Es ist doch illusorisch, darauf zu setzen.

Wir sollten jetzt nicht mehr auf Zeit spielen, sondern zusehen, dass wir so schnell wie möglich die Kooperation zwischen den Arbeitsämtern und den Kommunen hinbekommen.

Ich will aber noch einmal deutlich darauf hinweisen, Frau Enkelmann, weil Sie uns hier so angreifen und meinen, wir als Landesregierung hätten dieses und jenes nicht machen können: Hartz IV wurde am 19. Dezember im Bundesrat beschlossen.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Richtig!)

Die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Berlin haben nicht dagegen gestimmt.

(Zurufe von der PDS)