Protocol of the Session on September 24, 2003

Berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit ist mittlerweile die häufigste Berufskrankheit. Durch Walk- oder Discmen bzw. Discos treten insbesondere bei Jugendlichen irreparable Schäden bis hin zur Schwerhörigkeit verstärkt auf. Angesichts dieser gesundheitlichen Auswirkungen von Lärmbelastungen müssen auch wirtschaftliche Langzeitfolgen betrachtet werden. Nach Angaben des EU-Grünbuchs liegen die Kosten, die infolge von Lärm entstehen, in den Mitgliedsstaaten zwischen 0,2 % und 2 % des Bruttoinlandprodukts. Für Deutschland ergeben sich Kosten zwischen 13 und 14 Milliarden Euro jährlich. Sie setzen sich aus Arztkosten, Wertminderungen von Immobilien, Produktionsausfällen durch Krankheiten, Umsatzminderungen im touristischen Gewerbe, aus Kosten für aktive und passive Schallschutzmaßnahmen und vielen anderen Faktoren zusammen.

Aus der Sicht der PDS machen die oben genannten Fakten eines deutlich: Die Lärmbelastung ist ein ernstes und ernst zu nehmendes Problem. Wir brauchen klare Maßnahmen zur Lärmminderung. Deshalb hat sich die PDS-Fraktion mit ihrer Großen Anfrage diesem Thema zugewandt.

Die Antworten der Landesregierung aber sind erneut ein trauriges Kapitel politischer Hilflosigkeit. Auf Frage 11 antwortet die Regierung wie folgt - mit Ihrer gütigen Erlaubnis, Herr Präsident, würde ich zitieren -:

„Die Landesregierung Brandenburg ist sich bewusst, dass Lärm als Gesundheits- und Umweltfaktor eine große Rolle spielt. Die Landesregierung Brandenburg nimmt daher die vielfältigen Probleme, die mit dem Lärm und seinen Wirkungen zusammenhängen, sehr ernst. Sie begrüßt deshalb alle Aktivitäten, die dem Schutz vor Lärm und damit insbesondere auch dem vorbeugenden Gesundheitsschutz dienen.“

Schöne Worte, aber nicht viel dahinter!

Meine Damen und Herren von der Regierung! Große Anfragen sollten auch dazu da sein, eigene Schwachstellen zu erkennen und ehrlich zu benennen, und nicht nur zur Beweihräucherung der eigenen Politik. Sehen wir also genauer hin!

Im Land Brandenburg gibt es kaum eigenständige Untersuchungen zur Lärmbelastung. An zahlreichen Stellen verweisen Sie, liebe Damen und Herren von der Regierung, auf die Untersuchungen des Umweltbundesamtes. Außerdem ziehen Sie sich darauf zurück, dass Lärmuntersuchungen zwingend nur beim Straßenneubau und bei wesentlichen Änderungen von Straßen zu erfolgen hätten. Umfangreiche Messreihen des Landesumweltamtes liegen für Schienenwege vor, nicht aber für Straßen und Verkehrslandeplätze. Fluglärmmessanlagen gibt es lediglich im Bereich des Flughafens Schönefeld.

Zu den - wie Sie sie selbst bezeichnen - großen Initiativen der Landesregierung gehören Lärmminderungspläne, die in 57 Gemeinden des Landes erstellt bzw. in Auftrag gegeben wurden. In 57 von über 1 000 Gemeinden - wirklich großartige Initiativen der Landesregierung!

Erstaunt zeigt sich die Landesregierung auch über den geringen Mittelabruf bei Zuschüssen an Kommunen für Lärmschutzmaßnahmen. Da Sie selbst aber seit Jahren kontinuierlich die Mittelzuweisungen an die Kommunen zurückfahren wir haben gerade heute Morgen wieder über die Kürzungen beim GFG beraten - , dürfen Sie sich nicht wundern, wenn eine 50%ige Kofinanzierung von Lärmschutzmaßnahmen für die Kommunen einfach zu hoch ist und der Mittelabruf deshalb nur bei durchschnittlich 60 % liegt.

Über Lärmbelastungen an Schulen lägen der Landesregierung, so ihre Antwort auf eine entsprechende Frage, keine Erkenntnisse vor. Untersuchungen dort seien, ebenfalls Zitat aus der Antwort, „nur mit einem nicht zu vertretenden Arbeitsaufwand zu leisten“. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass sich die Landesregierung gerade in diesen Tagen anschickt, die Vorsorgeuntersuchungen an Schulen zu streichen. Möglicherweise würde dabei auffallen, was längst erwiesen ist: Lärm macht krank. Die Auswirkungen von Lärm auf die Lernfähigkeit sind unbestritten. Auch deswegen wäre es dringend notwendig, sich dieses Problems anzunehmen und sich nicht zu verweigern.

