Protocol of the Session on May 21, 2003

Ich danke dem Abgeordneten Schuldt. - Ich erteile das Wort der Landesregierung, Herrn Minister Junghanns.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon die richtige Zeit und es ist der richtige Ort, über die wirtschaftliche Situation in unserem Land zu sprechen, um Klarheiten schaffen zu helfen. Wirtschaft in unserem Land, Handwerk, Mittelstand, Gewerbe, Selbstständige und Industrie befinden sich in schwerem Wasser. Die Interpretationen der Selbstverwaltungen der Kammerorganisationen beschreiben uns das alltäglich nachdrücklich. Die Konjunkturdaten weisen auf eine Rezession hin.

(Homeyer [CDU]: Leider wahr!)

Eine Rezession, die sich entwickelt als wirtschaftlicher Abschwung nach zwei aufeinander folgenden Perioden davor, deutet sich an, wenn auch nach Branchen differenziert. Es ist schon festzustellen, dass auch das verarbeitende Gewerbe in unserem Land Brandenburg im IV. Quartal 2002 eine Umsatzentwicklung von minus 8 % und im I. Quartal 2003 von minus 0,4 % hatte. Bei den Beschäftigten haben wir weitere Negativzahlen zu verzeichnen. Das lässt sich in manchen Branchen noch viel schärfer darstellen. Das soll aber reichen, weil wir uns nicht an Zahlenspielereien berauschen wollen.

Ich möchte allerdings hinzufügen, dass es im Umgang mit dem Wort „Rezession“ auch zweierlei Interpretationslinien gibt. Die einen bezeichnen sie als „vorübergehende konjunkturelle Schwäche“, andere weisen angesichts der Entwicklung insbesondere in den neuen Bundesländern darauf hin, dass die Rezession der Beginn einer dritten Phase eines konjunkturellen Zyklus sei, der regelmäßig in der Depression ende. Das heißt: mehr Arbeitslosigkeit, geringeres Bruttosozialprodukt und vor allen Dingen weniger Investitionen als Kennzeichen einer Entwicklung, die wir nicht außer Acht lassen dürfen, die uns aber

auch an diesem Tag mit aller Klarheit ins Bewusstsein rufen soll, wo wir stehen.

Mir liegt an keiner theoretischen Diskussion. Weil wir gemeinsam durch ein Land, durch unser Land Brandenburg, gehen, erleben wir das offenbar gemeinsam. Das kann man unter die Überschrift stellen: „Die Stimmung ist schlechter als die Lage.“ In der Tat ist es so, dass die positiven Ansätze, Markterfolge oder Aufschwünge in den Unternehmen heute etwas durch die allgemeine konjunkturelle Lage überdeckt werden. Aber wenn wir unterwegs sind, erleben wir vor allem Unsicherheit, daraus resultierend wenig Zuversicht, auch Deprimiertheit unter Arbeitgebern, aber auch unter Arbeitnehmern, wenn auch aus unterschiedlicher Motivations- und Rollensituation.

Dabei kann ich sagen: Die Wirtschaft teilt mit uns, mit der Politik, die Analyse, wie sie wirtschaftspolitisch und in den Medien vorgenommen wird. Die Diagnose geht noch einen Schritt weiter als die Analyse, da sie auch die Ansätze dafür bietet, wie Veränderungen zu erreichen sind. Die Wirtschaft beschimpft und kritisiert die Politik, weil im Angesicht dieser dramatischen Situation und der Übereinstimmung in der Analyse und zum Teil auch in der Diagnose - da gibt es Nuancierungen - die Politik nicht entscheidet, sondern feilscht.

(Frau Osten [PDS]: Dann sagen Sie doch einmal, was Sie machen wollen!)

- Frau Osten, ich komme schon zu den Themen, bei denen es um gemeinsame Lösungen geht. - Die Politik feilscht also. Beispielsweise beim Kündigungsschutz geht es den einen um Betriebe mit mehr als fünf Mitarbeitern und die anderen, die für die Liberalisierung auf diesem Gebiet sind, wollen Kündigungsschutz erst in Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern. Die Verfasstheit im Land ist die Erwartung, dass sich etwas ändert. Wir haben aber auch die Verfasstheit, dass man sich davor scheut, insbesondere wenn man selbst betroffen ist. In dieser Situation haben wir als Zeichen der Politik Klarheit über die Ziele der Wirtschafts- und der Gesellschaftspolitik zu schaffen. Dabei möchten wir im Land auch die Auseinandersetzung über die Frage führen: Was ist denn heute unser Ziel, das Verteilungsziel oder das Wachstumsziel?

