Protocol of the Session on June 16, 2004

Verzicht auf unfreiwillige Unterhaltsverpflichtungen unter Verwandten.

Dafür, dass insbesondere der erste Punkt am Ende nicht Eingang in den vom Bundesrat mitgetragenen Gesetzesbeschluss fand, ist einzig und allein die CDU/CSU verantwortlich. Wenn es nach ihr gegangen wäre, würden Eltern und Kinder gegenseitig unterhaltspflichtig, wenn Arbeitslosengeld-II-Bezug anstünde.

Des Weiteren wollte die Union den zusätzlichen Freibetrag für die Altersvorsorge in Höhe von 200 Euro pro Lebensjahr streichen.

Bei der Zumutbarkeit einer neuen Beschäftigung lag für die Union die Grenze bei „gesundheitsschädigenden Tätigkeiten“. Das, meine Damen und Herren, hat nichts mehr mit Bekämpfung von Arbeitslosigkeit zu tun; das wäre ein Kampf gegen die Arbeitslosen!

(Vereinzelt Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Uns Sozialdemokraten geht es aber in erster Linie um den Erhalt eines nach wie vor leistungsfähigen Sozialstaates, um funktionierende Strukturen, die den grundlegend veränderten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung tragen.

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU)

Niemand, auch Sie nicht, kann sich der Einsicht verschließen, dass wir die Mittel für unsere Sozialsysteme zunächst einmal erwirtschaften müssen, ehe wir sie als staatliche Sozialtransfers zielgerichtet einsetzen können.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Der vorliegende PDS-Antrag zu dieser Aktuellen Stunde blendet all dies aus und basiert auf folgender Grundargumentation: Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bringe Nachteile in Form von Einschnitten für Langzeitarbeitslose.

(Zuruf von der PDS: Stimmt!)

Arbeitslose und Kommunen würden für den Mangel an Arbeitsplätzen bestraft.

(Zuruf von der PDS: Stimmt!)

Die Leistungen für Arbeitslose stünden ab 2005 nicht zur Verfügung. Dies könne nur durch eine Korrektur der Arbeitsmarktreformen verhindert werden. Die Landesregierung müsse, so gesehen, die Interessen Betroffener und der Kommunen gegenüber der Bundesregierung vertreten.

(Zuruf von der PDS: Endlich mal!)

Meine Damen und Herren von der PDS, Sachlage ist: Ja, die Reform bringt finanzielle Einschnitte für Langzeitarbeitslose. Zu Recht weist der Ministerpräsident des Landes Brandenburg darauf hin, dass es auch Zumutungen sind, jedoch nicht generell und in sehr differenzierten Ausmaßen.

Aber - darauf legt die SPD Wert - das Sozialstaatsprinzip wird nicht aufgegeben. Grundsicherungen werden in Form von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld gewährleistet.

Jetzt hören Sie zu; denn das kommt in Ihrem Antrag nicht vor: Außerdem werden Sozialhilfeempfänger ab 2005 endlich gleichberechtigt in die Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung einbezogen; sie sind nicht mehr Arbeitsuchende zweiter Klasse.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Eine differenziertere Betrachtung der Arbeitsmarktreformen ist also dringend geboten.

Noch einmal zur Klarstellung: Die Umsetzung der Hartz-Reformen ist Sache der Bundesgesetzgebung. Die relevanten Gesetze wurden Ende 2003 beschlossen. Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wird am 1. Januar 2005 in Kraft treten. Hieran besteht kein Zweifel. Das ist geltendes Recht.

Die Finanzzahlen, die von der Bundesregierung und den Ländern im Vermittlungsausschuss zugrunde gelegt wurden, haben sich allerdings anders entwickelt, als prognostiziert worden war. Hier besteht tatsächlich Korrekturbedarf. Zur Entlastung der Kommunen wird Bundesarbeitsminister Clement morgen im Vermittlungsausschuss eine Nachbesserung sowie eine gleitende Revisionsklausel anbieten. Vor allem dieser Punkt ist aus der Sicht der Kommunen hervorzuheben; denn damit werden lange Vorfinanzierungen ausgeschlossen.

Mit den Leistungsstrukturen müssen ab 2005 aber auch die Beratungs- und Betreuungsstrukturen stehen. Das ist derzeit die größte qualitative Herausforderung bei der Umsetzung des SGB II. Hier läuft alles auf die Bildung von Arbeitsgemeinschaften hinaus, da ein Optionsgesetz aufgrund widerstreitender Interessen im Bundesrat, vor allem wegen der Verweigerungshaltung der Union, immer unwahrscheinlicher wird. Den Kommunen und den Arbeitsagenturen sind mit dem SGB II vom Bund ganz bewusst weite Gestaltungsspielräume eingeräumt worden, um lokal angepasste Lösungen zu ermöglichen. Diesen Spielraum gilt es im Interesse der Menschen auszunutzen. Doch hier gibt es in Brandenburg momentan riesige Unterschiede im Gestaltungswillen.