Was den „unvertretbaren Aufwand“ anbetrifft - der VCD bietet für 20 Euro pro Woche einen Lärmaktionskoffer an. Die Geräte in diesem Koffer kann jedes Kind bedienen. Die Landesregierung sollte einmal darüber nachdenken, ein solches Projekt zur Lärmmessung an den Schulen und gemeinsam mit ihnen zu starten. Ich fürchte nur, dass Sie das nicht wollen; denn Sie würden das sehr traurige Ergebnis erhalten, dass sehr viele Schulen an hochgradig lärmbelasteten Straßen liegen und entsprechende Maßnahmen dringend erforderlich sind.

(Petke [CDU]: Frau Dr. Enkelmann, viel Lärm um nichts!)

- Herr Kollege Petke, es wundert mich wirklich, dass eine solche Bemerkung ausgerechnet von Ihnen kommt. Sie sind an Lärm nun wirklich nicht zu übertreffen!

Apropros Kinder! Da lobt sich die Landesregierung eines groß angelegten Aktionsprogramms speziell für Schulen zum The

ma „Lärm“. Am Landesinstitut für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sei in diesem Rahmen im Jahre 2000 eigens ein Lärmkabinett eingerichtet worden und, man glaubt es kaum, seitdem, hätten mehr als 200 Schüler dieses Kabinett besucht. Wahrlich eine Meisterleistung - in drei Jahren gingen 200 Schüler durch dieses Kabinett!

Schauen wir den Realitäten ins Auge: Lärm und seine Auswirkungen auf Mensch und Natur waren bislang seitens Landespolitik eindeutig unterbelichtet. Dieses Versäumnis kann man nicht in kurzer Zeit wettmachen. Dennoch ist es möglich, kurzund mittelfristig Maßnahmen in Angriff zu nehmen, um zu einer spürbaren Lärmminderung und damit zu mehr Wohlbefinden der Bevölkerung zu kommen.

Wir schlagen Ihnen in unserem Entschließungsantrag dazu drei Vorhaben vor.

Erstens: Wir fordern von der Landesregierung einen jährlichen Lärmbericht, in dem auf der Grundlage von Untersuchungen des Landesumweltamtes Analysen vorgelegt und für besonders belastete Gebiete Lärmkataster erarbeitet sowie Maßnahmepläne vorgeschlagen werden.

Zweitens: Die Landesregierung ergreift gegenüber der Bundesregierung Initiativen, um die seit langem angekündigte Novelle des Fluglärmgesetzes, das seit 1971 gilt und nicht verändert worden ist, endlich auf den Weg zu bringen.

Drittens: Die Förderrichtlinie Immissionsschutz muss dahin gehend geändert werden, dass der Eigenanteil, der von den Kommunen zu tragen ist, von 50 auf 25 % gesenkt wird.

Die Antwort auf die Große Anfrage der PDS zeigt, Herr Petke: Es gibt noch viel zu tun.

(Pekte [CDU]: Von der PDS sowieso!)

Viel Aufklärung ist nötig, um Lärm als tatsächlich gravierendes gesundheitliches, soziales und wirtschaftliches Umweltproblem zu begreifen. Über dieses Thema sollte man sich angesichts der Zahl von Menschen, die von Lärmbelastungen und sich daraus ergebenden gesundheitlichen Folgen betroffen sind, nicht lustig machen. Es ist notwendig zu begreifen, dass dieses Problem nur ressortübergreifend zu lösen ist. Aufklärung müsste allerdings zuallererst bei der Landesregierung erfolgen. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Gemmel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hören und Sehen sind die Grundlage der zwischenmenschlichen Kommunikation. Damit ist das Gehör eines der wichtigsten Sinnesorgane. Unbestritten ist auch, dass das größte Handicap für den Erhalt des Gehörs der Lärm ist. Lärm macht krank. Da haben Sie völlig Recht.

Die zunehmende Lärmbelastung für Menschen und Umwelt hat sich zu einem gravierenden Umweltschutz- und Gesundheitsproblem entwickelt, welches wir tatsächlich ernst nehmen müssen. All dies ist bekannt. Wie es in Deutschland so üblich ist, ist es inzwischen auch mit einer hohen Regelungsdichte belegt. Es geht im Grunde genommen darum, diese Regelungen auch wirksam umzusetzen.

Meine Damen und Herren! Inwieweit wir aber mit dem Thema Lärm wirklich bewusst umgehen, ist eine andere Frage. Beim Lesen der Großen Anfrage ist mir jedenfalls klar geworden, dass dies immer nur dann geschieht, wenn man persönlich davon betroffen ist.

(Frau Tack [PDS]: Genau!)

Von daher kann ich nur empfehlen, dass sich der eine oder andere die Zeit nimmt, um die Antwort der Landesregierung wirklich bis zu Ende zu lesen.

Die aufgeworfenen Fragen hat die Landesregierung umfangreich beantwortet. Allerdings geht schon aus der ersten Antwort hervor, dass allgemeine landesweite und flächendeckende Untersuchungen zur Lärmbetroffenheit im Land nicht durchgeführt werden. Da haben Sie völlig Recht. Deshalb basieren die meisten Antworten auf den bundesweiten Ermittlungen des Bundesumweltamtes.