(Beifall bei der CDU)

Unser Ansatz ist das Wachstumsziel, weil das die Basis für das andere ist. Die Rahmenbedingungen für Wachstum sind in dieser Situation eben andere als für Verteilung.

Man erwartet von uns schlüssiges Handeln unter einem Ziel. Dieses Wachstumsziel kann im Angesicht der schwachen öffentlichen Kassen nur zum Inhalt haben, dass wir mit dem Selbstverständnis von Rahmenbedingungen aufhören, die immer eine hohe Regelungsdichte und eine hohe Subventionsdichte mit sich bringen. Das können wir nicht mehr leisten, das glaubt uns auch niemand mehr.

(Vereinzelt Beifall bei CDU und SPD)

Aus diesem Grunde halte ich dies für wichtig und möchte Sie bitten, die Diskussion darüber im Lande zu führen. Das ist keine theoretische Diskussion, sondern es geht um die Frage: Wo beginnt der Aufbruch oder der Konsens in der Auseinandersetzung mit den gravierenden Problemen in unserem Land? Den

Konsens haben wir im Ziel noch nicht gefunden. Wir haben noch die Auseinandersetzung darüber, was wichtiger im Lande ist, das Wachstums- oder das Verteilungsziel?

(Homeyer [CDU]: Leider wahr!)

Wenn wir gemeinsam darüber Klarheit schaffen, dass das Wachstumsziel das wichtigere, das vorrangige Ziel ist, haben wir schon viel gekonnt, auch in der Bewertung dessen, was wir als Nächstes tun.

(Beifall bei der CDU)

An dieser Stelle setzt auch die Agenda 2010 an. An dieser Stelle muss sie auch weitergeführt und muss sie schlüssig gemacht werden. Ich werbe von dieser Stelle aus dafür, Schlüssigkeit und Stringenz in dieses Papier zu bringen. Wenn in dieser Phase vonseiten der Bundesregierung Verantwortung übernommen wird, dann muss auch gehandelt werden und müssen Vorgaben gemacht werden, die wir in entsprechender Form zu begleiten und zu qualifizieren haben. Nur so entsteht auch Zuversicht, und nur so begegnet man dem Vorwurf, dass man feilscht und nicht entscheidet. Wenn es demzufolge um eine Änderung der Strukturen geht, dann ist das sehr konkret.

Dabei geht es für mich zuerst um die Tarifstruktur. Ich appelliere von dieser Stelle aus mit allem Nachdruck an die handelnden Tarifparteien, natürlich bei Anerkennung der Tarifautonomie, zu erkennen, dass die Auseinandersetzung um die 35Stunden-Arbeitswoche ein falsches Signal in dieser Zeit ist.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei der PDS)

Die Theorie „Mit der Regelung der Nachfrage schaffen wir konjunkturellen Aufschwung“ gilt in dieser Situation nicht.

(Widerspruch bei der PDS)

Das Ergebnis der 35-Stunden-Arbeitswoche wurde erzielt in einer anderen Tarifsituation, in Zeiten eines Aufschwungs, in einer anderen Zeit, mit einer anderen Betriebsstruktur. Diese Sache schadet uns jetzt.

(Beifall bei der CDU)

Gleichzeitig ist es uns sehr wichtig, Ausbildungsplätze zu schaffen. Wir machen uns ja tagein, tagaus Gedanken darüber, auf welche Weise wir sicherstellen, dass die jungen Menschen in unserem Land eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Dieses Thema müssen wir verstärkt angehen. Darf es denn in dieser schwierigen Situation wirklich nicht sein, dass sich beispielsweise ein Kfz-Meister mit seinem Lehrling darüber einigt, in den drei Lehrjahren im Durchschnitt nicht 384 Euro im Monat, sondern nur 350 Euro zu zahlen, der Kfz-Meister, der in diesem Fall tarifgebunden ist, diesen Abschluss jedoch nicht vornehmen kann? Wir antworten darauf mit zusätzlichen Ausbildungsplatzabgaben. Das konterkariert doch die gesamte Situation.

(Beifall bei der CDU)

Es muss doch möglich sein, das zu realisieren.