Zwei Wege werden beschritten: Die einen, so die Stadt Potsdam und der Landkreis Potsdam-Mittelmark, gehen mit Engagement in Pilotarbeitsgemeinschaften voran und bauen schon

jetzt aktiv jene Strukturen auf, die ab 1. Januar 2005 den Betroffenen zur Verfügung stehen sollen. In der Stadt Potsdam ist durch Absichtserklärungen zwischen Sozialamt und Arbeitsagentur bereits gesichert, dass die Kunden im kommenden Jahr nicht verschiedene Stellen anlaufen müssen. Zur Mitte des Jahres werden hier zentral zugängliche Beratungsstellen zur Vorbereitung der Systemumstellung eröffnet. Auch die Überführung der kommunalen Beschäftigungsverträge in das Jahr 2005 zur Sicherung von Maßnahmen und - hören Sie zu; darauf legen Sie doch immer so großen Wert! - Trägerstrukturen ist heute in der Stadt Potsdam bereits vereinbart. Auch in den Städten Cottbus und Frankfurt (Oder) gibt es gute Kooperationsbemühungen und erste Vereinbarungen.

Deutlich zurück dagegen fällt im Vergleich dazu die Stadt Brandenburg. Bekanntlich wollen dortige Kommunalpolitiker das Reformgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen; vielleicht war das aber auch nur eine parteipolitisch motivierte PR-Kampagne. Die Stadt beraubt sich somit selbstbestimmter Chancen und riskiert - zulasten der Arbeitslosen vor Ort -, dass es zum 1. Januar 2005 keinen reibungslosen Start in die Leistungsgewährung von Arbeitslosengeld II gibt. Auch in einigen Landkreisen wird Eigenverantwortung eher klein als groß geschrieben. Zu lange spielen sich die Mitarbeiter der Kreise und der Arbeitsagenturen vor Ort gegenseitig die Bälle zu, ohne sie wirklich aufzunehmen. So lassen sich die viel kritisierten Verschiebebahnhöfe für Langzeitarbeitslose mit Sicherheit nicht beseitigen.

(Beifall bei der SPD)

Es sind aber nicht nur so genannte Bedenkenträger in den Amtsstuben, die sich als Scheinheilige entpuppen; auch andere „Heilige“ torpedieren Hartz IV, indem sie, wie heute wieder geschehen, in politisch unverantwortlicher Weise den Eindruck erwecken, dass Langzeitarbeitslose im Osten künftig mit 331 Euro im Monat auskommen müssten. Die PDS in Thüringen gar schürte über eine Pressemitteilung vom 8. Juni 2004 Ängste, indem sie verbreiten ließ: „Mit Hartz IV droht Obdachlosigkeit!“ Behauptet wurde dreist, dass Leistungen für Wohnraum und Heizung durch einen niedrigen Pauschalbetrag abgegolten würden, obwohl in § 22 SGB II klar geregelt ist: Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.

(Zurufe von der PDS: Soweit sie angemessen sind! Aha!)

- Ich rufe Ihnen zu: Es reicht!

Seit einigen Wochen biete ich als Abgeordnete spezielle Bürgersprechstunden für Arbeitslose an, um seriös darüber zu informieren, was ab Januar 2005 auf die Betroffenen zukommt. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass die Inhalte von Hartz IV und des SGB II den Betroffenen überhaupt nicht bekannt sind und dass sich Sorgen nach Aufklärung in Beratungsgesprächen sehr stark relativieren.

Arbeitslosengeld II bedeutet konkret - hören Sie zu; denn das haben Sie vorhin nicht erwähnt! -: Regelleistungen für Alleinstehende und Paare plus Kosten für Unterkunft plus Kosten für Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen plus möglicher Mehrbedarfe bei Schwangerschaft, Alleinerziehung, Behinderung und kostenaufwendiger Ernährung. Zusätzlich wird beim Übergang von Arbeitslosengeld in Arbeitslosengeld II für

die Dauer von 24 Monaten ein Zuschlag gezahlt, der sich wiederum danach richtet, ob ein Partner oder Kinder in der Bedarfsgemeinschaft leben. Arbeitsagentur oder Sozialamt übernehmen die Kosten für die Kranken- und Pflegeversicherung sowie den Mindestbeitrag für die Rentenversicherung. - All das haben Sie verschwiegen!

(Klein [SPD]: Bewusst verschwiegen!)

Geldvermögen bleiben weitgehend unangetastet. 200 Euro pro Lebensjahr plus zusätzlicher Freibetrag für die Altersvorsorge plus Freibetrag für laufende notwendige Anschaffungen. Arbeitseinkommen werden nicht in voller Höhe, sondern gestaffelt angerechnet. Auto, Grundstück und Haus müssen nicht verkauft werden. Darüber hinaus gibt es diverse Einzelregelungen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre des SGB II in allen Paragraphen.