Auch die PDS hat die meisten ihrer Fragen aufgrund der Ermittlungen des Bundesumweltamtes von 2001 formuliert.

(Zuruf der Abgeordneten Dr. Enkelmann [PDS])

- Frau Dr. Enkelmann, den Antworten, die Sie vorhin gegeben haben, entnehme ich, dass Sie den Bericht aus dem Jahre 2002 auch schon gelesen haben. Es ging nämlich um die Zahlen von 2002. Man hätte den Bericht tatsächlich nur zu lesen brauchen, dann wüsste man in vielen Punkten wirklich Bescheid. Das ist definitiv so.

Deshalb stellt sich die Frage, ob wir einen weiteren Bericht brauchen, der dann letztendlich wieder nur die Ergebnisse des Bundesumweltamtes aus den Untersuchungen von 2002 formuliert. Ich denke, diese könnten wir auch gleich direkt lesen. Natürlich sind auch eigene Maßnahmen notwendig. Aber dazu komme ich noch.

Die Untersuchung bezüglich der Auswirkung von Lärm ist eine klassische Querschnittsaufgabe, die nicht allein dem Umweltminister zuzuordnen ist. Aus den Antworten geht deutlich hervor, dass in allen Bereichen des öffentlichen Lebens und der persönlichen Zuständigkeit Handlungsbedarf besteht. Zum Beispiel hat sich das Ministerium für Gesundheits- und Arbeitsschutz immer stärker mit Berufskrankheiten, die aus Lärm und Stress resultieren, auseinander zu setzen. Die Zahlen sind wirklich erschreckend. Das muss man sehr deutlich sagen.

Wenn man den Anteil von Luft-, Straßen- und Schienenverkehr als größten Lärmverursacher kennt, müsste heute eigentlich der neue Verkehrsminister Rede und Antwort stehen. Aber dazu müssen wir deutlich sagen: Mobilität ist ein gesellschaftlich anerkanntes Bedürfnis, das seinen Preis hat. Damit müssen wir auch umgehen.

Ein wichtiger Punkt ist - Sie haben darauf hingewiesen -: Auch der Bildungsminister ist natürlich mit der Frage Lärm an Schulen konfrontiert,

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Ja!)

weil gerade bei den Kindern die Grundlage für den künftigen Gesundheitszustand gelegt wird.

Aus einer Online-Umfrage, an der sich ca. 20 000 Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben, geht hervor: Straßenverkehr zerrt an den Nerven. Es ist nicht nur der Lärm, sondern es ist auch die ständige Belastung, die man durch Lärm ertragen muss, die den gesamten Gesundheitszustand schädigt.

(Frau Tack [PDS]: Wir sind alle beteiligt!)

- Ja, wir beteiligen uns. Wir sind alle Autofahrer. So ist das.

Als weitere Probleme werden benannt: Fluglärm und Nachbarschaftslärm. Auch das ist richtig. Wenn man zum Beispiel nachlesen kann, dass Rasenmäher trotz vorhandener Grenzwerte immer lauter werden, dann ist es schon erstaunlich, was so alles möglich ist.

Gerade beim Stichwort Nachbarschaftslärm wird deutlich, dass die Bewältigung des Umweltproblems Lärm auch eine technologische Chance bietet. Eine gute Wärmedämmung verbessert zum Beispiel auch deutlich den Schallschutz.

Ein weiteres Beispiel für technologische Chancen ist die Lärmreduzierung bei Schienenfahrzeugen durch spezielle Fahrgastkabinen oder in der Landwirtschaft durch Radaufhängungen. Hier hätten Brandenburger Betriebe gute Marktchancen. Gestern hat ein Kollege zu mir gesagt: Brandenburg könnte sich als „Marktland der Stille“ profilieren. - Warum eigentlich nicht? Das ist gar nicht so weit hergeholt und gar nicht so dumm, wir suchen immer nach Nischen. Inzwischen ist völlig klar: Umweltschutztechnik ist ein riesiger Markt, der bedient werden will und auf dem neue Antworten gefragt sind.

Territorial ist die Lärmbelästigung in Brandenburg sehr unterschiedlich. Deshalb sind auch in einigen Punkten Antworten der Landesregierung zur konkreten Lärmbelastung kaum möglich. Man kann das nicht direkt mit den Ballungsgebieten vergleichen. Wir haben also auch Lärmarmut in Brandenburg. Das ist gut so. Lärmarmut ist in Verbindung mit der landschaftlichen Qualität Brandenburgs unbestritten auch ein tourismusrelevanter Standortvorteil. Das gilt insbesondere für unsere herrlichen Naturparks. Deshalb habe ich großes Verständnis für die Sorgen der Tourismusunternehmen und der Bevölkerung im Zusammenhang mit dem geplanten so genannten Bombodrom bei Wittstock.

(Beifall bei der PDS)

Hier bietet sich ein klassisches Beispiel für praktizierte Lärmvermeidung.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)