Zum zweiten Thema: Kündigungsschutz. Wenn in großen Tarifauseinandersetzungen keine schlüssigen Antworten gefun

den werden können und wenn man sich im Bündnis für Arbeit über dieses Problem nicht einigt, dann sollten wir es - auch im Interesse künftiger tarifvertraglicher Regelungen - wesentlich mehr zum Prinzip machen, dass die Lösungen in den Firmen selbst gefunden werden können. Der Ansatz dazu ist in der Agenda 2010 durchaus erkennbar. Aber das kann doch auch institutionalisiert klargestellt werden. Warum vertrauen wir nicht dem Miteinander von Arbeitgeber und Arbeitnehmern im Unternehmen selbst, wenn es um die richtige Lösung für eine kritische Marktsituation geht?

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Müller [SPD])

Als Wirtschaftsminister habe ich dieses Vertrauen in die Wirtschaft unseres Landes. Ich werbe um Vertrauen dafür, dass die dortigen Akteure es auch schaffen.

(Freese [SPD]: Sie bauen hier einen Popanz auf! - Zuruf von der PDS: Nehmen Sie einmal die schwarze Brille ab!)

Ich komme zum dritten Thema, der Subventionsstruktur. In unserem Land gibt es eine Diskussion über die Folgekosten erneuerbarer Energien. Wir haben - entsprechend unserer energiewirtschaftlichen Vorhaben - hohes Interesse daran, eine gesunde Mischung herkömmlicher und erneuerbarer Energien zu schaffen. Im Zusammenhang mit diesen Technologien gibt es ein großes Arbeitskräftepotenzial. Es ist jedoch absehbar - dies ist von der BTU Cottbus belegt -, dass die überdurchschnittliche Einspeisung von Windenergie Folgekosten verursacht, die auf unsere mittelständische, kleinststrukturierte Wirtschaft in Form höherer Energiepreise übergewälzt werden. Es muss möglich sein, in Bezug auf diese Subventionsstruktur eine Umkehr einzuleiten, das heißt zu deckeln, um den kontraproduktiven Wirkungsmechanismus zu stoppen. Dafür werbe ich.

(Freese [SPD]: Wann haben Sie denn im Kabinett schon einmal darüber gesprochen?)

- In der Auseinandersetzung über die Agenda 2010, im Zusammenhang mit dem Energieeinspeisegesetz und bei Gesprächen sowohl mit Landtagsabgeordneten als auch mit Bundestagsabgeordneten haben wir dies thematisiert. Wir sind uns auch mit Herrn Birthler darin einig, dass wir sorgsam damit umgehen müssen.

Der nächste Punkt betrifft die Organisationsstrukturen im Land. Ich möchte offensiv darauf antworten. Ich erwarte, dass sich die Kammern im Land Brandenburg den neuen Herausforderungen der Arbeitswelt stellen. Dem werden die Kammern gerecht. Sie sind flexibel. In einer Zeit, in der es um die Sicherung einer hohen Qualität sowohl der Produkte und Dienstleistungen als auch der Ausbildung geht und in der die Qualitätswünsche des Kunden zu erfüllen sind, darf nicht eine Diskussion über den Meisterbrief geführt werden, wie wir sie gegenwärtig erleben. Die Meisterqualifikation ist die Antwort auf wesentliche Herausforderungen hinsichtlich Qualität, Quantität und Solidität, die vom Markt gestellt werden. Deswegen erkläre ich: Wir gehen offensiv mit der Forderung nach Erneuerung der Kammerstrukturen um. Dabei hat man sich jedoch zuvorderst an der soliden Fachkenntnis der Kammerbeteiligten zu orientieren.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir nicht möglich, im Rahmen der Aktuellen Stunde einen umfassenden wirtschaftspolitischen Diskurs zu führen. Es geht um Strukturen. Wir reden jeden Tag von Strukturveränderungen. Es ist sehr wichtig, dass das Parlament schlüssige Erwartungen an strukturelle Veränderungen formuliert. Im Grunde bin ich heute auf Fragen eingegangen, die mir Unternehmer immer wieder stellen. Wenn wir in diesem Parlament einen einfachen und klaren Umgang mit den Erwartungen der Wirtschaft pflegen, schaffen wir - eben durch eine Politik für die Wirtschaft - die Brücke zu mehr Zuversicht. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke Herrn Minister Junghanns. - Ich gebe das Wort noch einmal an die Fraktion der CDU. Herr Abgeordneter Karney, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich zu den möglichen Auswirkungen der Reformvorhaben der Bundesregierung äußere, beschreibe ich noch einmal die Situation. Dabei spreche ich im Namen des Handwerks nicht nur in Brandenburg, sondern in ganz Deutschland. Das Wirtschaftswachstum stagniert. Die Bundes-, Landes- und Kommunalfinanzen sind bis zum Zerreißen gespannt. Die Sozialsysteme kollabieren. Die Arbeitslosenzahlen befinden sich auf einem sozial und wirtschaftlich nicht mehr tolerierbaren Niveau.