(Beifall bei der SPD)

Wir bleiben dabei: Wir fordern mehr Service für Arbeitslose. Der Mensch und nicht die Akte muss im Mittelpunkt stehen. Dies ist der Leitgedanke des Hartz-Konzepts: eine Entwicklung allumfassender Beratungs-, Betreuungs- und Vermittlungsstrukturen zur Lösung individueller Problemlagen.

Die Mitglieder der Hartz-Kommission haben nie behauptet, sie könnten mit ihren Vorschlägen das Beschäftigungsproblem lösen. Arbeitsmarktpolitik kann eben nicht richten, was die Wirtschaftsentwicklung nicht schafft. Ziel war und sind effiziente Vermittlungsstrukturen anstelle überforderter Verwaltungsstrukturen und ein Sozialsystem, das auch in Zukunft bezahlbar bleibt. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der PDS: Es verschlägt einem die Sprache, wenn man sieht, dass jemand so mu- tieren kann!)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Dr. Schröder. - Ich erteile nun der Fraktion der DVU das Wort. Frau Abgeordnete Fechner, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Keine Arbeitsmarktreformen zulasten der Arbeitslosen und der Kommunen“ - diese Forderung der PDS-Fraktion hört sich echt gut an.

(Zuruf von der PDS: Ja!)

Man hat wirklich den Eindruck, dass sich die PDS-Genossen für die Belange unserer deutschen Langzeitarbeitslosen einsetzen wollen. Dass sich ausgerechnet die PDS-Fraktion heute hier als Anwalt der Arbeitslosen aufspielt, finde ich sehr bemerkenswert, Herr Bisky; denn nicht nur ich hatte vor gar nicht allzu langer Zeit den Eindruck, dass die PDS unsere Langzeitarbeitslosen abgeschrieben hat. Vor wenigen Wochen noch hat diese PDS-Fraktion gefordert, den deutschen Arbeitsmarkt ab 1. Mai dieses Jahres für polnische Arbeitnehmer zu öffnen ohne jede Einschränkung.

(Unruhe im Saal - Glocke des Präsidenten)

Geschehen sollte das wohlgemerkt angesichts einer Viertelmillion offiziell registrierter Arbeitsloser im Land Brandenburg. In der Begründung dieser Forderung der PDS hieß es allen Ernstes, dass die Qualifikation unserer deutschen Langzeitarbeitslosen nicht den Anforderungen der verbliebenen - der restlichen - Betriebe entspreche. Wenn es nach der PDS-Fraktion geht, werden diese arbeitslosen Menschen von polnischen Arbeitnehmern ersetzt. - So viel zum aufrichtigen Engagement der PDS-Fraktion für deutsche Langzeitarbeitslose.

(Beifall bei der DVU)

Vor der Bundestagswahl 2002 wurde dem Wahlvolk die mutigste Arbeitsmarktreform aller Zeiten versprochen. Die Vorlage zu diesem rot-grünen Chaosreformvorhaben lieferte die HartzKommission. Innerhalb weniger Jahre wollte man die Arbeitslosenzahl drastisch senken. Voller Stolz verkündete nun die Bundesregierung einen minimalen Rückgang der Arbeitslosenzahlen. Dass dieser Rückgang auch auf eine veränderte Zählweise in der Statistik zurückzuführen ist, wird wohlweislich verschwiegen.

Mit Hartz IV, also mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenund Sozialhilfe, verfolgt man edle Ziele. Man geht nämlich davon aus, dass Arbeitslosenhilfeempfänger damit künftig einen besseren Zugang zu Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit haben. Erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern blieb und bleibt dies weitgehend verwehrt. Um auch diesen Menschen einen besseren Zugang zu Maßnahmen des Arbeitsamtes zu ermöglichen und um teure Bürokratie und unklare Zuständigkeiten zu vermeiden, lag es nahe, die beiden Systeme zusammenzufassen. Also beschloss man, das so genannte Arbeitslosengeld II einzuführen. Damit nahm das Chaos weiter seinen Lauf; denn bis heute konnte man sich nicht einigen, welche Zahlungen die Kommunen zu übernehmen haben und welche die Bundesagentur für Arbeit.

Das Ganze liegt nun seit geraumer Zeit im Vermittlungsausschuss. Dort wird es noch eine ganze Weile liegen bleiben. Fest steht aber schon, dass das Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 331 Euro zum 01.01. nächsten Jahres eingeführt wird. Doch inwieweit es für die Betroffenen einen besseren Zugang zu Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik geben wird, steht noch in den Sternen. Man muss nicht besonders pessimistisch sein, um zu befürchten, dass es ab 01.01. weder eine bessere Vermittlung noch eine bessere Betreuung dieser Arbeitslosen geben wird.

(Zuruf von der PDS: Frau Schröder hat gerade etwas an- deres gesagt!)

Garantiert eintreffen jedoch wird die Kostenersparnis für den Staat.