Spätestens in dieser Situation sollte jedem klar denkenden Menschen bewusst sein, dass der Abwärtstrend der Wirtschaft ohne grundlegende Reformen nicht gestoppt und der totale Zusammenbruch der sozialen Sicherungssysteme nicht verhindert werden kann.

Positiv hervorheben lässt sich lediglich, dass die Bundesregierung endlich erkannt hat: Es muss etwas geschehen, im Notfall auch Reformen. Die Handhabung lässt allerdings befürchten, dass das Wort „Reform“ zum Unwort des Jahres 2003 wird. Der Duden definiert „Reform“ wie folgt: Umgestaltung, Verbesserung des Bestehenden, Neuordnung. - Der Duden verschweigt allerdings die Tatsache, dass grundlegende Reformen nicht als Bündel von Einzelmaßnahmen, sondern nur als Gesamtkonzept die gewünschte Wirkung entfalten können.

Eine Schlussfolgerung lautet: Die wirtschaftliche Entwicklung muss deutlicher als in der Vergangenheit im Zentrum allen Handelns stehen. Ich sage mit Bedacht nicht „im Zentrum allen Redens“, sondern „im Zentrum allen Handelns“. Sozial ist, was Arbeit schafft. Wirtschaft schafft Arbeit, Herr Müller. Die bloße Verwaltung von Arbeitslosigkeit, das mutlose Herumdoktern an Symptomen ist hochgradig unsozial.

Nun nimmt die Bundesregierung mit ihrem sicheren Gespür für sinnlose Aktionen die Handwerksordnung ins Visier. Das Handwerk als größter Arbeitgeber und größter Ausbilder soll die fehlenden Arbeits- und Ausbildungsplätze quasi im Alleingang schaffen. Als probates Mittel hierfür hat man nicht eine deutliche Senkung der Belastungen ausgemacht, sondern die Schaffung von Handwerksbetrieben zweiter und dritter Klasse durch weitestgehende Abschaffung des Meisterstatus. Die

Streichung des Inhaberprinzips, wie von den Kammern vorgeschlagen, wurde als nicht geeignet deklariert. Um noch eins draufzusetzen, kramen einzelne Mitglieder der Regierungskoalition eine Ausbildungsabgabe aus der Mottenkiste der dirigistischen Wirtschaftspolitik. Darf es noch etwas mehr Belastung sein, liebes Handwerk?

Meine Damen und Herren Abgeordenten, die Betriebe in Brandenburg kranken nicht an zu viel, sondern an zu wenig Arbeit. Der Versuch, über Ich-AGs oder die Zerschlagung der Meisterordnung künstlich, das heißt nicht vom Markt gefordert, Selbstständigkeit zu produzieren, schafft weder Arbeit noch Ausbildungsplätze. Der Kuchen der Aufträge wird nicht größer. Die für Investitionen unabdingbaren Gewinne sind nicht schon deshalb realisierbar, weil Politiker sich dies wünschen. Aufträge und in deren Folge Ausbildungs- und dauerhafte Arbeitsplätze entstehen dann, wenn Dienstleistungen und Produktion zu konkurrenzfähigen Marktpreisen angeboten werden können.

Die Bundesregierung ist wortbrüchig geworden. Der vom Bundeswirtschaftsministerium vorgelegte Referentenentwurf zur Änderung der Handwerksordnung ist ein Schlag gegen Ausbildung und Beschäftigung im Handwerk. Von den Innungen, Kreishandwerkerschaften und Handwerkskammern wird der Entwurf bis jetzt entschieden abgelehnt. Dies gilt besonders für die rigorose Streichung von 62 Vollhandwerksberufen und den Rechtsanspruch auf Selbstständigkeit nach zehn Jahren. Die Entwürfe sind unüberlegte, widersprüchliche, unlogische, tatsächlich und rechtlich fehlerhafte Schnellschüsse. Sie sind nicht mit den Handwerkskammern abgestimmt.

Das vor Wochen vorgelegte Konzept des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks als schlüssiges Gesamtkonzept fand keine Berücksichtigung. Auch bis heute erbrachte Ausbildungsleistungen wurden missachtet. Mit dem wahllosen Herausstreichen von Gewerken, die bisher der meisterlichen Zulassungspflicht unterliegen, wird die Sicherheit der Bürger leichtfertig aufs Spiel gesetzt.